Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten der Republik Armenien, Serge Sargsjan

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich begrüße heute den armenischen Staatspräsidenten Serge Sargsjan ganz herzlich bei uns in Berlin und in Deutschland. Wir haben dieses Treffen schon vor längerer Zeit vereinbart, um natürlich über die weitere Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen, aber eben auch der allgemeinen Situation zu sprechen. Wir begegnen uns des Öfteren, aber heute hier in Deutschland sind Sie ganz besonders willkommen.

Wir haben angesichts der aktuellen Lage natürlich über die jüngsten besorgniserregenden Entwicklungen in der Region im Zusammenhang mit Berg-Karabach gesprochen. Der Präsident hat mir seine Sichtweise dargelegt. Deutschland hat zurzeit den OSZE-Vorsitz inne und möchte deshalb als OSZE-Vorsitz - das macht der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in besonderer Weise - auch dabei helfen, bei der Minsk-Gruppe, die ja normalerweise die Verantwortung für die Lösung dieses Konfliktes innehat, eine konstruktive Rolle zu spielen. Es gibt dafür auch einen Sonderbotschafter, Herrn Kasprzyk, der dafür jetzt verantwortlich ist und der versucht, die Eskalation der Gewalt zu verhindern, schnell wieder zu einer Waffenruhe zu kommen und dann natürlich möglichst auch den Gesamtverhandlungsprozess voranzubringen. Allerdings haben wir hier in den letzten Jahren sehr, sehr wenige Fortschritte gesehen.

Ich denke, es ist von großer Wichtigkeit, dass die Konflikte natürlich möglichst gelöst werden. Man sieht das, weil natürlich gerade ein Land wie Armenien mit seiner geografischen Lage mit besserer Nachbarschaft, intensiverer Nachbarschaft und besseren Beziehungen sicherlich auch eine einfachere Entwicklung nehmen könnte. Deutschland möchte also konstruktiv helfen, Konflikte zu lösen. Aber ich bin mir bewusst: Was 23 Jahre dauert, ist jetzt auch nicht einfach durch einen Besuch oder einen neuen Anlauf zu lösen.

Wir haben natürlich über die wirtschaftliche Situation und über die internationale Situation gesprochen. Der Präsident hat betont, dass das iranische Nuklearabkommen aus der Perspektive Armeniens ein wichtiger Schritt ist. Ich habe noch einmal betont, dass die Entscheidung Armeniens auch im Verhältnis zur Europäischen Union, der Eurasischen Wirtschaftsunion beizutreten, aus unserer Sicht respektiert wird. Wir wollen kein Entweder-oder, sondern wir wollen gute Beziehungen zwischen Armenien und der EU entwickeln und gleichzeitig die Entscheidung respektieren, der Eurasischen Wirtschaftsunion beizutreten.

Wir haben mit Interesse - dabei ist Deutschland auch unterstützend tätig gewesen - den politischen Reformprozess in Armenien verfolgt, der auch mit Unterstützung der Venedig-Kommission stattgefunden hat. Ich glaube, das ist eine gute Voraussetzung dafür, die politischen und auch die wirtschaftlichen Prozesse transparenter zu machen, und ein absolut richtiger Schritt in eine wichtige Richtung.

Wir haben natürlich auch darüber gesprochen, wie das Verhältnis zur Türkei ist und ob man in diesem Zusammenhang auch die Kontakte, die es ja vor Jahren gab, wieder aktivieren kann. In der augenblicklichen Situation der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien sind die Voraussetzungen dafür natürlich nicht günstig; das habe ich auch anerkannt.

Wir möchten, dass Armenien eine gute Entwicklung nimmt. Wir möchten ein verlässlicher Partner für Armenien sein. Deshalb wünsche ich Ihnen, Herr Präsident, auf Ihrem gesamten Weg viel Erfolg. Deutschland wird Sie dabei, wo immer es möglich ist, unterstützen.

P Sargsjan: Vielen Dank, Frau Kanzlerin. Meine Damen und Herren, es ist für mich eine Ehre, erneut zu einem offiziellen Besuch im befreundeten Deutschland zu sein. Deutschland ist für Armenien sowohl auf der europäischen als auch auf der internationalen Ebene ein wertvoller, verlässlicher Partner und ein wichtiger Unterstützer. Ich danke Ihnen, Frau Kanzlerin, für die Einladung und den warmen Empfang.

Die Tagesordnung der Beziehungen zwischen Armenien und Deutschland ist äußerst breit. Sie schließt sowohl einen Rahmen multisektoraler und bilateraler Beziehungen als auch eine Kooperation zwischen Armenien und der Europäischen Union sowie die Friedensmission ein.

Selbstverständlich war ein erheblicher Teil unseres Gesprächs unter den Bedingungen der infolge des breit angelegten bewaffneten Überfalls Aserbaidschans auf Berg-Karabach in diesen Tagen entstandenen Situation diesem Problem gewidmet. Ich habe Frau Kanzlerin Merkel über die Geschehnisse dieser Tage ausführlich informiert. Armenien schätzt die Unterstützung des deutschen Vorsitzes in der OSZE beim Prozess der Regelung des Berg-Karabach-Konflikts, der unter der Schirmherrschaft der Kovorsitzenden der Minsker Gruppe der OSZE verläuft, sehr hoch. Deutschland hat den Vorschlag der Kovorsitzenden der Minsker Gruppe der OSZE, einen Mechanismus zur Untersuchung der Verletzungen der Waffenruhe zu schaffen, bestätigt. Armenien ist immer dafür wie auch für die Vorschläge zum Rückzug von Heckenschützen von der Kontaktlinie als einem Mittel der Festigung des Vertrauens gewesen. Diese Maßnahmen wurden aber nicht ins Leben gerufen.

Aserbaidschan ist kategorisch gegen die vertrauensbildenden Maßnahmen, indem es völlig andere Ziele verfolgt. Diese Ziele haben sich in der Nacht vom 1. zum 2. April des Jahres enthüllt. Unter Missachtung der mehr als 20 Jahre dauernden Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um den Frieden hat Aserbaidschan entlang der ganzen Kontaktlinie Berg-Karabach-Aserbaidschan Kriegshandlungen begonnen. Es hat präzedenzlos und faktisch einseitig eine Waffenruhe (aufgekündigt und einen) auch gegen die friedliche Bevölkerung gerichteten Angriff unternommen. Im Ergebnis dessen hat Aserbaidschan die Region erneut in einen heißen, die europäische Sicherheit bedrohenden Punkt verwandelt.

Das Volk Berg-Karabachs will keinen Krieg, sondern etwas Einfaches und Verständliches, für das alle kolonialisierten Völker immer gekämpft haben: Man will selbst über das eigene Schicksal verfügen und die eigene Zukunft frei meistern. Man will, dass die eigenen Kinder eine friedliche und glückliche Kindheit haben. Man will in einem Rechtsstaat leben. Einen weiteren Wunsch hat man dort nicht. Bereits seit fast 30 Jahren, seit 1988, sind diese Menschen dazu gezwungen, für diese Freiheit zu kämpfen und die Gleichheit ihrer Rechte im Vergleich mit denen anderer Völker jeden Tag zu beweisen. Es ist ihnen wirklich gelungen, unter den Bedingungen eines aufgezwungenen Krieges, einer unrechtmäßigen Blockade und unendlicher Verletzungen der brüchigen Waffenruhe richtige Schritte in diese Richtung zu machen. Sie erwarten von der internationalen Gemeinschaft nur eines, nämlich die Anerkennung dieses ihres Rechts. Davon habe ich der Frau Kanzlerin erzählt.

Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, der Bundesregierung und persönlich Frau Kanzlerin Merkel für die konsequente Unterstützung des Dialogs zwischen Armenien und der Europäischen Union zu danken. Das ist lebensnotwendig für uns als einem Volk, welches das europäische Wertesystem trägt und ihm folgt.

Meine Damen und Herren, Deutschland ist der zweitgrößte und unter den EU-Ländern der größte Handelspartner Armeniens. In einigen Tagen wird in Eriwan die Eröffnung der Vertretung der deutschen Wirtschaftsgemeinschaft erfolgen, was von einem vielversprechenden Wirtschaftspotenzial zeugt. Ich habe Frau Merkel gesagt, dass wir bereit sind, deutsche Geschäftsleute in Armenien zu empfangen.

Ich möchte hier die Gelegenheit wahrnehmen, besonders hervorzuheben, dass Armenien praktisch eine große Unterstützung vonseiten der deutschen Regierung zuteilwird. Das frischeste Beispiel ist die konsequente Hilfe der deutschen Regierung bei der Einbeziehung der internationalen Erfahrung in den Prozess der Verfassungsreform in Armenien.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass die armenische Seite ihr Mögliches für die Festigung der freundschaftlichen Beziehungen unserer Völker tun wird. Ich hoffe, dass unser nächstes Treffen mit der deutschen Staatsführung in Eriwan stattfinden wird. Vielen Dank!

Frage: Frau Kanzlerin, bekannte internationale analytische Zentren, darunter auch das amerikanische Unternehmen Stratfor, haben schon seit langem vorhergesehen, dass der Rückgang der internationalen Erdölpreise und die damit verbundene Verschlechterung der sozialen Lage in Aserbaidschan zu einem Krieg führen werde, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung Aserbaidschans abzulenken. Teilen Sie die Meinung der analytischen Zentren, dass diese Aggression gegen Berg-Karabach eigentlich zum Ziel hatte, die Aufmerksamkeit des eigenen Volkes abzulenken?

BK’in Merkel: Nein, dazu kann ich nichts sagen. Ich bin kein analytisches Zentrum. Ich bin eine Politikerin, die die Aufgabe hat - vor allem Dingen dann, wenn solche Konflikte auftreten -, zu versuchen, einen Beitrag zur Lösung zu leisten. Dazu muss man natürlich die Situation analysieren.

Ich glaube, das, was Deutschland jetzt tun muss, wird getan, nämlich als OSZE-Vorsitz hier auch eine bestimmte Verantwortung zu übernehmen. Genau deshalb hat unser Bundesaußenminister auch die Schritte eingeleitet, die eingeleitet wurden. Wir halten die Minsk-Gruppe und auch die Prinzipien für die Arbeit, die für diese Gruppe erarbeitet wurden, für eine vernünftige Grundlage. Jetzt müssen wir schauen, ob man die Stabilität möglichst schnell herstellen kann, und es versuchen. Es handelt sich, wie gesagt, um einen Konflikt, der jetzt schon seit vielen Jahren nicht gelöst wird, aber die Ereignisse der letzten Zeit zeigen, wie dringlich es ist, dass man zu einer Lösung kommt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die Türkei schon erwähnt. Nun wird voraussichtlich in den nächsten Wochen der Bundestag eine Resolution verabschiedet, in der einhellig von einem Völkermord an den Armeniern die Rede sein wird. Die Reaktionen der Türkei sind ja vorhersehbar. Worauf stellen Sie sich da ein? Haben Sie da schon einmal vorbereitend etwas unternommen?

Wenn ich das kurz ergänzen darf, habe ich auch eine Frage an den Präsidenten: Wie bewertet er die engen Beziehungen der Europäischen Union zur Türkei in der Flüchtlingskrise?

BK’in Merkel: Es ist richtig, dass es darüber im Deutschen Bundestag noch einmal eine Diskussion und auch eine Abstimmung geben wird. Das wird, glaube ich, auch von der türkischen Seite verfolgt und auch weiterhin verfolgt werden. Mehr dazu kann ich hier im Hinblick auf das Parlament heute nicht sagen.

P Sargsjan: (ohne Übersetzung)

BK’in Merkel: Können Sie den zweiten Teil der Frage noch einmal stellen, da er offensichtlich nicht übersetzt wurde?

Zusatzfrage: Ich wollte wissen, wie der armenische Präsident die enge Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der Türkei in der Flüchtlingskrise bewertet.

P Sargsjan: Es ist für mich natürlich schwer, die Aktivitäten beziehungsweise die Tätigkeit der Europäischen Union einzuschätzen. Ich bin dazu auch nicht berechtigt. Ich kann nur sagen, dass die Flüchtlingskrise für uns auch ein großes Problem ist; denn in Syrien und auch im Nahen Osten gibt es sehr viele armenische Gemeinden, und im Zuge dieses Konfliktes hat Armenien in der Zwischenzeit schon 20 000 Flüchtlinge aufgenommen. Ich kann es nicht über meine Zunge bringen, „Flüchtlinge“ zu sagen, weil das Menschen armenischer Abstammung sind. Immerhin ist die Zahl 20 000 für ein Land, welches nur 3 Millionen Einwohner hat, schon zu hoch. Diesbezüglich möchte ich natürlich auch der Frau Kanzlerin und der deutschen Regierung für die Unterstützung Armeniens danken.

Frage: Frau Kanzlerin, meine Frage bezieht sich auf das gleiche Thema, auf Berg-Karabach. Die Kovorsitzenden der Minsker Gruppe der OSZE erklären immer, dass die Frage auf der Grundlage von drei wichtigen Prinzipien gelöst werden müsse, nämlich der Nicht-Anwendung von Gewalt und von Drohungen mit Gewalt, des Selbstbestimmungsrechts und der territorialen Unversehrtheit. Welcher Meinung sind Sie? Kann diese Frage auch auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts gelöst werden?

BK’in Merkel: Ich glaube, dass es eine große Leistung war, diese Prinzipien zu entwickeln. Es hat sich dann nur herausgestellt: Wenn man entlang dieser Prinzipien arbeiten will, dann gibt es doch wieder Meinungsverschiedenheiten. Man müsste alles daransetzen, diese Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. Aber ich glaube, diese Prinzipien sollten wir jetzt nicht ändern. Vor allen Dingen müssen wir alles tun, damit nicht weiter Blut vergossen wird und Menschen ihr Leben verlieren. Insofern sind die Bemühungen, einen akzeptablen und dauerhaften Waffenstillstand hinzubekommen, jetzt von allergrößter Dringlichkeit; denn solange gekämpft wird, wird man im politischen Prozess mit Sicherheit nicht weiterkommen.

Frage: Herr Präsident, Russland ist einerseits militärische Schutzmacht für Ihr Land, andererseits der größte und wichtigste Waffenlieferant für Aserbaidschan. Wie beurteilen Sie die Rolle Russlands in diesen Konflikt?

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben ja auch miterlebt, wie der armenische Präsident gerade dieses Forum genutzt hat, um seine Sicht des Konflikts beziehungsweise der Eskalation darzustellen, auch sehr pointiert. Haben Sie nicht vor dem Hintergrund, dass es jetzt Bilder mit Ihnen und gleich mit Präsident Gauck geben wird, die Sorge, dass es das Missverständnis geben könnte, Deutschland würde Partei ergreifen, oder planen Sie sehr zeitnah einen ähnlichen Besuch auch mit dem aserbaidschanischen Präsidenten?

BK’in Merkel: Ich plane für den Juni - der Termin ist sogar schon vereinbart -, dass auch ein Besuch des aserbaidschanischen Präsidenten stattfinden wird und wir die Dinge dann natürlich auch aus dieser Perspektive diskutieren werden. Ich treffe Herrn Aliyev auch regelmäßig. Insofern versuchen wir also - anders kann man es ja auch gar nicht machen -, dadurch zu einer Lösung beizutragen, dass wir natürlich auch die verschiedenen Seiten hören.

P Sargsjan: In der Tat ist Russland unser strategischer Verbündeter, und wir sind auch Mitglied dieses Kollektivvertrags für Sicherheit. Es ist für uns natürlich ein Schmerz, wenn Russland - nicht nur Russland, sondern auch andere Länder der gleichen Organisation - Waffen an Aserbaidschan verkauft. Aber Sie werden sehr gut verstehen, dass unsere Möglichkeiten, auf diesem Prozess Einfluss zu nehmen, begrenzt sind.

Ich kann nur eines sagen: Heute hat Aserbaidschan vielleicht modernere Waffenarten, und die kriegerischen Auseinandersetzungen in den letzten drei Tagen haben gezeigt, dass Aserbaidschan über dieses Potenzial verfügt, aber die Macht und die Kraft bestehen nicht darin, ob die Waffen modern oder nicht modern sind - ehrlich und richtiger gesagt: gar nicht -, die Macht und die Kraft bestehen nicht in Panzern, sondern im Glauben, den die Karabacher und das armenische Volk allgemein haben, die eigene Heimat um jeden Preis zu schützen und zu verteidigen. Ja, wir kämpfen mit Waffen, die meistens aus den achtziger Jahren sind, aber der jüngste Konflikt in diesen drei Tagen hat gezeigt, wer wie kämpfen kann. Man vergleiche doch die Zahlen der Verluste auf der aserbaidschanischen Seite und auf unserer Seite sowie die Art, wie wir unsere Verluste und unsere Gesellschaft behandeln. Jederzeit haben wir die Öffentlichkeit darüber informiert, wie viele Verluste wir haben, wie viele Menschen gefallen sind und wie viele Verletzte wir haben. In Aserbaidschan finden Sie diese Informationen nicht.

Wissen Sie, der Krieg ist etwas sehr Schlechtes; ich sage damit natürlich nichts Neues. Auf der anderen Seite hat dieser dreitägige Krieg aber praktisch gezeigt, dass die besseren Gesellschaften auch besser kämpfen können, weil man auch eine Rückendeckung vom Volk erhält. – Danke schön!