Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem schweizerischen Bundespräsidenten Schneider-Ammann

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir heute den Bundespräsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Herrn Johann Schneider-Ammann, in Berlin begrüßen können. Ich begrüße ihn natürlich persönlich ganz herzlich. Wir sind gute Nachbarn und enge Freunde. Wir haben uns ausgetauscht. Uns verbindet eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, ebenso wie natürlich auch Sprache und Kultur viele gegenseitige Verbindungen haben. Es gibt einen unglaublich intensiven und engen Austausch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern unserer Länder im Grenzgebiet, aber auch weit darüber hinaus.

Unser enges Verhältnis zeigt sich auch darin, dass wir uns in diesem Jahr bereits vor Ihrem heutigen Besuch dreimal gesehen haben. Sie waren in diesem Jahr Partnerland bei der CeBIT, ich war dabei, als der Gotthard-Basistunnel eingeweiht wurde, und wir hatten noch einen schönen gemeinsamen Flug von der Mongolei nach Deutschland - Sie dann weiter in die Schweiz -, als wir vom ASEM-Treffen kamen.

Wir haben heute über unsere Wirtschaftsbeziehungen gesprochen. Der Rundgang über die CeBIT hat gezeigt, dass beide Länder sehr davon betroffen sind, dass die Digitalisierung Einzug in unsere Wirtschaft hält. Das Thema Industrie 4.0 beschäftigt beide Länder.

Wir haben uns über das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU unterhalten. Aus der Perspektive Deutschlands sind wir natürlich sehr daran interessiert, dass mit der Europäischen Union eine gute Lösung gefunden wird. Schon allein mit Blick auf die vielen Grenzgänger, die von Deutschland in die Schweiz gehen, ist das ein Thema. Ich denke, dass vonseiten der Schweiz hieran sehr hart gearbeitet wird. Ich hoffe, dass wir zu gemeinschaftlichen Lösungen kommen.

Wir haben uns über die Migration und die grenzpolizeiliche Zusammenarbeit ausgetauscht. Die Zusammenarbeit an der deutsch-schweizerischen Grenze funktioniert exzellent. Die Innenminister arbeiten auf das Engste zusammen. Ich möchte mich bei der Schweiz auch sehr herzlich bedanken. Sie sind eines der Länder, die wirklich versuchen, das Dublin-Abkommen bei allen Schwächen, die es hat, konsequent umzusetzen, und zwar mit großem Erfolg.

Ansonsten sind wir natürlich in ähnlicher Weise von den vielen regionalen Konflikten betroffen, die wir zu verzeichnen haben, ob es der schreckliche Bürgerkrieg in Syrien, der IS im Irak oder aber auch die Frage der Ukraine und des Verhältnisses zu Russland ist. Ich freue mich, dass wir über die Themen der bilateralen nachbarschaftlichen Beziehungen hinaus ein sehr umfassendes und ausführliches Gespräch hatten.

Noch einmal: Ganz herzlich willkommen!

BP Schneider-Ammann: Ganz herzlichen Dank! - Frau Bundeskanzlerin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich außerordentlich gefreut, hierher nach Berlin kommen zu dürfen. Die Chance, Frau Merkel das vierte Mal in meinem Präsidialjahr treffen zu können, ist einmalig, zeigt aber auch auf, wie intensiv das Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern ist.

Wir haben über die Wirtschaftsbeziehungen und die Migrationsfragen gesprochen. Frau Bundeskanzler hat es eben erwähnt. Ich wiederhole das nicht, sondern setze meinerseits den Punkt dort, wo es mir darum ging, Frau Merkel darüber zu informieren, wie der Prozess der Masseneinwanderungsinitiative in der Schweiz läuft, was der Nationalrat in der Herbstsession festgelegt hat, wie sich die vorbereitenden Arbeiten für den Zweitrat jetzt entwickeln, was der Zweitrat in der Wintersession mutmaßlich debattieren und beschließen wird und dass ich immer noch die Hoffnung habe, dass die Schweiz, was den Zuwanderungsaspekt und den Artikel 121a anbetrifft, noch in diesem Jahr zu einer Lösung findet - zu einer Lösung, die mit der Personenfreizügigkeit kompatibel sein muss, wenn wir in Brüssel Gnade finden wollen - das wissen wir -, aber auch zu einer Lösung, die im Innenverhältnis noch eine Mehrheit finden muss. Dass das kein Spaziergang ist, wissen wir ebenfalls. Mit anderen Worten: Das Parlament arbeitet. Es arbeitet an dieser Frage intensivst. Die große Kammer hat, wie gesagt, Position bezogen. Die Ständekammer ist daran, etwas Gescheites, Smartes, Klares, Akzeptables herbeizuzaubern, das nach Außen und nach Innen akzeptiert werden soll.

Wir haben auch das Thema Horizon 2020 ganz kurz angesprochen. Sie wissen, dass die Schweiz das Kroatien-Protokoll ratifizieren muss. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir voll assoziiert werden. Wir haben unsererseits die Ratifikation des Kroatien-Protokolls davon abhängig gemacht, dass eine Lösung im Bereich der Personenfreizügigkeit gefunden wird. Diese selbst auferlegte Bedingung muss erfüllt werden. Umso wichtiger ist daher, dass wir in der Wintersession den Zweitrat beschließen lassen können und uns dann auch noch in der Differenzbereinigung einigen, sodass wir eine Schlussabstimmung machen, die alle Voraussetzungen schafft, um einerseits in Sachen Personenfreizügigkeit vor das Volk treten zu können und andererseits in Horizon 2020 wieder mit von der Partie zu sein.

Die bilateralen Beziehungen, insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen, sind ausgezeichnet. Wir stehen in einem sehr intensiven Handelsaustausch. Die Schweizer Exportwirtschaft, insbesondere die Zulieferwirtschaft, profitiert von der enormen Performance der deutschen Industrie und der deutschen Exportindustrie. Das hat auch etwas mit dem Thema Währung zu tun. Wir können nur hoffen, dass Ihre Industrien so gut unterwegs bleiben und wir diese Pace mitmachen können.

Das gesagt, habe ich am Schluss die Freude, der deutschen Bundeskanzlerin Dankeschön für die Tatsache sagen zu können, dass wir im Finance Track der G20 wiederum mit von der Partie sein können - unter ihrer Führung. Das ist für uns eine sehr wichtige Angelegenheit. Ich bedanke mich sehr.

Wir haben auch noch ganz kurz über Flugplätze gesprochen. Heute wird in Paris ein Vertrag zwischen der Schweiz und Frankreich unterzeichnet, was den Flugplatz Bâle-Mulhouse anbetrifft. Es wäre ein guter Startpunkt, wenn wir heute auch einen neuen Impuls für die Lösung des Lärmdisputs geben könnten, den wir rund um den Flughafen Zürich haben. Das ist nicht nur eine Lärmangelegenheit, sondern vor allem auch eine Sicherheitsfrage.

Das gesagt, danke ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, herzlich, dass Sie mich empfangen haben. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Unterstützung, insbesondere auch dort, wo es darum geht, dass wir unser Verhältnis mit der Europäischen Union bezüglich der Freizügigkeiten neu definieren müssen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, unser Bundespräsident hat Sie ausführlich darüber informiert, was das Schweizer Parlament in Sachen Personenfreizügigkeit oder Beschneidung der Personenfreizügigkeit plant. Werden Sie als Freundin der Schweiz die Schweiz mit diesem Plan des „Inländervorrangs light“ in Brüssel unterstützen?

BK’in Merkel: Der erste Verhandlungspartner ist natürlich die Kommission. Ich weiß, dass der Schweizer Bundespräsident im engsten Austausch mit der Kommission steht. Natürlich ist für die Kommission auch die Einstellung der Anrainerstaaten der Schweiz, der Nachbarn, von großer Bedeutung, wenngleich alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit befinden.

Wir finden, dass sich die Verhandlungen so gestalten, dass ich der Weiterführung der Verhandlungen mit Optimismus entgegensehe. Ich werde mich aber hüten, auch angesichts der Beratungslage in der Schweiz, mich in irgendeiner Frage im Detail zu äußern.

Frage: Ich möchte direkt daran anknüpfen. Frau Bundeskanzlerin, muss man als EU mit Blick auf den „Brexit“ und die anstehenden Verhandlungen mit den Briten nicht eigentlich besonders hart mit der Schweiz umgehen, um keinen Präzedenzfall zu schaffen?

Herr Bundespräsident, sind Sie noch voll der Hoffnung, dass überhaupt ein Abkommen mit der EU beschlossen werden kann, bevor die Europäer wissen, was die Briten für ihre Austrittsverhandlung beim Thema Freizügigkeit wollen?

BK’in Merkel: Wenn ich versuche, mich einmal in die Rolle eines Schweizer Bürgers zu versetzen, dann würde es mir gar nicht gefallen, wenn ich plötzlich wegen der Entscheidung in einem ganz anderen Land in einem ganz anderen Licht betrachtet würde. Deshalb sollten wir als EU die Verhandlungen mit der Schweiz so führen, wie wir sie geführt hätten, wenn es die Frage des Austritts Großbritanniens nicht gegeben hätte. Denn auch dann hätten wir uns mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Wir haben uns schon vor dem Tag des britischen Referendums darüber unterhalten.

Ich kann nur sagen: Die deutsche Position hat sich durch das britische Referendum nicht verändert. Wir wollen eine Lösung. Wir wollen eine Lösung, die mit der Freizügigkeit verträglich ist. Wir haben immer wieder auch in Richtung Großbritanniens die Grundfreiheiten erwähnt. Aber für mich sind das zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte. Die Schweiz als ein mit der EU in vielen Fragen sehr eng verbundenes souveränes Land hat ein Anrecht darauf, in ihrer Eigenständigkeit und mit ihren Wünschen und ihren politischen Vorschlägen behandelt zu werden, ohne immer in einen anderen Kontext gestellt zu werden.

BP Schneider-Ammann: Wenn Sie mich fragen, ob ich die Hoffnung habe, dass ein Abkommen zustande kommen kann, dann antworte ich: Ja, ich habe sie selbstverständlich. Ich will und muss sie haben. Wir gehen darauf aus, dass wir möglichst schnell und nachhaltig geklärte Vereinbarungen kennen und damit unsere klaren Rahmenbedingungen nennen können. Denn das ist für die Investoren wichtig und dafür, den Standort anbieten und die Firmen bei uns investieren lassen zu können und damit Voraussetzungen für Wertschöpfung, um damit Beschäftigung zu sichern.

Mit anderen Worten: Es kann nicht schnell genug gehen. Ich habe allerdings Geduld und weiß, dass der Prozess langwierig ist. Aber die Jahre, die ins Land gehen könnten, bis man mit dem UK klar ist, wollen wir definitiv nicht abwarten müssen. Man kann es nicht besser sagen, als es die Kanzlerin eben getan hat. Es sind zwei unterschiedliche Dossiers. Man soll sie unterschiedlich behandeln. Wir sind unsererseits sehr daran interessiert, dass wir mit der Union in den kommenden Monaten klare Schritte vorwärts machen können.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, teilen Sie den Schweizer Standpunkt, dass weitere bilaterale Abkommen mit der EU auch ohne ein Rahmenabkommen abgeschlossen werden können, oder ist ein solches aus Ihrer, aus deutscher Sicht zwingend notwendig für die Weiterentwicklung jeglicher bilateraler Verhältnisse zwischen der Schweiz und der EU?

BK’in Merkel: Wir vertreten die Meinung, dass man ein solches institutionelles Abkommen braucht, um auch Rechtssicherheit in alle Richtungen zu haben. Wir haben uns darüber natürlich ausgetauscht. Ich habe verstanden, dass die Dinge aus Schweizer Sicht nicht alle auf einmal behandelt werden können. Aber mittelfristig - um es ganz vorsichtig zu sagen - können wir von diesem Thema nicht lassen, sondern es bleibt weiter auf der Tagesordnung.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie sprachen Konflikte an, von denen beide Länder mehr oder weniger gleichermaßen betroffen sind. Ich würde gerne zwei davon aufgreifen.

Erstens eine Frage zur Türkei an beide: Wie beurteilen Sie das jüngste Vorgehen gegen die Medien in der Türkei? Insbesondere Ihre Regierung, Frau Merkel, ist dafür kritisiert worden, dass Sie auf die jüngsten Verhaftungen in Verbindung mit „Cumhuriyet“ nur sehr weich reagiert haben.

Zweitens eine Frage zum Thema Klima, die vor allem an Sie geht, Frau Bundeskanzlerin: Die Bundesregierung kommt möglicherweise ohne eigenen Klimaschutzplan nach Marrakesch. Stattdessen gibt es gegenseitige Vorwürfe und Beschimpfungen innerhalb Ihrer Regierung. Werden Sie, wie es Frau Hendricks jetzt gewünscht hat und wie es bekanntermaßen Ihre Art ist, ein Machtwort sprechen?

BK’in Merkel: Zum einen, was die Türkei anbelangt: Es ist für mich, aber auch für die ganze Bundesregierung in höchstem Maße alarmierend, dass das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit immer wieder aufs Neue eingeschränkt wird. Das jüngste Beispiel dieser schon an sich sehr traurigen Entwicklung ist das, was sich mit den Redakteuren und auch dem Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“ abgespielt hat. Wir haben sehr große Zweifel, dass das den rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht.

Wir werden, wie wir es schon bei Herrn Dündar getan haben, auch bei den jetzt verhafteten Journalisten die Ermittlungen und die Verhandlungen genau verfolgen. Die Journalisten können sich unserer Solidarität gewiss sein, genauso wie all diejenigen, die in der Türkei unter erschwerten Bedingungen für Presse- und Meinungsfreiheit eintreten.

Der deutsche Botschafter, Herr Erdmann, hat gestern der Redaktion von „Cumhuriyet“ einen Besuch abgestattet, um zu unterstreichen, wie wichtig uns das Thema der Meinungs- und Pressefreiheit ist. Wir werden das auf allen Ebenen unserer Kontakte immer wieder deutlich machen. Natürlich spielt ein solches Thema auch in den Fragen der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union eine zentrale Rolle. Die Situation ist alarmierend.

Zum Klimaschutzplan. Ich habe heute mit der Ministerin gesprochen. Bislang haben keine Gespräche auf Ministerebene stattgefunden. Es ist ein ganz normales Verfahren, dass man beginnend auf der Ebene der Abteilungsleiter über die der Staatssekretäre bis zu der der Minister miteinander spricht. Erst dann, wenn in den bilateralen Ministergesprächen keine Einigung gefunden wird, muss man überlegen, wie man die Dinge auch seitens des Kanzleramts voranbringt. Dazu bin ich selbstverständlich bereit. Aber dazu muss erst einmal bis auf höchste Ebene verhandelt werden.

Ich würde mir wünschen, dass wir diesen Klimaschutzplan sehr zeitnah abschließen können. Allerdings fahren die Bundesregierung und die Europäische Union glücklicherweise mit einem ratifizierten Klimaabkommen nach Marrakesch. Wir haben auch sehr ambitionierte Ziele. Aber der Klimaschutzplan ist notwendig - so haben wir es auch in der Koalitionsvereinbarung vereinbart -, um zu untermauern, wie wir die Dinge bis 2030 und bis zur Mitte des Jahrhunderts gestalten wollen.

Dass zum Teil sehr schwierige Fragen zu klären sind, bestreitet auch die Ministerin nicht. Es geht um die Zukunft der Landwirtschaft, um Fragen der Automobilindustrie und des Kohlebergbaus. Sie können sich vorstellen, dass die Fachminister bestimmte Interessen zu vertreten haben. Aber in der Bundesregierung gibt es die einhellige Meinung, dass wir einen solchen Plan brauchen und uns den Klimaschutzzielen, die wir gemeinsam vereinbart haben, verpflichtet fühlen.

BP Schneider-Ammann: Natürlich erfüllt auch mich die Entwicklung in der Türkei mit großer Sorge. Die Werte wie Meinungsfreiheit müssen auch in jenen Breitengraden aufrechterhalten werden können. Ich denke, es ist wichtig, dass man mit der Türkei im Austausch und in Kontakt bleibt und die Türkei auf diesem Wege weiterhin fördert und fordert. Ich denke, das ist eine europäische Aufgabe, die wir alle miteinander wahrzunehmen haben.

Selbstverständlich kommentiere ich die innertürkischen Verhältnisse nicht.