Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem vietnamesischen Premierminister Dung

Sprecher: Bundeskanzlerin Dr Angela Merkel, Ministerpräsident Nguyen Tan Dung

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich heute Premierminister Dung aus Vietnam bei uns begrüßen darf. Wir haben ein intensives Gespräch geführt, und ich habe mich an meinen Besuch in Vietnam erinnert. Ich freue mich, dass er jetzt im Zusammenhang mit dem ASEM-Gipfel in Mailand am Ende dieser Woche vorher auch einen Deutschland-Besuch gemacht hat.

Ich heiße Sie und Ihre ganze Delegation recht herzlich willkommen und freue mich, dass Sie neben Gesprächen mit dem Wirtschaftsminister dann auch an einem Wirtschaftsforum in Stuttgart teilnehmen werden, damit wir auch die Möglichkeit haben, unsere Zusammenarbeit weiter zu vertiefen.

Im Jahre 2015 wird es seit 40 Jahren diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam geben. Wir haben darüber gesprochen, wie wir unsere strategische Partnerschaft, die ich 2011 mit dem vietnamesischen Premierminister vereinbart habe, mit noch mehr Leben erfüllen können. Wir sind uns als Länder sehr eng dadurch verbunden, dass 100.000 Vietnamesen in Deutschland gearbeitet und gelebt haben und deshalb so etwas wie eine Brücke zwischen unseren beiden Ländern darstellen. Deshalb freuen wir uns, dass wir auch unsere Zusammenarbeit erweitern können.

Wir haben über verschiedene Felder der Zusammenarbeit gesprochen, zum einen natürlich über Investitionen, die in Vietnam willkommen sind. Hierbei geht es zum Beispiel auch darum, das U-Bahn-Projekt, die U-Bahn-Linie in Ho-Chi-Minh-Stadt, in Gang zu bringen. Deutschland ist der größte Handelspartner Vietnams innerhalb der Europäischen Union. Allerdings sind wir unter den vietnamesischen Handelspartnern insgesamt noch weit abgeschlagen. Das heißt, ich hoffe, dass der jetzige Besuch auch dazu dient, dass wir unsere Wirtschaftsbeziehungen intensivieren können. Ich freue mich auch, dass nicht nur Wolfgang Schäuble als Finanzminister im September in Vietnam war, sondern auch der Wirtschaftsminister in wenigen Wochen nach Vietnam fahren wird. Herr Gabriel wird dort an einer internationalen Konferenz teilnehmen, aber dann eben auch die bilateralen Beziehungen noch weiter intensivieren.

Ich habe darauf hingewiesen: Wenn diese wirtschaftliche Zusammenarbeit noch intensiver werden soll, dann brauchen deutsche Unternehmen vor allen Dingen Rechtssicherheit, Transparenz und Klarheit bei der Vergabe von Aufträgen. Das sind ganz wichtige Voraussetzungen für ein beständiges Investieren deutscher Unternehmen in Vietnam. Wir werden sicherlich an dieser Stelle weiterarbeiten.

Ich habe auch darauf hingewiesen, dass die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften ein wichtiger Faktor ist, bei der natürlich Fragen der Menschenrechte, Fragen der Meinungsfreiheit und auch Fragen der freien Presse eine große Rolle spielen. Zwischen der Europäischen Union und Vietnam gibt es einen Menschenrechtsdialog und einen Rechtsstaatsdialog, den wir von deutscher Seite sehr unterstützen.

Wir haben eine zweite Säule der Zusammenarbeit. Das ist der Bereich der Bildung. Hier gibt es sehr gute Initiativen. Es gibt in Vietnam eine ganze Reihe von Partnerschaftsschulen mit Deutschunterricht. Es gibt die deutsch-vietnamesische Universität, über die wir gesprochen haben. Ich möchte mich beim Premierminister dafür bedanken, dass vor zwei Tagen auch die Baugenehmigung für das Deutsche Haus in Vietnam gegeben wurde. Das ist ein wichtiges Symbol. Wir haben auch darüber gesprochen, dass Vietnam gerne ein Vietnamesisches Haus in Deutschland bauen möchte, und diesbezüglich müssen wir die letzten Fragen noch klären, damit wir in diesem Zusammenhang wirklich vorankommen.

Wir haben darüber gesprochen, dass sich Vietnam noch mehr Stipendiatenplätze wünscht - das wollen wir umsetzen - und dass die Lehrkräfte, die an der deutschen Universität in Vietnam unterrichten, auch längerfristig dort zur Verfügung stehen müssen, damit die Universität wirklich ein gutes Niveau erreicht. Ich habe im Gegenzug darauf hingewiesen, dass die Autonomie der Mittelvergabe und der Forschungsinhalte für die Hochschule in Vietnam natürlich auch von allergrößter Bedeutung ist.

Wir haben dann über die Entwicklungszusammenarbeit gesprochen. Es gibt Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit. Die liegen im Bereich der Energie, die liegen im Bereich der Bildung, und die liegen auch im Bereich der Biodiversität, also des Umweltschutzes. Wir haben sozusagen auf der Brücke zwischen Bildung und Zusammenarbeit auch darüber gesprochen, dass wir ein Ausbildungsprogramm für vietnamesische Pflegekräfte in Deutschland haben. Da sind wir jetzt in der Pilotphase und werden jedes Jahr etwa 100 Fachkräfte ausbilden können. Das ist auch ein wichtiger Beitrag für eine engere Zusammenarbeit.

Wir haben auch noch einmal darüber gesprochen, wie wir unser 40-jähriges Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen gut miteinander verbringen können. Wir werden deutsche Tage in Vietnam veranstalten, und Vietnam hat auch die Bereitschaft gezeigt, vietnamesische Tage hier in Deutschland aufzulegen, damit wir uns noch besser kennenlernen.

Wir haben auch über internationale Fragen gesprochen, insbesondere über die Situation im Südchinesischen Meer, die auch schon im Zusammenhang mit anderen Diskussionen, zum Beispiel beim Besuch des philippinischen Präsidenten, eine Rolle gespielt hat. Hinsichtlich der neuen Strichlinie gibt es doch durchaus große Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Ländern. Wir sagen: Auch für Deutschland ist es von strategischem Interesse, freie Seefahrtwege zu haben, und deshalb wird dieses Thema sicherlich auch auf dem ASEM-Gipfel eine Rolle spielen.

Herzlichen Dank für Ihren Besuch. Ich wünsche Ihnen hier auch weiterhin einen erfolgreichen Aufenthalt.

MP Dung: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren, ich danke der Frau Bundeskanzlerin für die Worte, die sie gerade gesprochen hat. Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, meinen besten Dank für den freundlichen Empfang zum Ausdruck zu bringen, den mir die Bundesregierung wie auch die deutsche Bevölkerung während meines Deutschland-Besuchs zuteil werden ließen.

Meine Damen und Herren, in einer freundschaftlichen und offenen Atmosphäre haben die Frau Bundeskanzlerin und ich uns über die Maßnahmen zur Vertiefung der strategischen Partnerschaft zwischen Deutschland und Vietnam unterhalten. Wir wollen die bilateralen Beziehungen in allen Bereichen in der kommenden Zeit noch verstärken und ausbauen. Die Frau Bundeskanzlerin und ich waren uns einig, was den Austausch von Delegationen auf allen Ebenen angeht; denn das hilft dabei, Verständigung herbeizuführen. Daher begrüße ich den Vietnam-Besuch des Herrn Bundestagspräsidenten im Jahr 2015 anlässlich der Sitzung der Interparlamentarischen Union in Vietnam. Ich habe auch die Frau Bundeskanzlerin eingeladen, zu einem netten Zeitpunkt zu kommen. Beide Seiten werden das Jubiläum anlässlich des 40. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 2015 gemeinsam gestalten.

Beide Seiten waren sich einig, mit allen Mitteln die bilaterale Handelsbilanz zu vergrößern. Wir werden den Unternehmen aus Deutschland und Vietnam weiterhin günstige Bedingungen gewähren, damit sie investieren können. Wir werden auch manche Bereiche abdecken - zum Beispiel Maschinenbau, Konsumgüter, Gewerbeproduktion etc. -, die wir brauchen.

Ich begrüße den Vietnam Besuch des Herrn Vizekanzlers und Ministers für Wirtschaft und Energie anlässlich der 14. Asien-Pazifik-Konferenz in Ho-Chi-Minh-Stadt im November 2014. Das ist eine gute Gelegenheit für uns, die deutsche Handelstätigkeit mit Vietnam und in der Region zu vertiefen.

Meine Damen und Herren, im Namen der vietnamesischen Regierung und Bevölkerung danke ich für die langjährige ODA-Hilfe Deutschlands für Vietnam. Das hilft Vietnam im Modernisierungsprozess und vor allem im internationalen Integrationsprozess. Ich habe die deutsche Bundesregierung auch darum gebeten, die ODA-Hilfe für Vietnam in den Bereichen Energie, Umwelt und Berufsausbildung aufrechtzuerhalten. Das sind die Bereiche, die auch der Entwicklungsstrategie von Vietnam in der kommenden Zeit entsprechen, und das sind auch die Stärken von Deutschland.

Meine Damen und Herren, wir waren uns einig hinsichtlich der Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Ausbildung, Justiz und Wissenschaft. Ich schätze die Ergebnisse des Pilotprojekts für vietnamesische Krankenpflegekräfte in Deutschland. Vietnam verfügt über junge Arbeitskräfte, und Vietnam ist im Stande, diese Bereiche abzudecken, die Deutschland braucht. Ich habe die deutsche Bundesregierung auch darum gebeten, dieses Projekt noch zu erweitern, vor allem, wenn es sich dann um das duale System der Bundesregierung handelt.

Meine Damen und Herren, die vietnamesische Regierung dankt der deutschen Bundesregierung und bittet weiterhin um Unterstützung für die Gemeinschaft der Vietnamesen in Vietnam. Wir bitten auch um Unterstützung, wenn es um die Einführung von Vietnamesisch als Schulfach in den Bundesländern geht, in denen viele Vietnamesen leben.

Im Geiste der strategischen Partnerschaft bitten wir Deutschland als wichtiges Land innerhalb der EU um Unterstützung bei der Intensivierung der Zusammenarbeit mit der EU. Die Frau Bundeskanzlerin hat auch bekräftigt, dass die Bundesregierung die Verhandlungsrunde über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam unterstützt, um sie bald abzuschließen. Das gilt auch für die Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus für Vietnam durch die EU zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens. Das Freihandelsabkommen zwischen Vietnam und der EU ist ein wichtiges Dokument, das auch die weiteren Pforten für die Zusammenarbeit zwischen der EU und Vietnam sowie zwischen Deutschland und Vietnam öffnen wird.

Meine Damen und Herren, die Frau Bundeskanzlerin und ich waren uns einig hinsichtlich der Zusammenarbeit sowie der Unterstützung in den internationalen Foren und Organisationen wie ASEM und den Vereinten Nationen.

Die Frau Bundeskanzlerin und ich haben uns auch viel Zeit dafür genommen, über die regionalen Fragen zu sprechen. Natürlich geht es um die Ostsee-Frage (redaktioneller Hinweis: gemeint ist die vietnamesische Ostsee). Ich habe nochmals die Position von Vietnam bekräftigt, die Streitigkeiten durch friedliche Mittel zu lösen. Es darf keine Gewalt angewendet werden, und es darf auch nicht mit Gewaltanwendung gedroht werden. Das soll im Sinne der Absichtserklärung der Anrainerstaaten der Ostsee auch im Einklang mit dem internationalen Recht und der Seerechtskonvention von 1982 stehen.

Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, dass das Ergebnis der heutigen Konsultationen mit der Frau Bundeskanzlerin einen weiteren Beitrag dazu darstellt, die deutsch-vietnamesischen Beziehung zum beiderseitigen Nutzen weiter voranzubringen und zu vertiefen. Vielen Dank, meine Damen und Herren!

Frage: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, wie sehen Sie denn die Situation der Spannungen in der Ostsee? Wird Deutschland diese Frage offiziell beim ASEM-Gipfel in Mailand besprechen?

BK'in Merkel: Es ist in deutschem Interesse, dass wir frei zugängliche Seewege und auch spannungsfreie Zonen haben. Deshalb sprechen wir natürlich bilateral über dieses Thema. Aber wir werden dieses Thema sicherlich auch auf dem ASEM-Gipfel vonseiten der Europäischen Union ansprechen. Wir befürworten - da sind wir uns ganz einig - eine friedliche Lösung. Wir können uns regionale Diskussionen vorstellen, aber genauso auch internationale Streitschlichtungsmechanismen.

Frage: Ich habe eine Frage an den Premierminister, auch zu demselben Thema: Die Philippinen klagen ja in diesem Streit gegen China. Ich hätte ganz gerne gewusst, ob sich Vietnam ebenfalls dieser Klage vor dem Internationalen Seegerichtshof anschließen wird.

MP Dung: Meine Damen und Herren, liebe Freunde, Unabhängigkeit, Souveränität sowie territoriale Integrität sind doch allen Staaten in der Welt sehr heilig. Ich denke, Vietnam sowie auch andere Länder in der Welt werden alle Mittel dafür einsetzen, die Unabhängigkeit und Souveränität im Einklang mit dem internationalen Recht zu verteidigen. Ich bin der Meinung, dass dieses Rechtsmittel ein friedliches und auch sehr progressives Mittel ist, das auch die ganze Welt befürwortet.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, meine Frage ist noch nicht beantwortet worden: Wird Deutschland auch diese Ostsee-Frage auf dem ASEM-Gipfel zur Sprache bringen?

BK'in Merkel: Ich wiederhole es gerne noch einmal: Ja, nicht nur Deutschland, sondern durchaus auch die europäischen Institutionen werden dieses Thema der freien Seewege ansprechen.

Frage: Ich habe eine Frage an die Frau Bundeskanzlerin zum ASEM-Gipfel. Dort wird ja auch der russische Präsident vor Ort sein. Aus dem Kreml heißt es, dass es ein Gespräch zum Gasstreit und zur Ukraine-Krise zwischen ihm und Ihnen geben wird. Können Sie das bestätigen? Was erwarten Sie sich von diesem Gespräch?

BK'in Merkel: Es gibt jedenfalls Planungen für ein solches Gespräch mit dem russischen Präsidenten. Dabei wird die gesamte Bandbreite der Fragen im Zusammenhang mit der Ukraine - dazu gehört das Gas, aber dazu gehört auch das Minsker Abkommen - auf der Tagesordnung stehen, wie natürlich gegebenenfalls auch genauso andere internationale Fragen.

Ich erwarte mir einen offenen Meinungsaustausch und Fortschritte bei der Umsetzung des Minsker Abkommens. Diese Fortschritte sind bislang noch nicht so eingetreten, wie dies aus den Punkten des Minsker Abkommens hervorgeht. Deshalb werden wir darüber reden, wie wir das Minsker Abkommen dann auch in die Realität überführen können.