Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Premierminister Valls

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass heute der französische Premierminister Manuel Valls bei uns zu Besuch ist und begrüße ihn ganz herzlich. Wir haben uns schon des Öfteren gesehen, aber der bilaterale Antrittsbesuch findet heute statt und wir haben demzufolge auch ein sehr intensives und freundschaftliches Gespräch in dem Geist geführt, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam die nationalen, internationalen und europäischen Herausforderungen bewältigen wollen.

Wir haben naturgemäß sehr ausführlich über die Wirtschaftslage und die Lage im Euroraum gesprochen. Der Premierminister hat mich über das anspruchsvolle und ambitionierte französische Reformprogramm informiert. Von unserer Seite darf ich dazu nur sagen, dass wir sehr viel Erfolg bei der Umsetzung wünschen und dass wir daran interessiert sind, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam die notwendigen Anstrengungen durchführen, die notwendig sind, um den Euro zu einer dauerhaft stabilen Währung zu machen, um das Wachstum in Europa anzustoßen und die Glaubwürdigkeit europäischer Beschlüsse zu untermauen, wie zum Beispiel den Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Wir haben darüber gesprochen, welche Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung gemacht werden, aber auch welche Notwendigkeiten bestehen, Wachstum in der Eurozone, aber auch in der Europäischen Union insgesamt zu kreieren. Wir können hier in vielen Feldern auch mit der neuen Kommission gemeinsam arbeiten. Ich glaube, dass die Tatsache, dass der deutsche Kommissar für die digitale Agenda zuständig ist, die mit Sicherheit große Wachstumspotenziale in sich trägt, eine gute Chance ist, dass Deutschland und Frankreich gerade auf diesem Gebiet Investitionen initiieren, Regelungen verbessern können, die insgesamt zu mehr Arbeitsplätzen und zu mehr Wohlstand in Europa führen.

Wir haben auch über andere Fragen der deutsch-französischen Zusammenarbeit gesprochen, hier ganz besonders über die internationalen Herausforderungen. Wir sind uns in der Beurteilung der Lage, was die Bedrohung durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ anbelangt, vollkommen einig. Wir haben über die gute gemeinsame Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise und Russland gesprochen. Somit glaube ich, dass dieser Besuch ein Beitrag dazu ist, dass sich unsere Beziehungen weiter positiv entwickeln. Wir sind der Meinung, dass die Initiativen der beiden Finanzminister zur Ausarbeitung von mehr Investitionen in Europa ein gutes Bespiel dafür sind. Ich glaube, es gibt auch für die Wirtschaftsminister sehr gute Möglichkeiten, auch gerade im Bereich der Energiepolitik zusammenzuarbeiten. So rechne ich damit, dass dieser Besuch eine Initiative dafür ist, dass Deutschland und Frankreich weiter intensiv zusammenarbeiten, aber dies auch in neuer Qualität und in neuen Feldern noch fortsetzen können.

Noch einmal herzlich willkommen hier in Berlin!

PM Valls: Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin. Ich möchte Angela Merkel sehr herzlich für Ihren Empfang danken.

Ich hatte ja schon einmal Gelegenheit, nach Deutschland zu kommen. Damals als Innenminister war dies nach meiner Nominierung mein erster Besuch. Ich bin damals zum Treffen der G6 nach München gefahren. Damals waren es die Innenminister, die sich im Rahmen der G6 um Terrorismus gekümmert haben. Nach meiner Ernennung zum Premierminister bin ich nach Berlin gefahren, denn ich war von der SPD eingeladen worden, zu einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung zum Ersten Weltkrieg in eine Kirche zu kommen. Diese Reise gehört also in eine Tradition, denn jeder Premierminister ist hierhergekommen und jeder Premierminister wurde hier im Kanzleramt empfangen.

Doch diese Reise erfolgt in einem Kontext, der dieser Reise eine besondere Bedeutung verleiht. Es ist eine internationale Situation, die schwerwiegend ist - die Kanzlerin hat es gesagt -, und es ist auch eine wirtschaftliche Situation, die schwierig ist. Einige Worte dazu: Ich denke, unsere Diskussionen waren direkt und freimütig. Es war ein sehr tiefgreifender Austausch, der unserer beider Länder würdig ist. Wir haben über die Eurozone gesprochen. Unsere Feststellungen sind identisch, was die Notwendigkeit von Investitionen angeht. Ich habe die französische Lage dargestellt und welche Diagnose wir erstellt haben. Die Bundeskanzlerin hat all das beschrieben, was in der Bundesrepublik zur Konsolidierung der Wirtschaft durchgeführt wird.

Ich habe über die Reformen gesprochen, die wir umsetzen, um unser Land wieder auf die Schienen zu setzen. Ich habe gesagt: Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen wiederherstellen. Wir unterstützen unerhört unsere Unternehmen mit 40 Milliarden Euro. Ich habe gesagt, dass es absolut notwendig ist, unsere Haushaltsanstrengungen zu stärken - 50 Milliarden Euro Einsparungen in drei Jahren -, und ich habe gesagt, dass wir strukturelle Reformen umsetzen werden, die immer angekündigt und nie umgesetzt worden sind. Ich denke an die Territorialreform, ich denke an die wachstumsunterstützenden Maßnahmen, ich denke auch an die Sonntagsarbeit oder an die Vereinfachung von Verwaltungsvorschriften.

Die Kanzlerin hat sich sehr interessiert an unseren Reformen gezeigt. Ich habe ihr beschrieben, wie und in welchem Zeitplan wir uns die Reformen vorstellen. Ich habe auch gesagt, dass diese Reformen umgesetzt werden, denn ich habe die notwendige Mehrheit im Parlament; wir haben es ja am 16. September dieses Jahres mit der Vertrauensabstimmung erlebt. Das Gleiche gilt auch für den Haushalt, der verabschiedet wird.

Unsere Diskussionen sind von Vertrauen gekennzeichnet. Ich habe der Bundeskanzlerin gegenüber meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass das deutsch-französische Verhältnis essenziell ist. Gemeinsam bringen wir Europa voran. Wir haben die gleiche Schlussfolgerung gezogen, nämlich dass wir beide ein Interesse daran haben, dass wir gegenseitig Erfolg haben, dass Deutschland ein Interesse daran hat, dass Frankreich die Reformen erfolgreich umsetzt und dass Frankreich auch von Deutschland erwartet, dass wir es gemeinsam weiter schaffen, dass wir gerade im Bereich der digitalen Wirtschaft oder auch beim Energiewandel noch mehr tun.

Wir haben außerdem die Themen angesprochen, die uns große Sorgen bereiten - die Bundeskanzlerin hat es angesprochen -, also die Ukraine oder auch die terroristischen Bedrohungen.

Ich möchte etwas ganz Einfaches zum Schluss sagen. Ich bin hierhergekommen, um dem deutschen Volk zu sagen: Ich verstehe die Zweifel. Ich verstehe die Fragen des deutschen Volkes und seiner Vertreter. Ich verstehe auch die Sorgen der deutschen Presse. Viele sagen sich: Im Grunde haben wir unsere Reformen durchgeführt und die Franzosen sind nicht in der Lage, es zu tun. Wenn sie es nicht tun, dann ist es für Deutschland schlecht.

Ich bin nicht hierhergekommen, um etwas zu erbitten, um irgendeine Nachsicht zu erbitten, sondern es gibt eine Tatsache, mit der wir fertig werden müssen. Jeder muss seiner Verantwortung gerecht werden; Frankreich wird auf jeden Fall seiner Verantwortung gerecht werden. Ich möchte an die Adresse der Deutschen sagen: Die Reformen werden wir umsetzen, denn es liegt im Interesse Frankreichs. Trotz der Schwierigkeiten werden wir es für uns, für Europa tun. Es ist aber notwendig, dass das deutsche Volk mir Vertrauen entgegenbringt. Deutschland ist ein großes Land. Das deutsche Volk ist ein großes Volk, und Europa muss sich auf dieser Vertrauensbeziehung zwischen unseren beiden Ländern stützen können. Frankreich mag Deutschland, wenn es seine Verpflichtungen einhält und anders herum. Ich glaube, wir werden uns gegenseitig mögen, wenn wir unsere Reformen jeweils umsetzen. Die Franzosen werden Deutschland mögen, wenn es sich für das Wachstum in Europa einsetzt, sodass also alle Bedingungen da sind, damit wir gemeinsam Europa voranbringen können.

Frage: Guten Tag, Frau Bundeskanzlerin. Im letzten April hat Manuel Valls gesagt, dass Frankreich seine Verpflichtungen einhalten wird. Fünf Monate später sind die drei Prozent wieder nicht eingehalten worden, sondern auf 2017 verschoben. Haben Sie denn noch Vertrauen in François Hollande und Manuel Valls, um die Reformen durchzuführen? Können Sie mit Ja oder Nein antworten?

Herr Premierminister, noch eine Frage an Sie. Können Sie der Nationalversammlung sagen, dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht wird, um das Wachstum in der Eurozone wieder zu stärken? Haben Sie bei der Bundeskanzlerin heute erreicht, dass sie den Geldbeutel öffnet, um mehr Investitionen zu ermöglichen?

BK’in Merkel: Sie haben das Privileg, mir Fragen zu stellen, aber ich habe auch das Privileg, die Antwort so zu geben, wie ich das gerne möchte. Deshalb will ich doch etwas ausführlicher antworten.

Premierminister Manuel Valls hat eben die Reformagenda vorgestellt. Ich glaube, das ist eine beeindruckende Summe von Anstrengungen, die Frankreich unternimmt. Nach meiner Kenntnis und nach meiner Auffassung sind diese Reformen Reformen in den wichtigen Bereichen, die zum Schluss über die Wettbewerbsfähigkeit entscheiden.

Jedes Land setzt im Übrigen seine Reformen um - so gehe ich jedenfalls in Deutschland immer an die Sache heran -, weil man für den Wohlstand seines eigenen Lande arbeitet, und wir arbeiten dann gemeinsam für den Wohlstand Europas. Es geht ja nicht darum, dass wir uns gegenseitig Pflichten auferlegen, die mühselig sind und die gar keinen Sinn haben, sondern Reformen sind ja kein Selbstzweck und sie dienen letztendlich der Verbesserung des Lebensstandards, der Verbesserung der Situation der vielen Arbeitslosen. Wenn man mit denjenigen spricht, die Arbeit haben, muss man auch immer an diejenigen denken, die keine Arbeit haben und die wieder Arbeit bekommen sollen. Es ist unsere Verpflichtung, dass wir daran arbeiten. Bei allem Anschein, dass Deutschland nicht so schlecht dasteht: Es gibt fast immer noch drei Millionen Arbeitslose. Wir müssen also auch weiterhin selber überlegen, was wir noch tun können, um diesen knapp drei Millionen Menschen Arbeit zu geben. Sie warten auch noch darauf, dass unsere Situation hier in Deutschland besser wird.

Das heißt also, ich sehe die großen Anstrengungen, und die Bewertung dieser Anstrengungen erfolgt ja dann durch die Europäische Kommission. Mir geht es darum, dass Europa glaubwürdig ist. Das heißt, dass wir uns an das halten, was wir miteinander vereinbart haben, und das ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Diesen haben wir in den vergangenen Jahren noch einmal verfeinert, und wir haben viele Beschlüsse gefasst. Aber dieser Pakt enthält auch Flexibilitäten. Jetzt wird die Kommission bewerten, was in Frankreich stattfindet und was dort gemacht wird. Deutschland wird die Kommission unterstützen und nicht seine eigene Bewertung abgeben.

Ich will zu dem, was Premierminister Manuel Valls gleich sagen wird, noch etwas hinzufügen, was Investitionen und Wachstum anbelangt. Uns liegt das natürlich sehr am Herzen, denn je mehr Wachstum wir haben, umso einfacher ist es auch, die Haushalte in Ordnung zu halten. Ich glaube, Deutschland hat gezeigt, dass man sowohl konsolidieren als auch wachsen kann. Aber wir haben eine Vielzahl von Möglichkeiten, auch ohne zusätzliches Geld mehr Wachstum zu kreieren. Das ist durch Bürokratieabbau in Europa möglich - glücklicherweise hat der neue Kommissionspräsident hier schon eine Reihe von Initiativen ins Auge gefasst -, und das ist durch die digitale Agenda möglich. Man muss ja auch wissen, wo man investiert, für was man investiert, in welchen Gebieten man investiert. Wenn ich mir einmal die Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland, Frankreich und ganz Europa im Blick auf die digitale Wirtschaft anschaue, dann haben wir alle unheimlich viel nachzuholen, wenn ich mir die Situation in Amerika, China und Südkorea anschaue. Auf diesen Feldern werden wir gemeinsam arbeiten und etwas für Investitionen und Wachstum tun.

PM Valls: In der Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich ist sehr wichtig, dass wir vermeiden, die Dinge zu vereinfachen. Natürlich muss man Dinge vereinfachen, was die administrativen Verfahren angeht, also der Kampf gegen die Bürokratie. Alles, was Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit verhindert, muss natürlich entfernt werden. Es geht aber nicht um simple Antworten, man kann also nicht einfach mit Ja oder Nein antworten. Das entspricht nicht den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern.

Frau Bundeskanzlerin, ich habe mit sehr viel Interesse einen Artikel in der deutschen Presse gelesen, wo man versucht hat, meine Rede vor einer Woche zusammenzufassen. Der Titel war: „Deutschland ist schuld“. - Das war eine simple Art und Weise, und vor allem ist es falsch, denn es ist überhaupt nicht das, was ich gesagt habe. Frankreich muss seiner eigenen Verantwortung gerecht werden. Wir müssen unsere Verantwortung tragen. Wir haben uns abhängen lassen, was die Wettbewerbsfähigkeit angeht. Seit mehr als zehn Jahren sind wir abgehängt. Als Deutschland in den 2000er-Jahren Anstrengungen unternommen hat, um der Wirtschaft wieder Aufschwung zu verleihen, hat Frankreich diese Anstrengungen nicht unternommen, wohingegen wir doch, genau wie Deutschland, damals einen Aufschub erhalten hatten, um die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzuhalten. Frankreich muss also die Reformen jetzt nachholen, denn angesichts der Globalisierung ist es wichtig, wettbewerbsfähig für uns selbst, für unsere Unternehmen und natürlich - das ist ganz einfach - für die Franzosen zu sein. Wir können ja nicht mit dieser Höhe der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Höhe der Jugendarbeitslosigkeit leben.

Wir respektieren unsere Zielsetzungen. Wir haben uns die Mittel an die Hand gegeben, um diese Zielsetzungen zu erreichen. Wir reduzieren unsere Ausgaben. Wir setzen Strukturreformen um, die wir durchführen, und zwar nicht nur, weil Europa das von uns verlangt, sondern weil es einfach für unser Land notwendig ist. Wenn ich sage, dass Deutschland auch seiner Verantwortung gerecht werden muss, dann sage ich sofort, dass es Deutschland und Frankreich sind, die ihrer Verantwortung gerecht werden müssen, denn so ist es. Das ist das Gewicht der Geschichte. Es ist unser Schicksal, dass wir es gemeinsam angehen müssen. Wir tun das im diplomatischen Bereich, wir tun es auch im wirtschaftlichen Bereich. Nichts ist möglich, ohne dass sich diese beiden größten Volkswirtschaften unserer Europäischen Union engagieren. Frankreich ist ein großes Land, die fünftgrößte Volkswirtschaft, die zweitgrößte in der Europäischen Union. Frankreichs Stimme zählt in Afrika, im Irak. Frankreich ist nicht das „kranke Kind“ Europas. Das war übrigens der Terminus, der Anfang der 2000er-Jahre auf Deutschland angewandt worden war. Sowohl die französische als auch die deutsche Presse müssen aus dieser karikaturartigen Sicht herauskommen. Sie haben ihnen gegenüber zwei Führer, die absolut wissen, welches ihre Verantwortung ist.

Frage: Guten Tag, ich habe zunächst eine Frage an den Premierminister. In Deutschland wird mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, wie der frühere Präsident Sarkozy seinen Comeback-Versuch startet. Beunruhigt Sie das oder wie bewerten Sie das?

An die Frau Bundeskanzlerin hätte ich die Frage, wie sie denn angesichts ihrer damals guten Arbeitsbeziehungen zu Herrn Sarkozy seinen neuen Ansatz verfolgt.

PM Valls: Sie haben mir die Frage zuerst gestellt und dann werde ich mich auch erlauben, zuerst zu antworten.

Ich werde auf solche Fragen hier überhaupt nicht antworten. Das demokratische Leben unseres Landes kennen Sie. Es steht mir nicht an, hier in Berlin die Innenpolitik zu kommentieren. Das war es.

Ich weiß, dass meine Aufgabe schon schwer genug ist. Sie ist schwer, denn wir stehen terroristischer Bedrohung gegenüber. Sie wissen, dass Innenminister Bernard Cazeneuve vor einigen Stunden eine Erklärung abgegeben hat. Ich werde am Mittwoch in der Nationalversammlung sprechen, um zu zeigen, warum wir uns im Irak engagieren, was Staatschef François Hollande vor einigen Tagen angekündigt hat. Deswegen werde ich meinen Besuch in Deutschland nur um einige Stunden abkürzen. Die Aufgabe, die vor uns steht, ist schwer. Wir müssen unser Land wieder aufbauen. Ich könnte über Bilanzen sprechen, ich könnte über die derzeitige Situation, über die Zukunft oder auch die demokratische Debatte sprechen. Sie wird in Frankreich stattfinden. Sie wird heute, morgen stattfinden. Ich bin aber jetzt hier, um über Frankreich und unsere Verpflichtungen zu sprechen, dass es unserem Land morgen besser geht - das erwarten alle -, dass wir nämlich wettbewerbsfähig sind und Wachstum haben.

BK’in Merkel: Wir sind ja jetzt hier und arbeiten als Regierungen gut zusammen. Es ist zwischen Deutschland und Frankreich schon eine jahrzehntelange Tradition - egal, wer beziehungsweise welche Partei die Regierung stellt -, dass Deutschland und Frankreich für die Menschen und für Europa die Aufgabe haben, gut zusammenzuarbeiten. Das geht auch mit der Zugehörigkeit zu verschiedenen Parteienfamilien. Dazu musste man nicht erst bis jetzt warten, sondern das gab es schon oft in der deutsch-französischen Geschichte.

Was die weitere Entwicklung der UMP, unserer Partnerpartei in der europäischen Parteienfamilie, anbelangt, so verfolge ich das natürlich in meiner Aufgabe als Parteivorsitzende und habe jetzt mit Interesse die Kandidatur von Nicolas Sarkozy zur Kenntnis genommen. Aber es empfiehlt sich grundsätzlich nicht, solche Entscheidungen zu kommentieren, sondern wir wollen natürlich, dass wir in der europäischen Parteienfamilie viele starke Parteien haben, wie es nach dem Wettbewerbscharakter genauso die Sozialisten in Europa wollen. Insofern hoffe ich, dass die UMP die die richtigen Entscheidungen fällt.

Frage: Um noch einmal auf die Frage meines deutschen Kollegen zurückzukommen: Nicolas Sarkozy war gestern Abend im Fernsehen. Er hat von der Beziehung zwischen Paris und Berlin gesprochen. Er sagte: Ich schäme mich, dass man dem Klassenersten abverlangt, dass er schlechter wird, damit die, die hintendran sind, bessere Noten bekommen. - Frau Bundeskanzlerin, teilen Sie diese Meinung? Haben Sie eine „Sarkostalgie“? War es einfacher oder schwieriger, mit ihm zusammenzuarbeiten? Haben Sie diese Zeit geschätzt?

Herr Minister, ich weiß, Sie wollen das nicht kommentieren und sagen, das sei Innenpolitik. Aber ich frage inhaltlich: Sind Sie denn ebenfalls der Meinung seiner Analyse?

BK’in Merkel: Schauen Sie, ich werde das jetzt selbstverständlich nicht kommentieren, sondern ich habe ja gerade gesagt, dass es heute unsere Aufgabe ist, mit denen, die in Frankreich die Verantwortung tragen - das ist Staatspräsident François Hollande, das ist Ministerpräsident Manuel Valls mit seiner Regierung -, gut und intensiv zusammenzuarbeiten und damit unserer Verantwortung als Deutschland und Frankreich gerecht zu werden. Alles andere werde ich nicht kommentieren.

PM Valls: Ich gehöre zu einer Generation, die in den siebziger Jahren in das politische Leben gekommen ist. Mein Engagement - das ist jetzt eine persönliche Bemerkung - war immer ein Engagement für die Linke. Dieses Engagement wurde von historischen Figuren in Europa geleitet. Aus persönlichen Gründen gab es natürlich Felipe González, aber auch zwei weitere große Figuren in der europäischen Sozialdemokratie - das waren natürlich Willy Brandt und Olof Palme -, die mir als sehr in der Wirklichkeit verankert erschienen, eher als in der französischen Innenpolitik. Was ich im Laufe der Jahre festgehalten habe, ist, dass die deutsch-französische Beziehung, die Beziehung zwischen diesen beiden Ländern, nicht von dieser politischen Debatte zwischen Rechts und Links, dieser mittelmäßigen Debatte, betroffen war. Das Engagement von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing, die Beziehungen zwischen Helmut Kohl und François Mitterrand, die Beziehungen zwischen der Frau Bundeskanzlerin und Nicolas Sarkozy oder später mit François Hollande - diese Beziehungen gehen über das hinaus, was wir als Politiker darstellen. Es ist etwas mehr, als wir darstellen. Als Regierung Frankreichs möchte ich mich in die gleiche Perspektive stellen. Das bedeutet nicht, dass wir nicht miteinander reden, dass wir nicht Auseinandersetzungen haben, dass wir übereinstimmen oder auch nicht übereinstimmen. Aber ich glaube, wir haben das gleiche Gefühl, dass Europa in großen Schwierigkeiten steckt, dass wir eine Krise erleben, dass wir Populismus bekämpfen müssen. Angesichts all dieser Gefahren sind die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich sowie dieses Bündnis essenziell.

Niemals - das sage ich als Regierungschef, und ich habe es auch als Oppositionspolitiker gesagt - würde ich sagen, dass ich mich für mein Land schäme. Ich bin ein Patriot. Ich liebe mein Land. Ich kenne seine Schwächen. Ich weiß, dass es reformiert werden muss. Aber ich kenne auch die Trümpfe, die wir in der Hand haben. Frankreich ist ein großes Land, wo man nie wird sagen dürfen, dass man sich für sein Land schämt, vor allem, wenn man in einer solchen Anstrengung steckt, wie sie den Franzosen abverlangt wird.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe eine Menge hinsichtlich der Inhalte Ihrer heutigen Gespräche beim Mittagessen verstanden. Eine zentrale Frage an Sie wäre: Sind Sie mit dem zufrieden, was der Premierminister Ihnen heute vorgeschlagen hat? Ist das für Sie der richtige Weg? Das ist ja nun einmal wichtig, sowohl für den Euro als auch für den Fortbestand der Europäischen Union.

Dann habe ich eine entsprechende Frage an den Premierminister: Waren Sie mit den Ergebnissen des Mittagessens zufrieden? Wir haben sehr viel verstanden: Deutschland und Frankreich sind ein Tandem und sehr wichtig für Europa. Aber wo liegen die wahren Ergebnisse? Für uns ist das sehr interessant zu erfahren.

BK’in Merkel: Wenn ich vielleicht beginnen darf: Es geht ja nicht darum, zufrieden oder nicht zufrieden zu sein, sondern ich habe mich auf diesen Besuch gefreut. Ich habe mit Interesse mit Manuel Valls darüber gesprochen, welche Anstrengungen Frankreich im Augenblick unternimmt. Frankreich ist in einer sehr spannenden Phase, in der viele Reformen angestoßen werden, die absolut notwendig sind und in die richtige Richtung gehen. Ich glaube, darüber ist sich ganz Europa einig, aber darüber ist sich vor allen Dingen Frankreich einig, also die französische Regierung und die Mehrheit der Abgeordneten. Das ist das, was vor allen Dingen zählt.

Ansonsten ist die Bewertungsinstanz, die dann auch die Bewertung übernehmen wird, die Kommission. Wir alle müssen dort unsere Haushalte einreichen. Wir alle müssen Empfehlungen von dort entgegennehmen. Deutschland bekommt auch regelmäßig kritische Empfehlungen von dort.

Aber für mich waren die Gespräche interessant. Sie waren aufschlussreich. Ich finde, dass wir auf einem guten Weg sind, auch neue Projekte anzustoßen und neue Zusammenarbeitsmöglichkeiten über das hinaus, was es an intensiven Beziehungen schon heute gibt, anzustoßen und auch zu realisieren.

PM Valls: Unsere Beziehung kann man nicht mit einem Mittagessen oder einem Tête-à-Tête zusammenfassen, sondern es ist eine langjährige Beziehung. Ich bin nach Deutschland gekommen, um von dem Weg zu überzeugen, den wir eingeschlagen haben. Ich habe heute Früh den DGB-Verantwortlichen gesprochen. Ich werde heute Nachmittag nach Hamburg weiterreisen. Morgen werde ich vor deutschen Unternehmern sprechen.

Ja, Frankreich ist auf dem Weg der Reformen, und zwar mit dem Bewusstsein für die Verantwortung, die wir in Europa tragen, und für die Notwendigkeit, dass Europa seiner Verantwortung gerecht werden muss. Die Bundeskanzlerin ist in dieser Hinsicht ein sehr wichtiger Partner, und ich möchte hier sehr herzlich für ihre Aufnahme und für das, was sie gesagt hat, danken, nämlich dass wir gemeinsam - so konkret wie möglich und so präzise wie möglich - voranschreiten müssen. Wir haben als Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland in ganz konkreten Bereichen genannt. - Danke schön!