Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem tunesischen Ministerpräsidenten Essid

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich heute Premierminister Habib Essid hier bei uns in Berlin begrüßen kann. Es ist sein erster Besuch in Deutschland. Wir haben ihn natürlich auch wie immer mit militärischen Ehren empfangen und freuen uns. Es gibt auch Gespräche mit vielen Ministern, unter anderem mit dem Bundesaußenminister und dem Entwicklungsminister, und so zeigt sich auch die gesamte Breite unserer Zusammenarbeit.

Wir haben unsere Beziehungen zwischen Tunesien und Deutschland seit der Revolution 2011 schrittweise intensiviert und haben heute sehr enge Beziehungen. Das zeigt sich auch in dem offiziellen Besuch von Bundespräsident Gauck, der im April dieses Jahres stattgefunden hat. Ich hatte Staatspräsident Essebsi zum G7-Gipfel eingeladen, und seitdem haben wir im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft eine Vielzahl von Koordinierungen auch im Hinblick auf die Transformationspartnerschaft mit Tunesien durchgeführt.

Die Transformationspartnerschaft ist auch das Thema, an dem sich unsere Kooperation sehr stark entlang hangelt - ganz besonders im Entwicklungsbereich, natürlich auch in der Frage der Unterstützung der Wirtschaft, aber auch in der Frage der Unterstützung der politischen Strukturen beziehungsweise der Sicherheitslage. Wir wissen, dass Tunesien schreckliche terroristische Angriffe zu gewärtigen hatte, was natürlich auch gerade im Bereich des Tourismus in diesem Jahr erhebliche Folgen hatte. Wir hoffen, dass dies im nächsten Jahr besser sein wird.

Wir arbeiten im Sicherheitsbereich sowohl im Bereich der beiden Verteidigungsministerien als aber auch im Bereich der beiden Innenministerien zusammen. Bei der Zusammenarbeit der Innenminister geht es vor allen Dingen um die Grenzsicherung. Wir wissen, dass die Grenze nach Libyen eine komplizierte Grenze ist, und deshalb gibt es Training, Ausbildung und auch Ausrüstung im Bereich der bilateralen Grenzkooperation. Wir sind auch bereit, im Bereich der militärischen Zusammenarbeit bestimmte Ertüchtigungen zuzulassen, dann natürlich immer nach den jeweiligen Genehmigungsverfahren.

Zentral für uns ist die Belebung der tunesischen Wirtschaft. Deshalb haben wir heute in unserem Gespräch auch sehr ausführlich über die Wirtschaftsfragen gesprochen. Ich freue mich, dass wir im ersten Halbjahr des nächsten Jahres eine deutsch-tunesische Investorenkonferenz haben werden. Der Ministerpräsident hat mir seine Entwicklungsvorstellungen auch noch einmal schriftlich übergeben, sodass wir einen Rahmen haben, in dem wir diese Investorenkonferenz vorbereiten können.

Es geht dann natürlich im Kern auch um Arbeitsplätze, um Arbeitsplätze für junge Leute; die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch. Die 250 Unternehmen, die schon in Tunesien engagiert sind, werden ihren Teil dazu beitragen, auch für junge Leute Arbeitsplätze zu schaffen, aber wir müssen eben auch Wachstum kreieren und darüber hinaus Möglichkeiten schaffen. Hierfür ist eine Möglichkeit auch eine deutsch-tunesische Universität. Es gibt jetzt die Bereitschaft, hierfür ein Grundstück und auch Infrastruktur bereitzustellen, und wir werden jetzt Arbeitsgruppen bilden, um diese deutsch-tunesische Universität dann auch zu schaffen und einen Zeitplan dazu vorzulegen, in welcher Art und Weise das geht.

Wir haben uns natürlich auch über die Situation in der Nachbarschaft Tunesiens ausgetauscht, insbesondere über die Lage in Libyen. Deutschland wird nach der Arbeit von Herrn Léon demnächst den Libyen-Beauftragten der Vereinten Nationen stellen, den Herrn Kobler. Wir versuchen natürlich auch, mit den Nachbarn, und dazu gehört Tunesien, sehr eng zusammenzuarbeiten, um dem Ziel einer Einheitsregierung und einer Staatlichkeit in Libyen wieder näher zu kommen. Die Frage, wie es Libyen geht, hat auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Sicherheitsentwicklung von Tunesien großen Einfluss. Das heißt, wer Libyen hilft, der hilft auch Tunesien. In diesem Geiste werden wir unsere Arbeit hier auch sehr konzentrieren.

Ich freue mich, dass wir uns in wenigen Tagen beim EU-Afrika-Gipfel auf der Insel Malta wiedersehen werden. Ihr Anreiseweg ist kürzer als meiner. So sieht man, wie dicht Europa und Afrika doch aneinander grenzen. Ihre erfolgreiche Entwicklung ist auch gut für uns und umgekehrt, und deshalb noch einmal herzlich willkommen!

MP Essid: We can go swimming from Tunis to Malta!

BK’in Merkel: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das schwimmend schaffen würde, aber trotzdem ist der Weg kürzer.

MP Essid: Vielen Dank, Exzellenz, Frau Bundeskanzlerin, für dieses wichtige Treffen zwischen den Regierungsoberhäuptern Tunesiens und Deutschlands, das wir gerade hatten. Dies war natürlich eine Gelegenheit, die vielfältigen Kooperationsseiten zwischen Tunesien und Deutschland in allen Bereichen noch einmal zu besprechen. Es war ebenfalls eine Gelegenheit, meinen Dank an die deutsche Bundesregierung für die grenzenlose Unterstützung auszusprechen, die sie in der letzten, abgeschlossenen Übergangsphase gegenüber Tunesien geleistet hat. Sie stand stets an der Seite Tunesiens, auch in allen schwierigen Phasen.

Deutschland ist eines der wenigen Länder, aus denen die Anzahl der Investoren und Investitionen zugenommen hat. Seit dem Beginn der Revolution bis zum heutigen Tage haben nicht weniger als 50 neue Investoren in Tunesien investiert. Die Anzahl der Investoren in Tunesien stieg von 200 auf 250 an. Die deutschen Unternehmen, die in Tunesien präsent sind, beschäftigen mehr als 50.000 Menschen in Arbeitsplätzen in Tunesien; das ist natürlich sehr positiv zu bewerten.

Wir haben während unseres Treffens alle Kooperationsseiten besprochen: die Sicherheitsfragen sowie die fortbestehende Kooperationszusammenarbeit, um die Stabilisierung der Region zu fördern, insbesondere angesichts der Lage in Libyen. Wir hatten auch einen Austausch über die Pläne in Libyen in naher Zukunft, aber auch hinsichtlich der Schritte, die jetzt unternommen werden, was die Ausbildung der Sicherheitskräfte in Libyen angeht. Darin wird natürlich in Zukunft eine sehr große und sehr heikle Aufgabe bestehen. Es ging aber auch um die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern in der Phase nach der Wiederstabilisierung des Landes.

Über Libyen hinaus haben wir mehrere Themen von gegenseitigem Interesse besprochen, die die direkte Zusammenarbeit in allen Bereichen angeht. In unserem zukünftigen Entwicklungsplan gibt es Ziele, um die Investitionen zu fördern, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Das sind natürlich die Hauptziele für unsere zukünftige Übergangsphase in Tunesien. In diesem Zusammenhang wollen wir auch weiter zusammenarbeiten, um die Investitionen zu fördern. Es geht um Investitionen in Höhe von ungefähr 125 Milliarden Dinar, die auf mehrere Jahre verteilt sind. 35 Prozent davon sollen aus öffentlichen Mitteln kommen und 65 Prozent aus dem privaten Sektor. Wir haben uns in diesem Zusammenhang darauf geeinigt, dass die Zusammenarbeit auf beiden Ebenen geschieht. Wenn es darum geht, welche Sektoren und Bereiche vom öffentlichen Sektor gefördert werden, kann Deutschland natürlich auch eine Rolle spielen, ebenso, was die Infrastruktur, Autobahnprojekte, Umweltprojekte und Projekte der erneuerbaren Energien angeht. Wir werden natürlich versuchen, die Kooperation darauf zu konzentrieren, aber natürlich auch auf die berufliche Ausbildung. Das ist nämlich ein äußerst wichtiges Thema in der Übergangsphase.

Neben dem öffentlichen Sektor gibt es auch eine Zusammenarbeit bezüglich der Investitionsförderung im privaten Sektor. Wir haben uns darauf geeinigt, dass auch bestimmte Bereiche unterstützt werden, ganz besonders die Automobilindustrie, aber auch der Flugzeugbau. Dort sehen wir ein großes Potenzial der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.

Dies war ebenfalls eine Gelegenheit, noch einmal gegenüber der Bundeskanzlerin zu betonen, was die Teilnahme Deutschlands an der anstehenden Investorenkonferenz im ersten Quartal oder im ersten Drittel des Jahres 2016 angeht. Die Frau Bundeskanzlerin hat bestätigt, dass die deutsche Präsenz sehr deutlich und sehr groß sein wird, natürlich mit dem Ziel, die Projekte in Tunesien zu realisieren.

Das waren zusammengefasst die wichtigsten Themen, die wir besprochen haben. Darüber hinaus gab es natürlich mehrere wichtige Themen von gegenseitigem Interesse, sei es auf bilateraler oder auf multilateraler Ebene. Noch einmal vielen Dank!

Frage: Ich grüße Sie! Meine erste Frage richtet sich an die Bundeskanzlerin. Sie haben Libyen erwähnt. Wie bewerten Sie die Lage in Libyen, insbesondere die Sicherheitslage, zum jetzigen Zeitpunkt? Was ist die tunesisch-deutsche Kooperationsstrategie, um Libyen wieder zu stabilisieren?

Meine zweite Frage richtet sich an den tunesischen Premierminister, wenn Sie mir eine zweite Frage erlauben: Welche Position nimmt Deutschland in der zukünftigen Entwicklungsstrategie ein?

BK’in Merkel: Bevor ich meine Frage beantworte, möchte ich noch eine Sache nachholen: Ich habe dem Ministerpräsidenten natürlich ganz herzlich zu dem Friedensnobelpreis gratuliert, den das Quartett bekommen hat, das die Verfassung ganz wesentlich mit ausgearbeitet hat. Das ist nämlich natürlich auch ein Symbol für den Weg, den (Tunesien) seit 2011 zurückgelegt hat. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass diese Anstrengung auch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Was Libyen anbelangt, so richten wir unsere Bemühungen darauf, eine Einheitsregierung zusammenzubringen. Wir waren ja schon unter dem Vermittler Léon sehr weit gekommen, aber leider ist es dann doch nicht ganz gelungen. Ich glaube, dieser Weg muss weiter beschritten werden; denn eine Staatlichkeit kommt nur aus einer Regierung. Wir haben uns dann darüber ausgetauscht, dass natürlich alles getan werden muss, um auch die Sicherheit in Libyen zu gewährleisten, aber erst einmal müssen wir eine Staatlichkeit wiederherstellen. Damit wird unser Engagement dann nicht beendet sein, sondern dann müssen wir weiter sehen, aber dieser nächste Schritt steht jetzt an.

MP Essid: Zur Stellung, die Deutschland bei der Unterstützung Tunesiens einnimmt: Wie ich bereits erwähnt habe, wird es eine sehr wichtige Rolle sein, und die Rolle der deutschen Unterstützung der tunesischen Entwicklung ist bereits seit mehreren Jahren äußerst wichtig. Das gilt nicht nur für den öffentlichen Sektor, wobei ich diesbezüglich bereits mehrere Punkte erwähnt habe - die Infrastruktur, der Umweltbereich, aber auch die erneuerbaren Energien -, dies gilt auch für den öffentlichen Sektor. Die Frau Bundeskanzlerin hat auch bestätigt, dass der anstehende Entwicklungsplan weitere Unterstützung erfahren wird. Hinzu kommt aber natürlich der private Sektor. Auf dieser Ebene sollen auch mehrere Projekte und Vorhaben unterstützt werden. Vielen Dank!

BK’in Merkel: Gibt es noch eine tunesische Frage? – Gut, wenn es keine Frage gibt, gibt es keine Frage. Wir sind fertig.