Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten Vučić am 11. Juni 2014

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der neue serbische Premierminister, Herr Aleksandar Vučić, heute Berlin besucht und wir eine ausführliche Diskussion über die Perspektiven und die Situation in Serbien geführt haben.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, hier auch noch einmal meine besten Wünsche für die Menschen in Serbien auszusprechen, die unter einer schrecklichen Flut gelitten haben. Wir haben miteinander telefoniert. Deutschland hat auch Hilfe angeboten. Wir werden auch weiterhin unterstützend tätig sein, um bei der Überwindung dieser schrecklichen Folgen zu helfen.

Wir können sagen, dass die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern gut sind. Etwa 400.000 Serben leben dauerhaft in Deutschland. Wir sind auch einer der wichtigsten Handelspartner Serbiens. Deshalb haben wir natürlich auch darüber gesprochen, wie wir unsere ökonomischen Beziehungen verbessern können. Der Premierminister hatte noch einmal verdeutlicht, dass er mit einer sehr anspruchsvollen Reformagenda gerade die Fragen hinsichtlich Korruption und transparenter Gesetzgebung durchaus in den Fokus des Regierungshandelns rückt und in dieser Hinsicht in nächster Zeit auch sehr ambitionierte Gesetzesvorhaben im Parlament beraten wird.

Ich habe noch einmal von deutscher Seite aus deutlich gemacht, dass ein vermehrtes Engagement unserer Wirtschaft davon abhängen wird, wie transparent, durchschaubar und auch verlässlich die Rechtssituation in Serbien ist. Aber ich glaube, dass hier auch eine Menge getan wird und die GIZ auch ein guter Partner für Serbien in dieser Frage ist.

Wir haben die bedeutenden Fortschritte in der Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo gesehen, die auch dazu geführt haben, dass die EU-Beitrittsverhandlungen jetzt im Januar dieses Jahres aufgenommen werden konnten. Es geht jetzt um die Eröffnung der ersten Kapitel, die wir dann auch gemeinsam in Angriff nehmen wollen.

Wir haben, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich die gesamte Region erfolgreich entwickeln kann, als Bundesregierung für den 28. August alle Mitgliedstaaten des westlichen Balkan mit ihren Premierministern, Außenministern und Wirtschaftsministern eingeladen. Wir haben gerade auch noch einmal besprochen, dass für die wirtschaftliche Belebung der gesamten Region gemeinsame Infrastrukturprojekte von größter Bedeutung sind, damit sich Handel und Wandel in dieser Region gut entwickeln können und daraus auch ein Mehrwert für die Menschen entsteht.

Noch einmal herzlichen Dank für den Besuch! Ich glaube, dass die deutsch-serbischen Beziehungen mit Ihrem Besuch jetzt noch einmal einen wirklichen Fortschritt erfahren und dass unsere Zusammenarbeit in den nächsten Jahren noch enger sein wird, als das bisher schon der Fall ist.

MP Vučić: Vielen Dank an die Bundeskanzlerin! Ich würde gerne auf Serbisch reden, kann aber auch auf Englisch reden.

Wir schulden im Namen unseres Landes große Dankbarkeit für die Gastfreundschaft, die wir erfahren haben, und dafür, dass die Bundeskanzlerin in dieser schwierigen Zeit mit uns spricht. Wir haben über alle wichtigen Fragen gesprochen. Ich möchte nicht verbergen, wie ich das auch in Belgrad nicht getan habe, dass wir noch bessere Beziehungen zu Deutschland und eine stärkere deutsche Präsenz auf dem Westbalkan sowie natürlich in Serbien erreichen wollen, und wir wollen noch mehr deutsche Investoren in Serbien sehen.

Wir werden unsererseits das Unsrige tun. Wir werden in einem Monat ein Gesetz in Bezug auf Arbeit, Zwangsvollstrecker und einige weitere wichtige wirtschaftliche Gesetze verabschieden. Wir wollen Teil Europas sein. Wir wollen Teil der entwickelten Welt sein. Wir wissen, dass viele schwierige Aufgaben und Verpflichtungen vor uns stehen. Ich sagte, dass ich an die Stabilität des Westbalkans und daran glaube, dass Serbien ein Stabilitätsanker in dieser Region sein wird. Die Bundeskanzlerin sollte keine Probleme erwarten. Wir werden mit allen gute, nachbarschaftliche Beziehungen haben.

Wir sind, was Serbien anbelangt, zu einer noch engeren Zusammenarbeit im Rahmen unseres Marktes, im Rahmen des CEFTA, bereit. Wir haben darüber gesprochen, dass man im Rahmen dieses Marktes einfach die Grenzen überwinden sollte, die Lkws bis zu zwei oder drei Tage aufhalten. Wir sind für einen offenen Markt und einen offenen Wettbewerb, so schwer das für Serbien in diesem Moment auch sein sollte.

Wir haben auch über andere wichtige Fragen gesprochen. Natürlich ist Deutschland für uns das wichtigste Land in der gesamten Europäischen Union, und das kann ich auch nicht verbergen. Wir sind ein kleines Land; insofern können wir nicht sagen, dass wir ein Partner sind. Das heißt in erster Linie, dass wir auch in Serbien einiges ändern müssen. Wir müssen unser Wort halten. Ich habe der Bundeskanzlerin gesagt, dass wir immer ein Partner für Deutschland sein werden. Deutschland ist für Serbien das zweitwichtigste Export- und auch Importland. Das ist sehr wichtig für die Unternehmen. Je mehr wir in der Lage sind, mehr Investitionen nach Serbien zu holen, umso besser werden die wirtschaftlichen Beziehungen sein. Wir werden jedenfalls alles tun, um ein zuverlässiger Partner zu sein.

Vielen Dank noch einmal an die Bundeskanzlerin für die große Unterstützung während der großen Flut, die uns getroffen hat. Ich hoffe, die Bürger Serbiens werden sich in Zukunft genauso fühlen, wie ich mich heute hier in Deutschland gefühlt habe. Vielen Dank!

Frage: Ich würde Sie gerne etwas zum serbischen Weg in die Europäische Union fragen: Wie ist es mit den aktuellen Klagen über Medienzensur? Kann das diesen Weg Serbiens in die Europäische Union gefährden?

Vielleicht hat die Bundeskanzlerin Ihnen etwas empfohlen, da sie ja Erfahrung damit hat, wie man das Problem von Mitarbeitern regeln kann, die Plagiate verfasst haben.

MP Vučić: Auf die erste Frage kann ich antworten. Zur zweiten: Ich weiß nicht, wer hier Plagiate verfasst hat.

Was die erste Frage anbelangt, haben wir darüber gesprochen. Alles, was ich dazu zu sagen hatte, habe ich der Bundeskanzlerin gesagt. Wir haben natürlich bestimmte Probleme. Wir müssen Mediengesetze verabschieden. Wir sind ein freies Land, und doch sind wir immer bereit, Anmerkungen zu hören. Was die konkreten Vorwürfe angeht, entbehrten sie jeder Grundlage. So, wie ich das denen gesagt habe, habe ich das auch der Bundeskanzlerin gesagt. Ich spreche immer die Wahrheit, und ich sage sie allen immer offen ins Gesicht, egal, ob mir diese Wahrheit gefällt oder nicht.

Frage: Ich habe eine Frage an den serbischen Ministerpräsidenten. Es geht um die South-Stream-Pipeline. Es gibt die Forderung, der Bulgarien auch schon nachgekommen ist, dass man den Bau der South-Stream-Pipeline unterbinden soll. Ich hätte gerne von Ihnen gewusst, ob Sie für den Weiterbau dieser Pipeline sind oder den Bau stoppen werden.

Frau Bundeskanzlerin, nachdem Sie sich gerade mit dem EZB-Präsidenten getroffen haben, habe ich dazu eine Frage. Es gibt auch in der Union Kritik daran, dass die Niedrigzinspolitik die deutschen Sparer zu stark belaste. Teilen Sie diese Kritik beziehungsweise Sorge?

MP Vučić: Natürlich hängt das nicht von uns ab, sondern von Vereinbarungen zwischen Russland und der EU. Wir haben einen Vorvertrag und entsprechende Bauverträge unterzeichnet. Sie wissen, dass Gazprom mehrheitlicher Eigentümer von Naftna Industrija Srbije ist, unseres serbischen Gasunternehmens. Was in Zukunft passieren wird, werden wir sehen. Natürlich werden wir versuchen, unsere serbischen Interessen zu schützen. Aber das hängt natürlich auch von den Interessen Europas ab. Man kann bestimmte Länder nicht überspringen, um Serbien zu erreichen, aber wir müssen sehen, in welchem Zeitrahmen sich das abspielen wird.

BK'in Merkel: Was den Besuch von Herrn Draghi anbelangt, so ist es ja guter Brauch, dass wir die Entscheidungen der Europäischen Zentralbank nicht kommentieren; das sind unabhängige Entscheidungen. Wir sehen jedoch gerade durch die letzten Maßnahmen, dass die Eurokrise eben noch nicht vollkommen überwunden ist. Wir haben heute auch darüber gesprochen, dass der politische Beitrag sein muss, den Reformweg entschieden weiterzugehen. Deshalb ist es auch sehr wichtig, dass wir jetzt die inhaltlichen Diskussionen innerhalb der Europäischen Union darüber führen, welche Aufgaben wir für die nächsten fünf Jahren sehen und worauf wir uns konzentrieren müssen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und damit dann auch neue Arbeitsplätze in Europa zu schaffen.

Frage: Frau Kanzlerin, Sie haben am letzten Samstag für Ende August eine Konferenz zum westlichen Balkan angekündigt. Was erwarten Sie von dieser Konferenz?

Noch eine Frage: Was sind Ihre Erwartungen an die neue Regierung Mazedoniens, die nächsten Donnerstag im Parlament bestätigt werden wird?

BK'in Merkel: Unsere Erwartung als Bundesregierung bezüglich dieser Einladung ist, dass wir damit vielleicht einen Beitrag dazu leisten können, uns erstens besser kennenzulernen - auch wir in Deutschland wissen ja nicht alles über die Probleme der Länder in der Region -, zweitens aber auch die Kooperation in der Region zu verstärken, gerade wenn es um grenzüberschreitende Projekte geht, und somit auch einen Beitrag zur Annäherung der gesamten Region an die Europäische Union zu leisten. Unsere Vorstellung ist, dass dann Jahr für Jahr andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine ähnliche Konferenz veranstalten. Im nächsten Jahr werden dass zum Beispiel die Österreicher machen. Wir haben also schon eine Folgekonferenz geplant.

Zur zweiten Frage: Wir wollen mit Mazedonien vernünftig zusammenarbeiten, und ich würde mich natürlich freuen, wenn wir in den nächsten Monaten auch einmal zur Lösung des Namensproblems kämen. Das ist etwas, das wir noch nicht geschafft haben. Das hängt nicht alleine von Mazedonien ab, aber auch von Mazedonien.

Frage: Herr Ministerpräsident, ich würde gerne auf die erste Frage der Kollegin nach den Vorwürfen der Unterdrückung von Medien zurückkommen. Sie haben gesagt, das entbehre jeglicher Grundlage. Nun sind die meisten Medien in Ihrem Land im Staatsbesitz. Sind Sie denn im Hinblick auf den EU-Beitritt bereit, mehr Unabhängigkeit für die Medien zuzulassen?

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben Serbien eine klare EU-Beitrittsperspektive eröffnet, wenn es zum Beispiel in punkto Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftlicher Freiheit mehr tut und Fortschritte macht. An was denken Sie konkret?

MP Vučić: Bei uns ist die Mehrheit der Medien - ich denke, 80 oder 90 Prozent - in Privatbesitz, nicht in staatlichem Besitz. Aber ansonsten haben wir auch Gesetze. Meine Absicht im Wahlprogramm war - das ist wegen des regionalen Fernsehens auf Hindernisse gestoßen, in erster Linie bei Minderheiten -, dass wir durch die Gesetzgebung alle Medien privatisieren - das ist unser Wunsch - und damit eine volle Medienfreiheit gewähren.

BK'in Merkel: Wonach hatten Sie mich gefragt?

Zusatzfrage: Es ging um konkrete Fortschritte.

BK'in Merkel: Ich war jetzt gerade mit ARD und ZDF sowie der Frage beschäftigt, wie das bei uns mit dem Anteil von Medien in staatlichem und privatem Besitz ist.

Wir haben ja jetzt die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erlebt. Das heißt, es geht jetzt um die Öffnung der ersten Kapitel. Serbien wird wie jedes Land, mit dem wir Beitrittsverhandlungen führen, diesen gesamten Prozess durchlaufen müssen, dass alle Kapitel geöffnet und geschlossen werden. Dann werden die Erwartungen natürlich jeweils ganz konkret formuliert werden. Es wird dann um die Kapitel der Rechtsstaatlichkeit gehen, es wird um die Fortschritte im Prozess mit dem Kosovo gehen, es wird aber auch um wirtschaftliche Angleichungen gehen.

Ich finde es sehr ermutigend, dass der Ministerpräsident ja von sich aus sagt: Weil dieser Beitrittsprozess auch eine gewisse Zeit dauern wird, empfiehlt er, dass die anderen Länder, die auch solche Beitrittsperspektiven haben, und Serbien gemeinsam schon bestimmte Standards angleichen und sich sozusagen selbst auch eine gewisse Freihandelszone schaffen. Dann ist auch der Beitritt zur Europäischen Union einfacher. Aber man kann die Verhandlungsphase auch nutzen, um schon eine wirtschaftliche Belebung zu erzeugen. Das, finde ich, ist eine sehr spannende und sehr interessante Idee, über die wir dann auch während unseres Treffens am 28. August sprechen sollten. - Danke schön!