Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Giuseppe Conte

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

MP Conte: Einen schönen guten Abend Ihnen allen! Es freut mich besonders, heute Abend die Frau Bundeskanzlerin Merkel empfangen zu dürfen. Ich bedanke mich bei ihr. Es ist zum ersten Mal, dass sie in Rom ist, seitdem ich Ministerpräsident bin. In den letzten Monaten haben wir des Öfteren gesagt, dass wir uns treffen wollen. Ich habe sie nach Rom eingeladen. Unsere Agenden sind ja sehr gut bestückt. Das ist nun eine gute Gelegenheit, um über die vielen internationalen Prioritäten zu sprechen, auch die europäischen und die bilateralen. Wir haben ja fast immer gemeinsame Ziele und auch Modalitäten, was das Instrumentarium betrifft, um diese Ziele zu erreichen.

Die bilateralen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland sind eben durch die Beiträge gestaltet, die wir beide liefern können, um einen neuen Aufschub für Europa zu garantieren.

Nun beginnt die neue Kommission sehr bald mit ihrer Arbeit. Wir hoffen, dass es europäische Lösungen geben wird, damit unsere Aktion effizienter gestaltet wird, um die wesentlichen Herausforderungen anzugehen und zu lösen. Zu nennen sind hier zum Beispiel ein europäisches „Händeln“ der Migration, dann ein wirtschaftliches Wachstum, das einer Ankurbelung bedarf. Denn die wirtschaftliche Lage ist keineswegs positiv. Wir wollen etwas zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unternehmen. Wir wollen auch etwas machen, was die Umweltprobleme betrifft. Wir wollen an der Governance in Europa weiterarbeiten, und zwar auch bezüglich des mehrjährigen Finanzplans. Dann gibt es die Herausforderung des Brexits. Es gibt das Thema, das wir jüngst angegangen sind - da gibt es noch keine wirkliche Lösung -, nämlich die Westbalkan-Erweiterung der Europäischen Union.

Deutschland und Italien müssen weiterhin gemeinsam an der Erreichung dieser Ziele arbeiten. Deshalb ist es wichtig, dass wir ständig im Dialog miteinander sind, um diese gemeinsame europäische Verantwortung anzugehen und den Bürgern angemessene Antworten zu liefern.

Nicht nur die Ziele sind uns gemein, sondern auch die Modalitäten, um diese Ziele zu erreichen. Meistens, natürlich nicht immer, sind wir überzeugt, dass eine Lösung die Richtige ist. Aber wir sind immer bereit, uns auszusprechen und auszutauschen. Die Zusammenarbeit ist eigentlich ausgezeichnet. Wir wollen auch weiterhin daran arbeiten. Denn die europäischen Bürger dürfen keine Enttäuschung erleben. Wir dürfen auch die Intoleranz nicht fördern, damit es zu keinem Zerfall der Europäischen Union kommt.

Der 30. Jahrestag des Mauerfalls, der vor ein paar Tagen feierlich begangen worden ist, zeigt, wie wichtig es ist, dass die europäischen Werte auch seitens der Institutionen geschützt werden müssen. Auch da garantieren Deutschland und Italien für die Zukunft, dass das europäische gemeinsame Haus sehr effizient gestaltet ist. Wie gesagt, die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind effizient und ausgezeichnet.

Deutschland ist seit eh und je unser erster Handelspartner. Unsere Wirtschaftsstrukturen sind ja sehr ähnlich, und auch die wechselseitige Abhängigkeit unserer Wirtschaftsgefüge sind sehr klar. Vor allem in manchen Bereichen sind die Lieferketten sehr eng miteinander verzahnt.

Unsere Unternehmen haben 2000 Beteiligungen in Deutschland. Die Schicksale vieler unserer Wirtschaftsbranchen sind eng miteinander verbunden, zum Beispiel was die Automobilbranche betrifft. Das ist ja wirklich eine integrierte Lieferkette in Europa. Viele italienische Unternehmen sind da auf den verschiedensten Ebenen eingebunden, und nicht nur in der Endphase der Produktion.

Der italienische Beitrag ist auch in der Eisen- und Stahlindustrie sehr wichtig. Das steht ja heute, wie Sie wissen, im Mittelpunkt unserer Agenda. Schon bei unserem letzten bilateralen Treffen haben wir über das ehemalige Ilva-Werk in Taranto gesprochen. Da ja auch in Deutschland eine sehr blühende Produktion in der Eisen- und Stahlindustrie besteht, haben wir gesagt, dass es wichtig ist, auch hier zusammenzuarbeiten und uns auszutauschen, was die modernsten technologischen Lösungen betrifft. Wir wollen, wie gesagt, hier unsere Erfahrungen teilen.

Wie Sie wissen, arbeitet unsere Regierung in diesen Tagen daran, dass das Werk in Taranto weiterhin funktioniert und auf die verschiedensten Bedürfnisse eingeht, einerseits Umwelt- und Gesundheitsschutz, andererseits die Aufrechterhaltung der Arbeitsplätze in Taranto. Es ist also eine große Herausforderung. Es ist ja das größte Stahlwerk in Italien und in Europa. Wichtig ist, dass dort Werte wie Gesundheit, Umwelt und Arbeit in Einklang stehen. Aus diesem Grund arbeite ich an der Baustelle Taranto. Es ist eine große Herausforderung, die wir als Regierung aufnehmen. Wir versuchen, das Bestmögliche zu machen, um eine effiziente Lösung für den Standort Italien zu schaffen.

Wichtige Dossiers wollen wir heute behandeln, internationale Themen wie Libyen zum Beispiel. Wir arbeiten sehr aktiv daran. Die Berliner Konferenz möchte so schnell wie möglich einen Waffenstillstand herbeiführen und die Wiederaufnahme des politischen Prozesses garantieren. Das soll wirklich sehr bald der Fall sein. Wir sind überzeugt, dass die internationale Staatengemeinschaft daran mitarbeiten wird, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.

Wir müssen auch einen politischen Prozess garantieren. Denn wir haben ja immer gesagt: Die militärische Option kann keine nachhaltige Lösung gewährleisten. Unter der Schirmherrschaft der Uno ist es notwendig, jede Bemühung zu unternehmen, die uns möglich ist. Wir wollen natürlich auch unseren Beitrag bei dieser Konferenz leisten, damit das prioritäre Ziel der Stabilität des Landes garantiert wird, auch zugunsten der gesamten Region und der Bevölkerung.

Dann sprechen wir über die Krise in Syrien. Dort bedarf es ebenfalls eines großen politischen Prozesses. Wir werden mit größter Verantwortung und Aufmerksamkeit das Thema angehen, das den Nordosten Syriens betrifft. Wichtig ist es, auch dort auf den Waffenstillstand hinzuarbeiten und gemeinsam den Terrorismus zu bekämpfen.

Wir verstehen natürlich die Sorgen um die Sicherheit. Aber Sie kennen ja die Position Italiens. Die Türkei muss hier mit großem Verantwortungsbewusstsein ihre Rolle in der Anti-Daesh-, Anti-ISIS-Kooperation spielen, was die gesamte Region betrifft.

Apropos Terrorismusbekämpfung: Ich möchte hier auch noch einmal offiziell unterstreichen, dass wir den italienischen Soldaten sehr nahestehen, die gestern aufgrund eines Attentates verletzt worden sind. ISIS hat gesagt, dass sie dieses Attentat verübt haben. Drei Soldaten sind, wie gesagt, schwer verletzt worden, befinden sich aber nicht in Lebensgefahr. Wir wünschen ihnen eine baldige Besserung.

Das nächste Nato-Treffen Anfang Dezember in London wird eine Gelegenheit sein, um den transatlantischen Beziehungen einen neuen Aufschwung zu verleihen. Das ist für uns sehr wichtig. Die Nato muss weiterhin eine politische Plattform darstellen. Wir müssen also hier an einem Strang ziehen. Denn wir müssen das militärische Bündnis, das ja in der Geschichte das größte und - soweit mir bekannt ist - das langjährigste Bündnis ist, weiterhin aufrechterhalten. Ich habe immer wieder gesagt, dass es wichtig ist zu sagen, dass die Nato für uns ein Pfeiler der internationalen Politik ist.

Herzlich willkommen, Angela!

BK’in Merkel: Verehrter Herr Ministerpräsident, lieber Giuseppe, ich freue mich, dass ich heute auf deine Einladung hin hier in Rom sein kann. Es ist mein erster Besuch nach deiner Aufnahme des Amtes des Ministerpräsidenten in der neuen Regierung. Aber wir sind uns schon sehr häufig begegnet. Du warst in Berlin.

Ich kann sagen, dass wir eine ganz enge Zusammenarbeit haben, sowohl auf der bilateralen Ebene als auch auf der europäischen und internationalen. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken. Denn zum Teil haben wir ja auch sehr schwierige Probleme zu lösen.

Die bilateralen Beziehungen sind eng, aber wir können sie sicherlich noch intensivieren, auch auf der ganzen Breite unserer Regierungsarbeit.

Wir arbeiten natürlich eng in den wirtschaftlichen Bereichen zusammen. Du hast auf die Verflechtungen hingewiesen. Wir alle sehen, dass internationale Handelsspannungen auch unsere Wirtschaft beeinflussen. Das sehen wir in Deutschland. Du hast auf die enge Verflechtung der Wertschöpfungsketten, gerade im Bereich der Automobilindustrie, aber auch im Maschinenbau, hingewiesen. Wir müssen alles daransetzen, eine multilaterale und regelbasierte Handelsordnung aufrechtzuerhalten. Beide Länder setzen sich ja auch genau dafür ein.

Du hast über die Schwierigkeiten in der Stahlproduktion gesprochen, die die Menschen natürlich beunruhigen. Auch wir haben eine schwierige Situation in der Stahlindustrie. Wir müssen jetzt gemeinsam an den Zukunftstechnologien arbeiten. Wir haben eben kurz darüber gesprochen, dass wir hier unsere Forschungsministerien, aber auch unsere Wirtschaftsministerien zusammenarbeiten lassen können. Das sind nicht Dinge, die in einem halben Jahr Realität werden.

Deutschland erarbeitet zum Beispiel eine Wasserstoffstrategie, und diese Wasserstoffstrategie wird gerade die Zukunft der Stahlproduktion sehr stark beeinflussen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, die gesamte Transformation im Zusammenhang mit dem Klimaschutz, ist natürlich auch von großer Bedeutung.

Wir haben die große Aufgabe, Europa nach vorn zu bringen und es wettbewerbsfähig zu halten. Daran arbeiten Italien und Deutschland gleichermaßen mit den anderen. Ich glaube, es ist uns gut gelungen, den schmerzhaften Prozess des Abschieds Großbritanniens aus der Europäischen Union gemeinsam zu gestalten. Wir sind da auch Michel Barnier und Jean-Claude Juncker sehr dankbar.

Wir werden uns auch gemeinsam dafür einsetzen, dass die zukünftigen Beziehungen zwischen unseren Ländern, zwischen der Europäischen Union und Großbritannien eng und vertrauensvoll sein werden. Da liegt noch sehr viel Arbeit vor uns, selbst wenn das Austrittsabkommen jetzt ja fertig geworden ist.

Ich freue mich sehr, dass wir die gleiche strategische Vision teilen, was die Bedeutung der Länder auf dem westlichen Balkan anbelangt. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass wir die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien eröffnen können; denn wenn wir dort als Europäische Union ein Vakuum lassen, können dort sehr schnell andere Kräfte Boden gewinnen, und das ist nicht im strategischen Interesse der Europäischen Union - zumal diese Länder ja auch zum großen Teil Mitgliedstaaten der Nato sind, insofern trifft sich hier auch unser strategisches Interesse im transatlantischen Bündnis.

Die neue Kommission wird ihre Arbeit beginnen, und wir haben große Aufgaben vor uns. Auch unser neuer Ratspräsident wird seine Arbeit beginnen. Wir brauchen eine mittelfristige finanzielle Vorausschau. Hier wollen Italien und Deutschland auch sehr eng zusammenarbeiten, obwohl uns das noch vor große Probleme stellen wird. Wir unterstützen aber, glaube ich, beide die strategische Agenda der neuen Kommissionspräsidentin, und hoffe auch, dass die neue Kommission jetzt sehr schnell ihre Arbeit aufnehmen kann.

Wir haben gemeinsame Interessen auch mit Blick auf das Thema Flucht und Migration. Wir wissen, dass wir die Ursachen von Flucht und Migration bekämpfen müssen. Deshalb freue ich mich sehr, dass du in der nächsten Woche nach Berlin kommen und an der Konferenz „Compact with Africa“ teilnehmen wirst. Wir teilen die gleiche Vision, dass nur die wirtschaftliche Entwicklung der afrikanischen Staaten den vielen jungen Menschen Perspektiven geben kann.

Ich möchte mich bedanken für das Libyen-Engagement von Italien und freue mich sehr, dass ihr auch in dem Berliner Prozess mit uns zusammenarbeitet, um zu versuchen, eine politische Lösung vorzubereiten. Dazu brauchen wir erst einmal einen Waffenstillstand.

Sicherlich werden wir im weiteren Verlauf des Abends auch noch intensiv über Libyen und über die Situation in Syrien sprechen und auch den Nato-Gipfel vorbereiten. 70 Jahre Nato - eine Erfolgsgeschichte. Wir spüren aber: Wir Europäer müssen auch deutlich machen, dass die Nato in unserem Interesse ist, und müssen hier mehr Engagement einbringen. Auch da sind sich Deutschland und Italien einig.

Ich freue mich, dass ich in einer sehr komplizierten Zeit, in der uns viele globale Probleme beschäftigen, die alle auch Rückwirkungen auf unsere Länder zu Hause haben, heute die Gelegenheit habe, mich mit dir noch weiter auszutauschen. Ich bedanke mich für die Einladung - insbesondere an diesem wunderbaren Ort, der die gesamte großartige italienische Geschichte zum Ausdruck bringt. Danke schön!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ihr Finanzminister Olaf Scholz hat vor Kurzem einen Vorschlag für eine EU-weite Einlagensicherung gemacht. Ist das eine offizielle Position der deutschen Regierung? Was halten Sie davon, auch angesichts der Kritik, die zum Beispiel vom italienischen Finanzminister geäußert wurde, der sich gegen eine Risikobewertung der Staatsanleihen ausgesprochen hat?

BK’in Merkel: Erst einmal vertritt die ganze Bundesregierung die Meinung, dass wir sowohl die Kapitalmarktunion als auch die Bankenunion voranbringen müssen, weil dies zur Komplettierung der Absicherung für den Euro von großer Wichtigkeit ist. Ich will, obwohl Olaf Scholz dazu nichts geschrieben hat, auch noch sagen, dass die Kapitalmarktunion von sehr großer Bedeutung ist, damit wir unsere Kraft als Kontinent, als Binnenmarkt und gerade auch als Eurozone wirklich entfalten können. Insofern setze ich mich dafür ein, aber genauso für die Vollendung der Bankenunion.

Der Finanzminister Olaf Scholz hat hier einen Aufschlag gemacht, wie man sagt; er hat seine Position einmal deutlich gemacht und damit, glaube ich, auch den Verhandlungen über die Bankenunion einen neuen Push, einen neuen Impuls gegeben. Wir werden die Einzelheiten in der Bundesregierung noch miteinander abstimmen, aber im Großen und Ganzen gehen die Dinge in die Richtung, die wir brauchen, nämlich dahin, dass wir wirklich vorankommen.

Die Risikobewertung von Staatsanleihen war schon immer ein umkämpftes Gebiet, sage ich einmal. Olaf Scholz hat sich dazu in seinem Artikel auch geäußert. Ich glaube, wir finden hier eine gemeinsame deutsche Position; ob dann auch schon alle Positionen in der Eurozone gleich sind, weiß ich nicht. Wir müssen insgesamt die Risikominimierung in den einzelnen Banken voranbringen. Ich habe mir anlässlich der Diskussion in unserer Regierung über die Bankenunion noch einmal angeschaut, wie sich die Risiken auch in den italienischen Banken entwickelt haben, und ich bin sehr zufrieden, muss ich sagen, dass diesbezüglich in den letzten Jahren in allen Eurostaaten - so auch in Italien - riesige Schritte gegangen wurden. Das ist ein sehr gutes Fundament, auf dem wir dann weiterarbeiten können.

Wir haben innerhalb der Bankenunion dann auch noch das Thema der gemeinsamen Einlagensicherung. Das ist natürlich ein großer Vertrauensbeweis. Hier können wir nur in Schritten vorangehen, aber Deutschland bekennt sich vom Gesamtziel her auch dazu, dass das zur Komplettierung der Bankenunion und der Eurozone dazugehört.

MP Conte: Ich füge dem, was unser Finanzminister schon gesagt hat, jetzt eigentlich nichts hinzu, denn es ist ja ein Vorschlag des deutschem Finanzministers gewesen, und die Bundeskanzlerin selbst hat ja gesagt, dass das ein Aufschlag war, mit dem er seine Position ganz klar zum Ausdruck gebracht hat.

Ich möchte nur ganz allgemein etwas zu diesem Thema sagen, nämlich: Italien ist natürlich für eine Stärkung der Banken und der Wirtschafts- und Währungsunion, insofern wird hier der richtige Weg gegangen. Aber wie unser Parlament schon gesagt hat - und ich habe das auch im Laufe von Treffen des Europäischen Rats gesagt -, muss sich dieses System in allen Elementen auf ausgewogene Art und Weise stärken. Das Parlament hat die Regierung also zu einer Herangehensweise in Form von Paketen angehalten - Bilanz, Euro, gemeinsamer Einlagensicherungsfonds. Italien wird weiterhin auf diese Art vorangehen, vor allem, was unseren gemeinsamen europäischen Einlagensicherungsfonds betrifft. Was die Risikobewertung betrifft: Ja, warum nicht? Unsere Banken haben in den letzten Jahren sehr große Fortschritte gemacht, was gewisse kritische Punkte der Vergangenheit betrifft. Wir sehen diesen Themen also ohne Aufregung entgegen, glauben aber, dass alles insgesamt behandelt werden muss.

Frage: Frau Merkel, ich habe eine Frage zum Thema Flüchtlinge und zum Abkommen von Malta. Eine Kleine Vorbemerkung: Ist Ihnen bekannt, dass das so erfolgreiche Abkommen Italiens mit Tripolis auch beinhaltete, dass Milizen wie die von al-Bidscha, die ja den Flüchtlingsstrom erst einmal organisiert haben, dann auch wesentlicher Teil des Abkommens wurden? Unter anderem wurde al-Bidscha selber Chef der Küstenwache von Sawija.

Wie geht es jetzt mit dem Malta-Prozess weiter? Von Herrn Seehofer wurde verkündet, dass es ein konkretes Abkommen mit festen Quoten von Ländern gibt, die willig sind, Menschen aufzunehmen, die aus Seenot gerettet werden. Meinen Sie nicht auch, Frau Merkel, dass es besser wäre, wenn die Seenotrettung im Mittelmeer - nicht nur was Italien betrifft, sondern auch was Spanien, Griechenland und Malta betrifft - wieder von staatlicher Stelle organisiert werden würde?

An Herrn Professor Conte: Ihre Regierung wird jetzt ja „Conte 2“ genannt. Es gab auch „Conte 1“, und damals war die Regierung ganz anders zusammengesetzt. Wie fühlen Sie sich heute im Vergleich zur letzten Regierung, in der Sie die Führung hatten? Sie wollen jetzt ja, dass Europa und die anderen Staaten Ihnen helfen, was die Migration betrifft.

BK’in Merkel: Ich bin erst einmal sehr froh, dass die neue Kommissionspräsidentin bereits für ihre Agenda festgelegt hat, dass sie sich auch mit den Fragen der Migration und auch der fairen Aufgabenteilung innerhalb der Europäischen Union mit Blick auf die Migration beschäftigen wird. Das dauert aber naturgemäß noch eine Weile, und deshalb fand ich es richtig, dass in Malta Vertreter von Frankreich, Deutschland, Italien und Malta einen Vorstoß gemacht haben - natürlich auch mit der Bitte an andere Mitgliedstaaten, sich zu beteiligen , um von diesem völligen Ad-hoc-Verfahren wegzukommen und im Zusammenhang mit der Seenotrettung wenigstens unter denen, die willens sind, eine humanitäre Lösung zu finden. Ich glaube, das war für alle eine gute Botschaft, denn wir können diese Dinge nicht Schiff für Schiff miteinander immer wieder diskutieren.

Es bleibt aber noch viel zu tun - das will ich ganz deutlich sagen -, um wirklich zu einer fairen Aufgabenteilung in ganz Europa zu kommen. Ich bin der Auffassung, dass wir die Länder, die an den Meeren liegen, also die Länder, die die maritime Schengen-Außengrenze bilden, nicht im Stich lassen können und dass wir diese Migrationsfragen miteinander besprechen müssen, dass wir miteinander aber eben auch an der Beseitigung der Fluchtursachen arbeiten müssen. Deshalb ist die Ausbildung der libyschen Küstenwache auch von großer Bedeutung. Natürlich geht es hier darum - darüber sprechen wir auch mit dem UNHCR und mit der Internationalen Organisation für Migration -, dass wir vernünftige Standards haben. Die haben wir nicht überall in Libyen, das ist richtig; deshalb arbeiten wir daran. Wir müssen aber auch dafür Sorge tragen, dass die Dinge vor Ort verbessert werden, sodass sich Menschen nicht in Gefahr begeben; denn wir wissen ja, dass die Überquerung des Mittelmeers dort und an anderer Stelle erhebliche Gefahren mit sich bringt.

Wir haben also noch ein gutes Stück Arbeit vor uns. Die Konferenz mit den afrikanischen Ländern dient deshalb auch dazu, Perspektiven aufzuzeigen. Deshalb arbeitet Deutschland zusammen mit Italien an einer politischen Lösung für Libyen. Das alles sind dicke Bretter, an denen wir arbeiten müssen. Ich glaube aber, es ist geboten, dass wir uns damit beschäftigen und aus den unvollkommenen Dingen vollkommenere machen - im Sinne der Menschen, die davon betroffen sind.

MP Conte: Ich möchte mich ganz offiziell bei der deutschen Regierung und bei Deutschland bedanken, denn in Sachen Migration hat Deutschland Italien immer unterstützt. Wenn wir hier von Sensibilität für die gesamten Probleme und auch von Sensibilität, was die Notwendigkeit der Umverteilung betrifft, sprechen, muss man sagen, dass Deutschland immer an erster Stelle gestanden hat; das muss man hier offiziell zur Kenntnis nehmen und kundtun. Auch das Malta-Abkommen, über das Sie gesprochen haben, geht in diese Richtung. Italien und Deutschland sind jetzt also gemeinsam mit anderen Ländern an vorderster Front, und wir hoffen, dass noch mehr Länder dazustoßen werden. Die angesprochenen vier Länder sind nun also diejenigen, die begonnen haben und weiter daran arbeiten werden, damit so viele Staaten wie möglich - und am Ende alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union - diesem Abkommen beitreten werden; denn das ist unser Endziel.

Sie haben mich auch gefragt, was den Kontext der neuen Regierung betrifft und wie diese Regierung in Europa aufgenommen worden ist. Wenn Sie die Reden, die ich in der ersten Regierung und jetzt in der zweiten Regierung gehalten habe, und die Ziele vergleichen, dann können Sie sehen, dass es da eigentlich keine Unterschiede gibt. Das gilt auch, was die Herangehensweise in Sachen Migration betrifft. Denn ich bin immer der Meinung, dass zunächst einmal die Grundrechte dieser Personen, die ja leiden und Opfer von illegalem Handel und von Schleppern sind, gewährleistet werden müssen. Ich hatte immer einen kritischen, aber konstruktiven Ansatz, denn ich habe immer behauptet und gesagt: Europa macht einen schwierigen Augenblick durch, im gemeinsamen europäischen Haus gibt es einige kritische Momente. Solche Zyklen gibt es aber immer wieder, und ich glaube, dass diejenigen, die den europäischen Idealen anhängen und sie umsetzen wollen, auch kritisch sein müssen, damit das gemeinsame europäische Haus gestärkt wird und noch solider wird, sodass man es besser gegen die Herausforderungen, die auf uns zukommen, verteidigen kann. Zu sagen, es sei alles okay in Europa, ist nicht richtig, denn das hieße, dass man Europa nicht wirklich gerne hat.

Was die politische Großwetterlage betrifft, muss ich sagen, dass meine kritische, aber konstruktive Herangehensweise heute auf homogenere Art und Weise von der Regierungsmehrheit unterstützt wird als in der Vergangenheit. Die Tatsache, dass dieser Ansatz nun homogener gestaltet ist als in der jüngsten Vergangenheit und dass es einen besseren, konstruktiveren und auch kritischen Dialog gibt, ist für mich auch in Europa eine große Hilfe; denn in Europa weiß man, dass es für Italien jetzt leichter ist, mit den anderen Staaten einen Dialog zu führen.