Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem kroatischen Präsidenten Josipović am 15. Juli

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Präsident Ivo Josipović

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

P Josipović: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel, sehr geehrte Damen und Herren, wir hatten heute ein Treffen der Staats- und Regierungschefs aus den Ländern der Region mit der Absicht, uns über wichtige politische Angelegenheiten auseinandersetzen. Vor allem ging es um die Zugehörigkeit Südosteuropas zu der Europäischen Union. Wir haben uns aber auch mit den Themen der Energiewirtschaft und der Infrastruktur befasst, weil das ausschlaggebende Bereiche für die künftige Entwicklung der gesamten Region sind.

Man muss sagen, dass die Diskussion vor allem durch die Grundwerte der Europäischen Union geprägt war, also Frieden, Sicherheit, Stabilität, wirtschaftlicher Wohlstand und Prosperität. Es ist unser aller Wunsch, dass der Südosten Europas eines Tages einen Platz in der Europäischen Union findet - natürlich zu dem Zeitpunkt, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sein werden.

Wir müssen aber auch sagen, dass bei der Diskussion ein sehr wichtiger Wert der Europäischen Union besonders zur Geltung kam, nämlich die Solidarität. Denn alle Teilnehmer an dem Gipfeltreffen haben sich auf die Solidarität berufen, die während der Hochwasserkatastrophe zur Geltung kam, von der Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien betroffen waren. Wir haben alle zu einer Geberkonferenz eingeladen, und wir hoffen, dass diese Geberkonferenz erfolgreich sein wird.

Wir haben sowohl über die Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit als auch über die institutionelle Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Ländern der Region gesprochen. Wir unterstützen die Stärkung dieser Zusammenarbeit, weil wir der Meinung sind, dass dies sowohl zur Konsolidierung der Lage in den Ländern insgesamt, aber auch zur Konsolidierung der wirtschaftlichen Lage beitragen wird.

Ich bedanke mich bei meinem Kollegen, dem slowenischen Ministerpräsidenten Pahor, für seinen Beitrag hinsichtlich der Ausrichtung dieser Konferenz. Wir werden auch künftig die Befürworter des europäischen Weges aller südosteuropäischen Länder in Richtung EU sein.

Wir haben auch den Fortschritt im Dialog zwischen Belgrad und Priština gelobt. Es wurde festgestellt, dass große Erfolge im Bereich der Wirtschaft, im Bereich der Stärkung der demokratischen Institutionen in allen Ländern der Region erzielt worden sind. Letztendlich haben wir hervorgehoben, dass wir mehr Entschlossenheit und mehr Mut brauchen, damit diese europäische Gesinnung, diese europäische Orientierung, die hier zweifelsohne besteht, nicht verlorengeht. Wir haben festgestellt, dass die Länder zahlreiche Reformen durchführen müssen. Jedes Land ist für seine eigenen Reformen zuständig. Wir als Nachbar und auch die EU sollten die Länder bei den innerstaatlichen Reformen unterstützen.

Damit es zu einer Reform kommen kann, brauchen wir eine Versöhnung. Ohne eine Versöhnung - das haben wir auch festgestellt - kann es zu keiner verstärkten wirtschaftlichen Kooperation kommen. Wir haben in unseren Gesprächen auch festgestellt, dass die jungen Menschen von der Krise am stärksten betroffen sind. Es besteht der Bedarf nach Schaffung neuer Arbeitsplätze gerade für junge Akademiker. Wir müssen jene Wirtschaftszweige unterstützen, die eine Zukunftsperspektive für die junge Generation eröffnen.

Wir haben sehr viel über die Verkehrs- und Energieinfrastruktur und über ausschlaggebende Projekte gesprochen. Wir in Kroatien sind sehr stark daran interessiert, dass diese Projekte im Bereich der Infrastruktur umgesetzt werden. Es war die Rede von der Schienenstrecke München-Istanbul, die durch Ljubljana, Zagreb und Belgrad führt. Wir haben über adriatisch-ionische Autobahn und den Ausbau dieser Autobahnstrecke sowie über transadriatische Pipeline und die Unterstützung dieser Infrastrukturprojekte seitens der Europäischen Union gesprochen.

Wir haben alle Bemühungen vor allem von Frau Bundeskanzlerin Merkel unterstrichen, unsere Regierungschefs demnächst bei einer Konferenz zu versammeln, wo man über die Umsetzung dieser infrastruktur- und energiewirtschaftlichen Projekte sprechen wird. Wir sind auch daran interessiert, dass demnächst ein EU-Balkan-Gipfel stattfindet, damit wir unsere bereits erfüllten Aufgaben, aber auch Pläne und Maßnahmen festlegen, die für eine bessere künftige Integration dieser Länder in die EU erforderlich sind.

Nochmals allen Teilnehmern vielen Dank für ihre Teilnahme an diesem Treffen. Vielen Dank an die Vertreter der Medien für das wirklich enorme Interesse. Ein großes Dankeschön an Frau Bundeskanzlerin Merkel für ihren Beitrag an den Diskussionen und dass sie überhaupt durch ihre Anwesenheit sozusagen ihre Entschlossenheit bezüglich einer weiteren Erweiterung der Europäischen Union unter Beweis gestellt hat. Sie hat auch den Beweis dafür geliefert, dass die deutsch-kroatische Freundschaft stark ist und nicht unter einem Fragezeichen steht.

BK'in Merkel: Danke schön! Herr Präsident Josipović, meine Damen und Herren, ich freue mich, heute an diesem Brdo-Brijuni-Gipfel teilnehmen zu können und werte die Einladung Deutschlands als eine Ehre für uns und auch als ein Zeichen, dass wir sehr eng verbunden sind und gemeinsam an der Zukunft dieser Region arbeiten.

Ich möchte zuerst noch einmal der Opfer der schrecklichen Hochwasserkatastrophe gedenken. Die Menschen haben schwierige Situationen durchgemacht und machen sie heute noch durch. Ich will es auch als ein Zeichen für die Kooperation in der Region werten, dass es viele Menschen gab, die unabhängig davon, wer welcher Ethnie angehört, Hilfe geleistet haben, und dass die Mitmenschlichkeit im Zentrum gestanden hat. So hat auch Deutschland versucht, hier einen Hilfsbeitrag zu leisten.

Der Prozess, in dem in dieser wirklich beeindruckenden Stadt Dubrovnik heute diese Konferenz stattfindet, ist ja ein ganz wichtiger, dass nämlich gemeinschaftlich regionale Probleme besprochen werden. Wir haben in der Diskussion auch betont, dass natürlich zuerst selbst die Initiative der Staaten in dieser Region des westlichen Balkans notwendig und gefragt ist und dass wir dann natürlich bereitstehen, Unterstützung und Hilfe zu leisten.

Unsere Unterstützung drückt sich zuerst darin aus, dass wir sagen: Alle Staaten, die heute hier versammelt sind, haben eine europäische Beitrittsperspektive. Das heißt, eines Tages wird der Prozess in einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union enden. Dass das nicht nur Worte sind, zeigen die Beispiele von Kroatien und Slowenien. Beide Länder sind bereits Mitglieder der Europäischen Union und viele andere befinden sich in den verschiedensten Phasen. Natürlich hängt die Frage, ob der Beitrittsprozess gestartet werden kann, auch sehr stark davon ab, wie die Voraussetzungen in den einzelnen Ländern geschaffen werden. Ich habe heute in der Diskussion dadurch Ermutigung erfahren, dass ich den Wunsch aller gespürt habe, die noch bestehenden Probleme doch zu überwinden.

Es ist aber immer darauf hingewiesen worden - und das verstehe ich sehr gut -, dass die wirtschaftliche und die politische Perspektive sehr eng zusammenhängen. Deshalb brauchen wir eine überregionale Kooperation und eine Kooperation mit der Europäischen Union. Aus diesem Grunde war es richtig, dass wir nicht nur über politische Prozesse, sondern auch über sehr konkrete Infrastrukturprojekte gesprochen haben, die Präsident Josipović ja gerade genannt hat.

Hier gab es Diskussionen zum Energiethema - deshalb war auch EU-Kommissar Günther Oettinger bei uns -, aber wir haben auch über Straßen- und Schienenprojekte gesprochen. Ich will hier noch einmal deutlich machen, dass es eine sogenannte Heranführungsinitiative der Europäischen Union gibt, wo für die finanzielle Periode von 2014 bis 2020 11,7 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, die zum Beispiel auch für solche Infrastrukturprojekte genutzt werden können. Ganz wichtig ist, dass die Länder der Region Priorisierungen vornehmen, also sagen, was für sie das Wichtigste ist. Ich glaube, die Konferenz hat heute gesagt, dass man sich da doch sehr einig ist.

Deshalb können wir in Bezug auf das, was ich heute hier gehört habe, den Ball aufnehmen, um am 28. August, wenn die Ministerpräsidenten, die Wirtschafts- und Außenminister nach Berlin kommen, auch darüber zu reden, wie wir bestehende Hürden im Einzelnen überwinden und diese Perspektive, diese Projekte auch Schritt für Schritt Realität werden lassen. Denn die Menschen warten darauf. Sie leben nicht von den Worten und den Ankündigungen, sondern sie leben von dem, was geschieht. Wenn man sich die Jugendarbeitslosigkeit hier in der Region anschaut, ist es auch wichtig, gerade der Jugend eine Zukunft zu geben.

Wir haben auch über außenpolitische Fragen gesprochen, natürlich über den Konflikt mit der Ukraine. Ich will noch einmal deutlich machen, dass der Annäherungs- und Beitrittsprozess natürlich den Versuch beinhaltet, sich gemeinsam in den außenpolitischen Fragen zu positionieren, denn wir haben auch eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Auch hierüber haben wir gesprochen.

Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich für die Einladung bedanken. Für mich war es sehr wichtig, einmal diesen Diskussionsprozess zu erleben.

Gestatten Sie mir, dass ich abschließend noch eine nur indirekt mit dem heutigen Treffen verbundene Bemerkung machen möchte: Ich möchte Jean-Claude Juncker ganz herzlich gratulieren, der mit einem sehr überzeugenden Ergebnis eben im ersten Wahlgang vom Europäischen Parlament zum Präsidenten der Europäischen Kommission gewählt wurde. Das ist ein gutes Zeichen für die Handlungsfähigkeit Europas. Das wird uns dabei beflügeln, auch schnell wieder die Arbeit mit der neuen Kommission aufzunehmen.

Frage: Ich hätte eine Frage sowohl an den Präsidenten als auch an die Bundeskanzlerin: Der Name Juncker fiel ja. Wie schnell soll die neue Kommission Ihrer Meinung nach handlungsfähig sein, um dann auch diesen Heranführungsprozess einleiten zu können? Wären Ihre Länder bereit, auch eine Frau als Kommissarin zu nominieren? Denn es gibt ja schon erste Kritik, dass alle 28 Mitgliedstaaten Männer für die neue Kommission nominiert haben.

BK'in Merkel: Ich will dazu nur sagen: Unsere Nominierung für Deutschland steht fest und es ist ein Mann - aber das kann passieren, wenn eine Frau Bundeskanzlerin ist.

Ansonsten ist es so, dass wir einen bestimmten Zeitplan haben. Ich glaube, wir haben alle Voraussetzungen geschaffen, um in der Europäischen Union die Personalwechsel so vorzunehmen, wie das vom ganzen Ablauf her notwendig ist. Das heißt, im September wird im Europäischen Parlament dann auch über die Europäische Kommission abgestimmt werden können.

P Josipović: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in der Europäischen Union eine Kontinuität in der Politik haben. Die Politik der offenen Tür, die Politik der Förderung wichtiger Infrastrukturprojekte ist eine Konstante. Deswegen bin ich der Meinung, dass die neue Kommission, dass die Kommission in der neuen Zusammensetzung gewiss die bisherige Politik fortsetzen und noch verbessern wird.

Frage: Frau Bundeskanzlerin Merkel, wie würden Sie die Beziehungen zwischen Kroatien und Deutschland ein Jahr nach dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union bewerten? Wie bewerten Sie überhaupt das erste Jahr der Mitgliedschaft Kroatiens in der EU? Sie haben in Ihrem Beitrag auch erwähnt, dass man alle Konflikte vor dem Beitritt lösen sollte, und wegen des Falls Perković waren die Beziehungen doch ein bisschen in Versuchung geraten.

BK'in Merkel: Wir sind aber auf einem guten Weg, und ich glaube, dass die deutsch-kroatischen Beziehungen traditionell und auch in diesem Jahr sehr, sehr gut sind. Deutschland und Kroatien sind freundschaftlich eng verbunden, und zwar nicht nur über die politischen Institutionen, sondern vor allen Dingen auch über die Menschen - wenn man durch Dubrovnik geht, sieht man, wie viele Menschen Kroatien gerade auch während des Sommers kennenlernen. Kroatien hat wirtschaftlich sicherlich keine ganz einfache Zeit. Da wollen wir unterstützend tätig sein. Insgesamt kann ich aber nur sagen: exzellente, gute, warmherzige Beziehungen.

Frage: Herr Präsident, die Bundeskanzlerin hat vorhin von Unzufriedenheit mit Deutschland gesprochen, weil es in Verhandlungen über eine Annäherung an die EU immer so streng sei. Was wäre Ihre Bitte? Dass Deutschland oder die EU großzügiger in den Verhandlungen sein könnten?

Frau Bundeskanzlerin, noch einmal zum morgigen Sondergipfel zur Ukrainekrise: Wie groß ist Ihre Bereitschaft, die Sanktionen gegen Russland noch einmal zu verschärfen?

P Josipović: Was die deutsch-kroatischen Beziehungen anbelangt, so erkennen wir die deutsche Politik prinzipiell an. Während unserer Beitrittsverhandlungen hat nicht nur Deutschland, sondern haben auch andere Länder auf sehr hohen Maßstäben beharrt, die wir erfüllen mussten, um überhaupt der Europäischen Union beitreten zu können. Ich glaube, das war gut für uns, denn während der Beitrittsverhandlungen hat sich unsere Gesellschaft zum Besseren gewandelt. Trotz der wirtschaftlichen Probleme, die es noch immer gibt, glaube ich, dass man einen klaren Unterschied erkennen kann, wenn man das heutige Kroatien mit dem Kroatien vor zehn Jahren vergleicht. Wenn es also um die Beitrittskriterien geht, sind wir der Auffassung, dass die Standards hoch bleiben sollen, wir befürworten das. Wir sind aber auch dafür, dass wir zusammen mit Deutschland beziehungsweise allen interessierten Ländern den beitrittswilligen Ländern helfen, diese hohen Standards oder hohen Maßstäbe so schnell wie möglich umzusetzen.

In den Beziehungen zu Drittländern - zu Russland und der Ukraine - sind wir auch für einen ausgewogenen Ansatz. Wir wissen, was Völkerrecht heißt, was die völkerrechtlichen Grundsätze sind, was im Interesse Europas steht, und wir sind da, um das gemeinsam zu verwirklichen.

BK'in Merkel: Ich möchte noch kurz auf die Frage antworten, die mir gestellt wurde. Ich glaube, dass das klar ist: Deutschland schaut, wie der Präsident das eben gesagt hat, ob bestimmte Versprechungen, ob bestimmte Kriterien erfüllt sind. Wir sind auf der anderen Seite aber auch immer bereit, hilfreich zu sein und nicht nur darüber zu urteilen, wie es geschehen ist, sondern auch zu schauen, wie man es schaffen kann; denn das ist im beiderseitigen Interesse.

Zweitens. Wir werden morgen über das Thema Ukraine sprechen, das haben wir dem Präsidenten Poroschenko auf dem letzten EU-Rat auch versprochen. Den Ergebnissen will ich heute nicht vorgreifen, weil wir noch nicht mit allen Mitgliedstaaten geredet haben. Ich finde es richtig, dass wir erst einmal untereinander reden und Sie danach über die Beschlüsse informieren.

Frage: Frau Bundeskanzlerin Merkel, in Bezug auf Serbien haben Sie sehr viel über die Verbesserung des Dialogs zwischen Priština und Belgrad gesagt. Glauben Sie, dass Serbien die Kriterien erfüllen wird, um als nächstes Beitrittsland infrage zu kommen? Glauben Sie, dass es in Bezug auf Slowenien auch einen Parallelprozess geben kann? Was für einen Kommentar würden Sie zu den letzten Wahlen, die wir noch am Sonntag hatten, abgeben? Könnten Sie eventuell auch einen Kommentar zur Partei von Janez Janša geben, der meinte, dass diese Wahlen illegitim waren?

BK'in Merkel: Ich möchte mich jetzt nicht in die slowenische Diskussion einmischen, das werden Sie verstehen.

Was Serbien und Kosovo anbelangt, ist ja klar, dass wir wichtige Fortschritte erzielt haben, aber noch nicht am Ende des Prozesses sind. Das heißt, die Beitrittsverhandlungen mit Serbien werden immer auch in der Erwartung geführt, dass der gute Prozess zwischen Serbien und Kosovo auch weiter anhält. Ich habe schon davon gesprochen, dass es schon heute eine Win-win-Situation ist, das heißt, dass beide Seiten mehr Vorteile als Nachteile haben, wenn sie Kompromisse gemacht haben. Diesen Weg müssen wir jetzt weitergehen.

P Josipović: Vielen Dank an alle! Gestatten Sie mir, noch einmal die Rolle von Präsident Pahor als Mitveranstalter dieses Treffens hervorzuheben. Ein großes Dankeschön an alle Teilnehmer unseres Gipfeltreffens und vor allem an Bundeskanzlerin Merkel; denn ihre Anwesenheit bei diesem Gipfeltreffen war von sehr großer Bedeutung für uns.