"Meine Enkel sind hoffentlich Weltbürger“

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Serie Gastarbeiter "Meine Enkel sind hoffentlich Weltbürger“

Bernardino di Croce kam vor 48 Jahren als Gastarbeiter aus Italien. Sein Lebensweg führte ihn bis nach Kanada und wieder zurück in die Bundesrepublik. Heute ist er in Schwaben zu Hause, spielt manchmal in Italien den deutschen Touristen und sagt voller Stolz: Ich bin ein Teil von Deutschland.

3 Min. Lesedauer

Portrait Bernardino di Croce mit seinen Enkeln auf dem Arm

Portrait Bernardino di Croce mit Enkeln

Portrait Bernardino di Croce mit seinen Enkeln auf dem Arm

Portrait Bernardino di Croce mit Enkeln

Manchmal sieht Bernardino noch heute seinen Koffer vor sich stehen. In den ersten Jahren in Deutschland hat der Italiener, der mit 17 Jahren in die Bundesrepublik kommt, sein Reisegepäck immer griffbereit. Er arbeitet erst als Maurer, dann als Maurerpolier, und wohnt in einem Barackenlager, dessen Zaun die italienischen Gastarbeiter von den Deutschen trennt.

"Die Bezeichnung Gastarbeiter war Programm, denn Gäste haben irgendwann wieder zu gehen“, erinnert er sich. Sich an Deutschland und die Deutschen zu gewöhnen, fällt ihm nicht immer leicht – werden doch die Mentalitätsunterschiede schon bei so alltäglichen Dingen wie dem Zigarettenleihen deutlich: "Wir haben uns gefragt, warum wir zehn Pfennig dafür bekamen, sobald wir Deutschen eine Zigarette gaben. Italiener hätten sie einfach genommen. Irgendwann habe ich verstanden, dass die Deutschen vielleicht nicht die Verpflichtung haben wollten, später eine ganze Packung kaufen zu müssen.“

Deutsche Wörter auf dem Handrücken

"Wie wichtig die Sprache für die Integration und Chancengleichheit ist, wissen die meisten Migranten“, sagt Bernardino. Obwohl er selbst kaum Deutschkenntnisse hat, unterstützt er früh andere Gastarbeiter bei der Wohnungssuche und bei Behördengängen. Seine ersten deutschen Wörter lernt er, indem er sich auf den Handrücken schreibt, was er tagsüber hört, und abends im Wörterbuch die Bedeutung nachschlägt. Manchmal macht ihn das Ergebnis traurig - wenn er beim Blättern feststellen muss, dass die Buchstaben auf seiner Hand ein Schimpfwort ergeben: "Junge Menschen können das heute vielleicht nicht mehr so nachvollziehen, aber man stieß als Ausländer in den 60er Jahren durchaus auf Ablehnung.“

"Weglaufen“ nach Kanada

Persönliche Ablehnung führt Bernardino eine Zeitlang wieder heraus aus Deutschland. Als sich seine Freundin Hilde nicht für ihn, den Ausländer, entscheiden kann, geht er 1965 nach Kanada. „Weglaufen“ nennt er das heute. Doch Hilde reist ihm nach, sie heiraten und bekommen zwei Kinder. Nach fünf gemeinsamen Jahren in Kanada kehren sie nach Deutschland zurück.

In den 1970er Jahren schult Bernardino zum Maschinenschlosser um. Ab 1974 betreut er als Gewerkschaftssekretär bei der Stuttgarter IG Metall ausländische Arbeitnehmer. Nach vier Jahren vertraut ihm die Gewerkschaft einen ganzen Stadtbezirk an. Nebenher beteiligt sich Bernardino an der Bildungsarbeit und ist mehrmals Mitglied der Tarifkommission.

Integration braucht Wurzeln

Portrait Bernardino di Croce

Portrait Bernardino di Croce

Seit 1975 besitzt Bernardino die unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland. Heute ist er Rentner, nennt Schwaben sein Zuhause und arbeitet ehrenamtlich in interkulturellen Vereinen, die er mitgegründet hat. Privat genießt Bernardino das Leben in seiner multinationalen Familie: Die Frau ist Deutsche, beide Kinder haben kanadische Pässe, die Schwiegertochter ist Russin. Die Nationalität seiner beiden Enkel kann und will Bernardino gar nicht definieren: ´"Hoffentlich sind sie Weltbürger.“

Bernardino selbst fühlt sich als Italiener und Deutscher – und macht aus seiner Doppelidentität auch gern einmal ein Spiel. „Manchmal gebe ich mich in Italien als deutscher Tourist aus. Das ist ein Hobby von mir“, erzählt er lachend. Seine Erfahrungen über das Leben in verschiedenen Ländern hat er zu einem Buch verarbeitet. Bernardino ist überzeugt: "Integration kann nur funktionieren, wenn Menschen sich ihrer Wurzeln bewusst sind.“

Für ihn gibt es dabei kein entweder oder: "Wir können sowohl unserer gebürtigen Nationalität angehören als auch der deutschen. Ich bin Deutscher und Italiener und identifiziere mich ganz bewusst mit dem Wissen, das ich über beide Länder habe.“ Das ist für Bernardino auch etwas, das er seinen Kindern und Enkeln weitergeben möchte: „Unsere Kinder sollen wissen, von wem sie abstammen und was wir geleistet haben. Viele Migranten trauen sich nicht zu sagen, dass Deutschland ein schönes Land ist. Ich liebe dieses Land, und ich bin ein Teil davon.“