Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ministerpräsidenten der Republik Malta, Muscat

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung.)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass heute der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat hier in Berlin ist und ich ihn hier begrüßen kann. Wir haben uns sehr oft bei den Europäischen Räten getroffen und pflegen dort auch eine sehr enge Zusammenarbeit, aber heute ist er zum ersten Mal offiziell in Berlin.

Das freut uns sehr, ganz besonders deshalb, weil sich im Februar dieses Jahres auch zum 50. Mal die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Malta und der Bundesrepublik Deutschland jährt. Wir freuen uns natürlich darüber, dass wir in dieser Zeit eine sehr intensive, freundschaftliche bilaterale Beziehung aufgebaut haben, und zwar nicht nur auf der politischen Ebene, sondern auch viele Touristen besuchen Malta, freuen sich dort, lernen Sprachen, und insofern gibt es auch sehr enge Beziehungen.

Es gibt aber nicht nur zwischen den Menschen und den Politikern Beziehungen, sondern es gibt auch eine sehr enge wirtschaftliche Kooperation. Malta ist Standort vieler deutscher Unternehmen, die dort sehr erfolgreich wirtschaften. So sind es doch enge Brücken, die uns verbinden, obwohl die Distanz zwischen beiden Ländern erheblich ist.

Wir haben dann, weil wir wenig bilaterale Probleme haben - das ist ja ein gutes Zeichen -, sehr intensiv über die Situation in Europa gesprochen. Natürlich ging es um die Situation im Euroraum, aber auch um die Fragen der wirtschaftlichen Stärke, der Wettbewerbsfähigkeit, der Reformen, die wir jeweils in unseren Ländern durchführen, sowie der Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Wir haben uns neben dem Thema Russland-Ukraine natürlich auch mit dem Thema des Mittelmeerraums auseinandergesetzt. Auch dort gibt es Sorgen und Aufgaben. Hier hat der Premierminister insbesondere auf Libyen hingewiesen. Die Frage, wie sich Libyen weiterentwickelt, ist natürlich eine zentrale Frage. Ich denke, ein Land wie Deutschland, das jetzt auch sehr stark im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine engagiert ist, muss genauso wie alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eben auch schauen, dass es am südlichen Rand eine stabile Entwicklung gibt. Wir wissen nämlich alle: Die Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kommen, sind nicht die Flüchtlinge irgendeines Landes, sondern das sind unsere gemeinsamen Flüchtlinge. Deshalb hat der allgemeine Satz „Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen“ sehr viel damit zu tun, dass wir eben auch für die Stabilität von Ländern wie Libyen und anderer Länder Sorge tragen.

Insgesamt war es eine sehr intensive Diskussion. Die Zeit ist schnell vergangen. Ich denke, wir werden auch weiterhin sehr eng im Kontakt bleiben und bilateral zusammenarbeiten. Noch einmal ganz herzlich willkommen hier in Berlin!

MP Muscat: Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin, herzlichen Dank, Angela, für deine Gastfreundschaft! Ich freue mich sehr, dass wir heute hier sein können. Ich freue mich auch, dass ich auf diese Weise die Botschaft übermitteln kann, dass es Mittelmeerländer geben kann, die auch wirtschaftlich erfolgreich sind und die keine Probleme mit ihrer Wirtschaft oder mit ihren Finanzen haben. Ich denke, dass die Tatsache, dass wir heute hier sind, um auch 50 Jahre diplomatischer Beziehungen zwischen unseren Ländern zu feiern, ja auch eine bedeutsame Sache ist.

Wie die Bundeskanzlerin schon gesagt hat, haben wir eine ganze Reihe von Themen besprochen. Wir haben über die Zukunft der Eurozone gesprochen, hinsichtlich der wir als Mitglieder ja sehr engagiert sind. Wir fühlen uns den Regeln der Eurozone verpflichtet. Wir möchten, dass die Eurozone mit Disziplin gleichgesetzt wird - nicht mit Rigidität, aber mit Disziplin. Wir sind gegen eine laxe Attitüde, aber für Flexibilität, und zwar vor allem, wenn es um Dinge geht, die etwas mit den Regeln zu tun haben - Regeln, die aber nicht ins Übermaß ausarten sollten. Wir haben Bilanz gezogen, und ich denke, wenn wir Bilanz ziehen, dann muss man immer sagen: Man sollte die Wirtschaftssysteme vor allen Dingen der erfolgreichen Wirtschaften nicht zu sehr mit einem exzessiven Ausmaß an Regeln belasten.

Wir haben mit der Bundeskanzlerin über viele Themen gesprochen - was Nordafrika angeht, vor allen Dingen über das Thema Libyen. Natürlich ist es so, dass sich Europa im Moment vor allen Dingen auf seine Ostgrenze konzentriert. Die Krise in der Ukraine ist natürlich eine, die jeden Einzelnen von uns sehr besorgt macht. Aber Europa kann darüber nicht das Problem an seiner südlichen Grenze vergessen, wo wir jetzt schon fast einen sogenannten „failed state“ zu gewärtigen haben. Es gibt ja schon seit einiger Zeit Gespräche in Genf. Es gibt die Hoffnung, dass dabei etwas herauskommen wird. Wir gehören zu den Ländern, die sagen: Wenn es eine Regierung der nationalen Einheit geben sollte, die darum bittet, dass es eine VN-mandatierte Friedenstruppe geben soll, dann sollte man auch nicht zögern.

Frage: Sie haben beide öffentlich gesagt, dass Sie dagegen sind, dass man Griechenland die Schulden erlässt. Sie, Herr Premierminister, haben aber über Flexibilität und auch darüber gesprochen, dass man die Schuldenrückzahlung etwas verlängert. Sind Sie dabei auf der gleichen Wellenlänge, Frau Bundeskanzlerin? Frau Bundeskanzlerin, bis zu welchem Ausmaß sind Sie bereit, gegenüber den Griechen Flexibilität zu zeigen?

BK’in Merkel: Wir haben jetzt die ersten Tage der griechischen Regierung. Der griechische Finanzminister wird morgen unseren Finanzminister besuchen. Ich glaube, wir warten einmal ab, was genau die konkreten Vorschläge Griechenlands sein werden. Die Situation ist ja die, dass Griechenland im Augenblick in einem Programm ist, das auch bis Ende Februar verlängert wurde. Jetzt freuen wir uns auf die ersten Begegnungen, warten auf die konkreten Vorschläge, und dann können wir weiter miteinander sprechen.

Deutschland verfolgt seit Jahren eine Politik, die aussagt: Alles, was wir für Griechenland tun, ist darauf ausgerichtet, dass wir wollen, dass Griechenland Teil des Euroraums bleibt. So wird sich diese Politik auch fortsetzen; die ändert sich von deutscher Seite aus nicht mit einer anderen Regierung. Wir respektieren die Wahl des griechischen Volkes und warten auf die Vorschläge der neuen Regierung.

MP Muscat: Ich glaube, dass wir dabei auf jeden Fall auf der gleichen Wellenlänge liegen, auch wenn sich Malta natürlich am wenigsten eines nominalen griechischen Bail-out ausgesetzt sieht. Das ist dann für uns, denke ich, auch ein wichtiges Thema. Wir sind völlig gegen einen Schuldenschnitt. Das ist etwas, das für uns auch nicht verhandelbar ist.

Wir sind natürlich dafür, dass man die gegenwärtigen Möglichkeiten auslotet. Vielleicht kann es zum Beispiel ja auch zu einer Verlängerung kommen, wenn guter Wille auf allen Seiten besteht. Wir wollen Griechenland ja in der Eurozone halten. Dann, denke ich, sollte man das tun, was möglich ist. Aber man kann am Ende des Tages auch nicht das tun, was das Unmögliche ist. Ich habe ja vorhin schon über die Notwendigkeit von Disziplin, wenn auch nicht von Rigidität gesprochen, und bei der Disziplin geht es natürlich auch darum, dass es Regeln gibt, und die müssen beachtet werden. Die Griechen haben für eine Partei gestimmt, die ein bestimmtes Parteiprogramm hat und ein bestimmtes Mandat bekommen hat. Unsere Menschen, die Bürger und Wähler, haben für ein anderes politisches Programm gestimmt, indem sie uns gewählt haben. Ich denke, natürlich kann es eine Lösung geben, aber diese Lösung muss auch von allen mit gutem Willen getragen werden.

Natürlich muss man sich auch an die Tatsachen halten. Das heißt, die Regeln müssen beachtet werden, und es gibt keine Alternative zu Reformen. Natürlich kann man über das Timing sprechen, und man kann über den Austausch bestimmter Regeln gegen andere sprechen, aber die Grundlage muss das gegenwärtige Programm bleiben.

Frage: Eine Frage an beide: Befürchten Sie denn, dass die Politik der neuen griechischen Regierung zu einer entscheidenden Unterstützung durch andere Euroländer wie Italien und Frankreich, die Finanzprobleme haben, führen könnte und dass es damit zu einer Spaltung der Eurozone kommen könnte?

Herr Ministerpräsident, Sie haben davon gesprochen, dass es keine Regeln im Übermaß, sondern Regeln mit gesundem Menschenverstand geben solle. Was fehlt Ihnen bisher? Was meinen Sie damit genau, was vielleicht überreguliert ist?

Frau Bundeskanzlerin, werden Sie Herrn Tsipras nächste Woche beim EU-Gipfel treffen, oder wird sich noch vorher ein anderes Format ergeben, um in Kontakt zu treten?

BK’in Merkel: Ich freue mich auf das Treffen mit Herrn Tsipras in der nächsten Woche beim EU-Rat.

Was Griechenland anbelangt, kann ich jetzt immer wieder nur dasselbe sagen. Ich glaube nicht, dass sich die Positionen der Mitgliedstaaten des Euroraums gegenüber Griechenland voneinander unterscheiden, jedenfalls nicht, was die Substanz anbelangt. Ich habe mit meinem italienischen Kollegen telefoniert, bin mit François Hollande im Kontakt, und wir haben heute darüber gesprochen. Jetzt ist, glaube ich, wirklich die Stunde dafür, dass erst einmal Griechenland sagen muss, was genau seine Vorstellungen sind.

MP Muscat: Wenn ich über allzu exzessive Regeln sprechen darf: Ich habe in den letzten Monaten festgestellt, dass in Europa doch zum ersten Mal diese Implementierung von „Twopack“ und „Sixpack“ auf der Tagesordnung stand, und ich denke, wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, erst einmal die Auswirkungen und die Wirkung abzuwarten, bevor man weitere Regelwerke beschließt. Das meine ich mit einer nicht allzu exzessiven Regulierung.

Frage: Herr Premierminister, ist es Ihnen gelungen, Unterstützung für eine VN-mandatierte Friedenstruppe in Libyen zu bekommen? Inwieweit ist es Ihnen gelungen, dieses Thema hier anzubringen, vor allen Dingen deshalb, weil Malta, wenn Libyen tatsächlich ein „failed state“ werden sollte, dieser Sache ziemlich ausgeliefert wäre?

Frau Bundeskanzlerin, sehen Sie die Präsenz von IS in Libyen als eine Bedrohung an - nicht nur für den Mittelmeerraum, sondern auch für Europas Sicherheit insgesamt?

BK’in Merkel: Ja, sicherlich sehe ich das als Bedrohung an. Deshalb müssen wir alles tun, damit Libyen, wie der Premierminister gesagt hat, kein „failed state“ wird. Deshalb sind die Bemühungen der Vereinten Nationen und des Sondervermittlers absolut zu unterstützen; darüber waren wir uns einig. Wenn die UN etwas vorschlagen, was der Absicherung Libyens dienen kann, dann wird Deutschland das unterstützen.

MP Muscat: Ich glaube, dass es eine positive Reaktion der Bundeskanzlerin hinsichtlich der Punkte gab, die wir in Bezug auf Libyen angeführt haben. Ich glaube, dass Deutschland, wie ich auch schon bei anderen Gelegenheiten gesagt habe, eines der Länder sein muss, die hierbei eine Führungsrolle übernehmen. Die Bundesrepublik ist ein Land, das dabei eine Führungsrolle übernehmen sollte, denn sie ist eine ganz wichtige Macht. Ich denke, es ist wichtig, dass die wichtigsten Länder Europas Libyen als ein wichtiges Thema erkennen und erkennen, dass die Ukraine eben nicht das einzige Thema ist.

Wir haben jetzt in Libyen die Situation, dass es zwei Regierungen gibt, was dann unter Umständen zu einer Regierung der nationalen Einheit führen könnte. Es gibt aber auch Extremisten. Die meisten von ihnen sind nicht Libyer. Es gibt ein paar Kilometer Küstenlinie, und man kann nicht zulassen, dass wir eine Situation haben, in der es die Europäische Union vielleicht verpasst hat, rechtzeitig (zu reagieren). Wir haben den Arabischen Frühling damals ja nicht vorausgesehen; wir sind davon überrascht worden. Man kann nicht zulassen, dass wir jetzt sozusagen wieder ein Europa sind, das plötzlich überrascht wird und erst dann handelt, wenn Libyen schon ein „failed state“ geworden ist. Es gibt ein Fenster der Möglichkeiten, und das ist eben jetzt gegeben.

Frage: Ich habe eine Frage an beide Politiker, an den Ministerpräsidenten und die Kanzlerin. Malta und Deutschland gehören zu den Ländern, die im Moment am meisten von Flüchtlingen betroffen sind. Haben Sie eine gemeinsame Haltung dazu entwickelt, wie man innerhalb der EU vorgehen sollte, was Verteilschlüssel von Flüchtlingen über die ganze EU hinweg oder möglicherweise auch Auffanglager in Nordafrika, wie es die früher ja auch schon einmal gab, angeht?

Frau Bundeskanzlerin, noch eine Frage zur Ostukraine angesichts der Offensive der pro-russischen Separatisten in mehr als 80 Orten, die im Moment gerade stattfindet: Halten Sie den Ansatz, dass man auf die Verbindung von Verhandlungen und Sanktionen setzt, mittlerweile eigentlich für gescheitert, weil das Beharren auf dem Minsker Abkommen bisher offenbar nicht zu einer Befriedung geführt hat?

BK’in Merkel: Ich halte den Ansatz nicht für gescheitert, aber er führt auch nicht so schnell zu Resultaten, wie wir es uns wünschen würden. Die Situation ist in der Tat wieder sehr viel ernster geworden. Trotzdem muss aus meiner Sicht der Versuch diplomatischer Bemühungen fortgesetzt werden.

Was die Details einer europäischen Migrationspolitik anbelangt, haben wir uns heute nicht vertieft darüber unterhalten. Aber ich glaube, die Interessenlage von Deutschland und von Malta ist hierbei sehr ähnlich.

MP Muscat: Ich kann nur bestätigen, was die Bundeskanzlerin dazu gesagt hat. Wir haben in den letzten Monaten schon gespürt, dass es eine Bereitschaft seitens der deutschen Seite gibt, die Situation viel besser zu verstehen, in der sich eine Reihe von Mitgliedstaaten, darunter Malta, befindet. Wir haben festgestellt, dass es einige Vorschläge gibt, die im Moment auch zirkulieren. Mir wäre es lieber, wenn wir im Moment das Konzept und nicht so sehr die aktuellen Details erörterten.

Ich denke schon, dass sich die Spielregeln im Moment sehr verändern. Wir als ein Land, das sozusagen direkt an der Frontlinie steht, stellen nämlich fest, dass sich selbst die Zusammensetzung der Migranten verändert. Vor etwa eineinhalb Jahren war die Situation, dass die meisten Migranten aus Afrika südlich der Sahara kamen und versucht haben, sich in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union für den Rest ihres Lebens niederzulassen. Jetzt stellen wir fest: Es gibt mehr und mehr Migranten aus Ländern wie Syrien, deren Ziel es ist, für eine gewisse Zeit woanders Zuflucht zu suchen, aber dann wieder in ihr eigenes Land zurückzugehen. Das ist also eine Veränderung dieses Phänomens, auf die wir achten müssen.

Zu ISIS: Natürlich ist die Sicherheit Libyens für uns alle absolut wichtig. Sie ist wichtig für den europäischen Kontinent. Libyen ist wichtig aufgrund der Energieversorgung für Europa - es ist einer der Zulieferer von Rohöl für unsere Gegend - und natürlich auch als ein Transitland für diese Migrationsströme. In den nächsten Jahren sollte man versuchen, Libyen zu einem sicheren Land zu machen. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass Menschen, die dort Zuflucht suchen, natürlich human behandelt werden.

Zum Terrorismus: Man kann nicht einfach zulassen, dass es hier ein Vakuum gibt, in das dann der „Islamische Staat“ oder andere Organisationen hineinstoßen und dort sozusagen freie Hand haben, und zwar einfach deswegen, weil ihnen seitens der staatlichen Autoritäten nichts entgegengesetzt werden kann.