Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel nach Tag eins des Europäischen Rats am 20. März 2015

StS Seibert: Guten Abend, meine Damen und Herren! Die Frau Bundeskanzlerin berichtet Ihnen über Tag eins dieses Europäischen Rates.

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten heute auf dem Europäischen Rat im Grunde drei Themenkomplexe.

Das Thema Wirtschaft und Finanzen wird am Vormittag des heutigen Tages, wie man schon sagen muss, behandelt werden.

Die erste Arbeitssitzung hat sich mit dem Thema Energieunion befasst. Hier haben wir festgestellt, dass eine solche Energieunion gemeinsame europäische Priorität ist, dass es gut war, dass die Kommission eine Mitteilung gemacht hat, die wir als eine sehr hilfreiche Grundlage akzeptiert haben und dass es sich dabei um ein ausgewogenes Konzept einer Energieunion handelt, die die Dimension Binnenmarkt, Energieeffizienz, Klimaziele 2030 sinnvoll miteinander verknüpft.

Es ging natürlich in der Diskussion sehr stark um die Energieversorgungssicherheit. Dafür ist zentral, dass der Binnenmarkt gestärkt ist, dass die Infrastruktur ausgebaut wird - hier sind wir schon vorangekommen, haben aber noch viel zu tun - und dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien fortsetzen und zu mehr Energieeffizienz kommen.

Wir haben uns klar zu marktwirtschaftlichen und wettbewerblichen Ansätzen bekannt und haben gesagt, dass sie im Vordergrund stehen. Wenn notwendig, können wir aber auf freiwilliger Basis gebündelte Gaseinkäufe machen, was allerdings auf Ausnahmen begrenzt sein soll. Wir wollen mehr Transparenz im Zusammenhang mit Gaslieferverträgen, aber müssen auch an dieser Stelle durchaus die Vertraulichkeit wahren. Wir haben deutlich gemacht, dass wir zu dem Klimapaket stehen, das gerade im Blick auf die Pariser Klimakonferenz im Dezember des Jahres 2015 von größter Bedeutung ist.

Zweitens haben wir uns beim Abendessen mit der Frage der Östlichen Partnerschaft beschäftigt. Wir haben noch einmal deutlich gemacht, dass es im Blick auf Russland nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-Auch geht. Wir haben miteinander darüber gesprochen, dass wir dieses Treffen der Östlichen Partnerschaft in Riga gut vorbereiten wollen.

Wir haben dann im Zusammenhang mit der Analyse der Situation in der Ukraine und mit Blick auf die Minsker Abmachungen noch einmal betont, dass wir die volle Umsetzung der Minsker Vereinbarungen wollen und dass wir die Geltungsdauer der restriktiven Maßnahmen, also der Sanktionen, die am 31. Juli 2014 angenommen und am 8. September noch einmal ausgeweitet wurden, eindeutig an die vollständige Umsetzung der Vereinbarung von Minsk knüpfen wollen, und zwar in dem Bewusstsein, dass diese Umsetzung erst bis zum 31. Dezember 2015 vorgesehen ist. Wir haben gesagt, dass das jetzt unser politisches Bekenntnis ist. Die erforderlichen rechtlichen Beschlüsse werden in den kommenden Monaten gefasst. Der Europäische Rat ist bereit, falls erforderlich, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Allerdings ist unser Schwerpunkt darauf gerichtet, dass wir hoffen, dass das Minsker Paket auch wirklich umgesetzt wird.

Wir haben nach dem Abendessen in kleinerer Runde - Sie wissen das - mit dem griechischen Ministerpräsidenten zusammengesessen. Die Präsidenten von Rat und Kommission werden dazu gleich noch eine schriftliche kurze Stellungnahme herausgeben, der wir, die anderen Teilnehmer, uns aber voll anschließen.

Wir haben noch einmal betont, dass wir uns voll zu den Beschlüssen der Eurogruppe vom 20. Februar bekennen, dass wir uns in einem Geist von gegenseitigem Vertrauen auch verpflichtet fühlen, die Arbeiten an der Umsetzung dieses Eurogruppenstatements zu beschleunigen.

Im Rahmen des, wie es heißt, Arrangements, also des früheren Programms, das am 20. Februar beschrieben wurde, wird die griechische Regierung die volle Verantwortung für die Reformen übernehmen und eine Liste solcher Reformen in den nächsten Tagen übersenden, die eine vollständige Liste spezifischer Reformen sein wird. Wir haben uns noch einmal zu dem Prozess bekannt, in dem dann die Bewertung stattfindet. Das heißt, die politischen Gespräche dazu werden in Brüssel stattfinden. Die Fact Finding Mission wird weiter in Athen arbeiten.

Es wurde vonseiten des Chefs der Eurogruppe gesagt, dass die Eurogruppe derzeit bereit steht, sich zu treffen, um so bald wie möglich und notwendig die notwendigen Bewertungen vorzunehmen.

Das ist das, was ich Ihnen berichten kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, könnten Sie bitte noch einmal sagen, was das jetzt für Griechenland bedeutet, in welcher Zeit vielleicht ein Kreditrahmen von 2 Milliarden Euro, von dem die Rede ist, ausgezahlt wird?

Was bedeutet das für Ihr Treffen mit dem griechischen Ministerpräsidenten am Montag in Berlin? Hat sich das jetzt etwas entkrampft, entspannt? Können Sie dem etwas lockerer entgegensehen oder ist das noch genauso angespannt wie vor dem Gipfel?

BK'in Merkel: Ich habe allen Treffen und Telefongesprächen, die ich bisher hatte, immer ganz entspannt entgegengesehen. Das mache ich auch für das Treffen am Montag.

Zur Frage, was es bedeutet: Es bedeutet, dass sich die griechische Regierung heute verpflichtet hat, in eigener Verantwortung Reformen vorzuschlagen, die sich aber in den Rahmen der getroffenen Vereinbarungen einpassen - und zwar sehr schnell in den nächsten Tagen -, und dass dann natürlich auch die Arbeit der Bewertung beginnen kann. Wann diese Bewertung abgeschlossen ist, wann die Fakten analysiert sind, wann die politische Gespräche mit den Institutionen in Brüssel abgeschlossen sein werden, können wir - das wurde heute auch deutlich - nicht sagen.

Alles soll schnell gehen und jeder ist bereit, schnell zu arbeiten. Aber die Voraussetzung, damit das Ganze in Gang kommt, ist natürlich erst einmal eine spezifische Liste der griechischen Regierung. Über Zahlen oder irgendwelche Verpflichtungen wurde heute nicht gesprochen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, haben Sie einen etwas genaueren Eindruck vom griechischen Ministerpräsidenten bekommen, wie die finanzielle Lage konkret ist? Angeblich fehlten bisher immer noch genauere Zahlen.

Haben Sie in Erfahrung gebracht, warum diese Liste jetzt erst angefordert werden musste, warum es in den letzten Tagen und Wochen nicht bereits solche Vorschläge gegeben hat? Darauf wurde ja eigentlich immer gewartet.

BK'in Merkel: Wir haben uns mit der Zukunft befasst. Ich habe mitgenommen, dass der griechische Ministerpräsident den Willen bekundet hat, eine solche Liste schnell vorzulegen, weil die Lage durchaus danach ruft, dass Vertrauen wiederhergestellt und konzentriert gearbeitet wird. Insofern war es ein sehr gutes und konstruktives Gespräch, ohne dass wir natürlich in Einzelheiten gehen konnten.

Frage: Ich habe, wenn ich darf, zwei Fragen.

Erstens. Haben Sie nach dem Gespräch Klarheit über die griechische Finanzlage?

Zweitens. Wenn Sie erlauben: Das, was Sie geschildert haben, haben wir vor einem Monat alles eigentlich schon einmal genauso gehört, wie mir scheint. Wo sind Sie heute Abend weiter als vor einem Monat?

BK'in Merkel: Ich habe heute zum ersten Mal mit dem griechischen Ministerpräsidenten darüber gesprochen und kann nur das berichten, was er mir gesagt hat. Für uns war wichtig, dass der Bezugspunkt in der Tat die Übereinkunft vom 20. Februar ist und an der haben wir auch keinen Deut geändert. Die Entscheidungen und auch die Bewertungen werden in der Eurogruppe getroffen; auch das haben wir heute klar gemacht. Insofern mag es sein, dass Sie manches schon gehört haben, es ist in den letzten Wochen dann nur manches nicht passiert. Insofern war es schon wichtig, zu wissen, ob es jetzt passieren soll. Das wurde heute Abend gesagt.

Die Runde war nicht geeignet, um einen Einblick in die genaue griechische Finanzsituation zu bekommen. Aber klar ist auch, dass die Finanzlage nicht einfach ist. Wir haben nur deutlich gemacht, dass so, wie es in der Vereinbarung vom 20. Februar steht, Geld nur ausgezahlt werden kann, wenn vorher die Voraussetzungen so, wie sie im Papier vom 20. Februar beschrieben sind, auch gegeben sind.

Frage: Dazu bitte eine kurze Nachfrage. Sie haben gesagt, Herr Tsipras habe sich bereit erklärt, die Liste mit den Reformen schnell - schon in den nächsten Tagen - vorzulegen. Ist es auch so, dass, wenn die Liste vorliegt und der Prüfungsprozess begonnen hat, Sie auch bereit sind, vorab Geld aus dem Programm teilweise auszuzahlen? Es ist ja immer die Rede von den Gewinnen, die die EZB mit diesen Staatsanleihen gemacht hat.

BK'in Merkel: Nein. Wir beziehen uns auf das, was am 20. Februar abgemacht wurde. Dort gibt es im vierten Absatz eine ganz klare Regelung: Nur die Schlussfolgerungen des Review der erweiterten Maßnahmen durch die Institutionen werden es ermöglichen, dass Auszahlungen der noch ausstehenden Tranche aus dem augenblicklichen EFSF-Programm möglich sind. Das gilt genauso für den Transfer der SMP-Profite des Jahres 2014. Das heißt, sie sind in einem Atemzug genannt und können immer erst nach erfolgreicher Bewertung der Institutionen und nach Beschluss der Eurogruppe ausgezahlt werden.

Frage: Ich glaube, wir versuchen alle zu verstehen, was heute Abend anders als bei allen anderen Treffen vorher war. Die griechische Delegation hat gestreut, die Strategie von Herrn Tsipras sei gewesen, diesem Mini-Gipfel vorzuschlagen, man könnte doch erst Geld auszahlen und dann könnte er die Reformen anstoßen. Hat er das versucht? Wenn ja, wie haben Sie darauf reagiert?

BK'in Merkel: Ich kann und möchte Ihnen nur das Ergebnis mitteilen. Das Ergebnis ist, dass wir so verfahren, wie es am 20. Februar vereinbart wurde.

Ich kann auch zu dem, was gestreut wurde, nicht Stellung nehmen. Ich kann ja nur berichten, was das Ergebnis des Gesprächs war. Das ist das, was ich Ihnen gesagt habe. In dem Kreis haben wir noch nicht zusammengesessen. Ich glaube, es gab auch eine gewisse Enttäuschung, dass nach dem 20. Februar eigentlich nicht das passiert ist, was man sich erwartet hat. Es wurde heute auf der Ebene Ministerpräsident aus Griechenland und uns noch einmal von der griechischen Seite deutlich gemacht, dass man dazu bereit ist. Jetzt müssen wir das einfach einmal beim Wort nehmen und sagen: Wir vertrauen darauf, dass es nun auch so kommt. Dann werden wir sehen, wie es kommt. Ich sage nur: So, wie das Gespräch stattgefunden hat, hoffe ich, dass dann auch eine Liste von Reformen kommt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, zwei kurze Fragen.

Zum einen noch einmal zu Griechenland: Sind alle Irritationen, die es im Vorfeld gab, dass nur Sie und der französische Präsident an dem Treffen teilgenommen haben - die Kritik gab es von den Benelux-Staaten -, ausgeräumt? Gibt es jetzt ein besonderes Informationsverfahren, das Sie nach diesem Gespräch wählen?

Zweitens. Was die Ukraine angeht, gibt es eine Formulierung, dass die Aufhebung der Sanktionen an die vollständige Umsetzung von Minsk geknüpft sein sollte. Heißt „sollte“, dass möglicherweise einzelne Elemente doch schon vor der vollständigen Umsetzung von Minsk - zum Beispiel Visa-Bann - aufgehoben werden könnten?

BK'in Merkel: Zu der zweiten Frage: Dazu kann ich jetzt keine interpretatorischen Hinweise geben. Wir werden sowieso im Juni die Situation noch einmal bewerten. Ich glaube, die eigentliche Botschaft heißt doch, dass es eine klare Verknüpfung zwischen der vollständigen Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk und den Sanktionen gibt. Das ist das, was heute diskutiert wurde.

Zu Ihrer ersten Frage: Wir haben darüber heute kurz gesprochen. Der Grund, warum jetzt auch Donald Tusk und Jean-Claude Juncker eine schriftliche Erklärung verfassen, ist, dass alle informiert werden. Donald Tusk wird darüber morgen auch noch einmal kurz sprechen. Es ist heute im Rat schon von einigen Euro-Mitgliedstaaten deutlich gemacht worden, dass sie nichts gegen ein solches Treffen haben, aber erwarten, dass dort auch nicht Entscheidungen getroffen werden, die in der Eurogruppe getroffen werden müssten. So, wie ich Ihnen das vorgetragen habe, ist das ja auch nicht der Fall gewesen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie fragen, welche Aussichten Sie in Bezug auf den Gipfel in Riga für Georgien sehen. Wir wissen ja, dass es ein Finanzhilfepaket verabschiedet werden wird. Was können Sie uns zu Georgien vor dem Hintergrund dieses Gipfels noch sagen? Werden Sie uns bei dem visafreien Regime unterstützen, das wir in Riga für Georgien anstreben?

BK'in Merkel: An den Visa-Fragen wird noch gearbeitet. Ich weiß, dass das ein Wunsch ist. Wir müssen schauen, wie sich das zu Riga hin entwickelt. Wir werden alle daran arbeiten, dass wir dann auch die Ratifizierung der Assoziierungsabkommen so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Ich hoffe, dass das möglichst viele noch bis Riga schaffen.

Ansonsten haben wir heute nicht über Einzelheiten gesprochen. Das wird der Vorbereitung des Riga-Gipfels vorbehalten bleiben.

Frage: Zwei kurze Fragen zu Griechenland.

Wurden bei dem Mini-Gipfel heute Abend auch die Verbalattacken der letzten Wochen thematisiert beziehungsweise wurde auch darüber gesprochen, dass man möglicherweise zu einem sachlicheren Ton zurückfinden sollte?

Zweitens. In dem Statement, das Herr Tusk gerade veröffentlicht hat, steht offenbar, dass eine „full list of reforms“ in den nächsten Tagen veröffentlicht werden soll. Können Sie sagen, was diese „full list“ genau zu bedeuten hat?

BK'in Merkel: Kurz nach dem Eurogruppentreffen am 20. Februar wurde bis Montag eine vorläufige erste Liste übermittelt. Diese Liste war noch nicht so spezifisch. Um einen Unterschied zu dem, was damals geliefert hat, zu machen, hat man jetzt gesagt, dass es eine volle Liste sein muss, die in sich die Möglichkeit birgt, dass man im Rahmen des Arrangements oder Programms schauen kann, ob diese Maßnahmen adäquat zu dem sind, was an Primärüberschuss und anderen Dingen geliefert werden muss. Das ist der Unterschied. Es ist nicht eine erste Liste, sondern es ist jetzt eine volle Liste von Maßnahmen.

Zur ersten Frage: Wir haben ein sehr ruhiges Gespräch geführt, das auf die Sache ausgerichtet war.

Zuruf (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)

BK'in Merkel: Erstens berichte ich nicht jedes Detail. Wenn ich sage, dass es auf die Sache ausgerichtet war, haben wir uns nicht mit den Fragen von Einzeläußerungen befasst.

Frage: Eine Frage zur Energieunion. Frau Bundeskanzlerin, Sie sagten, der Vorschlag von Herrn Sefkovic sei eine gute Grundlage. Gab es irgendwelche Knackpunkte zu dem Vorschlag oder wurde der Vorschlag der EU-Kommission vollkommen angenommen?

Wie ist die Position der Bundesregierung zu dem Vorschlag, dass auch kommerzielle Gasverträge - natürlich unter der Geheimhaltung - offengelegt werden müssen?

BK'in Merkel: Der Text, der vorlag, ist weitestgehend angenommen worden. Da gibt es ganz kleine Veränderungen, zum Teil etwas mehr Beispiele.

Wir haben uns für mehr Transparenz ausgesprochen, aber natürlich unter Wahrung der Vertraulichkeit von sensiblen Informationen in privatwirtschaftlichen Verträgen. Das wird dann ja in den Rechtstexten noch spezifisch zu formulieren sein. Man muss sagen, dass dieser Text im Großen und Ganzen heute mit Blick auf das, was vom Ratssekretariat vorgelegt war, wirklich sehr einhellig angenommen worden ist.

StS Seibert: Vielen Dank!

BK'in Merkel: Wir haben morgen beziehungsweise heute zu späterer Stunde weiter Gelegenheit zur Vertiefung all der Fragen. Danke schön, dass Sie so lange wach geblieben sind.