Telefon-Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel nach den Videokonferenzen der G20 und des Europäischen Rats

BK’in Merkel: Guten Abend an alle Zuhörer und auch guten Abend an die zugeschalteten Journalisten. Wir haben uns für dieses ungewöhnliche Format entschieden, weil ich ja bekanntermaßen zu Hause in Quarantäne bin. Ich habe an den Videokonferenzen per Telefon teilgenommen.

Wir haben heute um 13 Uhr zuerst die Schaltung der Staats- und Regierungschefs der G20 unter der Präsidentschaft Saudi-Arabiens gehabt. Ich habe sehr begrüßt, dass diese Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der G20 stattgefunden hat, weil das G20-Format während einer Krisensituation, der Bankenkrise 2008/2009, auf der Ebene der Regierungschefs geschaffen wurde und weil wir alle heute in unseren Ausführungen auch der Meinung waren, dass es sich damals bewährt hat, dass allerdings die Banken- und Finanzkrise nicht so weitreichend war wie das, was jetzt durch die Situation mit dem Virus passiert und dass diese Situation schwieriger ist und die Weltwirtschaft in noch stärkerer Weise beeinträchtigt, sodass es umso wichtiger ist, dass wir hierbei gemeinsam und koordiniert agieren.

Wir haben uns für ein gemeinsames Handeln in den Bereichen der globalen Gesundheit, der Weltwirtschaft und des Handels entschieden und damit ein deutliches Zeichen für globale Zusammenarbeit und internationale Koordination gesetzt. Wir haben sehr deutlich betont, dass es um globale Verantwortung geht, die gerade von den G20 ausgehen muss.

Im Einzelnen ist ein klares Bekenntnis zur Weltgesundheitsorganisation verabschiedet worden, die Impfstoffinitiative CEPI und genauso auch die globale Impfallianz GAVI gewürdigt worden. Wir seitens der Bundesregierung unterstützen diese Institutionen. Zu Beginn dieses Jahres habe ich in Davos zugesagt, dass wir schon allein für die nächste Periode von GAVI 600 Millionen Euro zur Verfügung stellen werden.

Wir unterstützen das Krisenmanagement von IWF und Weltbank und erkennen in diesem Zusammenhang auch die besondere Verantwortung für Entwicklungsländer wie die afrikanischen Länder an. Wir bitten die Weltgesundheitsorganisation um die Vorbereitung einer neuen Pandemieinitiative, damit wir aus dieser Krise auch die entsprechenden Lektionen lernen.

Wir sind bereit, im wirtschaftlichen Bereich ganz ungewöhnliche, aber notwendige Aktionen zu unternehmen. Über die einzelnen nationalen Anstrengungen wurde berichtet. Hierbei habe ich natürlich auch davon gesprochen, was wir gestern im Deutschen Bundestag verabschiedet habe und was morgen im Bundesrat verabschiedet werden wird.

Wir haben uns zu offenen Märkten bekannt. Ich habe noch einmal besonders darauf hingewiesen, dass barrierefreier Handel für die Zeit nach dieser COVID-19-Krise von besonderer Bedeutung sein wird.

Von 16 Uhr bis 22 Uhr haben wir uns dann in der Schaltung der europäischen Staats- und Regierungschefs als Europäischer Rat mit der Situation befasst. Eigentlich wollten wir uns heute mit Fragen der Digitalisierung beschäftigen. Dazu ist es leider nicht gekommen, sondern der Schwerpunkt lag natürlich auf den Herausforderungen der Coronapandemie. Wir sind entschlossen, diese Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Mein Dank gilt vor allem auch der Kommission, die in den vergangenen Tagen sehr viel dafür getan hat, dass ein koordiniertes europäisches Handeln insbesondere bei der Besorgung medizinischer Hilfe durch eine gemeinsame Beschaffungsinitiative deutlich geworden ist. Ich möchte dafür (akustisch unverständlich) Unsere Hilfen für Unternehmen prüft die Kommission innerhalb kürzester Zeit. Wir sind sehr dankbar dafür, dass uns schon sehr viele Beihilfen genehmigt worden sind. Von den Kollegen wurde heute allerseits anerkannt, dass die Kommission hierbei maximale Flexibilität an den Tag legt.

Wir müssen feststellen, dass wir bei der Bewältigung der Krise am Anfang natürlich mit sehr unterschiedlichen Ansätzen und auch nicht immer gut koordiniert agiert haben. Aber ich denke, dass der Wille, diese Koordinierung zu verbessern, gerade auch bei der Frage der Beschaffung aber auch bei der Frage der wirtschaftlichen Konsequenzen doch sehr stark ausgeprägt ist, insbesondere auch bei der Frage, wie wir eines Tages - aber dieser Tag ist bei weitem noch nicht gekommen - aus dieser Krise auch wieder herauskommen.

Ich habe noch einmal deutlich gemacht, dass wir die ökonomischen Folgen in besonderer Weise dadurch mildern können, dass wir das hohe Gut des Binnenmarktes auch wirklich wirken lassen. Das setzt voraus, dass der freie Transport von Gütern möglich ist. Wenn das nicht möglich ist, dann sind die Wertschöpfungsketten auseinandergerissen und dann werden wir viel gravierendere ökonomische Folgen haben, als es sowieso schon der Fall sein wird. Ein Beispiel, das ich heute angeführt habe, ist, dass die Firma Dräger zwar bei uns Beatmungsgeräte produziert, dass aber die Wertschöpfungstiefe nur 20 Prozent beträgt. Das heißt, wenn die Zulieferungen aus anderen Ländern ausbleiben, dann können für ganz Europa auch keine Beatmungsgeräte hergestellt werden.

Inzwischen gibt es auch viele Zeichen europäischer Solidarität. Auch Deutschland beteiligt sich in einem bestimmten Umfang, indem wir schwer kranke Menschen aus Italien und Frankreich aufnehmen.

Wir haben dann natürlich insbesondere über die wirtschaftlichen Folgen gesprochen. Ich habe schon die Wichtigkeit des Binnenmarktes genannt. Die längste Zeit hat die Diskussion der Frage eingenommen, was wir in der nächsten Zeit von der Eurogruppe erwarten, um uns für alle Fälle zu wappnen. Aus deutscher Perspektive ist der geschaffene ESM, der Europäische Stabilisierungsmechanismus, natürlich das Mittel, das wir für Krisensituationen geschaffen haben. Wir haben die Eurogruppe heute aufgefordert, dass sie uns in den kommenden zwei Wochen Vorschläge vorlegt, die der einzigartigen Herausforderung, die wir durch das Coronavirus haben, gerecht werden.

Für die längere Perspektive, wenn es um die Ausstiegsstrategie aus den harten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen geht, haben wir auch darum gebeten, dass uns die Kommission und der Präsident des Europäischen Rates in Konsultationen mit anderen Institutionen wie zum Beispiel der EZB Vorschläge macht, wie und wann wir eine Roadmap für einen Aktionsplan bekommen werden.

Wir werden also in zwei Wochen noch einmal über die Vorschläge der Finanzminister beraten. Wie gesagt (akustisch unverständlich) ist der ESM das Instrument zur Krisenbewältigung.

Wir haben dann noch natürlich unsere allgemeine Solidarität mit den besonders schwer betroffenen Ländern - jedenfalls heute schwer betroffenen Ländern, denn es kann uns allen ja auch noch so gehen – Ausdruck verliehen. Dazu gehören Italien und Spanien. Es wurde vielfach – das sage ich auch aus Überzeugung – noch einmal an Kroatien erinnert, das zusätzlich zu der Bewältigung der Coronakrise noch die ganze Frage des Erdbebens zu bewältigen hat.

Positiv und mit Erleichterung wurde - auch von mir; das möchte ich persönlich sagen – aufgenommen, dass mit Albanien und Mazedonien jetzt die Aufnahme von Beitrittsgesprächen eröffnet wurde. Das ist eine ganz wichtige Sache. Josep Borrell hat uns dann noch über die Gespräche mit der Türkei im Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Abkommen berichtet. Hier bitten wir den Allgemeinen Rat, weiter zu arbeiten und diese Gespräche weiter zu verfolgen.

Ich habe in meinen Einlassungen noch einmal die Kommission gebeten, dass wir in Bezug auf die Flüchtlingskinder und die unbegleiteten Kinder, die aus Griechenland zu uns kommen sollen, diese Solidaritätsleistung jetzt möglichst schnell in der Praxis wirksam werden lassen, denn jeder Tag zählt. Die Kommission hat zugesagt, dass sie zusammen mit Griechenland schnell daran arbeiten wird, die Menschen auszusuchen, die das betrifft.

Das war es im Großen und Ganzen, was unsere heutigen Anstrengungen anbelangt. Man kann also damit rechnen, dass es in etwa zwei Wochen wieder einen Europäischen Rat in diesem Videoformat geben wird und zwischenzeitlich die Finanzminister noch weiter zu arbeiten haben.

Frage: Guten Abend, Frau Bundeskanzlerin. Ich wollte zunächst auf die G20-Erklärung kommen. Diese Erklärung ist voller Bekenntnisse zur internationalen Zusammenarbeit. Sie haben sich eben auch dazu geäußert. Könnte denn die Coronakrise möglicherweise Donald Trump von seinem protektionistischen Kurs abbringen? Er hat das ja wahrscheinlich auch alles mit unterzeichnet. Haben Sie aus der G20-Sitzung den Eindruck, dass jetzt auch die USA und China mehr an einem Strang ziehen?

Als eine zweite Frage ganz kurz noch zur Situation im Inland. Viele Menschen hoffen, dass bald die Maßnahmen gegen Corona zurückgeschraubt werden können. Können Sie diesen Menschen Hoffnung machen?

BK’in Merkel: Ich fange einmal mit der zweiten Frage an. Ich möchte hier sehr klar sagen, dass im Augenblick nicht der Zeitpunkt ist, um über die Lockerung dieser Maßnahmen zu sprechen. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, gibt es immer noch einen sehr starken Anstieg von Neuinfektionen. Das Ziel ist ja, dass wir die Maßnahmen so gestalten, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Deshalb ist ein interessanter Faktor ein Faktor, der sagt: Wie lange dauert es eigentlich, bis sich die Zahl der Neuinfizierten verdoppelt?

Im Augenblick sind wir in Deutschland bei etwa vier bis fünf Tagen. Wir sind einmal damit gestartet, dass es nur zwei Tage gedauert hat, bis sich die Zahl der Neuinfektionen verdoppelt hat.

Wir müssen durch unsere Maßnahmen noch sehr viel mehr Tage erreichen, und zwar in Richtung von zehn Tagen. Insofern ist im Augenblick überhaupt noch nicht der Zeitpunkt, darüber zu sprechen. Es kann auch noch nicht der Zeitpunkt sein. Denn die Maßnahmen, die wir ja erst Montag in weiten Teilen Deutschlands eingesetzt haben - heute ist Donnerstag -, können sich noch nicht in der Frage widerspiegeln, wann wir wirklich sehen, welche Neuinfektionen nach Einführung der Maßnahmen überhaupt aufgetreten sind. Wir wissen doch, dass die Inkubationszeit mindestens fünf Tage beträgt und bis 14 Tage dauern kann. Deshalb ist ja auch die Quarantäne so lange ausgelegt, und deshalb sind wir noch gerade in dem Bereich, um zu sehen, ob unsere Maßnahmen wirken.

Ich muss deshalb die Menschen in Deutschland hier wirklich um Geduld bitten. Es war immer klar, dass wir erst dann, wenn wir Effekte sehen, darüber nachdenken können. Ich habe Ihnen eben einen Maßstab genannt, von dem wir leider noch ein ganzes Stück entfernt sind. Alles zielt daraufhin, dass wir erreichen wollen, dass die Menschen in unserem Land traurigerweise so erkranken, dass unser Gesundheitssystem dadurch möglichst nicht überfordert wird. Das wird auch uns sehr viel abverlangen.

Jetzt zu dem G20-Thema: Wir haben uns heute erfreulicherweise alle zu diesen Grundprinzipien bekannt. Ich glaube, es ist inzwischen ja auch klar geworden, dass kaum ein Land auf dieser Erde von dieser Herausforderung des Coranavirus verschont bleibt. Deshalb nehme ich das als ein optimistisches Zeichen, dass alle auch gewillt sind, diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen.

Frage: Guten Abend! Frau Bundeskanzlerin, ich hätte ganz gerne noch einmal nach der Diskussion gefragt, die Sie über die Hilfen erwähnt haben, über die sich jetzt die Finanzminister beugen werden. Wie sehen Sie denn diese Debatte um Konditionalität? Hat es zumindest darüber Einverständnis gegeben, dass bei ESM-Hilfen eine Konditionalität vorhanden sein muss? Ist auch über Coronabonds gesprochen worden?

Fürchten Sie, dass es einen Dammbruch hin zu einer Finanzpolitik der EU gibt, die nach der Krise nicht wieder zurückholbar ist?

BK’in Merkel: Wir haben gar nicht auf der spezifischen Ebene diskutiert, ob Konditionalität oder nicht Konditionalität. Sie kennen ja das Schreiben von einigen Mitgliedstaaten, die sich solche Coronabonds vorgestellt haben oder vorstellen. Wir haben von deutscher, aber auch von anderer Seite gesagt, dass es nicht die Auffassung aller Mitgliedstaaten ist. Deshalb ist für mich der ESM das präferierte Instrument, weil es wirklich für Krisenzeiten geschaffen wurde. Aber darüber sind wir jetzt nicht ins Detail gegangen, sondern das ist etwas, was dann den Finanzministern obliegt.

Ich glaube, dass wir mit dem ESM ein Kriseninstrument haben, was viele Möglichkeiten eröffnet, die nicht sozusagen die Grundprinzipien unseres gemeinsamen, aber dann auch wieder jeweils verantwortlichen Handelns infrage stellt.

Frage: Guten Abend! Frau Bundeskanzlerin, worum kreisten denn die Diskussionen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Conte, der die Maßnahmen der Finanzminister als zu zögerlich bezeichnet hat? Wie konnten Sie ihn am Ende wieder einfangen?

BK’in Merkel: Es geht im Kern immer um die Frage, ob der ESM genügend Möglichkeiten beinhaltet, wie stark und auch wie schnell unsere Antwort sein muss. Insofern ist in der abschließenden Formulierung auch noch einmal deutlich geworden, dass wir den Vorschlägen Rechnung tragen müssen, dass wir es hier mit einer außergewöhnlichen Krise zu tun haben. Das war im Grunde immer wieder die Formulierung.

Es gab dann auch die Frage, wie weit wir die Institutionen in Vorschläge mit einbeziehen können. Aber da haben wir von deutscher Seite und wurde auch von anderer Seite gesagt, dass das jetzt doch die Verantwortung der Mitgliedstaaten ist. Man kann das nicht einfach auf die Präsidenten der anderen Institutionen abwälzen, sondern zum Schluss müssen wir entscheiden. Ich habe von deutscher Seite auch noch einmal klar gemacht, dass der ESM natürlich auch sehr stark mit parlamentarischen Verantwortlichkeiten verbunden ist, was sozusagen durch eine Verfassungsrechtsprechung festgezurrt ist, die dem Parlament hier eine sehr starke Stellung einräumt. Insofern waren das die Punkte, um die die Diskussion kreiste.

Frage: Schönen guten Abend, Frau Bundeskanzlerin! Sie haben von der europäischen Solidarität gesprochen, die jetzt deutlich besser funktionieren würde. Können Sie da noch einmal klar machen, woran Sie das genau festmachen? Was haben Sie da geschafft, was zum Beispiel besseren internen Grenzverkehr, Warenflüsse und Ähnliches angeht?

Noch eine persönliche Frage an Sie: Sie sind ja jetzt in häuslicher Quarantäne. Haben Sie das Gefühl, es läuft total gut so, Sie können von da genauso gut arbeiten, und der Lagerkoller, von dem manche aus ihren Wohnungen berichten, überfällt Sie nicht?

BK’in Merkel: Guten Abend! Mit der persönlichen Frage beginnend würde ich sagen, dass ich sehr, sehr gut beschäftigt bin, weil wir ja sehr viel über Videokonferenzen oder Telefonschalten machen und insofern auch viele andere den ganzen Tag vor einem Gerät sitzen und mit anderen virtuell sprechen, also keine realen Begegnungen haben. Trotzdem fehlt mir ein bisschen, dass ich zum Beispiel bei den Kabinettssitzungen jetzt nicht persönlich dabei sein kann und die Leute da nicht sehe oder dass man jetzt auch gar keinen persönlichen Kontakt hat. Insofern ist es schon auch anders. Ich will jetzt also nicht sagen, dass ich nicht auch froh bin, wenn sich die Quarantäne ihrem Ende zuneigt.

Zu Ihrer anderen Frage: Wo macht sich mehr Solidarität breit?

Erstens finde ich, dass die Kommission sehr beherzt bestimmte Dinge in Gang gesetzt hat, zum Beispiel die gemeinsame Beschaffungsinitiative. Wir können uns das gar nicht so vorstellen, aber es gibt ja auch viele Kleinere Mitgliedstaaten, für es sehr wichtig ist, dass jetzt 25 Mitgliedstaaten auch wirklich gemeinsam an dieser Initiative teilnehmen. Ich hoffe auch, dass das zu Erfolgen führt.

Zweitens finde ich, dass die Kommission unglaublich schnell auf die Beihilfeanliegen der Mitgliedstaaten eingeht und hier auch sehr unbürokratisch handelt. Das ist sehr wohltuend.

Drittens kann man schon sagen, dass der Warenverkehr nach anfänglichen 60 Kilometer Staus jetzt doch wieder besser funktioniert. Auch die Initiative zur Rückholung von Bürgerinnen und Bürgern unserer Länder, die wir alle gestartet haben, ist ja eine solidarische Aktion, weil wir alle - das wurde heute auch oft gesagt - doch auch viele Bürger anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit nach Hause, mit nach Europa gebracht haben.

Das sind aus meiner Sicht alles Zeichen, bei denen sich zeigt, dass wir hier doch solidarischer miteinander sein wollen.

Frage: Guten Abend, Frau Bundeskanzlerin! Ich möchte auch zwei Fragen stellen.

Erste Frage: In den Schlussfolgerungen - jedenfalls in der letzten Fassung, die ich gesehen hatte - findet sich auch ein Satz, dass jetzt die Zeit für ein weitreichendes und ehrgeiziges Krisenmanagementsystem gekommen sei. Die Kommission solle dazu Vorschläge machen. Wie genau sehen Sie das, wo besteht hier Handlungsbedarf?

Zweite Frage: Sie haben heute so lange zusammen telefoniert und sind da offenbar auch in einen Kleinen Moment der Krise geraten. War das heute auch ein Fall, von dem man sagen muss, dass das Instrument einer Videokonferenz an seine Grenzen gekommen ist? In der Eurokrise gab es ja sehr viele persönliche Gipfel in allen möglichen Formaten.

BK’in Merkel: Na ja, ich sage einmal: Man hat doch gemerkt - was man bei den ersten beiden Videokonferenzen noch nicht so abschätzen konnte -, dass durch ein diszipliniertes Sich-Melden und Sprechen durchaus auch Arbeit an strittigen Texten möglich ist. Der Ratspräsident hat an einer bestimmten Stelle dann auch einmal Textarbeit gemacht und die den Sherpas geschickt, und wir haben derweil über das Thema EU-Türkei gesprochen. Man hat natürlich nicht die Möglichkeit, einfach einmal am Tisch rumzulaufen und mit einem darüber zu sprechen, ob vielleicht ein Kompromissvorschlag durchgehen würde, aber auf der anderen Seite kann man sich ja auch gegenseitig einmal eine Message schreiben. Insofern ist es also so, dass man doch ganz gut arbeiten kann. Insofern fand ich das heute doch recht interessant, auch wenn es nicht ganz so gut ist, wie wenn man persönlich miteinander zusammensitzt. Es ist unter diesen besonderen Bedingungen aber eine Möglichkeit, die durchaus genutzt werden kann.

Wissen Sie die Nummer des Paragraphen der Schlussfolgerung, den Sie im Auge haben? Dann könnte ich noch besser darauf antworten. - Das gemeinsame Krisenmanagement beschäftigt sich, wie gesagt, mit den Beschaffungen, aber eben auch - - -

Zusatz: Frau Bundeskanzlerin, das ist nicht einer der durchnummerierten Punkte. Nach Punkt 22 finden sich dann noch ein paar Sätze, und im letzten Absatz steht „We must also draw all the lessons” usw., und dann: “In that respect, the time has come to put into place a more ambitious and wide-ranging crisis management system within the EU“. Darauf bezieht sich das. Der Hintergrund ist, dass Charles Michel den Vorschlag gemacht hatte, ein Krisenreaktionszentrum einzurichten.

BK’in Merkel: Ach so, ja. Über den Punkt, haben wir heute überhaupt nicht im Detail gesprochen. Wir haben noch eine Veränderung in dem Absatz davor vorgenommen. Da stand: „We invite the Commission to start work on a Roadmap accompanied by an Action Plan to this end”. Es geht also darum, einen Plan über die Aktionen auszuarbeiten, die wir dann beim Exit vorgenommen. Dieser Satz ist noch dadurch erweitert worden, dass die Kommission und der Präsident des Europäischen Rates das in Konsultation mit den anderen Institutionen, insbesondere der EZB, tun sollen. Der andere Paragraph ist gar nicht vertieft diskutiert worden, aber das wird dann sicherlich in den Vorschlägen der Kommission eines Tages einmal auftauchen.

Ich denke, was man noch im Kopf haben muss, ist: Wir werden natürlich gemeinsam auch über Wertschöpfungsketten nachdenken, die wir heute nicht mehr in europäischer Hand haben, wo wir dann natürlich auch sehr abhängig von Drittstaaten sind. Ich denke, man wird sich auch sehr intensiv über die Frage unterhalten müssen, wie stark unsere Gesundheitssysteme ausgebaut sein müssen und welche Möglichkeiten der Medikamentenherstellung und der eigenständigen europäischen Versorgung man haben wird.

Das heißt nicht, dass wir nicht mehr mit anderen Ländern zusammenarbeiten, aber wir bekommen jetzt natürlich schon ein Gefühl dafür, inwieweit ganz existenzielle Wertschöpfungsketten nicht voll in unserer Hand sind. Darüber wird man sicherlich noch einmal nachdenken.