Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem griechischen Ministerpräsidenten Tsipras

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass heute der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras zu seinem Antrittsbesuch nach Berlin gekommen ist - ich habe ihn und sein Team herzlich begrüßt.

Wir haben uns bereits in Brüssel gesehen und haben dort beim letzten Rat, wie Sie wissen, auch ein längeres Gespräch in einem kleineren Kreise geführt. Wir haben heute die Möglichkeit gehabt, in einer ersten Runde sowohl die Fragen der Europäischen Union und des Euro als auch die bilateralen Beziehungen zu besprechen.

Ich möchte von der deutschen Seite aus deutlich machen: Wir haben enge und freundschaftliche Beziehungen zu Griechenland, zu den Menschen in Griechenland. Wir haben sehr, sehr viele Menschen mit griechischen Wurzeln, die in Deutschland leben und die so etwas wie eine lebendige Brücke zwischen unseren beiden Völkern sind. Der griechische Ministerpräsident hat auch noch einmal darauf hingewiesen, dass sich Millionen von deutschen Touristen in jedem Jahr freuen, in Griechenland Urlaub machen zu können. Wir möchten, dass sich das auch so fortentwickeln kann. In diesem Geist ‑ in einem Geist, in dem wir auch vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen ‑ haben wir heute die Gespräche geführt.

Wir haben in einer ersten Runde darüber gesprochen, was jetzt im Zusammenhang mit der Erfüllung des Übereinkommens, das geschlossen wurde, die Aufgaben und Notwendigkeiten sind. Da geht es ja um die Frage: Wie kann die Zeit der Verlängerung genutzt werden, um den Rahmen dieses Übereinkommens dann auch wirklich auszufüllen? Ich habe in Brüssel deutlich gemacht und will das an dieser Stelle noch einmal sagen: Wichtig ist, dass die ökonomischen Eckdaten stimmen. Das heißt, welche Art von Reformen durchgeführt werden, kann von der griechischen Regierung natürlich im Zusammenhang mit den Institutionen beredet werden. Ich will hier auch noch einmal deutlich machen: Es ist nicht Deutschland, das darüber entscheidet, ob das Reformprogramm richtig oder ausreichend ist; vielmehr wird das Reformprogramm von den drei Institutionen bewertet, und die Entscheidungen fallen dann in der Eurogruppe.

Ausgangspunkt für die weitere Arbeit ist das Statement, das die Eurogruppe am 20. Februar abgegeben hat. Die Vorstellungen, die Griechenland hat, können von mir hier jetzt natürlich nicht dargestellt werden. Ich sage nur: Wir möchten, dass Griechenland wirtschaftlich stark ist, wir möchten, dass Griechenland Wachstum hat, wir möchten vor allen Dingen, dass Griechenland aus der hohen Arbeitslosigkeit herauskommt, und ganz besonders, dass die sehr, sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit überwunden werden kann. Dass dazu Strukturreformen notwendig sind, dass dazu ein solider Haushalt notwendig ist und dass dazu eine funktionierende Verwaltung notwendig ist, wird von uns beiden, glaube ich, gemeinsam so gesehen.

Zweitens haben wir über die bilateralen Beziehungen gesprochen. Hier werden wir einige der Aktivitäten noch einmal im Hinblick auf die Frage, inwieweit die neue griechische Regierung die Dinge fortsetzen will, einer Bewertung unterziehen. Es gibt die sogenannte Taskforce, die von der Europäischen Union eingerichtet wurde. Deutschland hatte in diesem Rahmen einige Verpflichtungen übernommen, etwa mit Blick auf Veränderungen im Gesundheitssystem, aber auch bei der lokalen Verwaltung. Wir haben verabredet, dass wir uns hierüber austauschen und dass die neue griechische Regierung sagt, in welcher Form sie das fortsetzen möchte. Die deutsch-griechische Partnerschaft ist wichtig. Auch die Zusammenarbeit in anderen Bereichen ‑ zum Beispiel im Bereich der Forschung ‑ werden wir fortsetzen, und wir werden überlegen, wie wir das dann in Zukunft gestalten können.

Alles in allem will ich sagen: Es ist uns beiden, glaube ich, daran gelegen ‑ mir auf jeden Fall ‑, dass wir eine vertrauensvolle Zusammenarbeit finden und dass wir auch schwierige Fragen ansprechen können ‑ auch Fragen, in denen wir unterschiedlicher Meinung sind ‑, aber dass der Geist unserer Kooperation einer ist, der sagt: Beide Länder wollen gut zusammenleben, beide Länder sind Teile der Europäischen Union, beide Länder sind Mitgliedstaaten der NATO. Wir haben gemeinsame geopolitische Herausforderungen zu bewältigen und wir sind gemeinsam davon überzeugt ‑ Deutschland ist es jedenfalls ‑, dass das Friedenswerk Europa, das gerade in diesen Tagen, in denen wir an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren denken, ein riesiges Friedenswerk ist, das von jeder politischen Generation fortgesetzt werden muss. Dieser Verantwortung wollen wir uns stellen.

MP Tsipras: Ich möchte der Bundeskanzlerin für diese Einladung und diese Gelegenheit, bilateral gemeinsame Gespräche zu führen, danken!

Ich glaube, dieses Treffen ist besonders wichtig, denn wir müssen uns besser verstehen und einen Meinungsaustausch durchführen. Es gibt keinen anderen Weg als den des Dialogs, um bestehende Schwierigkeiten zu überwinden. Es ist ja letzten Endes auch unsere gemeinsame europäische Erfahrung, dass wir über Verständigung einen Weg aus Schwierigkeiten herausfinden. Wie die Bundeskanzlerin mir letzte Woche telefonisch mitteilte, ist es besser, dass man miteinander spricht, als dass man übereinander spricht.

Ich sehe, dass die Vertreter der Presse, der Medien, sehr zahlreich gekommen sind. Bei dieser Gelegenheit möchte ich zwei grundsätzliche Positionen der neuen griechischen Regierung hervorheben.

Erste Position: Demnächst haben wir fünf ganze Jahre seit Beginn eines Rettungsprogramms hinter uns, das zu einer erheblichen fiskalischen Anpassung geführt hat. Ein solches Programm verlangt natürlich eine gewisse Zeit. Aber dieses Programm war für uns keine Erfolgsgeschichte; denn dieses Programm hatte schreckliche Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft. Wir haben etwa 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verloren, und darüber hinaus wurden auch enorme soziale Verwerfungen geschaffen ‑ viele Arbeitslose, gerade bei den Jugendlichen etwa 60 Prozent. Darüber hinaus wurden auch gewisse Ziele nicht erreicht; denn die öffentliche Verschuldung hat zugenommen und die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft hat abgenommen. Ich glaube, die Zahlen sprechen für sich. Darüber hinaus kam es auch zu einer weiteren Vergrößerung der Unterschiede zwischen den Ärmeren und den Reicheren. Die Böckler-Stiftung hat darauf hingewiesen, dass das Einkommen der Ärmeren um 80 Prozent zurückgegangen ist, während das der Reichen nur um 16 Prozent zurückgegangen ist. Gleichzeitig hat die Steuerbelastung bei den Ärmeren um 337 Prozent zugenommen, bei den Reicheren aber nur um 9 Prozent.

Zweite Bemerkung: Obwohl das alles in den fünf Jahren geschehen ist, wäre es eine Vereinfachung zu sagen, dass alle Probleme in Griechenland nur auf die Ausländer zurückzuführen seien, dass die anderen Schuld seien und nicht wir in Griechenland. Natürlich gibt es auch einige Probleme im Zusammenhang mit dem allgemeinen Aufbau, mit der Architektur Europas; aber es gibt auch interne Ursachen für die enorme Krise in Griechenland. Die fünf Jahre des Programms haben letzten Endes nicht dazu gedient, diese internen, endogenen Probleme Griechenlands zu lösen. Wir haben nach wie vor eine Verschuldung, wir haben eine hohe Arbeitslosigkeit, und auch die Steuerflucht gerade der Reicheren ist nach wie vor ein Faktum.

Mit anderen Worten: Wenn wir uns auf diese beiden Fakten verständigen könnten, müssten wir zu einem gemeinsamen Schluss kommen: Wir wollen selbstverständlich nicht das Positive der letzten Jahre zerstören und kaputtmachen, sondern wir müssen einen neuen politischen Mix erreichen, um diese Übel zu beseitigen. Unser gemeinsames Ziel ist die Verwirklichung großer erforderlicher Strukturreformen in Griechenland, zu denen es unter den vorangegangenen Regierungen nicht gekommen ist. Dabei geht es um Steuergerechtigkeit sowie um die Bekämpfung von Korruption, Steuerflucht und Steuervermeidung. Die Krise sollten zum Teil diejenigen bezahlen, die bislang ihren Beitrag nicht geleistet haben.

Ich möchte auch sagen, dass unser heutiges Gespräch ‑ das übrigens nachher noch weitergehen wird ‑ zumindest dazu dienen soll, gemeinsamen Grund zu finden und auch über unsere Meinungsunterschiede zu sprechen ‑ dazu dient das ja auch. Es sollte aber eine gemeinsame Basis sein, dass man politische Prioritäten auch ändern kann. Wenn man sich dabei auf den Konsens der Bevölkerung stützen kann, kann man sicherlich auch Fortschritte erzielen, sodass wir auch die erforderlichen fiskalischen Anpassungen mit Erfolg abschließen können ‑ bei gleichzeitiger Verstärkung der sozialen Gerechtigkeit, die es Griechenland hoffentlich bald ermöglicht, aus der riesigen Krise der letzten Jahre herauszukommen.

Gestatten Sie mir, noch drei Bemerkungen zu den bilateralen Beziehungen zu machen.

Zunächst einmal meine ich, dass wir die Stereotypen beseitigen müssen, zu denen es leider in den letzten Jahren gekommen ist. Weder sind die Griechen Faulenzer noch sind die Deutschen schuld an den Übeln und den Missständen in Griechenland. Wir müssen hart daran arbeiten, diese schrecklichen Stereotype zu überwinden ‑ in beiden Ländern.

Eine zweite Aufgabe wäre es, gemeinsam daran zu arbeiten, die Korruption zu bekämpfen, die Griechenland leider nach wie vor knebelt. Wir möchten hierbei Hilfe und Unterstützung von der deutschen Regierung erfahren. Eine erste Initiative auf diesem Gebiet wäre justizielle Unterstützung, damit auch eine Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Siemens-Affäre erfolgen kann, die sich über die letzten zehn Jahre schon zu sehr in die Länge gezogen hat.

Außerdem müssen wir auch die Schatten der Vergangenheit aufhellen. Ich denke da an den Zwangskredit und auch an die Wiedergutmachung, die Reparationen Deutschlands. Das ist für uns nicht in erster Linie ein Thema materieller Art, sondern es ist in erster Linie ein ethisch-moralisches Problem, an dessen Lösung wir auf beiden Seiten arbeiten müssen, damit wir diese moralische Frage in den Griff bekommen. Da geht es nicht nur um Deutschland und Griechenland, sondern es geht um die Deutschen und die Griechen, die sehr viel Blut haben lassen müssen, um endlich den Nazismus, den Faschismus und den Totalitarismus zu überwinden ‑ vor allen Dingen mit dem Ziel, dass derartige totalitäre Systeme niemals wieder an die Macht kommen können.

Ich komme zum Abschluss: Ich glaube, wir stehen in Europa vor zwei Fragen. Das eine ist, dass die Verträge einzuhalten sind, auch wenn man mit ihnen nicht immer einverstanden sein muss. Wir achten sie aber, wir respektieren sie, und wir respektieren auch unsere Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen ergeben ‑ aber mit bestimmten Prioritäten, die zu tun haben mit sozialer Kohäsion und mit unserem Wunsch, aus der Krise herauszukommen. Wir wollen endlich eine Entwicklungsagenda in Angriff nehmen können, auf die wir uns zu verständigen haben. Wenn wir also zunächst einmal die Vertragstreue betonen und gleichzeitig auch die Demokratie achten wollen, die ja bedeutet, dass die Volkssouveränität der Regierung die Macht überträgt, wenn wir das also achten und respektieren, dann kann man, glaube ich, in Europa optimistischer sein. Griechenland kann dann auch schneller aus dieser großen humanitären Krise herauskommen. Das wäre dann der Anfang der Überwindung einer Krise, die nicht nur Griechenland, sondern ganz Europa betrifft.

Frage: Frau Bundeskanzlerin Merkel, hat der griechische Ministerpräsident Sie mit seinen Vorschlägen bzw. seinen Argumenten überzeugt? Gibt es irgendwelche Zusagen in Bezug auf die Liquidität Griechenlands bzw. die Liquiditätsförderung durch andere Institutionen?

Herr Tsipras, meinen Sie, dass Ihr Treffen mit Frau Merkel darauf hinauslaufen wird, dass Sie bis April die Renten und die Gehälter der öffentlichen Beamten bezahlen können?

BK'in Merkel: Ich bin die Bundeskanzlerin von Deutschland und vertrete damit ein Mitgliedsland unter 19, die zum Euro gehören. Die Entscheidungen über Liquidität, die Entscheidungen über die Richtigkeit von bestimmten Maßnahmen treffen die Mitglieder der Eurogruppe, also die Finanzminister, nachdem sie einen Vorschlag und eine Bewertung der drei Institutionen bekommen haben. Das heißt, wir können heute nur darüber diskutieren, wir können uns austauschen ‑ wir werden das gleich auch noch vertiefter tun; das haben wir noch gar nicht gemacht ‑, aber ich kann nichts in Aussicht stellen oder zusagen ‑ schon gar nicht Liquidität. Das heißt also, das ist einem anderen Prozess vorbehalten. Deshalb haben wir ja auch richtigerweise am Donnerstag in einer kleineren Gruppe zusammengesessen und haben die Fragen, die damit verbunden sind diskutiert. Wir haben noch einmal den Ausgangspunkt der Vereinbarung der Eurogruppe vom 20. Februar genommen und haben darüber geredet, was jetzt passieren muss. Das werden wir nachher auch tun, aber ohne dass dabei Ergebnisse zu erwarten sind.

MP Tsipras: Sie können natürlich nicht erwarten, dass ich nach Deutschland komme, um die Bundeskanzlerin zu bitten, die griechischen Renten und Gehälter zu bezahlen ‑ das war sicherlich nicht das Ziel meines Besuchs hier. Ich weiß sehr wohl ‑ wie Sie wahrscheinlich auch ‑, in welchem institutionellen Rahmen in Europa die Entscheidungen zu fällen sind. Wir kennen natürlich auch die Schwierigkeiten ‑ Haushaltsschwierigkeiten, finanzielle Schwierigkeiten ‑ der griechischen Regierung ‑ die wir übrigens aus der Vergangenheit übernommen und nicht geschaffen haben. Wir möchten nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dass diese Schwierigkeiten überwunden werden können. Wir möchten eine Verständigung und eine gemeinsame Entscheidung der europäischen Institutionen, die für alle Seiten vorteilhaft ist, damit wir eine gemeinsame europäische Zukunft gestalten können. Denn das Problem, von dem Sie eben in Ihrer Frage sprachen, betrifft ja nicht nur Griechenland, sondern die gesamte Eurozone. Wir haben doch alle festgestellt, dass neue Spaltungen in der Eurozone vermieden werden müssen.

Wir alle haben den Willen, eine allseitig vorteilhafte Lösung im Rahmen der Verträge zu finden. Wir müssen eben nur einen gemeinsamen Boden definieren. Wir müssen die Sprache der Wahrheit sprechen. Wir müssen auch offen über unsere unterschiedlichen Auffassungen reden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass das ganze Verfahren vorankommen kann, auch in den Institutionen, damit wir möglichst bald eine Verständigung für den Abschluss des Prozederes erreichen und damit wirklich die erforderlichen strukturellen Veränderungen und Reformen vor allen Dingen in der griechischen Volkswirtschaft erfolgen können. Institutionell ist ja auch vorgesehen, dass dann auch entsprechende Verfahren für die Auszahlung der Gelder eingeleitet werden - Gelder, die die griechische Volkswirtschaft im Augenblick dringend braucht.

Frage: Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, besser sei es, miteinander zu reden, als übereinander zu reden. Wir konnten lesen, dass Mitglieder Ihrer Regierung gefordert haben, deutsche Einrichtungen in Griechenland zu pfänden, wenn Deutschland nicht im Sinne Athens zahle, oder Flüchtlingsströme umzuleiten, und wenn IS-Terroristen darunter seien, dann könne Griechenland auch nichts dafür. Könnten Sie sich bitte noch einmal dazu positionieren, ob Sie das unterstützen?

Frau Bundeskanzlerin, sehen Sie eine moralische Verpflichtung für Deutschland, griechische NS-Opfer zu entschädigen und vielleicht den Zukunftsfonds aufzustocken?

MP Tsipras: Es gibt kein Mitglied in der griechischen Regierung, das die Absicht hegen würde, deutsches staatliches Eigentum in Griechenland zu pfänden. In letzter Zeit war viel die Rede davon, und dabei war auch die Rede davon, dass die wichtige Tätigkeit des Goethe-Instituts einfach geschlossen werden sollte. Das können Sie vergessen! Das gilt einfach nicht!

Die griechische Regierung hat ein juristisches Problem im Rahmen des Völkerrechts angeschnitten, auf das wir uns berufen. Ich darf nur wiederholen, dass diese Initiative ‑ das ist übrigens nichts Neues ‑, also diese Forderung nach Reparationen bzw. in Bezug auf das Stichwort Zwangskredit, in erster Linie keine materielle Forderung ist. Das hängt auch nicht mit der augenblicklichen Krise, mit der Position Griechenlands in der Eurozone und mit der Notwendigkeit zusammen, schnell eine Lösung zu finden, um voranzukommen. Das ist ein rein bilaterales Thema, das für uns vor allen Dingen eine ethische Wertung hat. Häufig gibt es Missverständnisse. Es gibt die Stereotypen, von denen wir gesprochen haben.

Jetzt zum zweiten Teil der Frage: Was war das noch einmal?

BK'in Merkel: Der zweite Teil der Frage war für mich. - Frau Dunz, wir haben ja gesagt, und das wiederhole ich hier auch noch einmal, dass die Frage der Reparationen aus Sicht der Bundesregierung politisch und rechtlich abgeschlossen ist. Aber wir haben gleichzeitig gesagt, und der Bundespräsident hat das insbesondere bei seinem Besuch im vergangenen Jahr in Griechenland auch vor Ort noch einmal sehr deutlich gemacht, dass wir das Bewusstsein haben, welche Grausamkeiten wir angerichtet haben, welche Willkür des Nationalsozialismus in Griechenland geherrscht hat, unter der viele Menschen gelitten haben, und dass auch dieses Unrecht und dieses Leid vielen in Deutschland gar nicht mehr so gewärtig ist, wie es vielleicht der Fall sein sollte. Daraus ist ja in gewisser Weise der Zukunftsfonds entstanden, und über diese Fragen der Zusammenarbeit werden wir weiterhin im Gespräch bleiben. Wir haben darüber heute keine Entscheidungen getroffen. Aber Deutschland nimmt diese Aufgabe, dieses Bewusstsein wachzuhalten und es auch nicht beiseitezustellen, sehr, sehr ernst, und in diesem Geist werden wir die Gespräche mit Griechenland auch weiterhin führen.

Frage: Ich hätte eine Frage, die sich an beide richtet. Deutschland ist ja irgendwie schon die mächtigste staatliche Institution oder das mächtigste Land in Europa. Sehr viele europäische Länder betrachten die deutsche Hegemonie in Europa als ein Faktum. Ich habe Sie vor Kurzem neben einem Nazi gesehen, der die Akropolis betrachtet hat. Das sage ich, um Ihnen zu erläutern, wie viele Griechen die Deutschen betrachten. Griechenland musste eine Zwangsanleihe aufnehmen, und Deutschland hat davon profitiert. Abgesehen davon hat Deutschland sehr viele Investitionen in Griechenland vorgenommen, ohne dass sie beim Volk angekommen sind. Das schafft ein gewisses negatives Bild von Deutschland, und das muss sich irgendwie ändern. Deutschland hat eine historische Verantwortung gegenüber Griechenland und gegenüber Europa, und die muss auch wahrgenommen werden, damit sich das Bild Deutschlands im Ausland verändert.

Sie arbeiten ja jetzt eng zusammen. Vielleicht können Sie auch auf diesem Gebiet zusammen eine Lösung finden.

BK'in Merkel: Ich habe zu dem Teil der historischen Verantwortung ja gerade bei der Beantwortung der vorigen Frage etwas gesagt und möchte deshalb noch einmal darauf verweisen. Aber ich glaube, dass uns sehr daran gelegen sein sollte, dass unsere Zusammenarbeit von Vertrauen geprägt ist. Darüber haben wir gesprochen. Darüber haben wir Donnerstagabend gesprochen, und darüber haben wir heute gesprochen.

Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass, auch wenn in Deutschland 80 Millionen Menschen leben und wir die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union sind, dieses Europa darauf aufgebaut ist, dass jedes Land gleich wichtig ist - egal, wie viele Einwohner es hat und ob es sich um Luxemburg oder Malta oder Deutschland handelt. In der Eurogruppe hat zum Beispiel jeder eine Stimme. Das ist das, was unseren Zusammenhalt, unser Zusammenleben und unser friedliches Zusammenleben in Europa auszeichnet.

Wer sozusagen einmal schaut, wie viele Nachbarn Deutschland hat, und wer ein wenig Geschichtsverständnis hat, der weiß, dass wir ein eigenes Interesse daran haben, nicht nur mit unseren Nachbarn, sondern mit allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gut auszukommen, ob es Polen ist, ob es Luxemburg ist oder ob es genauso Griechenland ist, und zwar, weil jede Art von Stereotypen ‑ der Ministerpräsident hat von Stereotypen gesprochen, die sich in unseren Köpfen festsetzen ‑ der Anfang eines sehr schwierigen Prozesses ist. Ich habe, als die Euro-Krise begann, sehr oft gesagt, weil dann oft „die Italiener“, „die Spanier“, „die Iren“, „die Griechen“ und „die Deutschen“ gesagt wird, dass Europa genau das nicht ist. Nicht, weil ich zu einem Land gehöre, bin ich „die“, sondern jeder Mensch ist einzigartig und unterschiedlich. Schon da beginnen die Stereotypen.

Von diesem Geist bin ich jedenfalls sozusagen bewegt, wenn ich Politik mache ‑ und zwar im vollen Bewusstsein für die Vergangenheit und mit einem Blick in die Zukunft ‑, die aussagt: Diese Europäische Union ist so eine kostbare Sache, dass man alle Anstrengung dafür einsetzen muss, um sie auch gut weiterzuentwickeln.

MP Tsipras: Sie fragten mich, wie wir zusammenarbeiten und wie ich Frau Merkel finde. Nach meiner Erfahrung aus den Gesprächen und dem Dialog, den wir geführt haben, muss ich sagen, dass Frau Merkel zuhört und konstruktiv beim Meinungsaustausch vorankommen möchte, und das ist ja sehr wichtig. Vielleicht haben Sie von draußen ein anderes Bild von unserer Beziehung, aber ich finde, sie ist doch sehr positiv. Das ist auch so ein Stereotyp.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch eine andere Bemerkung machen. Ich habe auch die Veröffentlichung dieser Karikatur im „SPIEGEL“ gesehen, und ich finde es sehr ungerecht ‑ ungerecht gegenüber der Frau Bundeskanzlerin, aber auch ungerecht gegenüber der deutschen Bevölkerung ‑, dass da eine solche Provokation, ein solcher Angriff, eine solche Attacke veröffentlicht wird. Das heutige Deutschland, das demokratische Deutschland, hat nichts mit dem Deutschland des Dritten Reichs zu tun, das so viel Blutzoll gekostet hat. Oft und immer wieder gibt es Satiren und auch Karikaturen, die dem widersprechen. Auch meine Parteizeitung hat etwas Schreckliches veröffentlicht, und ich habe gesagt: So geht das nicht! Das, was ihr hier macht, ist kein Witz! Mit der Geschichte darf man nicht scherzen! Wir müssen das Gefühl haben, dass das hinter uns liegt. Das ist eine düstere, dunkle Vergangenheit, die wir überwinden müssen.

In diesem Sinne möchte ich sagen, dass wir gemeinsame Herausforderungen im Sinne einer gemeinsamen europäischen Zukunft angehen müssen. Wir stehen vor vielen geopolitischen Problemen und Instabilitäten; denken wir an Zypern, denken wir an den Mittleren Osten, denken wir an die Ukraine-Krise. Ich glaube, Europa ist ein Stabilitätsfaktor, der von Krisengebieten umgeben ist, und dafür muss man gemeinsam Lösungen finden. Aber bitte lassen Sie doch diese Schatten der Vergangenheit, dass da frühere Konflikte wiederbelebt werden, hinter sich! Wir müssen die Seite umschlagen. Wir müssen gemeinsam eine Zukunft, ein Europa schaffen, gegründet auf der Solidarität zwischen den Völkern und zwischen den Ländern, auf dem gegenseitigen Respekt und der Achtung der Demokratie und auch auf der Volkssouveränität und den gemeinsamen europäischen Regeln.

Frage: Herr Ministerpräsident, Sie haben jetzt eine längere Analyse dessen abgeliefert, was in Europa nicht funktioniert. Viele Leute hier in Deutschland und auch in der EU fragen sich, ob die Zeitungsberichte darüber stimmen, dass Griechenland am 8. April die Zahlungsunfähigkeit erreicht haben wird. Um die Qualität der Gespräche, die Sie mit der Bundeskanzlerin führen, etwas einordnen zu können: Haben Sie eigentlich eine Liste mit Reformvorschläge mitgebracht, die Sie mit der Bundeskanzlerin nachher noch besprechen wollen, vielleicht beim Abendessen?

Frau Bundeskanzlerin, was spricht eigentlich dagegen, dass Deutschland eine größere Summe in eine Entwicklungsbank in Griechenland nach KfW-Vorbild investiert, wie es der griechische Finanzminister auch angeregt hatte?

MP Tsipras: Ich glaube, dass die mittelfristigen Liquiditätsprobleme der griechischen Wirtschaft bekannt sind. Wir haben sie geerbt. Die früheren Regierungen haben aus verschiedenen Gründen, die ich hier nicht erklären möchte, keine Bewertung der früheren Programme vorgenommen. Griechenland hat deswegen Gelder erhalten, allerdings nicht genug, um die Liquiditätsprobleme zu überbrücken, denn wir mussten auch noch alte Schulden bezahlen. Diese Probleme sind alle bekannt. Wir sind ja auch nicht hierhergekommen, um bekannte Probleme zu diskutieren, sondern wir möchten Lösungen im politischen Rahmen finden, um voranzukommen. Sie wissen nämlich wahrscheinlich: Wenn sich die politische Ebene verständigt, dann kann man die Probleme der Finanzlücken auch institutionell lösen.

Damit komme ich zur letzten Frage: Es hieß, ich käme vielleicht nach Deutschland, um wirtschaftliche oder finanzielle Unterstützung zu erbitten. Das war nicht der Grund. Wir wollten einen gemeinsamen Meinungsaustausch durchführen. Wir wollten sehen, wo wir eine gemeinsame Basis haben und wo es unterschiedliche Meinungen gibt. Diese Unterschiede müssen auch diskutiert werden. Unser heutiges Treffen kann in diesem Sinne sicherlich dienlich sein. Es kann fruchtbar und auch konstruktiv sein, damit wir eine neue Art der Beziehungen zwischen unseren Ländern herstellen.

Sie sehen es schon: Ich habe das gute Wetter aus Griechenland mitgebracht. Sie haben ja Frühlingswetter hier in Berlin, und dieses Klima sollte auch in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern anhalten!

BK'in Merkel: Was den Aufbau einer Entwicklungsbank anbelangt, so haben wir immer wieder einmal - auch mit den Vorgängerregierungen - darüber gesprochen. Wenn die Hilfe gewünscht wird, dann können wir darüber reden. Bestimmte Zusagen kann ich heute hier nicht machen.

Ich schließe mich den Worten des Ministerpräsidenten an: Das ist ein Antrittsbesuch, den wir auch machen, um die Dinge zu besprechen. Aber wir sind jetzt noch nicht im Zustand ganz konkreter Festlegungen. Gerade was die gesamten bilateralen Beziehungen anbelangt, haben wir ausgemacht, dass wir sie auf den Tisch legen und sagen: Wo wollen wir weitermachen? Was wollen wir tun? Wenn Unterstützung im Zusammenhang mit einer Unterstützungsbank angefragt wird, dann werden wir das gerne machen, aber ich kann hier jetzt keine detaillierten Zusagen machen.