Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten der Slowakischen Republik, Fico

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass mein Kollege Robert Fico heute in Berlin zu Gast ist. Es ist seine erste Reise nach Berlin nach seiner Bestätigung im Amt als Ministerpräsident.

Diese Reise hat sehr viel damit zu tun, dass die Slowakei ab 1. Juli die Präsidentschaft der Europäischen Union übernehmen wird. Demzufolge haben wir natürlich auch sehr intensiv über die mögliche Agenda der slowakischen Präsidentschaft gesprochen, und zwar vor allen Dingen über die großen Themen. Ich will aber vorwegschicken, dass unsere bilateralen Beziehungen ausgezeichnet sind und dass wir deshalb nicht sehr viel Zeit auf diese Fragen verwenden mussten.

Wir haben sehr ausführlich über das Thema Migrationspolitik und der Herausforderungen gesprochen, vor denen wir stehen. Hier gibt es ein breites Feld von gemeinsamen Einschätzungen, was insbesondere die Umsetzung der EU-Türkei-Vereinbarung, den Außengrenzschutz, die Verstärkung des Außengrenzschutzes und auch die Bekämpfung von Fluchtursachen anbelangt. Deshalb glaube ich, dass die Gemeinsamkeiten hier bei Weitem überwiegen, auch in Bezug auf die vielleicht unterschiedlichen Bewertungen, die es in der Vergangenheit gegeben hat. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Slowakei in Bezug auf die Agenda, die vor uns liegt - das heißt, sich vor allen Dingen mit der Mittelmeerroute von Libyen aus zu beschäftigen -, als ehrlicher Mittler und als wirkliche Präsidentschaft auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union vereinen wird.

Wir haben darüber gesprochen, dass vor Beginn der slowakischen Präsidentschaft noch der 23. Juni liegt - das heißt das Referendum in Großbritannien - und dass wir gemeinsam der Meinung sind, dass wir uns wünschen, dass Großbritannien Teil der Europäischen Union bleibt, aber dass natürlich die Entscheidung in den Händen der Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens liegt.

Ein weiteres Thema war das Thema Energiepolitik. Hier geht es darum, den Energiebinnenmarkt zu vervollkommnen und auch die Klimapolitik, die Umsetzung der Pariser Beschlüsse, voranzutreiben. Auch hier gibt es eine Vielzahl von gemeinsamen Einschätzungen.
Insofern bedanke ich mich für den Besuch. Ich glaube, es war ein konstruktives Gespräch. Wir werden als Bundesrepublik Deutschland alles daran setzen, die slowakische Präsidentschaft bei der Umsetzung ihrer Ziele auch zu unterstützen.

MP Fico: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela, ich möchte mich für dieses Arbeitsgespräch bedanken.

Genauso wie du werde ich mit den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Slowakei beginnen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Deutschland der wichtigste Handelspartner der Slowakei ist. Beleg dafür sind mehr als 400 Gesellschaften, Firmen, die in der Slowakei mit einem Umsatz von mehr als 15 Milliarden Euro agieren. Deswegen liegt uns sehr daran, dass diese gemeinsame wirtschaftliche Zusammenarbeit auch weiterhin fortgeführt wird und dass dies eine Zusammenarbeit ist, die gut für beide Seiten, für beide Länder sein wird.

Meine Damen und Herren, ich bin nach Berlin gekommen, um in erster Linie die Prioritäten der EU-Ratspräsidentschaft der Slowakei vorzustellen. Ich möchte Sie nicht mit Formalitäten belasten. Ich werde nur wiederholen, dass wir vier Bereiche sehen, auf die die Slowakei großen Wert legt. Das ist erstens ein ökonomisch starkes Europa, zweitens die Vorteile eines Binnenmarkts, drittens die nachhaltige Migrations- und Asylpolitik und viertens Europa als ein globaler Spieler, der dort engagiert ist, wo es möglich und wichtig ist.

Wir agieren natürlich weiterhin rationell und pragmatisch. Wir sind uns dessen bewusst, dass unsere Vorstellungen über den Vorsitz der Ratspräsidentschaft auch externe Faktoren beeinflussen können. Das betrifft in erster Linie den 23. Juni, an dem die Volkabstimmung in Großbritannien stattfinden wird. Trotz negativer Meinungsumfragen hoffen wir weiterhin alle sehr, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Zweitens ist es die Migrationspolitik und die Migrationskrise, die es auch weiterhin geben wird. Wir werden darüber auch zukünftig intensiv diskutieren.

Ich möchte hier in Berlin zum Ausdruck bringen, dass wir als Vorsitzland der EU ein Interesse daran haben, dass vor allem eine Agenda in den Vordergrund gestellt wird, über die wir der gleichen Meinung sind. Es gibt viele positive Punkte - zum Beispiel der gemeinsamen Schutz der Außengrenzen und die Küstenwache -, wo wir ein politisches Abkommen und dessen Umsetzung erwarten.

Ein weiteres Thema war das Projekt „Smart Borders“, das die Kommission angeboten hat, sowie die Blue Card der EU, die auch ein positives Projekt ist. Wir denken, dass es schleunigst zu einer Umsetzung dieser Projekte kommen sollte. Wir möchten dann auch einen weiteren Raum für die Diskussion in Bezug auf weitere Themen schaffen.

Wir möchten als Vorsitzland ein sehr ehrlicher, aufrichtiger Vermittler für jene Partner sein, die vielleicht nicht der gleichen Meinung sind. Ich möchte Ihnen versichern, dass wir auch ein Interesse daran haben, dass die Agenda näher zu den Menschen gebracht wird, weil diese Agenda sehr kompliziert ist. Wir verwenden in Brüssel oft eine sehr komplizierte Sprache. Es ist vielleicht sozusagen unser Mindestprogramm, dass wir diese Agenda den Menschen in einer menschlichen Sprache näherbringen.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir über die Zukunft Europas geredet haben. Ohne Rücksicht darauf, wie die Volksabstimmung in Großbritannien ausgehen wird, kann ich sagen: Europa wird anders. Entweder werden wir die Implementierung des Abkommens zwischen Großbritannien und der Europäischen Union lösen oder den Austritt eines Landes meistern müssen. Das ist eine Herausforderung, die wir noch in dieser Form nie meistern mussten. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir über die Form Europas und der Europäischen Union in der künftigen Jahren diskutieren sollten. Die Slowakei möchte als ein Land, das den Vorsitz in der EU inne haben wird, dabei eigene Visionen anbieten.

Frau Bundeskanzlerin Merkel hat die Energiepolitik angesprochen, über die wir gesprochen haben. Das Energieprojekt Nord Stream ist ein sehr wichtiges Projekt, mit dem viele Fragen verbunden sind, auf die man Antworten suchen muss. Wir haben aber auch über andere Themen gesprochen, die die Frau Bundeskanzlerin schon angesprochen hat.

Ich freue mich sehr, dass ich die Gelegenheit bekomme habe, den Vorsitz unserer EU-Ratspräsidentschaft hier vorzustellen, deren Programm wir am 30. Juni nach dem EU-Gipfel verabschieden werden. Ich wiederhole: Die Slowakische Republik wird ein ehrlicher Vermittler sein. Wir werden alles dafür tun, dass unsere EU-Ratspräsidentschaft sehr gut an eine sehr erfolgreiche niederländische Ratspräsidentschaft anknüpft. Ich hatte gestern ein gutes Treffen mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Ich habe ihm gesagt, dass ich den Hut vor dem ziehe, was die Niederländer geschafft haben. Ich hoffe, dass wir daran anknüpfen und in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 eine gute Ratspräsidentschaft haben werden. Nochmals vielen Dank.

Frage: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, das Thema Nord Stream wurde angesprochen. Mehrere Länder kritisieren dieses Projekt - auch die Slowakei tut dies - und sagen, dass dies angeblich ein heuchlerisches Projekt ist, weil es auf der einen Seite von Deutschland und deutschen Politikern unterstützt wird, aber auf der anderen Seite die Europäische Union Sanktionen gegen Russland eingeführt hat, die auch die Slowakei kritisiert hat. Können Sie uns sagen, was Sie dazu besprochen haben? Wie empfinden Sie diese Kritik?

Herr Premierminister, bitte nehmen Sie dazu auch Stellung.

BK’in Merkel: Von meiner Seite will ich erst einmal sagen, dass wir Nord Stream als ein wirtschaftliches Projekt betrachten, das natürlich nach Recht und Gesetz realisiert werden muss. Das heißt, die Europäische Kommission muss entscheiden, ob es unter die Regelungen des dritten Energiebinnenmarktpakets fällt oder welche Reglungen einzuhalten sind.

Aus politischer Sicht ist mir wichtig - darüber haben wir auch gesprochen -, dass sowohl die Ukraine als auch die Slowakei durch ein solches Projekt nicht in unangemessener Weise getroffen werden. Wir haben ein Interesse daran, dass, was die Slowakei angeht, die heute durchaus aus der Durchleitung von Gas eine wirtschaftliche Kraft schöpft - genauso ist es mit der Ukraine -, nicht eine völlige Kappung dieser Leitungen stattfindet. Deshalb unterstützen wir das Ansinnen von Kommissar Šefčovič, dass wieder trilaterale Gespräche zwischen der Ukraine, Russland und der Europäischen Kommission stattfinden und dann auch die Interessen der Slowakei berücksichtigen.

Was die Sanktionen anbelangt, so ist ganz klar, weshalb sie verhängt wurden. Die wirtschaftlichen Sanktionen sind vor allen Dingen wegen der Situation in Donezk und in Lugansk in der Ostukraine verhängt worden. Wir arbeiten gerade in diesen Tagen wieder sehr intensiv daran, dass das Minsker Abkommen umgesetzt wird. Soweit die Sanktionen verhängt wurden, müssen sie auch eingehalten werden, solange der Ausgangspunkt der Sanktionen nicht beseitigt ist. Das Minsker Paket wäre eine Möglichkeit, aus diesen Sanktionen auch wieder herauszukommen.

Aber soweit ich es sehe, ist das Projekt Nord Stream von solchen Sanktionen nicht betroffen. Deshalb müssen wir hier auf die Einhaltung europäischen Rechts setzen.

MP Fico: Im Rahmen der Europäischen Union haben wir Regeln verabschiedet, wie wir uns bei energiewirtschaftlichen Projekten verhalten. Diese Regeln haben wir in das Konzept der Energiepolitik der Union mit eingeschlossen. Uns interessiert prinzipiell - jetzt spreche ich für die Slowakei -, ob das Projekt Nord Stream 2 den energiewirtschaftlichen Kriterien entspricht, die wir im Rahmen der Europäischen Union verabschiedet haben, oder nicht. Wir warten hierzu auf eine qualifizierte Antwort seitens der Europäischen Kommission.

Zweitens interessieren uns auch unsere eigenen Interessen, die darin bestehen, dass die Slowakei hohe Finanzmittel verlieren könnte, die mit dem Transit, mit der Durchleitung russischen Gases Richtung Westen verbunden sind. Das heißt, wir suchen eine Antwort auf die Frage: Wie könnte die Kompensation aussehen? Was könnte die Slowakei anbieten? In dem Projekt Nord Stream 2 können wir die Kapazität des slowakischen Leitungsnetzes für den Transit nutzen.

Es gibt natürlich auch eine weitere Dimension, die internationale Dimension. Die Slowakei ist ein Land, das der Ukraine in einer Zeit, in der man im Europäischen Rat sehr oft darüber diskutiert hat, sehr geholfen hat. Die Slowakei hat den „Rückflow“, das heißt Erdgas in der Richtung aus der Slowakei in die Ukraine, gesichert. Dadurch haben wir eine legitime Frage: Können wir auch der Slowakei helfen, nämlich dadurch, dass ein bestimmtes Volumen über die Slowakei aufrechterhalten wird?

Das heißt, es ist eine Kombination mehrere Faktoren: die Abstimmung und Identifikation mit der Energiewirtschaft in der Union, die Interessen der Slowakei, aber auch globale Fragen: Was können wir international mit der Ukraine kombinieren? Wenn wir das kombinieren können, dann können wir gemeinsam weiterleben. Wenn wir das nicht kombinieren können, dann wird es auch weiterhin die Stimmung geben, dass dieses Projekt sehr viele Fragen aufwirft.

Frage: Sowohl an den Ministerpräsidenten als auch an die Bundeskanzlerin: Sie haben sich jetzt wieder sehr zurückhaltend zum Thema „Brexit“ geäußert. Hat sich angesichts der Meinungsumfragen nicht gezeigt, dass die Strategie der Europäer, sich zurückhaltend zu verhalten, falsch ist, weil die „Brexit“-Befürworter immer mehr an Boden gewinnen? Wäre es nicht Zeit, wie Herr Tusk und Herr Juncker heute Vormittag klipp und klar zu sagen, welches die möglichen negativen Folgen für die Briten wären, wenn sie für ein Ausscheiden votieren? Welche wären es?

Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie erlauben, noch eine Nachfrage: Herr Obama ist heute in Orlando, um der Opfer zu gedenken. Als Sie in China waren, hat der chinesische Präsident Obama persönlich in einem Telefonat kondoliert. Sie haben es schriftlich getan. Hing das damit zusammen, welche Art Anschlag es war, welche Opfergruppen es gab? Woran lag es, dass Sie Obama nicht auch persönlich angerufen haben?

BK’in Merkel: Zunächst zu Großbritannien. Ich habe öffentlich vor wenigen Tagen schon einmal darauf hingewiesen, was ein Austritt Großbritanniens bedeuten würde: Dass alles, was mit dem Binnenmarkt zusammenhängt und was zum gegenseitigen Wohle sowohl Großbritanniens als auch aller anderen europäischen Mitgliedsstaaten ist, für Großbritannien dann natürlich nicht mehr zur Verfügung stünde und dass jede Art von Verhandlung, die wir heute als gemeinsame Mitglieder von 28 Mitgliedsstaaten führen, dann eine Verhandlung von 27 mit jemandem wäre, der eben ein Drittstaat ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das von Vorteil ist.

Dennoch bleibt es eine Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens. Ich habe für mich jedenfalls vielfach gesagt, dass wir uns einen Verbleibt Großbritanniens in der Europäischen Union wünschen. Das werden wir auch in den nächsten Tagen so tun.

Was das Attentat und das Massaker in Orlando anbelangt, so habe ich dem amerikanischen Präsidenten meine tiefe Anteilnahme und auch die der Menschen in Deutschland mitgeteilt. Heute wird sicherlich ein sehr bewegender Moment sein, wenn der amerikanischen Präsident an den Ort dieses schrecklichen Massakers fahren wird.

Die genauen Hintergründe sind noch nicht vollkommen bekannt. Aber eines wissen wir: Der Attentäter war sich vollkommen klar darüber, dass er in dem Nachtclub lesbische und schwule Menschen antreffen wird - und genau auf diese Menschen war sein Attentat und das Massaker gezielt.

Neben der tiefen Anteilnahme gegenüber den Angehörigen der 49 Opfer empfinde ich vor allen Dingen auch Beunruhigung darüber, dass wir gerade gestern wieder Umfragen gehört haben, wonach sich die Haltung der Menschen auch in Deutschland zu den Homosexuellen, zu Lesben und Schwulen verändert und die homophobe Haltung zugenommen hat. Das ist ein Warnsignal. Deshalb will ich noch einmal deutlich machen, dass mein Denken und Handeln davon geleitet ist, dass unser Leben in offenen und freien Gesellschaften vom Respekt gegenüber dem jeweils anderen geprägt sein muss, egal was er glaubt, egal wie er aussieht und egal wen er liebt. Wichtig ist, dass wir verstehen, dass in solchen Gesellschaften nicht Gruppen einander gegenüberstehen. Sondern es gibt immer nur Menschen. Diese Menschen leben jeder in seiner eigenen Würde und mit seinem eigenen Recht, sein Leben zu leben. Nur so können wir in unseren Gesellschaften jeden Hass auf den Nächsten verhindern und bekämpfen. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft stark genug ist, auch diesen bedrückenden Hass zu überwinden und ihm zu widerstehen.

MP Fico: Erlauben Sie mir, kurz zum Thema der Volksabstimmung in Großbritannien am 22. Juni Stellung zu nehmen. In erster Linie denke ich - das ist meine persönliche Meinung dazu -, dass ein jegliches Eingreifen und jegliche Erklärungen gegenüber dem Wähler in Großbritannien außerordentlich kontraproduktiv sein könnten. Wir können nur unsere Wünsche zum Ausdruck bringen. Unser Wunsch ist, dass Großbritannien bleibt, dass es in der Union und ein Bestandteil der Europäischen Union bleibt, weil wir denken, dass das gut ist - sowohl für Großbritannien als auch für die Europäische Union.

Erlauben Sie mir auf der anderen Seite, mich in Fußballrhetorik auszurücken: Wenn eine Mannschaft in der 90. Minute mit 0 zu 3 Toren zurückliegt, dann kann ich realistischerweise nur schwer glauben, dass dieses Ergebnis noch umgedreht wird und wir mit 4 zu 3 Toren gewinnen. Das heißt: Wir müssen realistisch bleiben. Wenn wir die Entwicklung in Großbritannien verfolgen, dann müssen wir uns sehr professionell auf beide Szenarien vorbereiten, weil es ein anderes Europa geben wird ohne Rücksicht darauf, wie die Volksabstimmung ausgehen wird, ob es für die EU positiv oder negativ ausgeht. Ich freue mich, dass wir mit der Frau Bundeskanzlerin darüber einer Meinung sind, dass wir in Europa mehr tun müssen.

Wir müssen mehr anbieten, wir müssen ein sehr gutes und verständliches Programm anbieten. Wie die 28 Länder bei solchen Herausforderungen agieren müssen, ist ein Thema, das ich für das wesentlichste Thema halte. Ich würde daher jetzt nicht die juristischen Fragen - wie und was passiert, wenn es dazu kommt - in den Vordergrund stellen. Wir wünschen uns einen Verbleib Großbritanniens in der EU, aber wenn es zu einem Austritt kommt, dann müssen wir bereit sein. Wir haben daher auch mit der Frau Bundeskanzlerin sehr offen darüber gesprochen, welche Entwicklungen es nach der Volksabstimmung in Großbritannien geben kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wie nehmen Sie die Slowakei wahr? Wir übernehmen in ungefähr zwei Wochen die EU-Ratspräsidentschaft. Die Slowakei ist ein Land, in dem Sie gleiche Visionen sehen; wir haben aber trotzdem als Slowaken eine Klage bezüglich der Flüchtlingsquoten eingereicht. Was denken Sie diesbezüglich über die Slowakei?

BK’in Merkel: Wie ich schon zu Beginn sagte: Die Slowakei ist ein befreundetes Land. Die Slowakei hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht und ist auch ein wichtiger Wirtschaftspartner Deutschlands. Wir arbeiten also sehr eng zusammen, und wir wünschen der Slowakei vor allen Dingen viel Erfolg, auch was die Frage von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen anbelangt. Wir haben heute sehr intensiv über das Thema Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten der Globalisierung gesprochen, und das große Projekt der Europäischen Union muss sein, dass wir den Menschen nicht nur die demokratischen Grundwerte versprechen, sondern ihnen auch Arbeitsplätze und wirtschaftliche Prosperität bieten können.

Zum Zweiten: Es ist, glaube ich, ein großes Ereignis, dass die Slowakei zum ersten Mal die EU-Präsidentschaft hat. Im Jahre 2007 hat die Bundesregierung für Deutschland die EU-Präsidentschaft innegehabt, und auch damals war ich schon Bundeskanzlerin; das ist schon eine Aufgabe, aber es ist auch etwas sehr Ambitioniertes und sehr Schönes. Deshalb wünsche ich der Slowakei bei der Erfüllung dieser Aufgabe einfach großen Erfolg. Wenn man weiß, wie schwer es ist, die vielen Mitgliedstaaten zusammenzuhalten, dann wird man auch ein bisschen hilfreich, um der Präsidentschaft das Leben nicht unentwegt besonders schwer zu machen. Ich werde mir Mühe geben, mich während der Präsidentschaft der Slowakei zwar nach deutschen Interessen, aber auch kooperativ zu verhalten.

Drittens ist es so, dass wir in der Flüchtlingsfrage an einigen Stellen unterschiedlicher Meinung sind, was die Aufnahme von Flüchtlingen anbelangt, aber dass wir, was die Gesamtproblematik anbelangt - Fluchtursachen bekämpfen, im Schengen-Raum die Außengrenzen zu schützen und hierbei europäisch einheitlicher aufzutreten -, auch sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Was das Verhältnis des Ministerpräsidenten Robert Fico zu mir auszeichnet, ist, dass wir auch mit einem Dissens leben können und trotzdem sehr pragmatisch über die anderen Dinge sprechen können. Ich glaube, wir haben gute Chancen, in wichtigen Fragen auch sehr gute Lösungen zu finden.

Frage: Herr Ministerpräsident, Ihr Land stemmt sich ja weiter gegen eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Empfinden Sie, dass Deutschland Ihrem Land den Kurs aufdrückt, aufzwingt, und sehen Sie da noch Bewegung? Sie haben ja gesagt, in der Ratspräsidentschaft möchten Sie zwischen den Partnern, die unterschiedlicher Meinung sind, vermitteln.

Frau Bundeskanzlerin, ein Blick auf die heutige Ministerpräsidentenkonferenz: Die Länder fordern ja sehr viel mehr Geld, als der Bund bisher zur Bewältigung der Flüchtlingskosten anbietet. Wäre da Ihrer Ansicht nach noch Spielraum? Könnte das Spiel Deutschland gegen Polen heute Abend ein Anreiz sein, bis dahin eine Einigung zu haben? Gilt das vielleicht auch für die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten?

MP Fico: Das Leben ist sehr bunt und bietet uns verschiedene Ansätze und Lösungsmöglichkeiten an. Wir können uns doch nicht gegenseitig hassen, weil wir unterschiedlicher Meinung sind. Gerade in der Buntheit der Meinungen liegt der Grundgedanke der Europäischen Union; umso mehr müssen wir gemeinsame Lösungen anstreben und auch erzielen.

Erlauben Sie mir, dass ich Ihre Frage positiv beantworte: Als eine der Lösungen haben wir das sogenannte österreichische Modell angeboten, und wir bieten das auch weiterhin an. Wir in der Slowakei sind in der Lage, zum Zweck des Asylverfahrens mehr als 2000 Migrantinnen und Migranten gesundheitlich zu versorgen und ihnen auch Unterkunft, ein Dach über dem Kopf anzubieten. Wir hatten in der Slowakei eine größere Anzahl an Migranten untergebracht, als von der Gesamtanzahl von 360 000 in der EU tatsächlich umverteilt worden sind. Wir sind bereit, dieses Projekt fortzuführen, aber wir sind pragmatisch, wir denken sehr rational und wir betrachten die Realität sehr realistisch. Wir können uns vorstellen, dass es auch andere Lösungen geben kann, die Gegenstand des Gespräches gewesen sind.

Das ist auch unsere offizielle Stellungnahme zu der Ratspräsidentschaft. In erster Linie werden wir einen außerordentlich hohen Wert auf Fragen legen, in denen wir identischer Meinung sind - und das trifft auf 95 Prozent der Fragen zu. Beim Gipfel Ende Juni erwarten wir eine politische Entscheidung zum Schutz der EU-Außengrenzen und den Küstenwachen. Packen wir es an, nutzen wir die zweite Hälfte des Jahres 2016 dafür, dass wir diese Dinge umsetzen! Denn wir können uns vorstellen, dass der Schutz der Außengrenzen sehr wichtig ist. Wir wissen auch, wie wichtig die Kommunikation mit den Drittländern in Nordafrika und in Afrika überhaupt ist. Das sind unsere Schwerpunkte. Wir möchten natürlich auch die Aufgabe eines Landes, das die Präsidentschaft innehat, respektieren; wir dürfen das nicht missbrauchen, um in erster Linie eigene Interessen auf den Tisch zu legen. Die unterschiedlichen Meinungen bleiben, aber wir sehen nicht, dass dadurch negative Sachen entstehen würden.

BK’in Merkel: Ich zerteile die lange Frage einmal in drei Teile und beginne erst einmal damit, dass ich der deutschen Fußballnationalmannschaft allen Erfolg wünsche. Ich kann heute Abend leider nicht in Paris sein, aber ich hoffe, dass auch ich das Spiel im Fernsehen verfolgen kann.

Zweitens. Wir haben zwischen den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer und der Bundesregierung noch Gesprächsbedarf, was die finanziellen Fragen anbelangt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um darauf hinzuweisen, dass der Bund die während des Asylverfahrens entstehenden Kosten in Höhe von 670 Euro pro Flüchtling und Monat übernimmt und dass der Bund auch die Kosten übernimmt, wenn die Flüchtlinge zu großen Teilen in den Geltungsbereich des SGB II, also Hartz IV, überwechseln. Der Bund führt die Integrationskurse von 600 Stunden durch, der Bund beteiligt sich an den Kosten für die unbegleiteten Minderjährigen, und der Bund ist auch, was Wohnungsbauprogramme anbelangt, mit dabei. Wir werden natürlich darüber sprechen, inwieweit wir unterstützen können, aber wir werden auch darüber sprechen, dass wir als Bundesebene auch Aufgaben der Fluchtursachenbekämpfung und Aufgaben der Außengrenzsicherung haben. Das alles sind originäre Aufgaben des Bundes, und ich hoffe - kann es aber noch nicht sagen -, dass wir heute zu einer Einigung kommen.

Was die Einstufung der Maghreb-Länder als sichere Herkunftsstaaten anbelangt, weiß ich nicht, ob die Gespräche heute schon abgeschlossen werden können - sie laufen noch. Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir dieses Signal senden können. Das bedeutet ja nicht, dass die Betroffenen kein individuelles Asylverfahren bekommen; vielmehr bedeutet das, dass dieses Asylverfahren schneller stattfindet. Ich denke, insbesondere nach den Ereignissen von Köln erwarten die Menschen in Deutschland doch ein klares Signal. Die Anerkennungsquoten bei diesen Ländern sind so gering, dass wir - bei weiter geführter individueller Prüfung - doch versuchen sollten, die Verfahren so schnell wie möglich zu beenden. Wir haben ja alle miteinander bei den Balkanstaaten erlebt, dass in dem Moment, als wir diese Länder als sichere Herkunftsländer anerkannt haben und als die Verfahren schneller gelaufen sind, die illegale Migration doch erheblich eingeschränkt werden konnte. Ich glaube, dieses Signal sollten wir fortsetzen; das ist meine politische Einschätzung. Ob das im Bundesrat gelingt, werden wir vielleicht erst Freitag wissen.

Herzlichen Dank!