Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Sellering zu der Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Bundesländer

Im Wortlaut Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Sellering zu der Regionalkonferenz der Regierungschefs der ostdeutschen Bundesländer

in Stolpe an der Peene

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Mittwoch, 13. April 2016

MP Sellering: Meine Damen und Herren, die ostdeutschen Ministerpräsidenten kommen einmal im Jahr zu einer Tagung zusammen, und wir freuen uns, dass heute die Bundeskanzlerin mit bei uns zu Gast war.

Wir haben eben in unserem Gespräch die verschiedenen Themen angesprochen, die aus der ostdeutschen Sicht von besonderem Interesse sind. Es ging uns jetzt vor allen Dingen um drei Themen.

Es ging einmal ‑ das ist das wichtigste Thema für uns gewesen ‑ um die Förderung strukturschwacher Regionen nach 2020. Wie Sie alle wissen, bekommen die ostdeutschen Länder, um ihre Strukturschwäche zu überwinden, im Moment noch Solidarpaktmittel. Diese Förderung geht von Jahr zu Jahr um beträchtliche Mittel zurück, und 2019 läuft das ganz aus. Wir haben immer ganz klar gesagt: Wir erwarten nicht, dass es dann noch einmal eine spezielle ostdeutsche Förderung gibt. Allerdings sprechen wir uns dafür aus ‑ andere tun das auch ‑, dass es ab 2020 eine Förderung für strukturschwache Regionen in Deutschland insgesamt geben muss, in Ost wie in West.

Die ostdeutschen Länder haben sich seit der deutschen Einheit insgesamt gut entwickelt. Es gibt auch Regionen, die schon weitgehend aufgeschlossen haben. Allerdings gibt es bei uns eben auch Regionen, die noch sehr strukturschwach sind ‑ mit niedriger Finanz- und Wirtschaftskraft, mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit ‑, beispielsweise hier in dieser Region, in Vorpommern. Ich meine bzw. wir meinen, dass Regionen wie Vorpommern nach wie vor besondere Unterstützung brauchen, so wie auch vergleichbare westdeutsche Regionen, die ebenso schwach sind.

Wir freuen uns darüber, dass es in der Bundesregierung ähnliche Überlegungen gibt; das haben die Bundeskanzlerin und auch die Beauftragte der Bundesregierung für die ostdeutschen Länder, Frau Gleicke, in deren Bereich entsprechende Konzepte entwickelt werden, deutlich gemacht. Dafür bedanke ich mich. Es liegen jetzt Eckpunkte für ein Fördersystem vor, und unsere Bitte ist, dass wir noch in dieser Wahlperiode die Dinge soweit anschieben.

Das zweite wichtige Thema aus Ostsicht ist, dass es endlich zu einer Angleichung der Rente Ost und West kommen muss. Das ist in der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung 2013 vereinbart worden, und da ist auch gesagt worden, dass wir in diesem Jahr über einen Zwischenschritt nachdenken und den prüfen werden, wenn deutlich wird, dass sonst am Ende der Unterschied einfach zu groß sein wird. Wir sind im Moment zwischen 92 und 93 Prozent, und es spricht natürlich vieles dafür, dass wir so einen Zwischenschritt brauchen werden, wenn durch die Rentenberichte absehbar ist, dass sich die Schere bis 2019 nicht noch erheblich weiter schließt.

Ein weiteres wichtiges Thema, über das wir gesprochen haben und das auch für viele Emotionen sorgt, ist die Frage der Regionalisierungsmittel, also der Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, damit in den Ländern öffentlicher Personenverkehr stattfinden kann. Wie Sie wissen, gibt es da einen Konflikt zwischen den ostdeutschen Ländern und den westdeutschen Ländern. Wir haben uns auch darüber ausgetauscht, wie man diesen Konflikt möglichst beilegen kann; denn wir wollen ja nicht, dass da Gräben auftreten. Das wird nicht ganz einfach sein, aber wir werden uns gemeinsam bemühen, das hinzubekommen.

Zur Energiewende, die ja für die ostdeutschen Länder insgesamt eine große Chance ist, haben wir noch einmal ein kleines besonderes Problem angesprochen: Die Regionen in Deutschland, die bei der Umsetzung weit vorne sind und ganz viel erneuerbare Energien einspeisen, haben über einen komplizierten Mechanismus ‑ vermiedene Netzentgelte ‑ besondere Kosten. Das muss man abschaffen, und das sieht auch die Bundesregierung so. Die Pläne sehen das für 2021 vor; wir haben heute die Bitte geäußert, ob das nicht früher geht.

So viel von mir.

BK'in Merkel: Danke schön! ‑ Ich möchte mich erst einmal für die Einladung bedanken, die ja eine gute Tradition fortsetzt, und freue mich natürlich, dass ich hier heute in meinem politischen Heimatland Mecklenburg-Vorpommern an einem, wie ich finde, wunderschönen Ort zu Gast sein darf.

Wir haben uns in dem Gespräch in der Tat über die von Herrn Sellering genannten Punkte ausgetauscht, und es gibt ‑ das kann man sagen ‑ ein hohes Maß an Übereinstimmung.

Erstens. Der Bund ist bereit, dem Wunsch nach der Unterstützung strukturschwacher Regionen nach Auslaufen des Solidarpaktes nachzukommen. Es gibt erste Überlegungen des Bundes dazu. Die Parlamentarische Staatssekretärin Gleicke wird die Chefs der Staatskanzleien einladen, um das zuerst mit den neuen Bundesländern zu diskutieren, und später werden dann auch die anderen Länder mit einbezogen, sodass wir diesen Prozess fortsetzen können. Hier gibt es eine gemeinsame Grundüberzeugung.

Zweitens. Was die Renten anbelangt, so haben wir in diesem Jahr das höchste Rentenplus seit 23 Jahren mit 5,95 Prozent in den neuen Ländern und 4,25 Prozent in den alten Ländern. An den unterschiedlichen Rentensteigerungen sehen Sie, dass sich die Lücke noch einmal etwas schließen wird, sodass das Ost-Rentenniveau dann bei 94 Prozent liegt. Aber auch von 94 bis 100 Prozent ist noch ein Stück zu gehen. Im Sommer wird die Bundesregierung einen Bericht vorlegen, und dann werden wir schauen, wie wir so vorgehen, dass wir das Ziel, ab 2020 ein einheitliches Rentenniveau zwischen Ost und West zu haben, auch erreichen können. Da liegt noch Arbeit vor uns, aber der Rahmen ist gemeinsam definiert.

Wir haben des Weiteren über die Regionalisierungsmittel gesprochen. Da ist ein Problem zu lösen. Ich will hier jetzt gar keine Verkomplizierung der Situation hervorrufen, will aber doch ein gewisses Verständnis für die Haltung der neuen Bundesländer ausdrücken und sagen, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten werden, sodass wir da auch hilfreich sein können.

Es standen noch zwei weitere Fragen im Raum, die aber mit allen Bundesländern besprochen werden: Das ist einmal das Thema der Integration und des Bund-Länder-Finanzausgleichs. Dazu wird am 22. April ein Treffen des Bundes und der Ministerpräsidenten der Länder stattfinden; das kann aber natürlich nicht in den neuen Ländern gelöst werden. Was das Thema der Netzentgelte betrifft, so habe ich das, was dazu gesagt wurde, zur Kenntnis genommen, kann heute aber keine Zusagen machen.

Es hat dann auch noch das Thema Braunkohle eine Rolle gespielt; das wurde von den Ländern angesprochen, in denen Braunkohletagebau stattfindet. Da ging es im Kern um die Verhandlungen über ein Bund-Länder-Verwaltungsabkommen zur Braunkohlesanierung ab 2018. Hierzu laufen die Gespräche.

Alles in allem ist die Situation so, dass es nach wie vor strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen den neuen Ländern und den alten Ländern gibt, die es rechtfertigen, einige Akzente so zu setzen, dass die neuen Länder eine gute Chance haben, auch im nächsten Jahrzehnt, nach den 25 Jahren, weiter aufzuholen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Frage zur Rentenpolitik: Die Rentner leiden ja oft unter der Niedrigzinspolitik der EZB. Was kann die Bundesregierung da unternehmen, um das Problem bzw. den Verlust, der sich durch die Niedrigzinspolitik ergibt, etwas abzumildern? Wird das heute Abend auch Thema beim Koalitionsausschuss sein?

BK'in Merkel: Ich habe ja gesagt, dass es Rentensteigerungen gibt ‑ und das in einem Umfeld, in dem wir eine sehr geringe Inflationsrate haben. Insofern haben wir im Augenblick durchaus eine Situation, in der für die Rentner das Positive absolut überwiegt.

Zweitens. Das, was die Politik tun kann, ist, wieder für mehr Wachstum zu sorgen ‑ und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ‑ und aus diesem Wachstum heraus dann auch eine Situation zu bekommen, in der die Inflationsrate wieder höher wird. So können wir als Politiker im Rahmen der Mittel, die wir haben, die beste Voraussetzung dafür schaffen, dass die Geldpolitik der EZB anders gestaltet werden kann; denn der Auslöser der EZB-Politik ist ja die sehr geringe Inflationsrate, und die EZB hat in ihrem Mandat die Aufgabe, die Inflationsrate auf ein bestimmtes Niveau zu bringen oder sie auf einem bestimmten Niveau zu halten. Insofern liegen unsere Aufgaben darin, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie sprachen davon, dass Sie den westdeutschen Ländern bei der Rentenanpassung durchaus helfen wollen. Wird das auch heute Abend im Koalitionsausschuss eine Rolle spielen?

BK'in Merkel: Nein, das haben wir ja gemeinsam beschlossen, und die Bundesländer waren bei der Erarbeitung der Koalitionsvereinbarung in der Großen Koalition mit beteiligt. Das umfasst ja fast alle Ministerpräsidenten, insofern haben wir ja einen klaren Beschluss. Heute Abend reden wir über Themen, die jetzt in die Gesetzgebung gehen müssen. Es ist völlig unstrittig, dass Bundesministerin Nahles im Sommer einen Bericht zu dem Thema Ostrenten vorlegen wird, so wie wir das in der Koalitionsvereinbarung vereinbart haben.

Frage: Zu einem anderen Thema: Frau Merkel, wann werden wir Ihre Entscheidung zum Fall Böhmermann hören?

BK'in Merkel: Zeitnah.

Zusatzfrage: Können Sie das noch etwas genauer sagen?

BK'in Merkel: Nein. In der Bundespressekonferenz hat der Regierungssprecher heute ja gesagt bzw. wir haben immer gesagt: Wir werden einige Tage brauchen, und nicht Wochen. So wird sich das auch darstellen.

Zusatzfrage: Befürchten Sie, dass es aufgrund dieses Falles Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Vereinbarungen mit der Türkei zur Flüchtlingsfrage geben könnte?

BK'in Merkel: Ich kann gern das wiederholen, was ich gestern schon gesagt habe: Wir haben auf der einen Seite vielerlei Kooperation mit der Türkei, unter anderem auch das Abkommen der Europäischen Union mit der Türkei zu den Flüchtlingen. Auf der anderen Seite haben wir ‑ und im Übrigen alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ‑ einen davon völlig unabhängigen Schutz der Grundrechte, eine gefestigte Auffassung zur Pressefreiheit, zur Meinungsfreiheit, zur Demonstrationsfreiheit. Die Dinge sind nicht miteinander verbunden.

Ich habe gestern deutlich gemacht und kann heute auch noch einmal wirklich aus Überzeugung sagen ‑ ich finde, das ist auch ganz, ganz wichtig ‑: Bei allem, was wir mit der Türkei an partnerschaftlicher Verbindung haben, gilt für uns ganz klar die journalistische Freiheit bei uns, aber wir werden sie eben auch in der Türkei einfordern. Die Türkei ist Beitrittskandidat, die Türkei hat sich damit auch dazu bekannt, die Werte der Europäischen Union zu akzeptieren. Insofern: Da, wo beim Umgang mit Journalisten, beim Umgang mit Demonstrationen ‑ wenn wir jetzt auch an den Weltfrauentag denken ‑ Dinge passieren, die aus unserer Sicht kritikwürdig sind, dann benennen wir das, und wir werden das auch weiter benennen.

Frage: Ich bitte um Entschuldigung, Frau Bundeskanzlerin, dass ich jetzt eine Frage nur an den Ministerpräsidenten habe.

BK'in Merkel: Na ja, wir stehen ja beide hier!

Frage: Seit über einem Jahr gehen in Wolgast mehrere tausend Menschen ‑ hauptsächlich Mütter und Kinder ‑ auf die Straße, um gegen die Schließung der Kinderstation, der Geburtsstation und der Frauenstation im Kreiskrankenhaus Wolgast zu demonstrieren; jetzt gab es auch auf Usedom Mahnwachen und wir haben Kinderdemonstrationen organisiert. Sehen Sie als Ministerpräsident unseres Landes eine Chance, dass wir diese Stationen wieder zurückbekommen werden? Das wäre ja für die Familien und auch für die 25 000 Angestellten auf der Insel Usedom, die vom Tourismus leben, wichtig. Oder sehen Sie da keine Chance?

MP Sellering: Ich würde alle Journalisten bitten, mich darin zu unterstützen, deutlich zu machen, dass dies keine Frage ist, die in der Zuständigkeit einer Landesregierung liegt; vielmehr müssen die Leistungserbringer untereinander die Frage diskutieren: Wie können wir die Gesundheitsversorgung in einer Region bestmöglich sicherstellen? Die Sozialministerin und Gesundheitsministerin hat da eine Rolle eingenommen, die Dinge zu moderieren und mit zu unterstützen, und dabei ist diese Lösung herausgekommen, von der die Beteiligten gesagt haben: Das ist die bestmögliche Lösung für die Region. Wenn neue Gesichtspunkte auftauchen, dann wird man sich das noch einmal anschauen müssen, aber ich glaube, wir alle müssen uns darüber klar werden, dass die Gesundheitsversorgung in dem am dünnsten besiedelten Bundesland nicht ganz einfach ist. Da wird man einen sehr klugen Sachplan ‑ an dem wir arbeiten ‑ machen müssen, um die Frage zu beantworten: Wie schaffen wir es, dass es überall im Land bestmögliche ambulante und stationäre Versorgung gibt?

Wir haben zum Glück mit den Universitätsklinika sehr leistungsstarke Partner für die Maximalversorgung und wir haben eine große Zahl an Kliniken ‑ über 30 ‑; diese müssen sich dann eben in einer Weise einordnen, in der sie ihren Auftrag gut erfüllen können. Wir werden auch auf Maßnahmen zurückgreifen, die es in der DDR gegeben hat, indem man sagt: Solche Kliniken werden auch ambulante Leistungen erbringen. Da muss also ein ganz schwieriger Gesamtplan geschaffen werden, und dabei müssen alle Beteiligten mit am Tisch sitzen, um die bestmögliche Lösung herauszufinden. Man muss nur aufpassen, dass sich dann nicht vor Ort Bürger sammeln, ohne dass man sich im Einzelnen anschaut, wie denn die Gesamtversorgung aussehen soll.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, seit vielen Jahren wird gestritten über ein Einheitsdenkmal in Berlin. Heute ist das Thema im Finanzausschuss des Bundestages … (Rest der Frage akustisch unverständlich)

BK'in Merkel: Ich glaube, der Haushaltsausschuss wird sich heute mit diesem Thema befassen oder hat sich mit diesem Thema befasst. Ich bin mit dem Ergebnis nicht vertraut, und deshalb möchte ich dazu jetzt auch nicht Stellung nehmen.