Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem finnischen Ministerpräsidenten Sipilä

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, heute den finnischen Ministerpräsidenten Juha Sipilä bei uns in Deutschland zu seinem ersten Besuch willkommen zu heißen. Wir sind uns schon auf den Europäischen Räten begegnet und haben schon wichtige Entscheidungen gemeinsam getroffen, zum Beispiel die Entscheidung zu Griechenland im Sommer dieses Jahres. Der heutige Besuch hier ist aber sein Antrittsbesuch, und ich freue mich sehr.

Wir haben uns natürlich über die europäischen und die internationalen Probleme ausgetauscht. Ich darf sagen, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Finnland sehr gut sind - nicht nur spannungsfrei und ohne Probleme, sondern wir haben auch viele Projekte, die wir gemeinsam durchführen können. Deshalb freue ich mich, dass wir enge Partner sind, und zwar nicht nur im bilateralen Bereich, sondern eben auch bei vielen Projekten in Europa und in der Welt - ob das jetzt beim Klimaschutz, bei der Entwicklungshilfe, beim Engagement in Afghanistan oder in diesen Zeiten natürlich auch bei der Flüchtlingssituation, von der wir betroffen sind, ist.

Wir haben darüber gesprochen, dass Finnland eine ambitionierte Reformagenda hat. Wir freuen uns auch, dass sich unser Handel gut entwickelt. Ich glaube, mit der Reformagenda in Finnland wird die Wettbewerbsfähigkeit noch einmal zunehmen, und das wird auch gut für unsere bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen sein.

Kulturell erinnern wir uns, dass sich Finnland auf der letztjährigen Frankfurter Buchmesse wunderbar präsentiert hat; auch hier gibt es also eine Reihe von Kontakten.

Wir haben mit Blick auf den heutigen Justiz- und Innenministerrat und den morgigen EU-Rat natürlich auch die Fragen der Flüchtlingspolitik besprochen. Es gibt hier durchaus ein breites Maß an Gemeinsamkeit. Wir sind uns einig, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen müssen. Damit verbunden ist natürlich das Thema der Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien. Wir haben über die Situation der UN-Hilfsorganisationen, des Welternährungsprogramm und des UNHCR gesprochen und sind der Überzeugung, dass wir alles tun müssen, damit die Ursachen der Flucht aus den Flüchtlingslagern beseitigt werden können. Wir haben über die Rolle der Türkei bei der Sicherung unserer Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei gesprochen. Wir haben des Weiteren darüber gesprochen, dass wir natürlich auch eine faire Verteilung der Lasten der Flüchtlingskrise unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union brauchen.

Insofern werden wir morgen sicherlich sehr viele gemeinsame Positionen vertreten können. Morgen sprechen wir ja beim Europäischen Rat nicht über die Verteilung der Flüchtlinge, sondern wir sprechen über andere Aspekte - über die, die ich genannt habe, aber auch über den Bau von Hot Spots in den Ländern mit Außengrenzen, also Italien und Griechenland; denn bis es nicht diese Hot Spots gibt, wird es auch keine Verteilung der Flüchtlinge geben können. Das hängt engstens miteinander zusammen.

Wir werden uns für eine stabile Regierung in Libyen einsetzen. Hier gibt es Fortschritte. Die Einheitsregierung wird es geben. Dann muss natürlich die Besetzung der Ämter erfolgen, und dann könnten wir mit Blick auf die Mittelmeerroute sicherlich auch wieder mit einer Regierung auf der libyschen Seite verhandeln.

Wir müssen gleichzeitig auch Gespräche mit der Türkei führen, um eben die griechisch-türkische Grenze besser abzusichern. Donald Tusk hat die Türkei besucht, hat mir Präsident Erdoğan gesprochen; ich habe mit dem türkischen Ministerpräsidenten telefoniert; Außenminister Frank-Walter Steinmeier war in der Türkei. So werden wir auch bilateral diese Kontakte weiter schärfen.

Insgesamt war es also ein intensiver Austausch über viele gemeinsame Aktivitäten, und die Zeichen für eine weitere gute Zusammenarbeit - so wie das bei den Vorgängerregierungen auch war - stehen sehr gut.

Herzlich willkommen noch einmal in Berlin!

MP Sipilä: Herzlichen Dank, meine Damen und Herren! (auf Deutsch) Ich möchte Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, für ein interessantes Gespräch danken. Ich bin sehr zufrieden, hier in Berlin zu sein. (auf Englisch) Aber wie du weißt, kann es sein, dass es etwas besser ist, wenn ich jetzt auf Englisch fortfahre.

Es ist das erste Mal, dass ich als Premierminister hier bin. Es ist sogar das erste Mal, dass ich hier bin, ohne dass ich versuche, etwas an meine deutschen Kunden zu verkaufen. Sie wissen vielleicht, dass ich einen Hintergrund im Telekommunikations- und Softwaregeschäft habe. Wir haben auf geschäftlicher Ebene hervorragende Beziehungen zu unseren deutschen Kunden gehabt.

Wir haben im Moment eine ganze Menge auf unserer Tagesordnung in der Europäischen Union, und es ist sehr hilfreich, denke ich, wenn wir all diese gegenwärtigen Themen auch bilateral erörtern. Die Bundesrepublik ist ein sehr wichtiger Partner für Finnland, und unsere Beziehung ist und war immer eine sehr gute Beziehung.

Die Frage der Migration ist natürlich eine sehr schwerwiegende Frage in Europa. Gerade zum gegenwärtigen sehr schwierigen Zeitpunkt ist es so, dass Deutschland Solidarität bewiesen hat, einen Sinn für Verantwortung bewiesen hat und eine Führung übernommen hat. Ich danke dafür herzlich! Das Problem ist aber auch in Finnland angewachsen. In diesem Jahr sind mehr als 5.000 Asylsuchende in Finnland angekommen; in der letzten Woche kamen 3.000 zu uns. Wenn man das jetzt mit 15 multipliziert, dann kommt man schon etwa auf das Verhältnis, das Sie auch hier in der Bundesrepublik haben. Wir schätzen, dass wir insgesamt pro Kopf wahrscheinlich die gleiche Anzahl von Asylsuchenden wie Deutschland haben.

Es ist wichtig, dass sich die Minister heute auf eine Frage der Lastenteilung einigen können und auch darauf, wie Maßnahmen - zum Beispiel die Errichtung von Hot Spots - umgesetzt werden. Das muss Hand in Hand gehen. Morgen werden wir ja dann über langfristige Lösungen sprechen. Finnland wird die Gesamtzahl von zusätzlichen 120.000, die dann umgesiedelt werden müssen, akzeptieren. Wir übernehmen dann etwa 2.400.

Wir haben auch über die wirtschaftliche Situation gesprochen. Die großen Reformen, die meine Regierung angestoßen hat, werden in Finnland durchgeführt. Wir werden versuchen, das zu tun, um unsere Arbeitslosenrate zu senken und vor allen Dingen einen ausgeglichenen Haushalt zu erzielen. Ich habe von der Bundeskanzlerin auch noch gehört, wie die Bundesrepublik diese Reformen zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt hat.

In der Europäischen Union geht es aber nicht nur um Probleme und um Krisen. Ich denke, wir haben die Probleme behandelt, haben nachhaltige Lösungen für eine ganze Reihe von Problemen gefunden. Ich denke aber, es ist schon unsere Verpflichtung, dass wir auch eine positive Agenda für die Union weiter vorantreiben - in dem Sinne, dass wir einen Nutzen für unsere Bürger damit erzielen.

Wir möchten aktiv die Agenda des Wachstums in der Europäischen Union vorantreiben. Da gibt es noch viel zu tun, gerade in solchen Sektoren wie zum Beispiel dem digitalen Binnenmarkt, dem Freihandel und der Förderung von Mittelstandsunternehmen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gibt momentan ziemlich viele Finnen, die Angst vor der Flüchtlingssituation haben. Was sagen Sie diesen Leuten?

BK’in Merkel: Ich sage erst einmal, dass wir die Ursachen der Flucht in den Blick nehmen müssen. Das wird nicht von einem Tag auf den anderen gehen. Wir haben im Augenblick den Eindruck, dass der gesamte Flüchtlingsprozess sehr ungeordnet abläuft. Wir müssen und werden ihn trotzdem bewältigen, davon sind wir überzeugt; deshalb sage ich immer wieder: Wir schaffen das. Aber wir brauchen natürlich Ordnungssignale, und dazu gehören eben die Bewachung und der Schutz der Außengrenzen. Das wird man nicht alleine schaffen können - allein Griechenland ohne Unterstützung der Türkei wird nicht gehen. Das heißt, so wie wir uns mit Blick auf das Mittelmeer darum bemühen, in Libyen wieder eine Regierung an die Macht zu bekommen, so müssen wir auch Gespräche mit der Türkei über die Gesamtsituation führen, um dann einen geordneten Prozess zu entwickeln. Wir müssen die Fluchtursachen in den Blick nehmen. Ich glaube aber, Angst ist kein guter Ratgeber.

Die Globalisierung hat zur Folge, dass Konflikte, die scheinbar weit von uns weg sind, doch Auswirkungen auf uns haben. Wir werden uns in Zukunft noch stärker auf Entwicklungshilfe, auf faire Lebensbedingungen außerhalb Europas konzentrieren müssen. Jetzt haben wir die Aufgabe, erst einmal die Menschen menschenwürdig unterzubringen. Bei denen, die aus dem Bürgerkrieg kommen, kann es ja auch sein, dass sie eines Tages wieder nach Hause gehen. Am Anfang der 90er-Jahre haben wir 400.000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen, als dort der Krieg war; sehr viele von denen haben unser Land dann wieder verlassen. Auch an dieser Region kann man sehen: Wenn die wirtschaftlichen Perspektiven schlecht sind, dann wird es wieder den Versuch geben, nach Europa zurückzukommen. Deshalb ist die europäische Perspektive für die Länder des westlichen Balkans auch so wichtig. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir dort Unterstützung geben und dass dort erfolgreich gearbeitet wird. So lernen wir in dieser Flüchtlingssituation, dass wir alle miteinander zusammenhängen und dass unser Leben auch davon beeinflusst wird, wenn woanders etwas Schreckliches geschieht. Das werden wir durch das Bauen von Zäunen nicht verändern können, davon bin ich ganz fest überzeugt - sondern nur durch Bekämpfung der Ursachen.

Frage: Eine Frage an den Ministerpräsidenten: Norwegen hat verstärkte Grenzkontrollen angekündigt; einige andere Länder haben ebenfalls verstärkte Kontrollen an der Schengen-Außengrenze angekündigt. Plant Ihre Regierung etwas Ähnliches - Zäune Richtung Russland oder gegenüber anderen EU-Partnern?

Frau Bundeskanzlerin, erlauben Sie eine Frage zu dem Thema VW: Haben Sie die Sorge, dass die Manipulationen bei dem Autokonzern das positive Bild der deutschen Autoindustrie oder möglicherweise sogar des umweltfreundlichen Deutschlands gefährden könnten?

MP Sipilä: Wir haben sehr viele Probleme innerhalb der europäischen Grenze, aber das kann natürlich nicht heißen, dass wir die Grenzen jetzt plötzlich schließen. Wir müssen selbstverständlich Menschen kontrollieren, wir müssen auch die Kontrollen verstärken, aber wir können die Grenzen nicht schließen.

BK’in Merkel: Was VW anbelangt, so geht es angesichts der schwierigen Lage jetzt darum, volle Transparenz zu zeigen und den gesamten Vorgang aufzuklären. Der Verkehrsminister ist hierzu ja auch in engem Kontakt mit dem Unternehmen VW. Ich hoffe, dass die Fakten möglichst schnell auf den Tisch kommen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gibt viele Länder in Zentral- und Osteuropa, die keine Flüchtlinge unterbringen möchten. Welche Argumente benutzen Sie, um diese Länder zu überzeugen?

Deutschland ist sehr großzügig, Sie selbst sind es auch. Warum?

BK’in Merkel: Ich glaube, dass wir ein Europa sind, das sich bestimmten Werten verpflichtet fühlt. Dazu gehört die Achtung der Würde der Menschen. Wir haben eine europäische Grundrechtecharta und wir sind alle aufgefordert, uns entsprechend dieser Charta zu verhalten. Deshalb gibt es, glaube ich, auch eine moralische Verpflichtung - ich rede jetzt gar nicht von juristischen Pflichten, sondern einer moralischen Verpflichtung -, das Bild Europas in einer solchen Situation in der Welt so erscheinen zu lassen, wie es unsere Grundrechtecharta und unsere Grundwerte von uns verlangen und wie wir es selbst auch niedergeschrieben haben. Nach meinem Verständnis hat jeder europäische Partner seinen Teil dazu beizutragen.

Deutschland ist sicherlich ein großes Land, wir sind die größte europäische Volkswirtschaft, aber die moralische Verpflichtung der 28 Mitgliedstaaten gebietet es, dass nicht wenige diese Aufgabe wahrnehmen, sondern dass sich alle daran beteiligen. Wir werden auch nur gemeinsam - im Übrigen auch gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika und, wenn ich an Syrien denke, auch gemeinsam mit Russland - die Fluchtursachen bekämpfen können. Wir werden als Europa auch unseren Teil zum Welternährungsprogramm geben müssen. Wir werden - so wie ich es schon gesagt habe - in diesem derzeit sehr spontanen und dynamischen Prozess der Flüchtlingsbewegungen natürlich auch versuchen, Signale der Ordnung zu senden. Dazu gehört eben eine bessere Kontrolle der Außengrenzen, und dazu gehört auch die Aussage: Wer verfolgt wird, der hat ein Recht auf Schutz, wer aber aus rein wirtschaftlichen Gründen zu uns kommt, der muss unser Land auch wieder verlassen. Auch das gehört zu den Wahrheiten, die wir sagen müssen. Diese Ordnungssignale jetzt herauszuarbeiten, ist die Aufgabe aller in Europa. Aber die Pflichten zu tragen oder die Aufgaben zu tragen, die aus unserem gemeinsamen moralischen Wertegefüge kommen, ist genauso die Aufgabe jedes Einzelnen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, um noch einmal auf VW zurückzukommen: Glauben Sie, dass die Tests, die in Europa und in Deutschland durchgeführt worden sind, über alle Automobilhersteller hinweg sauber sind?

BK’in Merkel: Ich finde es richtig, dass der Bundesverkehrsminister zusammen mit dem Kraftfahrzeugbundesamt auch hierzu die notwendigen Gespräche führt. Das ist der einzige Weg, um Transparenz zu bekommen. Insofern sind an dieser Stelle aus meiner Sicht alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet - soweit ich das heute übersehen kann.