Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und BDI-Präsident Grillo, zum Münchener Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft 2016

Legowski: Herzlich willkommen zum Pressegespräch am heutigen Tag auf der Internationalen Handwerksmesse 2016. Es ist die Pressekonferenz zum Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft mit der Bundeskanzlerin. Mit diesem Platz auf der IHM folgen wir einer Jahrzehnte alten Tradition dieses Spitzengesprächs in München. Sie werden zwei kurze Statements hören. Präsident Grillo vom BDI spricht heute für die Wirtschaft und Frau Bundeskanzlerin Merkel antwortet.

Grillo: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich im Namen der Wirtschaft bedanken, dass Sie, liebe Frau Merkel, heute nach München gekommen sind, um mit uns über aktuelle Themen zu sprechen.

Das Thema Flüchtlinge beherrscht derzeit nahezu jedes Ihrer aber auch unserer Gespräche in den Verbänden. Für uns ist klar: Europa ist nicht das Problem, Europa ist die Lösung. Nur durch EU-weite solidarische Anstrengungen sind die Probleme zu meistern. Wir unterstützen Sie ausdrücklich, liebe Frau Bundeskanzlerin, bei Ihrem Kurs, die europäischen Außengrenzen zu sichern und eine gerechte, dauerhafte Verteilung der Lasten zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu erreichen.

Wir haben gestern – die sogenannte Viererbande, also die drei Kollegen und ich – einmütig beschlossen, dass wir hinter unserer Bundeskanzlerin stehen und dass wir großen Respekt davor haben, wie sie sich für Europa und für die offenen Grenzen einsetzt. Davon profitiert natürlich die Wirtschaft. Davon profitieren auch die Menschen. Wir hoffen, dass wir das Thema europäisch, solidarisch lösen.

Wir haben mit der Bundeskanzlerin aber auch besprochen, dass wir auch die anderen entscheidenden Themen für die Zukunftssicherung des Standortes Deutschland im Auge haben müssen. Denn nur eine starke Wirtschaft, ein starkes Handwerk können auch bei der Integration der Flüchtlinge mithelfen.

Ein wichtiges Thema ist das Thema Digitalisierung und Vernetzung der Wirtschaft, das heutige Schwerpunktthema des Spitzengesprächs war. Das Engagement der Bundesregierung in Sachen 4.0 ist gut, sei es bei „smart data“, intelligenter Vernetzung oder Cloud-Computing. Allerdings brauchen unsere Unternehmen mehr Entschlossenheit und Tempo der Politik bei der Antwort auf diese großen Herausforderungen. Bund und Länder müssen den Ausbau des Breitbandnetzes vorantreiben. Das sind Vorlaufinvestitionen, damit anschließend die privaten Investitionen folgen können. Die Infrastruktur in Deutschland muss die Anforderung an Datenvolumen sowie Geschwindigkeit erfüllen, und zwar auch im ländlichen Raum.

Die Schäden durch Cyberangriffe auf deutsche Unternehmen summieren sich Jahr für Jahr auf mehr als 50 Milliarden Euro. Viele unserer Unternehmen sind Weltmarktführer und deshalb attraktive Ziele für Neugierige. Der Schutz dieser Unternehmen ist ein sicherheitspolitisches Kernanliegen der Exportnation Deutschland.

Auch für die digitale Transformation brauchen wir Deutsche natürlich Europa. Der digitale EU-Binnenmarkt mit seinen über 500 Millionen möglichen Nutzern ist eine Grundvoraussetzung für unsere digitale Wettbewerbsfähigkeit. Keinesfalls darf neue Regulierung die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt unnötig einschränken. Das ist ein weiteres Thema, über das wir gesprochen haben. Dienst- und Werkverträge für Aufgabenteilung und Spezialisierung sind schon seit Jahrzehnten Markenzeichen der deutschen Wirtschaft. Das muss auch so bleiben. Sie sind Grundlage unserer Stärke. Zeitarbeit gehört für uns auf dem Arbeitsmarkt einfach dazu. Es wäre falsch, die bewährte Praxis infrage zu stellen.

Ohnehin ist es falsch, Wirtschafts- und Arbeitsmarkt aktuell zusätzlich zu belasten - auch darüber haben wir diskutiert -, erst recht angesichts der Herausforderung durch die vielen Flüchtlinge, die in unser Land kommen.

Keine zusätzliche Belastung darf es beispielsweise auch bei der Reform der Erbschaftssteuer geben. Die Unternehmen setzen auf die Zusage im Koalitionsvertrag, Steuern nicht zu erhöhen. Die Erbschaftssteuer darf die Unternehmensnachfolge und Arbeitsplätze im Mittelstand nicht gefährden.

Keine zusätzliche Belastung darf es durch die Energiewende geben. Erst zum Jahreswechsel stiegen die Strompreise wieder. Es wäre kontraproduktiv, Investitionen in Effizienz und Klimaschutz durch Eigenerzeugung zu entwerten. Dies würde das Vertrauen der Investoren untergraben. Aber das brauchen wir, sonst wird am Wirtschaftsstandort Deutschland nicht investiert. Wir brauchen eine starke Wirtschaft 4.0 in Deutschland, real und digital.

Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, liebe Frau Bundeskanzlerin.

BK’in Merkel: Danke schön, Herr Grillo, an Sie, die vier Präsidenten der verschiedenen Wirtschaftsvereinigungen. Hier ist die Handwerksmesse. Mir hat das Motto sehr gut gefallen: „Die Zukunft ist unsere Baustelle“. Das passt auch zu dem Thema der Digitalisierung.

Ich darf Ihnen heute mitteilen, dass der Bundesrat gerade abschließend beschlossen hat, dass wir das Meister-BAföG erhöhen werden. Die Reform ist jetzt abschließend beschlossen und braucht sozusagen nur noch vom Bundespräsidenten unterzeichnet zu werden. Das bedeutet einen großen Fortschritt und mehr Gerechtigkeit auch im Blick auf Studenten. Denn in Zukunft können einem bei einer erfolgreich abgeschlossenen Meisterprüfung 40 Prozent des Darlehens erlassen werden statt bisher 25 Prozent. Das ist, denke ich, auch eine gute Botschaft für die Gleichwertigkeit der Ausbildung, die wir immer wieder zeigen wollen.

Wir haben heute sehr stark über die Digitalisierung gesprochen. Herr Grillo hat es erwähnt. Ich konnte mich eben an drei Beispielen davon überzeugen, dass Digitalisierung im Handwerk ganz praktisch Einzug hält. Wir müssen weiter das politische Rahmenwerk schaffen. Vieles davon betrifft Europa. Die Datenschutz-Grundverordnung war einer der wichtigen Punkte. Sie muss jetzt umgesetzt und so ausgestaltet werden, dass das Management großer Mengen von Daten in Europa wirklich gut möglich ist.

Wir haben auch die Sensibilität bei Cyberangriffen im Blick. Ich denke, hier wächst sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft die Sensibilität dafür, wie wichtig das ist und wie wachsam wir hierbei sein müssen.

Der Infrastrukturausbau schreitet voran. Wir haben uns 50 Mbit bis 2018 für jeden Haushalt in Deutschland vorgenommen. Wir haben jetzt die entsprechende Förderkulisse aufgebaut. Wir haben die Tiefbauarbeiten vereinfacht und auch notwendige Vorsorge für Breitbandausbau getroffen.

Aber es bleibt viel zu tun. Denken wir an das autonome Fahren in der Zukunft oder die Telemedizin. Es müssen sichere Datenübertragungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Ich denke aber auch, dass die Zusammenarbeit hier vorbildlich ist im Blick auf die digitale Plattform und die gesamte Digitale Agenda. Wir werden das bei der CeBIT wieder erleben.

Wir haben auch über die anderen Fragen gesprochen. Die Beschäftigungslage ist ausgesprochen gut: 31 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, 43 Millionen Erwerbstätige – das sind beides Höchstziffern. Aber wir müssen bei Leiharbeit und Werkverträgen, bei denen jetzt Reformen im Rahmen des Koalitionsvertrages durchgeführt werden, darauf achten, dass die notwendige Flexibilität erhalten bleibt. Insoweit ist inklusive Erbschaftssteuer und anderer Themen natürlich weiter Gesprächsbedarf zwischen den Wirtschaftsverbänden und der Politik gegeben.

Ich möchte mich ausdrücklich für Ihre positive und konstruktive Haltung gegenüber den Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, bedanken. Die deutsche Wirtschaft hat sich vom kleinen Unternehmen bis hin zum großen Unternehmen als ausgesprochen offen und tatkräftig gezeigt. Die große Bewährungsprobe wird aber noch kommen, weil gerade im vergangenen Jahr viele Flüchtlinge gekommen sind. Ich verspreche Ihnen, dass wir über die Bundesagentur für Arbeit sehr eng zusammenarbeiten, dass wir uns bemühen, bürokratische Hemmnisse, wo sie bestehen, abzubauen, dass wir gemeinsam Wege finden, auch die Eingangsvoraussetzungen der Flüchtlinge aufzunehmen und nicht als Erstes die schriftliche Prüfung zu verlangen, sondern vielleicht auch modular vorzugehen, indem wir Einarbeitungsmöglichkeiten und Erprobungsphasen schaffen oder die Praktika verlängern.

Das sind also alles Dinge, die, ohne dass wir den Mindestlohn infrage stellen - dabei sind Sie alle ja mit uns einer Meinung -, doch mehr Flexibilität schaffen und den einzelnen Flüchtlingen gerecht werden. Denn wie Herr Weise uns vorgestern noch einmal sagte: Von den anerkannten Menschen mit Aufenthaltsstatus – zum Beispiel einem Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention – und denen, die im erwerbsfähigen Alter sind, ist etwa die Hälfte unter 25 Jahre alt. Das zeigt, welches Potenzial besteht, Ihnen eine Chance zu geben. Herzlichen Dank für Ihre gemeinsame Haltung gerade in diesem Bereich!

Frage: Grüß Gott, Frau Bundeskanzlerin! Sigmar Gabriel hat gestern ein Solidaritätsprojekt für die eigene Bevölkerung ins Gespräch gebracht. Er hat auf die großen Aufgaben verwiesen, die der Staat in der Vergangenheit für die Bankenrettung und aktuell für die Bewältigung der Flüchtlingskrise erbracht hat. Er hat gesagt, es ist jetzt an der Zeit, mehr Geld für soziale Projekte für die eigene Bevölkerung aufzuwenden. Er hat auch gesagt, dass Schluss sein muss mit dem strikten Sparkurs. Das sei wichtiger als ein ausgeglichener Haushalt. Was sagen Sie zu diesen Vorschlägen und Gedanken Ihres Vizekanzlers?

BK’in Merkel: Zunächst einmal ist unsere gemeinsame Position, darauf hinzuarbeiten, dass wir einen ausgeglichenen Haushalt bewahren können. Der Bundesfinanzminister selber hat gesagt, dass trotzdem natürlich bestimmte Ausgaben, die getätigt werden müssen, getätigt werden. Der Bund ist Verpflichtungen auch bezüglich der Zahlungen pro Asylbewerber eingegangen.

Was zusätzliche Leistungen für die, wenn ich es einmal so sagen darf, einheimische Bevölkerung angeht, so gibt es eine Vielzahl von Projekten, die wir noch gar nicht umgesetzt haben. Ich denke in diesem Zusammenhang etwa an die Eingliederungshilfe für Behinderte, daran, was wir bezüglich der Ost- und Westrenten noch vor uns haben, und an andere Fragen der Alterssicherung. All das sind Projekte in soziale Bereiche hinein, die Geld kosten werden. Wir sollten unsere Koalitionsvereinbarung natürlich umsetzen. Dafür trete ich ein. Aber das wird uns auch sehr fordern.

Ich will hinzufügen - auch das ganz im Sinne des Wirtschaftsministers -: Wir brauchen auch für innovative Projekte noch Spielräume. Zum Beispiel drängt uns die Automobilindustrie sehr, das Thema der Elektromobilität stärker zu fördern. Darüber sind wir in Gesprächen. Das könnte für die Automobilindustrie von größter Bedeutung sein und damit für Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland. Auch das sind, wenn Sie so wollen, soziale Projekte, wenn Arbeitsplätze erhalten bleiben. Es geht also nicht nur um Konsum, sondern auch im die Innovationsfähigkeit Deutschlands.

Frage: Guten Tag, Frau Bundeskanzlerin. In der gemeinsamen Erklärung der Wirtschaftsverbände heißt es, dass auch durch die Flüchtlingskrise die wirtschaftlichen Risiken für den Standort Deutschland zunehmen. Mich würde interessieren, ob Sie diese Einschätzung teilen und was Sie tun wollen, um die Wirtschaft zu stützen.

BK’in Merkel: Ich denke, das ist bei Weitem nicht das einzige wirtschaftliche Risiko. Wir haben heute auch darüber gesprochen: Im Außenhandelsbereich und im Exportbereich gibt es Risiken durch die Weltwirtschaft.

Es gibt natürlich auch neue Herausforderungen durch die Flüchtlinge. Es ist ja ganz klar, dass nicht alle Flüchtlinge vom ersten Tag an hundert Prozent erwerbstätig sein werden und in einem Facharbeiterberuf arbeiten können. Das heißt, die Offenheit der Wirtschaft weist gleichzeitig darauf hin, dass hier auch Qualifizierungsanstrengungen unternommen werden müssen, auch durch staatliche Institutionen.

Insofern teile ich die Meinung, dass wir neue Aufgaben haben, die wir gemeinsam bewältigen wollen. Aber die Bundesregierung ist ja sehr stark dabei, die entscheidenden Instrumente zur Verfügung zu stellen. Wie ich es gesagt habe: Erprobungsmöglichkeiten, verlängerte Praktika, Bürokratieabbau, wo immer sich das als notwendig erweist.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe ebenfalls eine Frage zu einer Äußerung von Herrn Gabriel von gestern. Er warnte davor, dass man Griechenland in der Flüchtlingskrise nicht absaufen lassen dürfe. Wie stehen Sie zu der Möglichkeit, dass Deutschland möglicherweise einen Teil der Flüchtlinge, die jetzt an der griechisch-mazedonischen Grenze festsitzen, aufnehmen wird?

BK’in Merkel: Ich denke, die Entwicklung der vergangenen Tage zeigt uns, dass wir eine europäische Herangehensweise brauchen, um die Fragen der Flüchtlinge und des Schutzes der Außengrenzen zu lösen. Wir müssen bei der Bekämpfung der Fluchtursachen ansetzen. Darin sind wir uns in Europa einig. Wir sind uns auch einig, dass wir die Außengrenze gut schützen müssen. Dazu hat der Nato-Verband jetzt die Arbeit aufgenommen, zusammen mit der türkischen Küstenwache und der Grenzschutzagentur Frontex. Die Wirkungen dieser Maßnahme können wir jetzt noch nicht sehen. Wir – alle 28 Mitgliedsstaaten - wollen illegale Migration stoppen.

Wenn dann Flüchtlinge ankommen, muss natürlich weiter darüber gesprochen werden, wie wir damit umgehen. Das wird mit Sicherheit auch Gesprächsthema auf dem Rat am 7. März sein.