Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem ungarischen Ministerpräsidenten Orbán am 8. Mai 2014

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Guten Tag! Ich möchte den ungarischen Ministerpräsidenten, meinen Kollegen Viktor Orbán, ganz herzlich hier in Berlin begrüßen. Er hat heute schon am Europaforum des Westdeutschen Rundfunks teilgenommen, und wir ergreifen die Gelegenheit zu einem Gespräch.

Ich möchte ihm zur Wiederwahl gratulieren. Ich habe das bis jetzt schriftlich getan, aber tue es jetzt auch gerne hier in Berlin mündlich. Ich glaube, dass die Bevölkerung Viktor Orbán großes Vertrauen ausgesprochen hat und dass damit natürlich auch immer wieder Verantwortung verbunden ist; das kennen wir alle von unseren Wahlen.

Wir haben in diesem Jahr ein ganz besonderes Jahr auch der deutsch-ungarischen Beziehungen, denn am 9. November wird sich zum 25. Mal der Jahrestag des Mauerfalls jähren. Wir werden Ungarn nicht vergessen, wie es dabei geholfen hat, dass Menschen aus der damaligen DDR zuerst über die ungarisch-österreichische Grenze die DDR verlassen konnten. Dass der Eiserne Vorhang zuerst dort aufging, wird uns in der gemeinsamen Geschichte immer sehr bewegen.

Wir haben inzwischen eine 25-jährige Kooperation, die durch die Aufnahme auch Ungarns in die Europäische Union vor zehn Jahren gekrönt wurde. Wir haben natürlich sehr enge Wirtschaftsbeziehungen, von denen wir in unseren Gesprächen auch oft reden und die wir vernünftig weiterentwickeln wollen. Unsere Unternehmen in Deutschland sagen immer wieder, dass verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen für sie sehr wichtig sind. Aber es gibt eine Vielzahl von guten Beispielen für Kooperationen zwischen Deutschland und Ungarn und gerade auch für das Engagement deutscher Unternehmen in Ungarn.

Natürlich werden uns heute auch die Krise in der Ukraine und die Möglichkeiten der Lösung dieser Krise beschäftigen. Wir haben immer wieder gesagt: Es gibt drei Punkte, zum einen die Unterstützung der Ukraine, und zwar dahin gehend, dass die Menschen frei entscheiden können. Dafür sind die Wahlen am 25. Mai existenziell wichtig, damit dort freie Präsidentschaftswahlen stattfinden können. Zweitens wollen wir eine diplomatische Lösung des Konflikts durch Gespräche erreichen. Wir werden darüber reden, was jeder von uns dazu beitragen kann. Drittens: Sanktionen sind kein Selbstzweck, aber wenn es notwendig ist, dann wird man auch diesen Weg nicht ausschließen können. Wir haben das als Staats- und Regierungschefs innerhalb der Europäischen Union ja auch schon vereinbart.

Wir sehen natürlich die Verantwortung vor allen Dingen auch Russlands in diesem Prozess. Ich glaube, dass der Tag des gestrigen Treffens des OSZE-Präsidenten Burkhalter mit dem russischen Präsidenten ein wichtiger Tag war. Jetzt müssen wir sehen, dass wir das Ganze auch voranbringen.

Wir werden natürlich auch über die Themen in der Europäischen Union sprechen - hierbei sicherlich auch über die polnischen Vorschläge des Aufbaus einer Energieunion, der verstärkten Kooperation im Energiebereich und der Möglichkeiten der Diversifizierung - und natürlich auch über die Verwirklichung unserer Klima- und Energieziele, worüber wir in den nächsten Monaten intensiv sprechen werden.

Wir stehen kurz vor der Europawahl. Ich glaube, uns eint, dass wir möchten, dass sich die Menschen für Europa entscheiden. Nicht jedes Problem in Europa muss ein Problem für Brüssel, für Europa sein. Viele Probleme können auch zuhause gelöst werden. Aber für die Probleme, die man in Brüssel besser lösen kann, ist Europa gut. Wir werden dafür auch gemeinsam jeweils in unseren Ländern eintreten. – Herzlichen Dank und herzlich willkommen!

MP Orbán: Ich darf Sie alle ganz herzlich begrüßen und wünsche Ihnen einen guten Tag! Ich bin der Frau Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie uns am heutigen Tage empfängt. Das macht es uns möglich, uns für die Unterstützung zu bedanken, die Ungarn im Verlauf der letzten vier Jahre von der Bundesrepublik erfahren hat. Ich bedanke mich herzlich für die Unterstützung, die ich von ihr auch persönlich im politischen Sinne erfahren konnte, denn die ungarische Regierungspartei gehört auch zur großen Familie der europäischen Volksparteien.

Die Bundesrepublik ist ein besonderer strategischer Verbündeter Ungarns, und die ungarische Regierung hat für die kommenden Jahre die Absicht, die ansonsten hervorragenden deutsch-ungarischen Beziehungen zu vertiefen und weiter zu verbessern. Seit dem Jahr 2010, als ich die Regierung bilden durfte, ist ein Investitionsvolumen von etwa 6 Milliarden Euro aus der Bundesrepublik nach Ungarn gekommen, und die Präsenz Deutschlands in Ungarn und auch in Mitteleuropa insgesamt trägt dazu bei, dass Mitteleuropa in den kommenden Jahren der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung im Bereich der Europäischen Union sein soll.

In der Tat ist es richtig, dass wir über die russisch-ukrainische Situation sprechen werden. Ich darf vorausschicken, dass wir die Anstrengungen der Bundesrepublik unterstützen. Diese Anstrengungen der Bundesrepublik schätzen wir sehr hoch ein. Insbesondere schätze ich das persönliche Engagement von Bundeskanzlerin Merkel, in der jetzigen Situation zu einer Verhandlungslösung zu finden. Die Bundeskanzlerin sei in dieser Arbeit stets versichert, dass wir, Ungarn, sie als Nachbarland der Ukraine unterstützen werden. Wir werden auch den Versuch Deutschlands unterstützen, in der Europäischen Union einen einheitlichen Standpunkt zu bilden.

Gleichzeitig möchten wir auch die Tatsache nicht verleugnen, dass wir einer langfristigen und schwierigen Herausforderung entgegensehen. Selbst dann, wenn die militärischen Konflikte vorbei sind, steht immer noch eine Antwort auf die Frage aus - und da wir ein Nachbarland der Ukraine sind, ist diese Frage für uns von besonderer Bedeutung -, wie aus der Ukraine ein demokratisches, stabiles und auch in wirtschaftlichem Sinne erfolgreiches Land werden kann.

Sie wissen auch sehr wohl, dass es 200.000 Ungarn gibt, die auf dem Staatsgebiet der Ukraine leben. Ihre Sicherheit und ihr Schutz ist für Ungarn von besonderer Bedeutung. Das signalisiert auch die besondere Lage Zentraleuropas in der aktuellen Situation.

Gleichzeitig möchte ich Ihnen vermitteln, dass wir uns natürlich auch sehr über die Wahlergebnisse freuen. Zu siegen ist gut, ein großer Wahlerfolg ist eine sehr gute Sache. Wir sind voller Pläne und Konzepte und wir haben das Gefühl, dass wir viel Kraft haben, um Ungarn auf dem Weg, der sich im Verlauf der letzten vier Jahre sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Sinne als erfolgreich erwiesen hat, weiterzutragen. Die Zahlen von heute Morgen zeigen, dass im März im Vergleich zum Vorjahr ein Wirtschaftswachstum von über 10 Prozent zu verzeichnen war. Insofern haben wir guten Grund, den heutigen Beratungen optimistisch entgegenzugehen.

Vielen Dank, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin. Ich danke Ihnen und auch der Bundesrepublik für die Unterstützung, die wir in den letzten vier Jahren erhalten durften.