Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem luxemburgischen Premierminister Bettel

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Xavier Bettel heute wieder Gast in Berlin ist. Der Anlass seines Besuchs ist die bevorstehende EU-Präsidentschaft Luxemburgs, die es von Lettland übernimmt. Demzufolge haben auch weniger die bilateralen Themen eine Rolle gespielt - wobei ich mitteilen darf, dass unsere freundschaftlichen, engen Beziehungen natürlich weiter bestehen und dass gerade regional auch sehr eng kooperiert wird -; vielmehr stand heute die europäische Agenda im Mittelpunkt, die der luxemburgische Ministerpräsident, aber auch die luxemburgische Präsidentschaft in den Fokus stellen werden. Wir haben hier über die Themenauswahl völliges Einvernehmen erzielt. Luxemburg hat die Themen, die auch aus deutscher Sicht wichtig sind, herausgegriffen.

Wir dürfen davon ausgehen, dass ein zentrales Thema natürlich das Thema von Wachstum und Beschäftigung bleibt. Die luxemburgische Präsidentschaft wird alles daransetzen - und Deutschland wird sie dabei unterstützen -, dass das Junckersche Wachstumspaket, das jetzt im Parlament die Rechtssetzung durchlaufen hat, dann auch wirklich mit Leben erfüllt wird und dass dieses Investitionspaket dazu führt, dass wir mehr Investitionen haben werden. Dabei geht es um Investitionen in moderne Infrastruktur - dazu gehört für mich auch der gesamte digitale Bereich - und natürlich auch in die Infrastruktur im klassischen Sinne sowie die Infrastruktur mit Blick auf die Energieunion.

Ein Thema in diesem Zusammenhang wird die digitale Agenda sein. Gestern gab es die Einigung der Justiz- und Innenminister auf die Datenschutzgrundverordnung. Damit beginnt der Trilog, und Luxemburg wird diesen Trilog begleiten. Dieser Trilog mit dem Europäischen Parlament wird nicht einfach sein, aber es ist aller Mühe wert, dass dieser Trilog dann auch bis zum Jahresende zu einem Erfolg geführt wird. Dann dauert es noch zwei Jahre, bis die Datenschutzgrundverordnung in das jeweilige nationale Recht übergeht. Das ist für ein wirkliches Wettbewerbsfeld, das wir in Europa brauchen, sehr wichtig.

Des Weiteren haben wir über die Vorbereitung des Weltklimagipfels gesprochen. Hier haben wir Einvernehmen erzielt, und wir werden alles tun, um die französische Präsidentschaft der Klimakonferenz zu unterstützen.

Es ist außerdem noch das sehr schwierige Thema der Migration hervorzuheben, über das wir gesprochen haben und das uns schon beim nächsten Europäischen Rat, also in neun Tagen, beschäftigen wird. Dieses Thema wird uns sicherlich noch bis in den Herbst begleiten. Die deutsche Seite ist der Meinung, dass wir eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge brauchen; wir wissen aber, dass es in einigen Mitgliedstaaten erhebliche Widerstände gegen eine verpflichtende Maßnahme gibt. Es wird hier darauf ankommen, die gesamte Agenda der Migration - von der Bekämpfung der Fluchtursachen bis zur Rettung von Menschenleben und der Behandlung der Asylanträge - mit einem hohen Maß an Sensibilität und möglichst Gemeinsamkeit in der Europäischen Union zu diskutieren und zu Entscheidungen zu bringen. Das wird sicherlich klassische diplomatische, luxemburgische Kunstfertigkeit hervorrufen, zu der ich Xavier Bettel alles Gute wünsche und die deutsche Unterstützung zusage.

Herzlich willkommen noch einmal hier in Berlin!

PM Bettel: Danke schön, Frau Bundeskanzlerin!

Ich muss sagen, dass ich mich immer freue, wenn ich hier empfangen werde - heute zum dritten Mal. Ich habe von der Frau Bundeskanzlerin auch mitgeteilt bekommen, dass eine Reise nach Luxemburg auch einmal geplant wird, dass sie in Zukunft also auch einmal zu uns nach Luxemburg zu Besuch kommen möchte.

Ich muss Ihnen sagen: Die Verhältnisse zwischen Deutschland und Luxemburg sind einfach hervorragend. Wir haben kurz über die bilateralen Themen geredet - über Transportfragen oder über Fragen, die uns zwei betreffen. Die Beziehung zwischen unseren beiden Ländern ist aber wirklich „everyday business“, da wir Tausende und Tausende von Grenzgängern haben, die in Luxemburg arbeiten. Es gibt außerdem eine enge kulturelle und wirtschaftliche Beziehung zwischen unseren beiden Ländern. Diese wollen und werden wir auch noch weiter ausbauen.

Mein Besuch hier war aber vor allem vom Thema der luxemburgischen EU-Präsidentschaft geprägt, die wir ja ab dem 1. Juli übernehmen werden. Das ist eine sehr große Verantwortung, derer wir uns auch bewusst sind, und es ist auch eine große Herausforderung. Es ist für Luxemburg die zwölfte Ratspräsidentschaft, und wir werden alles tun, damit diese erfolgreich sein wird.

Wir sind uns bewusst, dass die Prioritäten, über die wir geredet haben, gemeinsame Prioritäten sind, die im Interesse der 28 Länder sind. Wir werden aber auch Themen von Aktualität auf die Tagesordnung setzen; denn selbstverständlich wird auch das, was in den nächsten Tagen passiert, was in der Aktualität passiert, lange Sitzungen mit sich bringen.

Wir brauchen eine Wiederbelebung der Wirtschaft und eine Umsetzung des Investitionsplans, so wie die Frau Bundeskanzlerin es gerade gesagt hat. Wir möchten es jetzt auch fertigbringen, dass die Leute verstehen, dass es auch ihnen hilft, wenn es der Wirtschaft gutgeht. Man hat in Europa manchmal das Gefühl: Wenn man sagt, dass man die Wirtschaft unterstützen sollte, muss man „rechts“ eingestellt sein, und wenn man über Sozialpolitik reden will, muss man „links“ eingestellt sein. Wir sind der Meinung, dass jeder verstehen muss, dass, wenn es den Betrieben gutgeht, auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Insofern ist es im Interesse von uns allen, wenn der Investitionsplan der EU-Kommission umgesetzt wird und die Investitionen in Europa vorangebracht werden. Wir müssen deswegen auch mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weitermachen. Auch dafür müssen wir alle Mittel nutzen - und eine gute Wirtschaft ist das erste Mittel, wenn es darum geht, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Die Bundeskanzlerin hat auch schon über die Entwicklung geredet. Es ist sehr wichtig, dass wir eine nachhaltige Entwicklung haben. Deswegen ist auch die COP21 in Paris ein sehr wichtiges Rendezvous, bei dem wir zusammen die Richtlinien festlegen sollten.

Zu den anderen Themen, mit denen wir uns intensiv beschäftigen werden, gehört auch das Thema der Migration. Die Frau Bundeskanzlerin hat schon gesagt, dass das ein sensibles Thema ist; wir müssen uns auch unter Berücksichtigung dieser Sensibilitäten, die der eine oder andere hat, einig werden.

Wenn ich jetzt über die Zusammenarbeit rede, dann muss ich auch über TTIP reden. Auch ich komme aus einem Land, in dem die Zustimmung nicht die größte ist. Deswegen möchten wir vor allem nicht mehr das Argument haben, dass TTIP in einer Dunkelkammer behandelt wird. Daher haben wir bei der Kommission auch den Antrag gestellt, dass unter luxemburgischer Präsidentschaft ein Treffen im November zwischen den Sozialpartnern organisiert wird, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer, also Vertreter aus Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften der 28 Länder zusammenkommen, um über TTIP zu reden. Wir glauben, dass es wichtig ist, dass es einen solchen Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen gibt.

Wir haben auch über Themen von internationaler Aktualität geredet. Ich muss Ihnen sagen, dass ich mir dessen bewusst bin, dass auch diese Themen - ob es nun um Griechenland, England, Moskau oder die Ukraine geht - die Programme meiner Präsidentschaft beeinflussen werden. Wir sind da auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe der Frau Bundeskanzlerin auch schon mitgeteilt, dass ich während meiner Präsidentschaft auch nach Moskau und Kiew reisen will, um mit beiden Seiten einfach zu reden. Wir versuchen, als kleines Land Brücken zu bauen. Frau Bundeskanzlerin, ich möchte mich an dieser Stelle auch für die ganze Mühe bedanken, die Sie sich gegeben haben, um da wieder Brücken zu bauen, wo in dem Moment nicht mehr viel war. Wir werden während unserer Präsidentschaft auf jeden Fall versuchen, auch mit unseren bescheidenen Möglichkeiten Brücken herzustellen, wo vielleicht im Moment nicht mehr viel ist.

Danke schön auf jeden Fall, dass Sie mich empfangen haben!

Frage: Frau Bundeskanzlerin und Herr Bettel, Sie haben das Thema Griechenland weitgehend ausgespart.

Frau Bundeskanzlerin, sind Sie bereit, vielleicht noch auf einem Sondergipfel einen Sonderschritt zur Rettung Griechenlands und Lösung der Schuldenkrise zu gehen? Macht so ein Schritt überhaupt einen Sinn, wenn sich Geldgeber und Athen vorher nicht geeinigt haben?

Herr Bettel, wären Sie bereit, für 2 Milliarden Euro, die zwischen Geldgebern und Griechenland noch offen sind, die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands in Kauf zu nehmen.

BK’in Merkel: Erstens gibt es leider wenig Neues zu berichten. Deshalb haben wir in unserem Gespräch zu dem Thema Griechenland natürlich festgehalten, dass wir erst einmal auf das Treffen der Finanzminister am Donnerstabend setzen. Aber auch dort kann nur etwas entschieden werden, wenn es einen gemeinsamen Vorschlag der drei Institutionen mit Griechenland zur Erfüllung der Konditionalität gibt.

Es geht im Kern darum, dass Griechenland notwendige Reformen durchführt. Im Übrigen geht es um die Erfüllung des zweiten Programms. Das heißt, es geht nicht um irgendeine Finanzlücke, sondern es geht um die Punkte, die im Dezember 2014 aufgelistet wurden, und um die Frage, ob in den dort gestellten Punkten aus Sicht der Institutionen ausreichend Fortschritte erzielt werden. Im Kern geht es darum, dass Griechenland eines Tages wieder in eine Situation kommt, dass sich die Lage in den Bereichen Wachstum und Beschäftigung verbessern kann. Da hat man leider, was gerade die Wachstumsprognosen anbelangt, in letzter Zeit keine Verbesserung gesehen.

Deshalb also volle Konzentration auf das Treffen. Wenn möglich, sollten die drei Institutionen versuchen, mit Griechenland eine Einigung zu erreichen. Ob das bis Donnerstag gelingt, kann ich jetzt nicht sagen.

PM Bettel: So lange man redet, ist eine Hoffnung da. Wie gerade gesagt worden ist, wird noch geredet. Aber es muss auch etwas dabei herauskommen. Wenn man nur zusammenkommt und es ist ein nettes Treffen, dann reicht das im Moment nicht mehr. Ich glaube, dass auch eine Bringschuld da ist und dass auch Vorschläge auf den Tisch kommen müssen, und zwar nicht nur von einer Seite. Ich glaube, Griechenland muss auch Vorschläge machen, wie es die Situation sieht und auf welche Art und Weise es aus dieser Situation herauskommen möchte. Man kann jetzt nicht nur die Frage stellen: Sind Sie nicht bereit, die Kredite und die Schulden einfach zu streichen? - Ist das die Lösung?

Ich sage es noch einmal: Im Moment gibt es eine Bringschuld, und die Bringschuld gilt auch für Griechenland. Es ist nicht nur eine sofortige materielle Bringschuld, sondern auf jeden Fall auch eine politische Bringschuld, die sich auch auf die Perspektiven und die Vereinbarungen bezieht, die nachher respektiert werden sollen. Ich kann nicht gegenüber meinen luxemburgischen Steuerzahlern sagen: Es ist mir egal, was mit den griechischen Schulden passiert.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, aus Ihrer Partei und auch von EU-Kommissar Oettinger wurde vorgeschlagen oder angemahnt, dass man sich nicht nur um eine Rettung Griechenlands bemüht, sondern auch Vorsorge für das trifft, was nach dem 1. Juli passiert. Er hat das drastische Wort von einem „Notstandsgebiet“ gebraucht, das dann kommen könnte. Deswegen die Frage an Sie: Sind Sie auch der Meinung, dass man Vorsorge für den Fall eines unerwünschten, aber möglicherweise fälligen Grexit treffen sollte?

Herr Premierminister, eine etwas andere Frage, nämlich zur Weiterentwicklung der Eurozone, die möglicherweise in Ihrer Präsidentschaft auch Thema sein wird. Sind Sie eigentlich von den deutsch-französischen Vorschlägen enttäuscht, die eine grundlegende Reform der Eurozone mit Änderung der EU-Verträge eigentlich auf die Zeit nach 2017 vertagt?

BK’in Merkel: Ich konzentriere meine ganze Kraft darauf, dabei mitzuhelfen, dass die drei Institutionen mit Griechenland eine Lösung, einen Vorschlag finden, auf dessen Grundlage dann die Verhandlungen in der Eurogruppe auf der Ebene der Finanzminister stattfinden können. Darin sehe ich meine Aufgabe. Ich habe immer wieder gesagt: Ich möchte alles dafür tun, was möglich ist, um Griechenland in der Eurozone zu halten. Und dieser Aufgabe widme ich mich in diesen Tagen.

PM Bettel: Wie gesagt, die Wirtschafts- und Währungsunion ist jetzt geplant. Wir haben uns vereinbart und haben gesagt, was wir als Ziel haben. Ich kenne kein Land, das sagt, dass es irgendeine Änderung hinsichtlich dieser Ziele haben möchte, die wir uns gesetzt haben. Deswegen bin ich über Ihre Frage ein bisschen überrascht.

BK’in Merkel: Angefangen davon, dass wir den Fiskalvertrag eines Tages in die europäischen Verträge integrieren wollen, bis hin zu weitergehenden Maßnahmen gibt es immer wieder Diskussionen, wie wir die Eurozone fortentwickeln können und ob das gegebenenfalls auch Vertragsänderungen beinhaltet. Deutschland und Frankeich haben in diesen Prozess für den Bericht der vier Präsidenten einen Vorschlag eingebracht, der keine Vertragsänderungen vorsieht. Wir glauben, dass das ein realistischer Vorschlag ist. Man muss sich das Machbare in dieser Zeit anschauen. Deshalb haben wir uns auf die Zeit bis 2017 beschränkt, weil wir an dieser Stelle nicht die Bereitschaft der Euro-Mitgliedstaaten sehen, umfassende Vertragsänderungen durchzuführen. Trotzdem muss man die Eurozone weiterentwickeln. Ich glaube, darüber gibt es eine sehr einvernehmliche Diskussion. - Danke schön!