Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem sächsischen Ministerpräsidenten Tillich bei der Regionalkonferenz der Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder

Im Wortlaut Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem sächsischen Ministerpräsidenten Tillich bei der Regionalkonferenz der Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder

in Bad Muskau

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Donnerstag, 6. April 2017

Ministerpräsident Tillich: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, meine sehr verehrten Damen und Herren, nochmals recht herzlich willkommen hier in Bad Muskau, im Schloss und im Ort des zweifachen Weltkulturerbes, zum einen als Muskauer Park und zum anderen als Geopark Muskau übrigens dem einzigen in Europa, der für sich in Anspruch nehmen kann, zweimal Weltkulturerbe zu sein.

Wir haben eine Tagesordnung gehabt und sie in vier wesentlichen Punkten miteinander abgearbeitet. Zum einen ging es um die gesamtdeutsche Strukturförderung nach 2020. Hier will ich deutlich sagen: Wir fordern nicht etwas mehr, sondern das, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, dass es danach eine an Bedürftigkeit orientierte Strukturförderung geben soll. Wir haben die Chance genutzt, heute deutlich zu machen auch im Hinblick auf die Bundestagswahl und die Koalitionsverhandlungen, die dazu anstehen, welches die hauptsächlichen Schwerpunkte der ostdeutschen Länder sind.

Wir haben uns dann über innovationspolitische Förderkonzepte des BMBF unterhalten. Dazu wird die Kanzlerin sicherlich noch etwas sagen. Frau Wanka hat hierzu letztendlich ein neues Programm vorgestellt, das Programm WIR!.

In Tagesordnungspunkt drei ging es um die ostdeutsche Infrastruktur, überregionale Erreichbarkeit und die Erschließung Ostdeutschlands. Wir haben auch versucht, darauf aufmerksam zu machen, dass, wenn wir hier alle Anstrengungen unternehmen, damit sich im Osten Deutschlands Wirtschaft stärker entwickelt und damit sich Forschung und Entwicklung hier zu Hause fühlen, natürlich auch die Erreichbarkeit eine der wichtigen Voraussetzungen ist Erreichbarkeit einerseits der Orte hier, aber natürlich auch die Möglichkeit, in der internationalen Arbeitsteilung aus den mitteldeutschen oder ostdeutschen Ländern hinaus in die Welt zu kommen.

Dann ging es noch um bedeutende bundesdeutsche und europäische Institutionen und deren Standortentscheidungen. Dabei haben wir noch einmal den deutlichen Wunsch seitens der ostdeutschen Länder unterstrichen, dass wir Berlin dabei unterstützen, sich erfolgreich für die Ansiedlung der europäischen Pharmaziebehörde stark zu machen, die so zumindest ist es vorgesehen London verlassen und an einem anderen europäischen Standort ihre Heimat suchen möchte. Wir haben uns ausdrücklich für Berlin als Standort ausgesprochen.

Wir haben dann natürlich auch andere Themen angesprochen, nämlich die Vereinbarung von 1992, dass im Zuge der deutschen Einheit bundespolitische Institutionen, die neu gegründet werden, zukünftig ihre Heimat im Osten Deutschlands haben sollten. Wir haben die Bundesregierung daran erinnert, dass es diese Zusage gibt und dass sie letztendlich nicht immer eingehalten worden ist. Wir bemühen uns darum, dass das zukünftig besser und konsequent eingehalten wird.

Das waren die Punkte, die mit der Bundeskanzlerin zu besprechen uns heute wichtig waren. Ich denke, dass das Interesse auch deutlich macht, dass es nach wie vor noch einen Unterschied in der Entwicklung zwischen West- und Ostdeutschland gibt, aber dass der Wiedervereinigungsprozess natürlich sehr weit gelungen ist. Dafür sind wir dankbar, auch für die Unterstützung, die wir aus dem Westen dafür erhalten haben. Aber es gibt eben durchaus spürbare Unterschiede. Um sie zu beseitigen, dafür sitzen wir als ostdeutsche Ministerpräsidenten zusammen um darüber nicht nur zu sprechen, sondern auch Vorschläge zu erarbeiten, wie man diese Unterschiede zukünftig beseitigen kann. Vielen Dank.

Bundeskanzlerin Merkel: Danke schön. Ich bin gern hier hergekommen zur Konferenz der Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer. Nicht nur weil Bad Muskau ein wunderbarer Ort ist, an dem man tagen kann, sondern auch wegen der Tatsache, dass wir in der Tat strukturelle Unterschiede haben. Um bloß eine Zahl zu nennen: Die neuen Länder haben beim Bruttoinlandsprodukt jetzt 73 Prozent erreicht. Aber das heißt eben, dass noch mehr als 25 Prozent fehlen. Das bedeutet, dass wir mit besonderen Maßnahmen darauf reagieren müssen.

Ich denke, dass die Tatsache, dass wir eine Einigung über den Bund-Länder-Finanzausgleich geschafft haben, für die neuen Bundesländer erst einmal ein gewisses Maß an Plansicherheit bietet. Aber es ist der richtige Zeitpunkt das will ich ausdrücklich betonen , um auch im Hinblick auf die Bundestagswahl und die dann zu erarbeitenden Koalitionsverhandlungen seitens der ostdeutschen Länder deutlich zu machen, wo ihre Erwartungen liegen, aber auch darauf hinzuweisen, dass bis zum Inkrafttreten des Solidarpakts die Zeit natürlich genutzt werden muss. Deshalb gibt es seitens der Bundesregierung das hat Frau Gleicke ja deutlich gemacht ein grundsätzliches Ja zur Verlängerung, Erweiterung und Weiterführung von ganz spezifischen strukturellen Hilfen für die neuen Bundesländer. Im Bereich von Forschung und Entwicklung hat Frau Wanka hier heute als Bundesforschungsministerin ein Konzept vorgestellt, das ich sehr begrüße.

Neben den noch vorhandenen Mitteln, die im Rahmen des Solidarpakts ausgegeben werden, soll es ein Programm WIR! geben, das sich mit der Förderung bestimmter Innovationen in Regionen beschäftigt und damit, Forschungskapazitäten mit Wirtschaftsorten zusammenzubringen. Wir wissen, dass die Industrie im Wesentlichen klein und mittelständisch ist. Gerade auch diese Unternehmen müssen eine Chance bekommen, ihre Forschungsausgaben erarbeiten zu können. Dazu brauchen sie Unterstützung.

Hier wurde heute gesagt, dass wir im Allgemeinen ein Drittel staatlicher Förderung und zwei Drittel Förderung von Forschung und Entwicklung in den Unternehmen haben. In den neuen Bundesländern ist das eher umgekehrt, weil die Hauptsitze der großen Unternehmen nicht hier in den neuen Ländern sind. Deshalb ist ein solches Programm im Wert von 150 Millionen Euro für die nächsten Jahre von allergrößter Wichtigkeit.

Ich unterstreiche, dass die Infrastruktur gut sein muss. Wir haben hierzu einige grenzüberschreitende Projekte im Schienenverkehr. Ich habe mich jüngst auch noch einmal mit dem tschechischen Ministerpräsidenten darüber ausgetauscht. Aber mit der polnischen Seite ist es das Gleiche. Dann haben wir natürlich auch den Breitbandausbau, der für die neuen Länder natürlich auch wichtig ist. Hier sind die neuen Länder in der Antragstellung für die 4 Milliarden Euro Förderung in auch ländlichen Regionen eigentlich sehr gut. Ich hoffe, dass die neuen Länder da auch mit Vorreiter werden können. Insgesamt also eine sinnvolle, konstruktive Diskussion.

Was die europäischen Behörden anbelangt, nehme ich den Wunsch der neuen Länder mit. Die Konzentration aller neuen Bundesländer auf den Standort Berlin für die EMA ist hilfreich. Es ist hilfreich, wenn wir eine Position haben, und diese wird jetzt in die Gesamtbetrachtung eingebracht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wir sind hier in der Lausitz, die in einem Strukturwandel steckt, weg von der Braunkohle. Wie will und wie kann die Bundesregierung diesen Strukturwandel flankieren und unterstützen?

Bundeskanzlerin Merkel: Wir haben auch darüber gesprochen. Wir haben den Klimaschutzplan so verabschiedet, dass noch Diskussionen stattfinden müssen. Anfang 2018 soll wohlgemerkt beim Bundeswirtschaftsministerium eine Kommission gebildet werden, die bis Ende des Jahres 2018 Vorschläge für diesen Strukturwandel macht. Vorher werden wir keinerlei Festlegung treffen.

Ich sage ganz klar: Erst muss die Perspektive für den Strukturwandel da sein, bevor wir dann auch über den Ausstieg aus der Braunkohle sprechen können, nicht umgekehrt, damit Zukunftsperspektiven gerade für die jüngeren Menschen, aber auch für die mittlere Generation und die älteren Menschen in dieser Region bestehen.

Die Wertschöpfung hat der sächsische Ministerpräsident noch einmal genannt. Durch den Braunkohleabbau sind hier große Wertschöpfungen angesiedelt. Man muss sich sehr gut überlegen, welche strukturellen alternativen Angebote man machen kann.

Ministerpräsident Tillich: Ich habe es der Bundeskanzlerin auch noch einmal gesagt. Wir hatten unlängst mit der LEAG ein Gespräch, natürlich in Vorbereitung auf die Entscheidung zum weiteren Abbauplan bei der Braunkohle, die vergangene Woche getroffen wurde. Die LEAG vergibt in der Lausitz jährlich Aufträge im Umfang von 1,4 Milliarden Euro an ihr direkt angehörige Unternehmen bzw. an Drittfirmen. Das ist eine Wirtschaftskraft, die wir natürlich auch zukünftig in dieser Region haben wollen. Dazu sollen die Anstrengungen dienen. Das ist die Voraussetzung für den Strukturwandel. Denn man will ja nicht weniger Wirtschaftskraft, sondern am Ende des Tages mehr Wirtschaftskraft. Deshalb bin ich der Bundeskanzlerin ausdrücklich dankbar, dass die Prioritätensetzung ist: erst alternative Arbeitsplätze, neue Arbeitsplätze, neue Industrien und dann der Rückzug aus der Braunkohle. So wird letztendlich ein Schuh daraus. Das heißt: Strukturwandel gemeinsam mit der Braunkohle.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, birgt die Diskussion um die weitere Strukturförderung aus Ihrer Sicht auch einen neuen Ost-West-Konflikt, wenn man etwa in bestimmte Regionen in NRW schaut? Sehen Sie das auch so, und was würden Sie dagegen tun?

Bundeskanzlerin Merkel: Wir haben eine ganze Menge der Förderprogramme sowieso schon so ausgelegt, dass sie insgesamt für strukturschwache Regionen in der Bundesrepublik Deutschland sind. Ich denke dabei etwa an die Förderung der ländlichen Räume. Die neuen Länder sind aber eben immer in einem überproportionalen Anteil dabei. Natürlich bedeutet strukturschwach immer: relativ zum Durchschnitt der jeweiligen Region. Dazu haben wir heute interessante Zahlen gehört. Diejenigen, die in NRW als nicht so strukturstark gelten, würden in den neuen Ländern immer noch ziemlich an der Spitze stehen. Auch das muss man im Auge haben.

Also: Die Programme werden schrittweise auf Gesamtdeutschland ausgedehnt. Aber das heißt im Gros dann immer noch, dass die neuen Länder die Inanspruchnehmer dieser Programme sind.

Ministerpräsident Tillich: Die Bundesregierung hat gerade zwei entscheidende Programme mit zum einen 3,5 Milliarden Euro und zum anderen 1,5 Milliarden auf den Weg gebracht. Dabei ist auch die Situation der Kassenkredite berücksichtigt worden. Es ist kein Geheimnis: Eines der Bundesländer, das davon am meisten profitiert hat, ist Nordrhein-Westfalen. Das heißt, es findet schon ein deutsch-deutscher Ausgleich in einem gewissen Maße statt.

Unsere Bitte ist ganz einfach auch im Hinblick auf diese zukünftige Förderung , dass man schon noch einen Unterschied zu einer punktuellen Strukturschwäche macht. Von uns wird ja nicht bestritten, dass es das auch in anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland gibt und dass es vielleicht auch eine flächendeckende Strukturschwäche gibt, auch in anderen Teilen, aber dass diese natürlich eine andere Berücksichtigung findet. Diese Regionen wie zum Beispiel die Lausitz, aber vielleicht auch die Eifel oder der Bayerische Wald werden vielleicht flächenmäßig strukturschwach sein. Dort muss es eine andere Reaktion darauf geben, als bei einer punktuellen Strukturschwäche, vielleicht in einer Stadt, die ich jetzt nicht aussuchen möchte, die aber für sich in Anspruch nimmt, dass sie strukturschwach ist. Dafür muss es unterschiedliche Betrachtungsweisen und Behandlungsweisen geben.

Frage: Ich würde gern noch zu einem anderen Thema fragen. Es geht um den mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien. Wenn sich herausstellt, dass das Assad-Regime tatsächlich dafür verantwortlich ist, was würde das für Sie bedeuten?

Sie haben vergangene Nacht mit Herrn Trump telefoniert. Wie interpretieren Sie seine Aussagen zu dem Geschehen?

Bundeskanzlerin Merkel: Ich will mich jetzt nicht in Interpretationen üben. Es ist ein barbarischer Angriff, der unbedingt aufgeklärt werden muss. Chemiewaffeneinsatz ist ein Kriegsverbrechen. Das heißt also: Wir müssen alles unternehmen, um die Ursachen aufzuklären. Leider spricht manches dafür, dass es vom Assad-Regime ausgegangen ist, auch die anschließende Bombardierung des Krankenhauses, in dem die Opfer versorgt wurden.

Man muss sagen, dass es eine Schande ist, dass keine UN-Sicherheitsratsresolution zustande kommt. Hier müssen gerade diejenigen, die sich verweigern, überlegen, welche Verantwortung sie damit auf sich nehmen. Diejenigen, die meinen, dass man den Dingen auf den Grund gehen müsse, werden das tun. Die Bundesrepublik Deutschland wird dabei sein.

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