Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und der dänischen Ministerpräsidentin Thorning-Schmidt

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass meine Kollegin Helle Thorning-Schmidt heute bei uns zu Besuch und zu Gast ist.

Wir haben kurz vor dem Europäischen Rat in der nächsten Woche natürlich die Dinge besprochen, die zu entscheiden sind, und für uns beide ist wichtig, dass wir nicht nur über Personen entscheiden, sondern dass wir vor allen Dingen auch darüber entscheiden, wie das Arbeitsprogramm der zukünftigen Kommission aussehen wird, und dass wir dies vorher möglichst auch noch einmal mit dem Parlament besprechen, damit wir eine gemeinsame Arbeitsplattform haben.

Für die deutsche Seite kann ich sagen, dass uns natürlich wichtig ist, dass wir Jean-Claude Juncker unterstützen - das habe ich oft gesagt -, dass uns aber auch wichtig ist, dass wir ein Arbeitsprogramm haben, das auf die Herausforderungen Europas in der nächsten Zeit Bezug nimmt. Das heißt erstens, dass wir das, was wir jetzt erreicht haben, erhalten und deshalb auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht angetastet wird, sondern eher erfüllt wird, zweitens, dass wir unsere Innovationskraft stärken, drittens, dass wir darauf Wert legen, im Sinne des Subsidiaritätsprinzips Regulierungen möglichst einzudämmen und nicht extensiv anzuwenden, und dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren.

Ein wichtiges Thema sind natürlich auch die Strukturreformen, insbesondere auch im Bereich des Arbeitsmarktes, und ein weiteres wichtiges Thema ist das ganze Paket in den Bereichen Energie und Klima, über das wir uns heute auch unterhalten haben und das für unsere beiden Länder sehr wichtig ist.

Was unsere bilateralen Beziehungen betrifft, kann ich sagen, dass wir sehr eng zusammenarbeiten. Da brauchen wir keine lange Diskussion: Dänemark und Deutschland sind Nachbarn, sind eng befreundet. So konnten wir uns in unserer Diskussion heute völlig auf die europäische Agenda konzentrieren, und auch hier gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung.

MP’in Thorning-Schmidt: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin! Für mich ist es immer ein großes Vergnügen, hier zu sein und unseren sehr interessanten und offenen Meinungsaustausch zu pflegen.

Wir haben uns heute vor allen Dingen auf den Gipfel der nächsten Woche konzentriert, und zwar, wie die Bundeskanzlerin schon gesagt hat, vor allen Dingen auf die Themen Klima- und Energiepolitik, aber auch auf die Lage in der Ukraine.

Der Hauptzweck des Gipfels nächste Woche wird ja sein, dass man eine allgemeine politische Richtschnur für die Europäische Union und für die politische Union für die nächsten Jahre vorgibt. Ich denke, dass die Union deutlich machen muss, dass wir in der Lage sind, tatsächlich greifbare Ergebnisse hervorzubringen, und zwar in den Bereichen, die für unsere Bürger am wichtigsten sind. Das bedeutet, man schickt ein klares Signal dahingehend, dass sich die EU auf die Themen konzentriert, bei denen es wirklich einen Mehrwert in der Zusammenarbeit gibt, das heißt, dass wir nicht jedes Komma und jeden Punkt in den einzelnen Verträgen untersuchen müssen, sondern dass man sich sagt: Man soll das Prinzip der Subsidiarität achten und respektieren. Unsere erste Priorität sollte im Moment sein, dass man vor allem Wachstum und Beschäftigung stärkt und natürlich auch die Wettbewerbsfähigkeit der Union stärkt. Wir müssen uns natürlich auch mit dem Klimawandel beschäftigen, wir müssen unsere Energiepolitik weiter entwickeln, und wir müssen Stabilität in unserer Nachbarschaft schaffen.

Es ist für die dänische Regierung eine Schlüsselpriorität, dass wir unsere Union der 28 Mitgliedstaaten zusammenhalten. Das bedeutet, diese 28 Mitgliedstaaten sollen im Sinne der Zusammenarbeit, der Kooperation zusammengehalten werden. Ich verstehe voll und ganz, dass die Eurozone in den letzten Jahren ihre Zusammenarbeit in einer Reihe von Feldern sehr stark stärken musste, aber in den nächsten Jahren muss man dafür sorgen, dass die EU nicht auseinanderdriftet. Alle 28 Mitgliedstaaten müssen daher an Entscheidungen teilhaben, die für alle 28 Auswirkungen haben. Zum Beispiel ist der Binnenmarkt eine ganz hohe Priorität für Dänemark.

Es ist sehr viel darüber gesprochen worden, wer denn nun welchen Posten in der Europäischen Kommission bekommen soll. Ich denke, dass unsere Prinzipien, unsere Entscheidung, wo wir eigentlich mit der Union hinsteuern wollen, unsere Wahl des nächsten Präsidenten der Kommission bestimmen sollten. Wir können einen Kandidaten unterstützen, der diese Prioritäten dann auch wirklich zum Tragen bringen kann, der Ergebnisse zeitigen kann und der natürlich auch die nachhaltigste Unterstützung im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament bekommt.

Wir haben dann auch noch über die Ukraine gesprochen. Das, was wir im Moment sehen, sind im Grunde sehr gemischte Signale. Im Moment ist es so, dass wir Fortschritte sehen wollen; das haben wir deutlich gemacht. Wenn es diese weiteren Fortschritte, die die EU erwartet, nicht gibt und wenn Russland die Situation weiter destabilisiert, dann wird man unter Umständen weitere Sanktionen beschließen müssen; aber natürlich möchten wir eine Verhandlungslösung zu all diesen Fragen erreichen. Was in der Ukraine passiert, ist auch eine ganz klare Erinnerung für uns alle, dass wir unsere Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen reduzieren müssen. Darauf, dass wir auch das nächste Woche auf unserem Gipfel diskutieren, freue ich mich.

So, wie wir das vorher auch schon getan haben, haben die Bundeskanzlerin und ich uns darauf geeinigt, dass wir einen sehr ehrgeizigen Fahrplan für unsere Energie- und Klimaziele nach 2020 auflegen müssen. Wir haben jetzt nicht so lange über bilaterale Fragen diskutiert, einfach weil ganz klar ist, denke ich, dass unsere bilateralen Beziehungen sehr stark sind und wir uns als sehr starke Partner in der Europäischen Union, aber auch international und natürlich auch in unserem täglichen nachbarschaftlichen Verhältnis begreifen. Wir haben Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze. Diese haben sehr positive Beiträge zu unseren Beziehungen geleistet. Über unsere wirtschaftlichen Beziehungen kann man nur sagen, dass sie sehr gesund sind. Es ist natürlich auch sehr wichtig für Dänemark, dass es eine feste Verbindung durch den Fehmarnbelt-Tunnel geben wird. Das ist natürlich auch für das Wachstum und die Beschäftigung in der Zukunft sehr wichtig, darum geht es ja schließlich. Das ist auch das, was wir diskutieren werden, wenn wir uns nächste Woche in Brüssel treffen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, können Sie sich eine Ministerpräsidentin aus einem benachbarten skandinavischen Land als Chefin der EU-Kommission oder als Ratspräsidentin vorstellen? Haben Sie das heute diskutiert? Hat sie das Zeug dazu?

Vielleicht darf ich diese Frage auch an die Frau Ministerpräsidentin richten: Haben Sie heute ein Angebot bekommen, das Sie nicht ablehnen können? Sie haben ja sehr lange auf dem Balkon, auf der Terrasse miteinander gesprochen.

BK’in Merkel: Auf der Terrasse haben wir vorrangig über Berlin, die Schönheit der Terrasse, die gute Aussicht und die Nähe des Parlaments gesprochen.

Ich will Folgendes sagen: Wir haben Spitzenkandidaten, und Deutschland unterstützt Jean-Claude Juncker als Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten, weil die EVP die stärkste Gruppe geworden ist. Zweitens haben wir andere Personalfragen überhaupt noch nicht besprochen, auch nicht mit Herman Van Rompuy. Es ist auch überhaupt nicht klar, inwieweit ein Personalpaket verabschiedet wird. Insofern ist die dänische Ministerpräsidentin eine tolle Ministerpräsidentin, und deshalb habe ich auch den Eindruck gewonnen, dass ihr die Arbeit zu Hause viel Spaß macht.

MP’in Thorning-Schmidt: Ich weiß nicht, ob ich dem allzu viel hinzuzufügen habe. Ich denke, das Wichtigste ist im Moment, und das meine ich auch ganz ernst, dass wir uns auf das konzentrieren, was wir in den nächsten fünf Jahren gemeinsam erreichen wollen. Das ist viel wichtiger als die Frage, wer dann der Chef der jeweiligen Institution sein wird. Es ist ganz wichtig und noch viel wichtiger, dass wir für unsere Bürger greifbare Ergebnisse im Bereich der Beschäftigung und im Bereich des Wachstums liefern. Es ist noch sehr viel zu tun. Das sollten wir tun, das sollten wir diskutieren, und dann sollten wir in einem späteren Stadium darüber sprechen, wer das erreichen kann.

Frage: Ich habe eine Frage an beide, ohne die Frage jetzt zu wiederholen: Aber wäre es für Sie vorstellbar oder wünschenswert, dass ein Vertreter eines Landes EU-Ratspräsident wird, das nicht der Eurozone angehört? Sie, Frau Ministerpräsidentin, haben nämlich betont, dass es wichtig sei, die Brücke zwischen der Eurozone und den Nicht-Euro-Ländern zu schlagen.

Frau Bundeskanzlerin, ist es möglich, dass ein Nicht-Euro-Land den Vorsitz des Rates stellen kann?

BK’in Merkel: Wie gesagt, mit dem Vorsitz des Rates haben wir uns jetzt noch nicht befasst. Rein prinzipiell kann es nicht sein, auch im Sinne der Einheit der Union, dass man sagt: Nur jemand, dessen Land im Euroraum ist, kann Ratspräsident werden. Eine solche Regel steht nirgends. Aber das hat jetzt, wie gesagt, auch nichts mit Dänemark zu tun, sondern das ist eine grundsätzliche Aussage.

MP’in Thorning-Schmidt: Ich glaube nicht, dass ich dem viel hinzuzufügen habe. Man sollte sich jetzt wirklich nicht auf Personen konzentrieren. Natürlich wird Juncker eine sehr wichtige Rolle bei unserem Gipfeltreffen in der nächsten Woche spielen. Aber das Wichtigste sind die Prioritäten und die Diskussion, die wir heute geführt hatten, in der wir gesagt haben, dass es viel wichtiger ist, unsere Prioritäten zu diskutieren, als die Frage zu diskutieren, wer das dann in den nächsten Jahren machen sollte. Das ist eine Linie, der wir folgen sollten.

Frage: Ich habe eine Frage an die Bundeskanzlerin: Haben Sie sich ein Bild davon gemacht, ob Frau Thorning-Schmidt eine gute und wählbare Ratspräsidentin werden könnte?

BK’in Merkel: Ehrlich gesagt, brauche ich mir kein Bild von Helle Thorning-Schmidt zu machen, weil ich sie nun schon eine ganze Weile kenne und fest in meinem Kopf verankert habe. Ich sage es noch einmal: Ich glaube, sie ist eine tolle dänische Ministerpräsidentin.

Frage: Um einmal von der Ratspräsidentschaftsfrage wegzukommen, komme ich zur Kommission. Meine erste Frage geht an unseren Gast: Werden Sie für Juncker stimmen? Glauben Sie, dass er eine Mehrheit bekommen wird?

Die zweite Frage geht an Kanzlerin Merkel: Glauben Sie, wenn sich jetzt so abzeichnet, dass Cameron mit seinem Vordringen überhaupt nicht durchkommen wird, dass das ohne Schaden für die EU-Mitgliedschaft von England so fortzuführen sein wird? Können Sie dazu vielleicht noch einmal etwas sagen?

MP’in Thorning-Schmidt: Ich habe es ja schon gesagt: Jean-Claude Juncker ist ein sehr guter Kandidat. Ich kenne ihn. Ich kenne ihn als einen pragmatischen Menschen, der im Grunde genommen auch die grundsätzlichen Themen, mit denen wir uns in Europa auseinandersetzen müssen, versteht. Er ist natürlich auch ein sehr erfahrener Politiker. Er ist also ein sehr guter Kandidat.

Aber das Wichtigste, was wir diskutieren müssen, sind wirklich unsere Prioritäten. Wir werden den Kandidaten unterstützen, der die Prioritäten unterstützt, die wir im Europäischen Rat erarbeitet haben, aber natürlich auch einen Kandidaten, der dafür die größtmögliche Unterstützung nicht nur im Europäischen Rat, sondern auch im Europäischen Parlament bekommen kann. Es ist sehr wichtig, einen Kandidaten zu haben, der Resultate hervorbringt. Darum geht es ja bei den europäischen Wahlen, und so interpretieren wir auch das Ergebnis der Wahlen, nämlich dass die Menschen Beschäftigung und Wachstum für die Zukunft haben möchten.

BK’in Merkel: Zuerst einmal möchte ich sagen, dass wir gemeinsam die Position haben, dass wir uns mit den Inhalten beschäftigen wollen. Deshalb haben wir auch darüber nachgedacht, wie das in der nächsten Woche funktionieren kann und wie wir das auch mit Herman Van Rompuy noch einmal besprechen werden. Das ist für uns wirklich von größter Bedeutung.

Zweitens habe ich meine Position zu Jean-Claude Juncker dargestellt. Andere haben ihre Position dargestellt. Ich habe immer zwei Dinge gesagt. Das eine ist, dass Deutschland Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident unterstützen wird. Das andere ist, dass wir alle Entscheidungen im europäischen Geist treffen wollen. Das schließt mit ein, dass wir jedes Mitgliedsland ernst nehmen. Das heißt ja nicht, dass man alle Wünsche erfüllen kann, aber das heißt, dass man dann vielleicht an anderer Stelle auch überlegen kann, was für Großbritannien sehr wichtig ist. Für Großbritannien ist, glaube ich, wenn ich das richtig verstanden habe, auch die Frage der Inhalte sehr wichtig. Es geht um die Fragen: Was passiert? Wann und wie setzt sich die Europäische Union für Innovation, Bürokratieabbau, Subsidiarität ein? Was gehört nach Europa? Was gehört in die Nationalstaaten? – Insofern sind wir bereit und bin ich bereit, natürlich auch mit Großbritannien sehr konstruktiv über diese Dinge zu sprechen, um diesem europäischen Geist in den Entscheidungen auch einen großen Raum einzuräumen, selbst wenn man in einer speziellen Frage unterschiedlicher Meinung ist.