Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzō Abe

MP Abe: Nach dem traditionellen japanischen Kalender ist heute der Tag des Frühlingsanfangs. Eigentlich ist das in Japan die kälteste Saison, doch heute haben wir Temperaturen wie im April. Frau Bundeskanzlerin Merkel hat den Frühling mit nach Japan gebracht!

Ich möchte Frau Bundeskanzlerin Merkel erneut von ganzem Herzen in Japan willkommen heißen. Ihr letzter Besuch war auf dem G7-Gipfeltreffen in Ise-Shima vor zweieinhalb Jahren. Mit Angela hatte ich seit unserem ersten Treffen in Berlin zahlreiche Gespräche gehabt und habe ein tiefes Vertrauen aufgebaut.

Auf Japan und Deutschland kommt eine immer größere Verantwortung für die Stabilität und den Wohlstand der internationalen Staatengemeinschaft zu. Am 1. Februar ist das EPA, das Freihandelsabkommen mit der EU, in Kraft getreten, und der damit entstandene freie und moderne Wirtschaftsraum wird von Japan und Deutschland geleitet. Dafür muss die Auswirkung des Austritts Großbritanniens aus der EU, des Brexits, minimiert werden; ein No-Deal-Austritt soll vermieden werden. Für den Erhalt und die Stärkung eines offenen Wirtschaftssystems unter anderem durch die WTO-Reform werden Japan und Deutschland eng kooperieren.

Ich habe meine Absicht erklärt, sich angesichts des G20-Treffens in Osaka mit dem Vorantreiben des freien Handels, der Förderung des Weltwirtschaftswachstums durch Innovation und den Maßnahmen gegen die Diskrepanz zwischen Arm und Reich auseinanderzusetzen. Ich fühle mich ermutigt, für den Erfolg des G20-Treffens die Unterstützung der Frau Bundeskanzlerin bekommen zu haben.

Japan und Deutschland werden tatkräftig die vierte Industrierevolution leiten. Heute habe ich mit Frau Bundeskanzlerin Merkel auch über das Zukunftsbild unserer beiden Gesellschaften diskutiert. Die Zusammenarbeit in den Bereichen der Industrie 4.0 und der Society 5.0 sollen vorangetrieben werden. Beide Länder werden gemeinsam mit Nutzung der Spitzentechnologie den Weg zur Kreierung einer reichen Zukunft ebnen und die gemeinsame Forschung in den Bereichen des autonomen Fahrens, der künstlichen Intelligenz und des IoT stärken.

Wir haben uns auch viel Zeit genommen, um über die immer strenger werdende regionale Lage Meinungen auszutauschen. Erneut haben wir bestätigt, uns einem einseitigen Versuch, mit Kraft den Status quo zu ändern, zu widersetzen und für den Erhalt einer internationalen Ordnung aufgrund der Rechtsstaatlichkeit zu kooperieren. Bezüglich der Lage Nordkoreas haben wir uns erneut auf die Notwendigkeit der vollkommenen Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution geeinigt, also der vollständigen, verifizierbaren und unwiderruflichen Abschaffung der Massenvernichtungswaffen und ballistischer Raketen aller Reichweiten. Auch im UN-Sicherheitsrat, in dem Deutschland ab diesem Jahr nichtständiges Mitglied wird, wird eng kooperiert. Für eine baldige Lösung des Entführten-Problems habe ich auch von Bundeskanzlerin Merkel Unterstützung zugesprochen bekommen.

So sind durch das heutige Gespräch die japanisch-deutschen Beziehungen auf eine neue, höhere Ebene gehoben worden. Ich freue mich, dass wir bestätigt haben, für den Frieden und die Stabilität der internationalen Staatengemeinschaft die Zusammenarbeit der beiden Länder auszubauen.

Konkret haben wir uns zunächst darauf geeinigt, auch mit der weitgehenden Einigung in den Verhandlungen zum Geheimschutzabkommen die Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich voranzutreiben. Außerdem ist es sehr bedeutsam, dass wir uns über die Zusammenarbeit beider Länder einig sind, um eine freie und offene Indopazifikregion zu verwirklichen. Wir haben auch über die Zusammenarbeit diskutiert, um eine freie Seefahrt und die Sicherheit des offenen Meeres im indopazifischen Raum zu gewähren. Zudem sind wir uns einig, durch die Zusammenarbeit bei den Maßnahmen bezüglich des Klimawandels und des Katastrophenschutzes der pazifischen Inselstaaten für den regionalen Wohlstand eng zu kooperieren.

In Asien werden sich Japan und Deutschland ergänzend dafür einsetzen, zu einem demokratischen Aufbau des Staates Myanmar beizutragen.

In Afrika werden wir für Frieden, Stabilität und eine nachhaltige Entwicklung zusammenarbeiten, unter anderem durch die Unterstützung der Sahelländer.

In Europa unterstützt Japan gemeinsam mit Deutschland die europäische Integration des Westbalkans und steht Europa bei, denn Europa und der Westbalkan sind durch die gemeinsamen Werte eng verbunden.

Des Weiteren haben wir auch über die Kooperation beim Kompetenzaufbau der UN-Friedensmission gesprochen und diskutiert.

Heute sind die japanisch-deutschen Beziehungen auf eine neue, höhere Ebene gehoben worden. 2021 feiern wir 160 Jahre japanisch-deutschen Austausch. Zusammen mit Angela werde ich weiterhin für den Frieden und die Stabilität der Staatengemeinschaft beitragen. Die Frau Bundeskanzlerin hat den Frühling mit nach Japan gebracht. Gern möchte ich sie noch länger hier in Japan haben, damit der kalte Winter nicht zurückkehrt. Ich hoffe, dass Sie heute und morgen trotzdem Ihren Aufenthalt in Japan genießen werden.

Vielen Dank!

BK’in Merkel: Lieber Shinzō, ich möchte mich bei dir ganz herzlich für den freundschaftlichen Empfang bedanken. Ich bin jetzt zum fünften Mal in Japan, aber wir haben uns schon 17 Mal gesehen bzw. sind uns begegnet, und wir haben auf den internationalen Konferenzen eigentlich immer sehr gut zusammengearbeitet.

Für uns ist diese lange Freundschaft, die sich 2021 auch in 160 Jahren diplomatischer Beziehungen ausdrücken wird, Ansporn, in einer Welt, in der manches in Unordnung ist, enger zusammenzuarbeiten. Das tue ich durch meinen Besuch. Ich freue mich natürlich, dass ich auch den Kaiser und den Kronprinzen besuchen darf und von ihnen empfangen werde. Ich freue mich, dass ich auch mit Vertretern der Intellektuellengruppen und mit Wissenschaftlern, mit Studenten und mit der Wirtschaft sprechen kann und mir damit auch ein etwas breiteres Bild von den Aktivitäten hier in Japan machen kann.

Ein wesentlicher Zweck dieses Besuches besteht aber auch darin, zu zeigen, dass wir gemeinsam das G20-Treffen vorbereiten wollen. Du hast in Davos die spezifisch japanische Agenda aufgezeigt, die wir sehr unterstützen. Neben den großen Themen, die uns bewegen   Weltwirtschaft, Handel, Klimawandel   wird Japan den Schwerpunkt setzen, sich mit der Gesellschaft 5.0 nach der industriellen Revolution, nach der Industrie 4.0 auseinanderzusetzen. Das bedeutet vor allen Dingen auch, sich mit der Ethik der Daten zu beschäftigen. Deutschland und Japan können hier sehr eng zusammenarbeiten, weil wir auf diesem Gebiet auch einiges voranbringen. Ich denke, ihr werdet der Welt im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen auch zeigen, wie technisch fortgeschritten ihr seid, was das autonome Fahren und die neuen Antriebstechnologien anbelangt. Natürlich sind wir sehr daran interessiert, mit euch auf diesen Gebieten zusammenarbeiten, genauso wie auch im Bereich der künstlichen Intelligenz und im ganzen Wirtschaftsbereich   deshalb habe ich auch eine Wirtschaftsdelegation hierhin mitgenommen. Ich unterstütze auch, dass wir das Geheimschutzabkommen entwickeln, um in der Cyberzusammenarbeit voranzukommen; denn wir haben ja die gleichen Herausforderungen.

Es ist ja ganz interessant: Deutschland und Japan liegen sehr weit auseinander, aber im Kern ist nur einmal Russland dazwischen. Wir schauen also von zwei Seiten auf Russland, und deshalb haben wir auch viel über die Fragen der Kooperation mit Russland, aber auch der Probleme mit Russland gesprochen   sei es die Ukraine oder sei es die Tatsache, dass Japan bis heute keinen Friedensvertrag hat. Ich unterstütze insofern alle deine Bemühungen, die du auch gerade wieder in Moskau gezeigt hast, um einen solchen Friedensvertrag zu bekommen.

Es ist hier aber eben auch die Frage eines offenen indopazifischen Raums, der sich Shinzō Abe sehr verpflichtet fühlt. Auch wir werden darüber nachdenken, wie wir deutlich machen können, dass wir dieses Projekt unterstützen. Es ist ein Projekt, das sich natürlich auch mit starken territorialen Ansprüchen Chinas auseinandersetzt. Wir beide sind der Meinung, dass man mit China eng zusammenarbeiten muss, dass man aber auch die Punkte ansprechen muss, die nicht so einfach gehen. Ich freue mich, dass die chinesisch-japanische Zusammenarbeit doch an Tempo gewonnen hat, und ich weiß auch, dass wir hier in gewisser Weise Konkurrenten sind, wenn es um die Automobilindustrie und andere hochtechnologische Komponenten geht. Ich glaube aber, dieser Wettbewerb macht uns stark; deshalb sind wir ja für einen freien und offenen Handel.

Ich begrüße sehr, dass sich Japan seit Jahren im Entwicklungsbereich sehr eng mit den Ländern Afrikas beschäftigt. Ich glaube, dass wir hier noch mehr gemeinsam tun können. Deshalb freue ich mich, dass der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller in diesem Jahr zu der Konferenz der afrikanischen Staaten, in der über Entwicklungspolitik gesprochen wird, eingeladen wird. Ich glaube, da kann man hinsichtlich der Methodik, aber auch hinsichtlich der Bündelung bestimmter Projekte sicherlich noch mehr gemeinsam machen.

Was ich sehr gut finde   und diesbezüglich würde ich auch Shinzō Abe gerne einmal einladen  , ist die Unterstützung des Berliner Prozesses auf dem westlichen Balkan. Wir haben ja zur Heranführung der Länder des westlichen Balkans einen Prozess aufgesetzt, der als Berliner Prozess bezeichnet wird, aber von allen EU-Staaten begleitet wird. Das wäre auch ein interessantes Feld der Zusammenarbeit zwischen Japan und der Europäischen Union.

Alles in allem ist dies also ein Besuch in einer Zeit, in der wir bewiesen haben, dass wir, auch wenn multilaterale Abkommen zum Teil in schwierigerem Fahrwasser sind, bereit sind, so etwas abzuschließen. Der 1. Februar ist deshalb ein ganz besonderer Tag, und dies ist ein Treffen, bei dem zwei Ländervertreter miteinander arbeiten, die glauben, dass sehr gute Win-win-Situationen entstehen können, wenn alle Partner offen miteinander zusammenarbeiten. Natürlich gehört dazu Fairness, natürlich gehört dazu Reziprozität, aber dafür setzen wir uns ein.

Herzlichen Dank für den freundschaftlichen Empfang!

Frage: Herr Premierminister Abe, Ich habe eine Frage bezüglich des Brexits: Großbritannien wird eine Neuverhandlung verlangen, aber die EU ist nicht bereit, den vereinbarten Inhalt zu verändern. Der Weg einer Vermeidung des No-Deal-Brexits scheint nicht in Sicht. Was für eine Lösung werden Sie, Herr Premierminister, fordern, und was für Meinungen haben Sie mit der Frau Bundeskanzlerin zu diesem Thema, zum Brexit-Thema, ausgetauscht? Welche Maßnahmen wünschen Sie sich von Deutschland, das eine sehr wichtige Stimme in der EU hat?

MP Abe: Am 29. Januar wurde in Großbritannien im Parlament beraten. Großbritannien möchte einen No-Deal-Brexit vermeiden und erneut mit der EU verhandeln. Japan will, dass dieser Austrittsprozess mit Voraussehbarkeit und gesetzlicher Sicherheit vorangeht und dabei vor allem die negativen Auswirkungen auf die japanischen Unternehmen und die Weltwirtschaft minimiert werden. Der Frau Bundeskanzlerin habe ich mitgeteilt, dass Japan auf die Vermeidung eines No-Deal-Brexits setzt. Ich weiß natürlich, dass das ein sehr herausforderndes Thema, ein schwieriges Thema ist. Wir werden weiterhin sowohl an Großbritannien als auch an die EU weiter herangehen.

BK’in Merkel: Wir wollen auch alles daransetzen, dass es nicht zu einem No-Deal-Austritt kommt, denn das würde die Unsicherheit vergrößern. Wir freuen uns, dass dafür auch im britischen Parlament eine Mehrheit vorhanden ist.

Nun muss man herausfinden: Was kann man machen? Wir sagen: Das Austrittsabkommen ist sehr lange verhandelt, deshalb möchten wir dieses Austrittsabkommen nicht wieder öffnen; das steht also nicht auf der Tagesordnung. Wir haben aber eine Verabredung für die zukünftigen Beziehungen, und in diesen zukünftigen Beziehungen kann man natürlich auch Fragen regeln, die jetzt immer noch besprochen werden   zum Beispiel die Fragen, die mit dem Backstop zu tun haben, das heißt, mit dem Management der Grenze zwischen Nordirland, das ja zu Großbritannien gehört, und der Republik Irland, die zur Europäischen Union gehört. Es gibt bestimmt Möglichkeiten, auf der einen Seite die Integrität des Binnenmarktes, also die Geschlossenheit des Binnenmarktes zu gewährleisten   auch wenn Nordirland dann nicht mehr dazugehört, weil es ja zu Großbritannien gehört   und auf der anderen Seite dem Wunsch, möglichst keine Kontrollen an der Grenze zwischen Nordirland und Irland zu haben, Rechnung zu tragen und diesen Punkt auch zu lösen. Da muss man kreativ sein, da muss man aufeinander hören, und solche Gespräche müssen und können getroffen werden.

Das heißt, wir können die Zeit noch nutzen, um das, was bis jetzt einer Einigung im Weg stand, vielleicht   wenn alle guten Willens sind   noch zu einer Einigung zu bringen. Wir müssen aber von Großbritannien erfahren   das ist der entscheidende Punkt  , wie es sich das vorstellt.

Frage: Zunächst eine Frage an den Herrn Ministerpräsidenten im Zusammenhang mit der Einbindung von Huawei in die Weiterentwicklung der 5G-Technologie: Haben Sie ähnliche Sicherheitsbedenken wie die USA und Deutschland, was diese Einbindung angeht? Wird Japan Huawei beim Ausbau des 5G-Standards ausschließen?

Eine aktuelle Frage an die Frau Bundeskanzlerin: Gestern ist das Ultimatum von Deutschland und anderen EU-Staaten an Maduro für freie Präsidentschaftswahlen ausgelaufen. Ist Herr Guaidó für Sie jetzt der legitime Präsident, und welche Konsequenzen hat das?

MP Abe: Zum Thema Huawei: Die japanische Orientierung ist, dass wir bestimmte Unternehmen nicht ausschließen. Wir werden darauf achten, dass die Informationen auf gerechte Art und Weise gesammelt werden. Wenn das nicht der Fall sein sollte, dann wird das natürlich ausgeschlossen. Das ist unsere Grundeinstellung.

Was das Thema Venezuela anbelangt, bin ich dafür, dass das Thema wirklich demokratisch und vor allem friedlich gelöst wird. Das ist die Haltung Japans.

BK’in Merkel: Ich möchte noch eine Ergänzung zu den früheren Ausführungen machen: Wir unterstützen den Ministerpräsidenten natürlich vollständig in der Korea-Frage. Hier muss es zu einer wirklichen, nachhaltigen Abrüstung kommen, und die Anliegen Japans müssen berücksichtigt werden, was die verschleppten Menschen anbelangt. Ansonsten ist das eine für Japan natürlich nicht akzeptable Situation, wie wir sie jetzt schon seit Jahren haben. Wir setzen uns gemeinsam dafür ein, dass wir hier eine Denuklearisierung bekommen. Die Schritte müssen aber auch nachvollziehbar sein. Sie sind es leider bis jetzt noch nicht. Der Prozess ist sehr hoffnungsvoll, aber es müssen jetzt Taten folgen. Deutschland hat in seiner Eigenschaft als temporäres Mitglied des UN-Sicherheitsrats jetzt die Federführung im Sanktionsausschuss mit Blick auf Nordkorea. Wir werden da unsere Arbeit leisten und uns auch sehr eng mit Japan abstimmen.

Was Guaidó angeht, so gilt das, was wir gesagt haben: Bis gestern ist keine Wahl für eine Präsidentschaft ausgerufen worden, deshalb ist Guaidó jetzt die Person, mit der wir darüber reden und von der wir erwarten, dass sie einen Wahlprozess möglichst schnell initiiert. Für diese Aufgabe ist er aus deutscher Sicht und aus der Sicht vieler europäischer Partner der legitime Interimspräsident. Wir hoffen, dass sich dieser Prozess möglichst kurz und natürlich friedlich gestaltet.