Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann bei der Klausurtagung des DGB-Bundesvorstands am 14. Januar 2016

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich möchte mich ganz herzlich bei Herrn Hoffmann dafür bedanken, dass ich zur Klausurtagung des Bundesvorstandes des DGB eingeladen wurde. Wir haben einen intensiven Austausch über das Jahr hinweg, aber jetzt, zum Jahresbeginn, war er auch gut.

Unter den Themen, die wir besprochen haben, war natürlich das Thema der aktuellen Gesetzgebung ein zentraler Punkt, Werkverträge und Leiharbeit. Ich habe noch einmal deutlich gemacht, dass ich als Bundeskanzlerin, aber auch als CDU-Vorsitzende zu den Vereinbarungen der Koalitionsvereinbarung stehe und dass wir auch alles daransetzen sollten, die Dinge schnell zu lösen. Sie werden durch Zeitverzögerung auch nicht anders und nicht besser. Wir haben, glaube ich, bei der Leiharbeit eine sehr gute Grundlage dafür, auch eine Lösung zu finden. Bei den Werkverträgen stellen sich die Definitionsfragen noch etwas komplizierter dar. Hieran wird weiter gearbeitet werden - das war unsere gemeinsame Überzeugung -, und zwar auch mit Nachdruck.

Wir haben ansonsten natürlich über die gesamtwirtschaftliche Lage diskutiert. Wir haben über die Frage Großbritanniens als Teil der EU, über die Europäische Union und natürlich die Frage der Flüchtlinge gesprochen. Es war also ein umfassendes Gespräch und ein konstruktives Gespräch. Danke schön! Es ist nämlich so, dass die Vertreter der Gewerkschaften über ihre Betriebsräte und ihre Arbeit vor Ort auch einfach sehr intensiven Kontakt haben. Ich möchte mich bei den Gewerkschaften auch dafür bedanken, was sie im Hinblick auf die Integration von Flüchtlingen und Ausbildungschancen für Flüchtlinge leisten. Es ist gut, dass die Gewerkschaften jetzt auch in der Allianz für Aus- und Weiterbildung mit dabei sind.

Hoffmann: Meine Damen und Herren, aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes war dieses Gespräch außerordentlich hilfreich und zielführend. Frau Bundeskanzlerin Merkel hat darauf hingewiesen, dass wir das Gesetzgebungsverfahren zur Regulierung von Leiharbeit und Werkvertragsarbeit noch in der ersten Jahreshälfte auf den Weg bringen wollen. Ich unterstreiche noch einmal, dass es den Gewerkschaften dabei darum geht, wirksame Regelungen in diesem Gesetz zu definieren, mit denen wir den Missbrauch von Werkvertragsarbeit, aber auch von Leiharbeit deutlich begrenzen können. Dies ist eine gemeinsame Zielsetzung, und ich hoffe, dass wir in den nächsten Tagen dann auch in den Details zu einer Lösung kommen werden.

Natürlich spielte die Frage der wirtschaftlichen Situation und der Arbeitsmarktsituation in der Bundesrepublik Deutschland eine Rolle. Wir sehen schon auch die Herausforderungen, die auf uns gemeinsam zukommen werden, um das Thema der Flüchtlinge und vor allem der Integration in den Arbeitsmarkt in Deutschland zu lösen. Hier gibt es unterschiedliche Baustellen. Wir haben erhebliche Defizite, beispielsweise im Wohnungsbau, wenn es darum geht, bezahlbaren Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen. Viele Menschen, die schon seit vielen Jahren in Deutschland leben, haben hier große Probleme. Die müssen angegriffen werden. Wir dürfen es in dieser nicht ganz einfachen Situation nicht zulassen, dass Menschen, die aus großer Not zu uns nach Deutschland und nach Europa kommen, gegen die Menschen ausgespielt werden, die hier unter auch nicht einfachen Bedingungen leben, eine geringfügige Beschäftigung haben, keine ordentliche Wohnraumversorgung haben oder langzeitarbeitslos sind. Diese Anstrengungen dürfen wir nicht vernachlässigen, sondern müssen das gemeinsam anpacken.

Wir sind auch gemeinsam der Auffassung, dass wir eine europäische Lösung brauchen, weil die Verfasstheit der Europäischen Union in einem sehr fragilen Zustand ist. Es ist auch im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dass wir gesamteuropäische Lösungen finden und uns auch bei Unterschieden im Detail in der gemeinsamen Gesamtschau darauf verständigen. Dies war uns wichtig.

Wir haben zum Schluss noch ein Thema angesprochen, und auch das wird uns in den nächsten Jahren massiv beschäftigen: Wie können wir sicherstellen, dass wir Altersarmut verhindern? Das heißt, wir brauchen eine Stabilisierung des Rentenniveaus. Dies wird ein Thema sein, das wir auch mit dem Präsidium der CDU in den nächsten Wochen weiterhin intensiv beraten werden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, der SPD-Chef hat sich gestern sehr besorgt über die Stimmung im Land gezeigt. Er hat gesagt, es drohe eine soziale Spaltung. Wie nehmen Sie die Stimmung im Land wahr? Nehmen Sie eine Verunsicherung durch den Flüchtlingszustrom und die Ereignisse von Köln wahr, vielleicht auch in irgendeiner Weise mit der Wahrnehmung der jüngsten Terrorakte gemischt?

Die zweite Frage - - -

BK’in Merkel: Dann sind alle Fragen vorbei, nicht?

Frage: Teilen Sie die Ansicht von Herrn Gabriel, dass die schwarze Null zur Disposition gestellt werden muss, um die Herausforderungen zu meistern?

BK’in Merkel: Erstens. Ich sehe schon, dass die Menschen eine Vielzahl von Fragen haben, gerade auch nach den Ereignissen von Köln. Wir haben als Koalition darauf reagiert. Ich denke, es ist überhaupt die Aufgabe einer Regierung, nicht permanent Fragen zu stellen und Sorgen zu artikulieren, sondern zu versuchen, Lösungen zu finden.

Einige der Lösungen, die wir anstreben und bei denen ich der Überzeugung bin, dass sie sachlich gerecht sind, nämlich eine europäische Lösung der Herausforderung durch die Flüchtlinge, dauern aus der Perspektive vieler sehr lang. Es ist Aufgabe der Bundesregierung und natürlich auch meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir es möglichst schnell so hinbekommen, dass die Menschen den Eindruck haben, es wird geordnet und gesteuert, aus Illegalität wird Legalität gemacht.

Trotzdem handelt es sich um eine Herausforderung, deren Entstehen wir nicht voll in der Hand haben. Ich hätte natürlich auch gern eine Friedenslösung für Syrien. Aber der Bundesaußenminister und ich arbeiten sehr intensiv daran. Manches wird noch ein wenig dauern. Aber wir kennen unsere Aufgaben. Deshalb haben wir gesagt, wir müssen die Zahl der Flüchtlinge spürbar reduzieren.

Zweitens. Wir haben uns vorgenommen, dass wir den ausgeglichenen Haushalt halten wollen. Das ist auch als Signal der Generationengerechtigkeit sehr wichtig. Wir haben im Jahr 2015 einen Überschuss erwirtschaften können. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, er muss trotzdem schauen, welche Herausforderungen auf uns zukommen.

Ich kann also an dieser Stelle sagen, es gibt das Bemühen. Aber wir werden Fragen, die von elementarer Wichtigkeit sind, zum Beispiel um Fluchtursachen zu bekämpfen oder auch um Integrationsfragen zu lösen, immer wieder neu betrachten und dann schauen, wie sich die Dinge in diesem Jahr entwickeln.

Niemand von uns kann die wirtschaftliche Entwicklung genau voraussagen. Am Beginn des vorigen Jahres konnten wir auch nicht sagen, dass wir 12 Milliarden Euro Überschuss haben werden. So kann die Entwicklung positiv sein, sie kann negativer sein. Das wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Insofern bleibt ein Stück Ungewissheit. Aber ein gewisses Bemühen bleibt auch erhalten, einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen.

Hoffmann: Lassen Sie mich nur so viel dazu sagen, dass die Vorkommnisse in Köln natürlich erschreckend sind und nicht gutgeheißen werden können und dass man sich dagegen auch rechtsstaatlich mit allen Mitteln zur Wehr setzen muss. Wir dürfen dabei aber nicht vernachlässigen, dass wir auch eine andere Tendenz haben, die mir große Sorgen macht. Das sind die zahlreichen Angriffe auf Flüchtlingsheime. Zugleich haben wir nach wie vor noch eine große Hilfsbereitschaft in weiten Teilen der Arbeitnehmerschaft, in weiten Teilen der Bevölkerung.

Verunsicherung, Fragen, die gestellt wurden, müssen beantwortet werden. Wir müssen den Menschen gemeinsam eine Perspektive geben. Nur eines sollten wir nicht zulassen, dass jegliche Form von Rechtspopulismus oder Rechtsradikalismus um sich greifen kann. Solchen Tendenzen werden wir gemeinsam mit den Gewerkschaften, aber auch mit der Politik und mit Verbänden, die uns dabei unterstützen, massiv entgegentreten. Dies kann nicht zu einem populistischen Thema für einfache Antworten werden.

Sie haben es angesprochen: Wir meinen, die schwarze Null darf nicht zum Dogma erhoben werden. Wir haben Herausforderungen, ganz unabhängig von den Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, im Bereich der Infrastruktur, ob es die industrienahe Infrastruktur, ob es die soziale Infrastruktur ist. Wir haben zahlreiche Herausforderungen im Bereich der Bildung und auf anderen Baustellen. Eine schwarze Null als Dogma hilft uns da nicht weiter.

BK’in Merkel: Ich bedanke mich auch für die Unterstützung der Gewerkschaften beim Kampf gegen jede Art von Extremismus. Das will ich ausdrücklich sagen. Danke schön.