Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel nach dem Europäischen Rat am 23. und 24. Oktober 2014

Thema: Europäischer Rat und Treffen der Mitgliedstaaten der Eurozone am 23. und 24. Oktober 2014

Sprecher: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

StS Seibert: Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin wird Sie jetzt über den zweiten Tag des Europäischen Rates und über das Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone informieren.

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, nachdem wir uns gestern ja intensiv mit dem Klimapaket beschäftigt und auch eine Einigung gefunden haben, ging es heute um die wirtschaftliche Lage in der Europäischen Union und später dann auch in der Eurozone.

Wir haben uns intensiv der Analyse der Lage gewidmet. Dazu gibt es auch einige Schlussfolgerungen, die noch einmal deutlich machen, dass wir eine nicht einfache ökonomische Situation haben, die dadurch gekennzeichnet ist, dass es ein hohes Niveau an Arbeitslosigkeit, ein nicht ausreichendes Wachstum und auch eine sehr niedrige Inflationsrate gibt und es deshalb wichtig ist, dass man Maßnahmen einführt, die Wachstum stimulieren, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessern und die auch dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit sinkt.

Wir haben dann sehr ausführlich darüber diskutiert, dass die strategische Agenda, die wir mit dem neuen Kommissionspräsidenten schon im Juni verabredet haben, die richtige Grundlage ist und dass wir die Orientierungen, die wir jetzt brauchen, und auch die nächsten Schritte für alle Mitgliedstaaten von der Kommission bei unserer Sitzung im Dezember noch einmal gesagt bekommen wollen und dazu auch unsere eigenen Beiträge leisten. Jean-Claude Juncker hat ja in Aussicht gestellt, dass er ein Wachstumspaket vorlegen will, dass er insbesondere Investitionen in Höhe von 300 Milliarden Euro im Zeitraum 2015 bis 2017 im Blick hat, die zusätzliche Investitionen sind und die sowohl aus öffentlichen als auch privaten Quellen gespeist werden sollen.

Wir haben darauf hingewiesen, dass die Erarbeitung dieses Investitionsprogramms in enger Kooperation von Kommission und Rat unter wesentlicher Einbeziehung der Europäischen Investitionsbank stattfinden soll. Das ganze Programm wird im Dezember vorgestellt werden. Ich glaube, es war eine richtige Entscheidung von Jean-Claude Juncker zu sagen, dass er nicht bis Januar wartet, sondern er wird dies dann im Dezember vorstellen, wenn wir auch die Wirtschaftsfragen beraten.

Wir haben anschließend im Rahmen der Mitgliedstaaten der Eurozone miteinander darüber diskutiert, was das jetzt für uns bedeutet, die wir eine gemeinsame Währung teilen. Der Präsident der Europäischen Zentralbank hat uns dazu seine Analyse der augenblicklichen Situation vorgelegt. Er hat von seiner Seite neben der Betonung der Aufgaben der Europäischen Zentralbank, nämlich auf eine bestimmte Inflationsrate hinzuarbeiten, noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig Strukturreformen sind, wie wichtig auch das Klima für Investitionen ist. Er hat uns beispielweise Beispiele für den Business Index gegeben, der von der Weltbank vorgelegt wird und hat aufgezeigt, wie unterschiedlich die einzelnen Mitgliedstaaten des Euroraums abschneiden. Er hat darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, dass wir zu mehr Kohärenz und Konvergenz kommen.

Daraus resultieren auch die Aufgaben, die wir für die Eurozone abgeleitet haben. Wir teilen natürlich als 28 Mitgliedstaaten die Analyse, die wir Vormittags gezogen haben, sagen aber, dass wir als Eurogipfel ‑ die Kommission gemeinsam mit dem Präsidenten der Eurogruppe, der Europäischen Zentralbank und dem Ratspräsidenten ‑ die Aufgabe sehen, dass sie uns vorschlagen, wie die nächsten Schritte für eine bessere ökonomische Koordinierung in der Eurozone aussehen können. Sie wissen, dass ich mich auch persönlich immer wieder dafür eingesetzt habe, dass wir zu einer engeren wirtschaftspolitischen Koordinierung kommen. Das ist auch von dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, als eine wesentliche Voraussetzung gesehen worden, damit wir aus der immer noch latent vorhandenen Krise ‑ natürlich neben der Einhaltung der Regeln, die wir uns selbst gegeben haben ‑ herauskommen. 

So ist sozusagen der Auftrag an uns alle erteilt worden, erstens auf der einen Seite deutlich zu machen, welche Strukturreformen wir in unseren Ländern durchführen wollen oder schon durchgeführt haben und wie wir zweitens eine engere wirtschaftspolitische Koordinierung hinbekommen können. Ein Thema, das wir schon vielfach diskutiert und nie entschieden haben.

Außerdem ist heute am Vormittag und auch jetzt am Nachmittag noch einmal darauf hingewiesen worden, wie wichtig die weitere Entwicklung des Binnenmarkts ist. Ob bei Interkonnektoren im Energiebinnenmarkt oder bei einem einheitlichen digitalen Markt ‑ überall ist die Rechtssetzung innerhalb der Europäischen Union noch nicht auf dem Stand, wo man sagt: Wir entwickeln uns wirklich zu einem stärkeren Binnenmarkt. Es liegt nicht an der Kommission, dass dafür keine Vorschläge vorliegen, sondern das liegt ‑ das muss man schon sagen ‑ daran, dass die Mitgliedstaaten noch keine Einigung gefunden haben.

Insofern waren das heute sehr ausführliche und sehr wichtige Diskussionen, an denen sich auch sehr, sehr viele beteiligt haben, und deshalb hat es auch eine gewisse Zeit gedauert. Ich glaube aber, es war gerade zu Beginn der Arbeit einer neuen Kommission wichtig, dieses alles aufzunehmen. Ich bin auch Mario Draghi sehr dankbar, dass er uns noch einmal den Spiegel vor Augen gehalten hat. Die Geldpolitik kann manches machen ‑ das ist die Aufgabe der unabhängigen Europäischen Zentralbank ‑, aber wenn die Fiskalpolitik nicht gleichzeitig reagiert, wenn wir unsere wirtschaftspolitischen Maßnahmen, unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere Investitionstätigkeit nicht verbessern, werden wir aus der nicht befriedigenden Entwicklung nicht herauskommen. Wir haben aber heute den festen Willen geäußert, das zu tun.

Sie wissen, dass wir uns heute Morgen noch darauf geeinigt haben, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Kommission eine Milliarde Euro für die Bekämpfung von Ebola bereitstellen werden. Ich hatte Sie gestern bereits darüber informiert, dass die Europäische Union einen Koordinator hat. Wir haben jetzt also in den Mitgliedstaaten und auf der europäischen Ebene einen solchen Koordinator, sind dadurch handlungsfähig und haben dadurch erst einmal ausreichende finanzielle Mittel. Ich füge für Deutschland aber auch hinzu: Wenn sich herausstellt, dass die avisierten Mittel nicht ausreichen, müssen wir weiter gehen. Die Bekämpfung dieser Seuche, dieser schrecklichen Heimsuchung hat oberste Priorität. Deutschland wird sich hier sehr stark engagieren.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, David Cameron, der britische Premierminister, hat einen sehr emotionalen Auftritt auf seiner Pressekonferenz gehabt. Er sagte, dass er, was die zwei Milliarden Euro angeht, die im Raum stehen, nicht gewillt sei, diese zumindest nicht bis zum 1. Dezember zu zahlen und dass er auch keinen Scheck rüberschieben möchte, wie er es formulierte. Sehen Sie Chancen, ihm entgegenzukommen? Gibt es Möglichkeiten, dieses Geld zu stunden? Oder würden Sie sagen, dass man eventuell die Summe reduzieren könnte? Wie beurteilen Sie überhaupt solch einen Auftritt dieser emotionalen Art?

BK’in Merkel: Ich war nicht dabei und insofern kann ich darüber auch kein Urteil abgeben. Ich weiß nur, dass wir das Thema heute diskutiert haben. Es sind ja eigentlich normale Adjustierungsprozeduren, die wegen veränderter Berechnungsgrundlagen in diesem Jahr sowohl für diejenigen, die etwas zahlen müssen, als auch für diejenigen, die etwas zurückbekommen, teilweise bemerkenswert hoch ausgefallen sind.

Wir haben heute früh sehr intensiv darüber gesprochen und gesagt: Im Rahmen der allgemeinen Budgetverhandlungen, die ja noch viele andere Posten implizieren, müssen auch die Fragen, die mit der Zahlung der jetzt avisierten Summen verbunden sind, von den Budget-, den Haushaltsministern ‑ in Deutschland ist das mit dem Finanzminister identisch; was nicht in allen Ländern der Fall ist ‑ geklärt werden. Wir haben Haushaltsberatungen für den Haushalt 2015; wir haben noch offene Rechnungen für den Haushalt 2014; es gibt diese Anpassungsrechnungen. Ich denke, dass es deshalb richtig ist, die Finanzminister zu bitten, sich damit auseinanderzusetzen. Was dann dabei herauskommt, kann ich jetzt nicht voraussagen.

Ich will allerdings eines sagen: Das, was jetzt errechnet wurde, wird von uns erst einmal nicht angezweifelt. Es muss sicherlich erklärt werden, wie es zu solchen Ausschlägen kommt. Das hat mit verschiedenen Faktoren zu tun. Aber dann müssen die Finanzminister überlegen, wie sie das bestmöglich lösen. David Cameron hat ja auch nicht gesagt, dass er es gar nicht zahlt, sondern er hat sich über die kurze Frist Gedanken gemacht. Ich denke, das wird sich im Rahmen der allgemeinen Beratung auf eine Lösung zubewegen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, im Dezember ja soll über dieses 300-Milliarden-Paket von Jean-Claude Juncker entschieden werden. Hat er etwa erläutert, woher das Geld kommen soll, wie das finanziert werden soll? Das ist ja bisher noch weitgehend im Unklaren. Hat er sich da konkreter geäußert, oder kamen Vorschläge aus Ihrem Kreis?

BK’in Merkel: Nein, das hat er heute noch nicht. Aber der Hinweis, dass auch die Europäische Investitionsbank dabei zum Beispiel eine Rolle spielt, ist, glaube ich, einer, der auch darauf hindeutet, dass wir Kombinationen finden können.

Für mich ist erst einmal wichtig, dass wir nicht nur einfach sagen, wir machen 300 Milliarden zusätzliche Investitionen zwischen 2015 und 2017, sondern dass wir sagen, wohin diese Investitionen gehen sollen. Ich glaube, darüber wird jetzt eine Beratung stattfinden.

Die Finanzminister haben der Europäischen Investitionsbank und der Kommission gegenüber ja die Bitte geäußert, dass sie Wachstumsfelder herausarbeiten. Für mich ist ganz klar zum Beispiel die ganze Frage der digitalen Infrastruktur eine solche wichtige Frage. Man muss es aber dann nicht nur auf die Infrastruktur beschränken, sondern man könnte sich auch vorstellen, das mit Bildungsinitiativen im Bereich digitaler Berufe und Ähnlichem zu verbinden. Dann wird man sehen, wie man Haushaltsmittel und Möglichkeiten der Europäischen Investitionsbank vielleicht klug koordiniert.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass man in diesem Zusammenhang die avisierte Revision oder den Review der mittelfristigen Finanzplanung sozusagen ein bisschen vorzieht und schaut: Kann ich Strukturfonds, kann ich Kohäsionsfonds, kann ich Forschungsmittel in Kombination mit der Europäischen Investitionsbank noch besser einsetzen? Aber das ist jetzt meine persönliche Anregung, wie man so etwas angehen könnte. Das ist heute nicht im Detail besprochen worden, aber Deutschland wird sich hier sehr aktiv in die Debatte einbringen. 

Frage: Ihnen ist ja nicht entgangen, dass bei diesem 300-Milliarden-Paket auch Mittel aus dem ESM von einigen eingeplant wurden. Haben Sie das denjenigen bisher ausreden können?

Wenn ich noch eine Follow-up-Frage zu Cameron stellen darf: War denn sein Auftritt im Rat genauso emotional wie der vor der Presse? Haben Sie ihm gesagt, dass die Regeln gemeinsam verabschiedet worden sind und folglich gelten, oder sind die Regeln, die man gemeinsam verabschiedet hat, etwas, was man jetzt wieder ändern kann?

BK’in Merkel: Nein, es ist jetzt gar nicht über Änderungen gesprochen worden. Wenn Sie heute in die Zeitung geblickt haben, dann war auch ich erstaunt, wie der eine etwas bekommt und der andere etwas zahlen muss. Insofern haben wir schon auch darüber diskutiert, dass es für viele unverhofft kam, dass es in so großen Größenordnungen Schwankungen sind, die sich aus den Berechnungsmethoden jetzt ergeben.

Es ist nicht angezweifelt worden, dass diese Berechnungen richtig sind, aber es ist natürlich auch nicht ganz einfach, innerhalb von drei Wochen einfach einmal 2 Milliarden Euro zu zahlen, wenn man gerade sein Budget verabschiedet hat oder gerade in der Haushaltsplanung ist. Insofern haben wir dann die Schlussfolgerung gezogen, dass das von den Finanzministern bearbeitet werden soll.

Ich muss noch einmal wiederholen: Da ich bei der Pressekonferenz nicht dabei war, kann ich auch keine Vergleiche ziehen. Insofern sage ich nur: Die Diskussion war engagiert, wie wir sie zu haben pflegen, aber jetzt auch nicht völlig aus dem Rahmen fallend.

Zum ESM: Dazu hat die Bundesregierung vonseiten all ihrer Koalitionspartner ja schon mehrfach ihre Position deutlich gemacht. Ich sehe die Verwendung von ESM-Mitteln nicht. Der ESM ist geschaffen worden als ein Ultima-ratio-Instrument für den Fall, dass die Stabilität der Eurozone als Ganzes in Gefahr ist.

Es gibt auch eine umfangreiche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage, unter welchen Bedingungen der ESM akzeptabel ist. Wir haben dafür sogar eine kleine Vertragsänderung durchgeführt. Deshalb sehe ich die Verwendung von ESM-Mitteln nicht.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gab neulich einen Bericht über das Spannungsfeld zwischen der Bundesbank und der EZB, zwischen Herrn Weidmann und Herrn Draghi. Herr Draghi war ja heute im Rat. Ich wollte Sie fragen, wie Sie sich selbst und die Bundesregierung in diesem Spannungsfeld sehen und ob Sie mit den Maßnahmen der EZB völlig einverstanden sind.

Zweitens. Stimmt es, dass Sie in der ersten Hälfte des Novembers eine Privatreise nach Rumänien unternehmen?

BK’in Merkel: In der ersten Hälfte des Novembers fahre ich nach Australien und Neuseeland zum G20-Gipfel. Insofern ist mir von Privatreisen im Monat November nichts bekannt, sondern der Monat November wird ein sehr arbeitsreicher Monat für mich sein.

Des Weiteren: Die Europäische Zentralbank arbeitet unabhängig, und das ist für uns in Deutschland ganz wichtig. Ich will aber deutlich sagen, dass ich es sehr schätze, in welcher Weise Mario Draghi sich in die Diskussionen um die Weiterentwicklung der Eurozone einbringt, dass er sich heute auch bereit erklärt hat, mitzumachen, wenn es um eine engere wirtschaftspolitische Koordinierung geht, wie die Europäische Zentralbank uns hier ihre Ratschläge geben würde, was wir verstärkt machen sollen.

Das heißt, ich setze auf eine gute Kooperation mit der Europäischen Zentralbank in den Bereichen, die mich und uns als Regierungschefs anbelangen, und ansonsten schätze ich die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank.

Frage: Verzeihen Sie mir bitte, Frau Bundeskanzlerin, dass ich noch eine britische Frage stellen muss.

BK’in Merkel: Warum soll ich Ihnen das verzeihen? Sie können jede Frage stellen. 

Frage: Danke. ‑ Herr Cameron hat diese Woche gesagt, dass er vorhat, eine Änderung europäischer Gesetze zu initiieren. Wenn Großbritannien in der EU bleiben soll, dann sollen sich auch die Regeln zur Migration innerhalb der EU ändern, hat er klipp und klar gesagt. Seine Mitarbeiter haben dann verschiedene Modelle genannt, wie man zum Beispiel den Influx von Migranten in Großbritannien limitieren kann. Sie haben auch gemeint, Deutschland habe ähnliche Bedenken, und sie zählen auf Ihre Unterstützung.

Können Sie sich überhaupt vorstellen, ein solches Unternehmen auf irgendeine Weise zu unterstützen? Ist das machbar? Für das meiste davon wird man wahrscheinlich eine Vertragsänderung brauchen.

BK’in Merkel: Das Grundprinzip der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union will Deutschland nicht antasten. Das heißt aber nicht, dass es nicht verschiedene Probleme gibt.

Wir haben zum Beispiel vor dem Europäischen Gerichtshof jetzt ein Verfahren über die Frage laufen, ab wann Bürgerinnen und Bürger anderer Staaten, die nach Deutschland kommen und arbeitssuchend sind, dann auch die Grundsicherung bekommen, die man im Falle der Arbeitslosigkeit bekommt. Das sind sehr umstrittene Sachverhalte, die auch bei uns sehr intensiv diskutiert werden. Wir erwarten im November das Urteil des Europäischen Gerichtshofs dazu.

Ich habe heute mit David Cameron darüber gesprochen, dass wir zum Beispiel dieses Gerichtsurteil sehr intensiv auswerten werden, auch gemeinsam auswerten werden. Wir haben ihn über die Arbeiten unserer Arbeitsgruppe verschiedener Ministerien in Deutschland informiert, die auch Vorschläge gemacht haben, was man macht, wenn Menschen immer wieder einreisen und immer wieder keine Arbeit finden, aber versuchen, dann doch soziale Unterstützung zu bekommen. Deshalb ist das in Deutschland auch als Problem adressiert.

Allerdings bin ich der Meinung, dass es so gelöst werden muss, dass wir einerseits Missstände bekämpfen, aber zum anderen an dem Grundprinzip der Freizügigkeit in Europa nicht rütteln.

Frage: Nachdem Herr Draghi alle Eurostaaten zu Strukturmaßnahmen ermuntern will, hat er denn auch konkret für Deutschland einige Ideen im Kopf gehabt, die er Ihnen vielleicht auch privat schon einmal unterbreitet hat? Oder was könnten Sie sich an konkreten Maßnahmen vorstellen, wie man die deutsche Wirtschaft noch verbessern kann?

BK’in Merkel: Nein, er hat keine spezifischen Maßnahmen für Deutschland genannt, sondern er hat darauf gesetzt, dass wir Vorschläge machen.

Ich glaube, dass in Deutschland zum Beispiel das Thema des Bürokratieabbaus ein wichtiges Thema ist. Wir werden auch darauf weiter setzen. Ich denke, dass es gut ist, wenn wir jetzt den Spielraum nutzen. Es wird sich in den nächsten Tagen entscheiden, wie wir gegebenenfalls im Falle der Rente auch Sozialbeiträge senken können.

Ich denke, dass es für Deutschland ganz wichtig ist, einen wachstumsfreundlichen Regulationsrahmen zu finden, um die digitale Wirtschaft zu entwickeln, insbesondere auch im Blick auf die Industrie 4.0. Hier sehe ich ganz wesentliche Notwendigkeiten.

Ich denke auch, dass die Fortentwicklung der Exzellenzinitiative in Deutschland im Bereich der Forschung ein Beispiel ist, wo wir unsere Strukturen wettbewerbsfähig machen, zum Beispiel auch die Änderung von Art. 91b des Grundgesetzes zu besserer Cluster-Bildung von universitären und nichtuniversitären Forschungsstrukturen. Das sind jetzt mal ad hoc einige Dinge, von denen ich glaube, dass wir uns eben auch strukturell daran anpassen müssen.

Für mich beeindruckend war heute der „Doing Business“-Indikator für die verschiedenen Länder. Da ist Deutschland zum Beispiel von der Bewertung des Vereinigten Königreichs noch ein ganzes Stück entfernt. Ich werde mir einmal die Indikatoren angucken, was man hier machen kann.

Für mich wäre es ein faszinierendes Projekt, wenn Europa sagen würde: Wir haben in allen 28 Mitgliedstaaten die gleiche Zulassung für Start-ups. Wir bekommen auch eine bessere Finanzierung von Venture Capital in ganz Europa hin, haben die entsprechenden Randbedingungen. Ich glaube, das könnte für Investoren aus dem IT-Bereich eine unglaublich spannende Botschaft sein, um zu sagen: Jetzt können wir uns hier auf die richtigen Rahmenbedingungen verlassen. Jetzt haben wir überall in Europa auch die gleichen Möglichkeiten, uns niederzulassen.

Dann müsste das Telekommunikationspaket von Neelie Kroes verabschiedet werden. Ich habe heute mit Matteo Renzi gesprochen. Die italienische Präsidentschaft möchte hier noch vorankommen. Deutschland wird die italienische Präsidentschaft hier sehr stark unterstützen.

Wenn wir dann die Datenschutz-Grundverordnung haben und auch noch vernünftige einheitliche Venture-Capital-Regeln, dann wäre das ein Symbol, wo man einfach sagen würde: Okay, hier passiert etwas in Europa, wo man sich einfach auch den Wachstumsbereichen der Zukunft öffnet.

StS Seibert: Vielen Dank für Ihr Interesse. Auf Wiedersehen!

BK’in Merkel: Schönes Wochenende!