Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsident Söder und dem Ersten Bürgermeister Tschentscher

StS Seibert: Guten Abend, meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder haben ihre Beratungen für heute beendet. Die Bundeskanzlerin, der Erste Bürgermeister Herr Tschentscher und Ministerpräsident Söder berichten Ihnen jetzt darüber.


BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, wir haben heute mehrere Stunden getagt, und diese Tagung fand ganz im Lichte der aktuellen Situation statt, die natürlich geprägt ist durch die Ausbreitung der Infektion durch das Coronavirus. Wir hatten die Gelegenheit, die Bund-Länder-Versammlung, die wir eigentlich für die Energiefragen vorgesehen hatten - es war ja schon eine außerordentliche Versammlung - umzufunktionieren in eine breite Diskussion über das, was unser Land jetzt erwartet, und über die Situation in unserem Land.

Wir haben dazu Experten eingeladen: Den Chef des Robert-Koch-Instituts, Herrn Professor Wieler, den Leiter der Charité, Herrn Professor Kroemer, weil den Universitätsklinika in dieser Frage eine zentrale Bedeutung zukommt, und Professor Drosten, einen bekannten Virologen, der ja auch als Erster den Test für dieses Coronavirus erfunden hat.

Ich glaube, dass die Diskussion mit den Wissenschaftlern von großer Bedeutung und von großem Wert war; denn ich habe es gestern schon in der Pressekonferenz gesagt: Das ist eine unbekannte Herausforderung für uns, und mit einer solchen unbekannten Herausforderung muss man erst einmal umgehen, auch indem uns die Wissenschaft sagt, was sie weiß, und indem sie uns auch sagt, was sie nicht weiß. Daraus müssen wir unsere präventiven, vorbeugenden und aktuellen Maßnahmen entwickeln.

Wir haben es - das zeigen die neuesten Zahlen - mit einem sogenannten dynamischen Ausbruchsgeschehen zu tun, das heißt, die Zahl der infizierten Personen steigt sehr stark an. Deshalb ist heute noch einmal in schärferer Form, als das in den vergangenen Tagen notwendig war, gesagt worden, dass, wo immer es möglich ist, auf Sozialkontakte verzichtet werden soll. Dabei muss natürlich die Funktionsfähigkeit des Staates gewahrt werden, und auch die Kernbereiche der Wirtschaft müssen weiter funktionieren. Das hat uns heute sehr in unserer Diskussion bestimmt.

Außerdem müssen wir alle medizinischen Vorbereitungen treffen, um die steigende Zahl von Infizierten auch medizinisch gut behandeln zu können. Dazu hat der Gesundheitsminister heute Ausführungen gemacht, und zwar zum einen, was die Beschaffung von medizinischer Ausrüstung anbelangt - eine Beschaffung, die der Bund dann gemeinsam mit den Ländern aufteilen wird, wo immer das notwendig ist. Es ist heute zum anderen noch einmal darauf hingewiesen worden, dass wir jetzt unbedingt die Stärkung der Intensiv- und Beatmungskapazitäten in den Krankenhäusern und die Vorbereitung der Schutzkonzepte für die besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen nach vorne bringen müssen.

Die Fachleute wiederholen immer wieder, dass es uns in Deutschland gelungen ist, in einer sehr frühen Phase des Infektionsgeschehens die Dynamik dieser Entwicklung zu beobachten. Das heißt, wir haben im Augenblick ein Zeitfenster, in dem wir diese Vermeidung nicht notwendiger Sozialkontakte noch gut ausbauen können. Deshalb haben wir heute zusätzlich zu der Absage von Veranstaltungen mit mehr als tausend Teilnehmern zwischen Bund und Ländern auch verabredet, dass dem ein Verzicht auf alle nicht notwendigen Veranstaltungen unter tausend Teilnehmern folgen sollte. Das ist ein Aufruf an alle, ihre Veranstaltungen jetzt nicht mit einer anderen Untergrenze zu versehen, sondern sich einfach die Frage zu stellen: Was ist in dieser augenblicklichen Situation verzichtbar, was sollte nicht stattfinden?

Darüber hinaus ist auch über die Frage gesprochen worden: Was bedeutet das für Universitäten, Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten? Wir haben da wiederum darauf hingewiesen, dass in Regionen und Bundesländern mit sich abzeichnendem dynamischen Ausbruchsgeschehen - das werden nach Maßgabe der Dinge sukzessive mehr Regionen sein - auch die vorübergehende Schließung von Kindergärten und Schulen, etwa durch ein verlängerndes Vorziehen der Osterferien, eine weitere Option ist. Die Situation in Deutschland, in der Bundesrepublik ist unterschiedlich - wir haben in den südlichen und in den westlichen Bundesländern unterschiedliche Situationen, wir haben teilweise im Norden eine andere Situation -, aber sukzessive müssen wir ja damit rechnen, dass dieses Infektionsgeschehen vor keiner Region abschließend Halt macht.

Wir haben auch darüber gesprochen, dass wir angesichts dieser Situation, in der Sozialkontakte so weit wie möglich vermieden werden sollten, natürlich auch eine sehr schwierige Situation im wirtschaftlichen Bereich haben. Das heißt, es ist vorauszusehen, dass das gravierende Spuren in unserem Wirtschaftsgeschehen hinterlässt. Deshalb will ich wiederholen, was ich gestern schon gesagt habe, gerade auch mit Blick auf große Unruhe auf den Märkten: Deutschland wird das, was notwendig ist, tun, um seiner Wirtschaft zu helfen, Arbeitsplätze zu sichern, und ein Ausdruck dessen ist, dass bereits morgen in einer großen Kraftanstrengung der Deutsche Bundestag plus der Bundesrat - auch das haben wir miteinander verabredet - das Kurzarbeitergeld beschließen wird, sodass da Sicherheit für die Beschäftigten und die Unternehmen besteht. Morgen Mittag werden der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister außerdem weitere Maßnahmen zur Unterstützung unserer Unternehmen vorstellen, denen ich jetzt nicht vorgreifen kann, die aber auch sehr umfassend sind.

Wir waren uns einig: Wir müssen jetzt alles tun, um in dieser außergewöhnlichen und sehr schwierigen Situation den Zusammenhalt in unserem Land deutlich zu machen, auch in der Kooperation zwischen Bund und Ländern. Deshalb haben wir auch verabredet, dass zusätzlich zu den regelmäßigen Abstimmungen der Gesundheits- und der Innenminister in Zukunft auch eine solche regelmäßige Verbindung zwischen den Chefs der Staatskanzleien und dem Chef des Bundeskanzleramtes stattfindet. Wir werden uns in vier bis fünf Wochen auch in diesem Kreis wiedertreffen, um die Situation zu bewerten. Sie verändert sich jeden Tag, das sieht man auch an den Aussagen der Fachleute. Dementsprechend müssen wir immer wieder darauf reagieren, sodass wir in dieser Situation das Beste für unsere Bevölkerung erreichen.

Wir haben in unserem Beschlussvorschlag auch noch festgelegt, dass wir dies alles nicht rein national tun wollen, sondern dass wir das in enger Absprache mit unseren europäischen Nachbarn und der Europäischen Union insgesamt tun wollen, weil wir überzeugt sind, dass wir diese schwierige Situation, diese Krise, nur meistern werden, wenn wir auch europäisch zusammenhalten.

MP Söder: Frau Bundeskanzlerin, meine sehr verehrten Damen und Herren, durch Corona ist die Welt eine andere, und die Auswirkungen sind wohl viel tiefgreifender, als wir es noch vor ein, zwei Wochen überhaupt hätten ahnen können. Das Geschehen ist extrem dynamisch, und das, was vorgestern kaum möglich schien, wird wahrscheinlich und ist morgen dann Realität.

Dies ist eine echte Bewährungsprobe - eine Bewährungsprobe für unser Gesundheitssystem, für unser ganzes Land, aber auch für die Politik. Uns muss eines klar sein - und das haben wir heute auch gemerkt und haben wir auch lange, seriös und verantwortungsbewusst diskutiert; alles, was wir heute gemacht haben, haben wir uns nicht aus der hohlen Hand heraus oder schnell gemacht, sondern seriös geprüft und in Abstimmung dann vorangebracht -: Die Lage verschlechtert sich täglich. Wir brauchen keine Panik, aber wir brauchen entschlossenes Handeln mit einer klaren Zielführung. Wir spüren, was um uns herum stattfindet, und können das Geschehen nicht isoliert betrachten, sondern müssen für unsere Bevölkerung das richtige Angebot machen, passgenau sowohl für die Regionen als auch für das ganze Land.

Der Beschluss, den wir heute gefasst haben, weist genau in diese Richtung, die wir dringend brauchen. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir über Maßnahmen reden, die wir noch vor wenigen Tagen für nicht angemessen gehalten haben. „Angemessen“ ändert sich jeden Tag. Kühler Kopf und Umsicht ist klar, aber am Ende muss es zu Ergebnissen führen. Umsicht oder eine Diskussion dürfen nicht dazu führen, dass wir nichts entscheiden. Es muss also vorangehen, und da sind wir heute einen großen Schritt vorangekommen. Danke für die gemeinschaftliche Bereitschaft dazu!

Dazu gehört aus unserer Sicht ganz deutlich:

Erstens. Wir brauchen eine einheitliche Materialstrategie, was die Beschaffung von all den Dingen betrifft, die wir in den nächsten Tagen und Wochen dringend brauchen. Bund und Länder werden versuchen, das gemeinsam zu koordinieren, und wir werden uns gegenseitig unterstützen, wo der Bedarf am stärksten ist. Dazu gehört auch die Stärkung der gesamten Krankenhauslandschaft. Wir müssen die Krankenhausstruktur so umstellen, dass Intensivbetten zur Verfügung stehen und dass OPs, die im Moment, soweit sie medizinisch nicht notwendig sind, nach hinten geschoben werden, damit Platz und Möglichkeit für zu erwartende Intensivpatienten besteht, die wir wegen Corona bekommen werden. Es darf auf keinen Fall dazu führen, dass wir wie in Italien und anderswo in die Situation kommen, dass in den Krankenhäusern die Entscheidung getroffen werden muss, welcher Patient in welchem Alter behandelt wird. Dies ist nicht vereinbar mit unserer humanitären Auffassung von einer modernen und nachhaltigen Gesundheitspolitik. Es bedarf also einer Umstellung der Krankenhäuser. Wir haben vereinbart, dazu auch die finanziellen Grundlagen jenseits des normalen Abrechnungssystems zu legen, sodass die Krankenhäuser die Gewissheit haben, dass, wenn sie umstellen und wenn sie Solidarität zeigen, auch finanziell entschädigt werden. Wir brauchen also einen Schutzschirm für Krankenhäuser in dieser schwierigen Situation.

Zweitens. Ich bin sehr dankbar, dass wir festgestellt haben, dass die Länder auch für ihre jeweilige Region in unterschiedlicher Form regionale Anpassungsoptionen haben müssen, die sie dann aber miteinander vereinbaren. Deswegen werden wir im Freistaat Bayern beispielsweise morgen endgültig entscheiden, dass und wann wir die Schulen und auch die Kitas vor Ostern schließen, und werden auch über entsprechende Angebote insbesondere für die kritische Infrastruktur entscheiden, die ganz wichtig ist, also was das Thema medizinisches Personal und andere betrifft. Wir werden das morgen früh machen. Viele andere Länder überlegen sich Gleiches, und wir werden uns dann auch entsprechend abstimmen. Ich denke, an der Stelle eine vernünftige Entwicklung zu machen, ist auch ein wichtiges Signal für Eltern und für Schüler.

Ganz wichtig ist auch, dass wir Regelungen finden müssen, die sich insbesondere an die ältere Generation, die Hauptzielgruppe, richten. Das heißt, wir brauchen auch Regelungen für Altenheime, Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen. Eine klare Vorgabe zu entwickeln, wie man damit umgeht, um die Hauptrisikogruppe zu schützen, muss unser Ziel sein.

Es gilt, soziale Kontakte zu reduzieren, um die Entwicklung zu verlangsamen, da wir leider nun einmal - und das ist das Grundproblem - kein Medikament und keine Möglichkeiten der normalen Therapie haben. Dass wir sozusagen nicht auf die vorhandenen normalen Medikamente zurückgreifen können, macht die Lage auch so dramatisch. Wir können auch nicht auf einen Impfstoff warten. Die Lage ist jetzt da, und deswegen müssen wir auch so reagieren, wie wir es tun.

Noch etwas zu den Veranstaltungen. Sie werden sicherlich die Frage stellen: Am Dienstag sind einige schon mit einer Obergrenze von 1000 vorgeprescht; ein, zwei Länder beziehungsweise Stadtstaaten haben überlegt, ob man überhaupt noch Fußballspiele stattfinden lassen sollte. Wir sind da Gott sei Dank zu einer einheitlichen Linie gekommen: Im Grunde genommen sollte man alles, was nicht dringend notwendig ist, verschieben. Alles, was nicht gesetzlich notwendig ist, alles, was nicht kritische Infrastruktur ist, und alles, was nicht für die Aufrechterhaltung des Wirtschaftsbetriebes notwendig ist, soll verschoben werden. Die Behörden werden sensibilisiert, das im Dialog mit Veranstaltern und mit den Gemeinden abzuwägen. Ich persönlich glaube: Man kann bestimmte Feste und Veranstaltungen auch in drei, vier Monaten machen. Jetzt ist das Gebot der Stunde, eine einheitliche Regelung zu haben und die Risiken einzudämmen, die Entwicklung zu verlangsamen und einfach das gesamte Geschehen zu stabilisieren; denn die Dynamik der Entwicklung geht an der Stelle nach oben.

Das Letzte, was mir noch wichtig ist: Danke an den Bund, dass er auch das Thema der wirtschaftlichen Entwicklung aufgreift. Wir saßen ja - die Bundeskanzlerin und ich jedenfalls - am Sonntag schon deutlich länger als heute zusammen. Die beschleunigte Form, in der die Entscheidung zur Kurzarbeit morgen durchgeht und am Sonntag auf den Weg gebracht wird, ist ein ganz wichtiges Signal für die Unternehmen. Die Erhöhung von Liquiditätshilfen ist im Moment zentral. Es geht im Moment weniger um Investitionen, es geht vielmehr um den Erhalt der Liquidität, sodass Unternehmen nicht reihenweise zumachen müssen. Was heute auch ganz wichtig war, ist die Zusage von uns allen: Wir werden alles tun, was notwendig ist - „Whatever it takes“ hat mal jemand in der Eurokrise gesagt -; Bund und Länder werden tun, was notwendig ist, egal in welcher Form sich das entwickelt. Deutschland ist ein reiches Land, wir haben gute, stabile Finanzen. Wir werden alles tun, was notwendig ist, um wirtschaftliche Stabilität zu erhalten, denn neben der medizinischen Schockwirkung ist in dieser Krise wichtig, dass wir nicht in eine absolute, in eine tiefe Rezession kommen. Denn die Verbindung von beiden Themen schafft dann auch andere Probleme, und die wollen wir lösen.

Insofern noch einmal vielen Dank für die gute Zusammenarbeit. Es war eine lange Diskussion - wie alles in Berlin, aber wir diskutieren es ausführlich und kommen zu einem guten Ergebnis. Ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Einige haben geschrieben, auch in den sozialen Netzwerken: „Warum dauert das so lange, bedeutet das irgendetwas?“. Die Zeitdauer war notwendig, um zu guten Entscheidungen zu kommen und nicht einfach eine schnelle Pressekonferenz zu machen. Noch einmal vielen Dank dafür!

BGM Tschentscher: Das, was Herr Söder gerade sagt, kann ich bestätigen und unterstreichen: Es war sehr wichtig, dass wir heute einen intensiven Austausch vornehmen konnten. Wir alle haben uns in den Ländern und auch im Bund in den letzten Wochen schon intensiv mit der Coronavirus-Frage beschäftigt. Es sind auch schon viele richtige Entscheidungen getroffen worden, viele wichtige Maßnahmen sind vorbereitet worden. Aber in so einer komplexen Lage, die sich sehr dynamisch entwickelt, ist es eben wichtig, dass Bund und Länder koordiniert handeln und dass wir uns immer auf Empfehlungen der Fachleute verlassen können, die sich allerdings von Tag zu Tag der Lage entsprechend auch ändern.

Insofern bin ich froh, dass wir heute noch einmal abgleichen konnten, was die richtigen Entscheidungen für die nächsten Tage sind. Wir haben zum Beispiel die Größenordnung, ab der wir Veranstaltungen nicht mehr durchführen wollen, noch einmal neu bewertet und gesagt: Im Grunde muss jeder persönliche Kontakt in den nächsten Wochen so weit wie möglich vermieden werden, weil das in dieser Phase einer solchen Epidemie eben die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass man das sehr, sehr schnelle Ausbreiten eines Virus verhindert.

Ich bin auch sehr froh, dass wir vom Bund Hilfestellungen für das bekommen, was in den Ländern jetzt vor allem im Gesundheitswesen erforderlich ist. Ich bin gerade gestern im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bei der dortigen Corona-Taskforce gewesen und habe sozusagen mit meinen früheren Kollegen, wenn ich das sagen darf, aus Sicht eines Universitätskrankenhauses besprochen, was schon geleistet wurde und was genau in den nächsten Wochen für das notwendig ist, was heute die Experten noch einmal bestätigt haben, nämlich dass wir ausreichend intensivmedizinische Behandlungsvorkehrungen und Behandlungskapazitäten sicherstellen. Es ist sehr wichtig, dass der Bund die Länder und natürlich die Krankenhäuser direkt unterstützt. Es geht darum, dass wir Beschaffungen gemeinsam organisieren, dass wir ausreichend technische Möglichkeiten haben, aber dass jetzt eben auch medizinische Produkte, die nötig sind, über einen sehr langen Zeitraum zur Verfügung gestellt werden, damit wir das hohe Maß, die hohe Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland nicht nur für Coronavirus-Erkrankte, sondern eben auch für alle anderen schwer Erkrankten weiterhin aufrechterhalten können.

Insofern gibt es in den nächsten Tagen weitere Entscheidungen zu treffen. Ich habe vorhin schon einmal gesagt: Eine Entscheidung, die heute noch nicht notwendig ist, kann schon morgen oder in der nächsten Woche notwendig werden. Selbstverständlich mussten wir, als das Coronavirus noch in China war, keine Veranstaltungen absagen, aber in dem Moment, in dem es hier ist und in dem wir sehen, dass sich Infektionsketten bilden können, mussten wir die entsprechenden Entscheidungen treffen. Sie sind getroffen worden und sollten auch in den nächsten Wochen in der gleichen Konsequenzen weiter getroffen werden.

Deswegen war es auch sehr hilfreich, dass wir heute insgesamt unter den Ländern besprechen konnten, wie wir mit diesen wichtigen Fragen der Universitäts-, Schul- und Kita-Betriebssituation umgehen wollen. Wichtig ist einerseits der Anspruch, möglichst wenig persönliche Kontakte zu ermöglichen. Soziale Kontakte kann man auch telefonisch, über soziale Medien und auf anderem Wege haben, aber dass Menschen unterwegs sind und sich sozusagen in engen Räumlichkeiten oder in großen Veranstaltungen begegnen, ist etwas, was wir für die nächsten Wochen möglichst reduzieren wollen. Genau das ist jetzt auch die Entscheidung, die die Länder jeweils für sich treffen werden: wie sie mit der Ferien-, mit der Schulfrage umgehen, wie sie sicherstellen, dass einerseits der Betrieb, wenn es geht, reduziert wird, aber auf der anderen Seite auch sichergestellt ist, dass diejenigen, die wir in den Krankenhäusern, in den wichtigen Versorgungseinrichtungen und im Staatsdienst brauchen, ihre Kinderbetreuung organisiert bekommen. Wir können nicht riskieren, alle Kindergärten zu schließen, alle Schulen zu schließen, und dann vielen Menschen nicht mehr die Möglichkeit zu geben, als Krankenschwester, Krankenpfleger, Arzt oder Ärztin zum Dienst zu erscheinen.

Da sieht man schon, dass wir pragmatisch, aber eben konsequent handeln müssen. Das ist das, was wir heute vorbesprochen haben und wozu wir auch in den nächsten Tagen und Wochen in einem ständigen Austausch unter den Ländern und mit dem Bund bleiben werden.

Frage: Mich würde interessieren, für welchen Zeithorizont diese Planungen gelten. Hat das Auswirkungen auf politische Gipfel bei der EU-Ratspräsidentschaft oder aber auf die Wiesn in Bayern?

MP Söder: Ein ganz schöner Spannungsbogen, Herr Schuler. – Wir werden speziell in Bayern morgen Vormittag noch einmal zusammenkommen und noch einmal genau beraten. Ich habe meine Minister für die Bereiche Schulen und Soziales, aber insbesondere die Gesundheitsministerin für die Alten- und Pflegeheime gebeten, dass wir uns noch einmal über all die Details, die jetzt angesprochen wurden, unterhalten und dann morgen unsere Vorgaben machen.

Wir haben heute von den Experten gehört, dass es vor allem auf die nächsten vier, fünf Wochen ankommt. Das heißt, die Maßnahmen, um die es geht, sind jetzt alle auf jeden Fall um den 20. April terminiert. Das ist bei uns in Bayern und in vielen anderen Ländern genau der Bereich nach den Osterferien, wo wir dann eine Bestandsaufnahme machen könnten. Wir haben gemeinschaftlich vereinbart, dass wir uns in der Runde wie heute unmittelbar danach treffen werden, um dann eine Art Evaluierung der Maßnahmen zu machen.

BK’in Merkel: Dann werden wir auch wieder den Ratschlag der Experten hinzuziehen, die uns ja heute auch gesagt haben, dass dieser Zeitraum sehr, sehr für die Frage entscheidend ist, wie es danach weitergeht.

Frage: Ich habe zunächst eine Frage zu den Schulschließungen. Mich würde interessieren, ob Sie es für ein politisch ausreichendes Signal ins Land halten, dass es jetzt offensichtlich 16 unterschiedliche Lösungen geben soll und warum es immer noch einige Länder gibt, die dabei offensichtlich zögerlicher sind als zum Beispiel Bayern, wo doch eigentlich fast alle Nachbarstaaten die Schulen inzwischen geschlossen haben. Das wäre meine erste Frage.

Meine zweite Frage: Gibt es bei dem Materialzukauf - ich nehme an, dabei geht es insbesondere um Beatmungskapazitäten – eine Zielmarge? Es ist jetzt immer die Rede von 28 000 Intensivbetten, die dann auch die Möglichkeit für eine Beatmung haben. Gibt es eine Zielmarke, die man erreichen will, oder gilt dabei: Man nimmt, was man kriegt?

BK’in Merkel: Zu den Beatmungskapazitäten, kann ich etwas sagen: Es ist so, dass wir natürlich mit den Herstellern sprechen müssen, was überhaupt produzierbar ist. Wir haben in Deutschland mehr Beatmungsgeräte als die Zahl der Intensivbetten - das ist heute noch einmal klargeworden -, weil es zum Beispiel in einem Universitätsklinikum sehr viel mehr Plätze gibt, wo es Beatmungsmöglichkeiten gibt. Das ist nicht nur an die Intensivbetten gekoppelt. Aber Zahlen wurden heute nicht genannt, weil das auch von den Produktionskapazitäten abhängt. Für das, was machbar ist, ist Geld da ist. Das wird auch der Gesundheitsminister zentral zum Teil bestellen. Genau das Gleiche gilt für Atemmasken, die von großer Bedeutung für das Operieren und auch für den ganz normalen Betrieb sind. Auch hier wird vonseiten des Bundes versucht, diese zentral zu beschaffen.

MP Söder: Wir sind dem Bund und auch dem Gesundheitsminister sehr dankbar, dass er sich dabei sehr aktiv einschaltet und zum Teil selbst mit Lieferanten telefoniert, was eigentlich ungewöhnlich ist. Das tut er. Die Situation erschwert sich dadurch, dass durch die jeweiligen nationalen Maßnahmen die internationalen Wege deutlich erschwert sind. Das ist übrigens auch eine der wirklich negativen Folgen der Entwicklungen. Durch die jeweiligen nationalen Beschlagnahmen und Ähnliches mehr verringern sich die Kapazitäten und die Gefahr besteht, dass sich Preise entwickeln, die überraschend sind. Wir hoffen sehr, dass das zu einem guten Ergebnis kommt.

Es ist aber parallel wichtig, neben den Masken auch dafür zu sorgen, dass die Intensivbetten - - Es war heute die Empfehlung insbesondere aus der italienischen Situation, dass wir gucken müssen, dass wir deswegen auch die ganze Entwicklung verlangsamen, um nicht zu viele Patienten für Intensivbetten auf einmal zu bekommen. Wir müssen schauen, dass wir die Intensivbetten Stück für Stück so schnell wie möglich aufbauen. Das heißt, das ist auch ein finanzieller Einsatz in den Krankenhäusern.

Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass wir Operationen, die nicht notwendig sind, anders planen, um dann die Kapazitäten vorzuhalten.

Für die Bundesländer ist mein Eindruck, Herr Fried, dass sich im Laufe des Tages die Diskussion weiterentwickelt hat. Es gibt viele Argumente. Es gibt ja einige große Bundesländer, die dabei relativ entschlossen sind. Viele andere Bundesländer sehen auch, dass man das vernünftig im Verbund lösen muss. Ob einen Tag hin oder her - ich glaube, am Ende werden die meisten in einer vernünftigen Form folgen.

BK’in Merkel: Es war am Gang der Diskussion total erkennbar, dass sich das vielleicht um wenige Tage unterscheidet. Aber im Grundsatz - -

MP Söder: Es ist ja auch normal, dass sich die Dinge im Laufe des Tages abgleichen.

BK’in Merkel: Das ist auch dem deutschen föderalen System geschuldet. Wenn am Ende eines Tages doch eine große Gemeinsamkeit da ist, dann ist das gut. Bei uns kann das nicht zentral angeordnet werden, aber zum Schluss wird es zu einem Gleichklang kommen. Das ist mein Eindruck.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich wollte an die Frage der europäischen Abstimmung anknüpfen. Es gibt ja heute Abend in ganz vielen Ländern Kabinettssitzungen oder Entscheidungen. lst das eine konzertierte europäische Aktion? Haben Sie Angst oder sind Sie besorgt, dass andere Länder, die ja sehr viel weitreichendere Maßnahmen angeordnet haben – Frankreich, fast alle Nachbarn –, mit dem Finger auf Deutschland zeigen und sagen, dass es hier zu langsam geht?

Herr Söder, Sie haben ja heute gesagt, dass man in der Art der Antwort an Draghi denken kann, die man auf die wirtschaftliche Krise gibt. Vielleicht können Sie ein bisschen ausführen, was Sie dann vom Bund genau erwarten. Ist das das Ende der schwarzen Null, der Schuldenbremse? Wie massiv muss man als Bundesregierung wirklich agieren?

BK’in Merkel: Wenn ich dazu gleich etwas sagen darf, obwohl Markus Söder gefragt ist: Die Schuldenbremse sieht zum Beispiel im Grundgesetz für außergewöhnliche Situationen Ausnahmen vor. Ich habe es gestern schon gesagt: Es ist jetzt wirklich nicht unser Thema, wie zum Schluss die Haushaltsbilanz aussieht. Wir wissen überhaupt nicht, wie sich die Steuereinnahmen entwickeln. Wir sind in einer Situation, die in jeder Beziehung außergewöhnlich ist - außergewöhnlicher als zu der Zeit der Bankenkrise, würde ich sagen -, weil wir es hier mit einem gesundheitlichen Problem, einer gesundheitlichen Herausforderung zu tun haben, auf die die Wissenschaft und die Medizin noch keine Antwort haben. Jetzt ist es unsere Aufgabe, erstens so gut wir das können Menschenleben, zu retten und zweitens die wirtschaftliche Tätigkeit am Laufen zu halten.

Beide Aufgaben sind anspruchsvoll und denen wollen wir gerecht werden. Wir haben als Deutschland eine sehr, sehr gute Ausgangssituation. Die müssen wir auch im Blick auf unsere internationale Verflechtung und auch auf unsere europäische Verflechtung nutzen, um hier das Mögliche zu tun.

Zweitens. Ich glaube, dass wir jetzt in einem ziemlichen Gleichklang zum Beispiel mit unserem großen Nachbarn Frankreich agieren. Wenn ich das nebenbei richtig mitgehört habe, hat Präsident Macron, gerade auch was die Fragen des Grenzregimes angeht, gesagt, dass er sich mit Deutschland abstimmen wird. Wir werden uns mit Frankreich abstimmen. Hier wird es eine gute europäische Abstimmung geben. Davon bin ich ganz überzeugt.

Im Übrigen ist die Kommission auch sehr dabei, diesen ganzen Prozess zu begleiten. Ich denke, die Tatsache, dass wir uns als europäische Staats- und Regierungschefs in einer Videokonferenz abgestimmt haben, hat dazu geführt, dass natürlich noch einmal viele Maßnahmen getroffen wurden und dass auch jeder den Ernst der Lage erkannt hat. Aber ich glaube, dass hier nicht einer sozusagen sehr viel weiter ist als der andere.

MP Söder: In Ergänzung zu dem kann ich nahtlos an das anknüpfen, weil Sie mich auch gefragt haben. Wir werden uns am Ende nicht an Buchhaltungsfragen orientieren, sondern wir werden uns daran orientieren, was Deutschland braucht und an nichts Anderem. Das gilt finanziell für den Bereich Medizin; das gilt finanziell für den Bereich der Wirtschaft.

Was funktioniert und was wirkt, das machen wir. Das ist auch ein dynamischer Prozess. Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland gut gelebt und gut gewirtschaftet. Viele Länder haben Haushaltsüberschüsse, und wir haben auch im Bund viele Überschüsse. Das ist aber nicht das Einzige. Wir wollen dabei nicht spitz abrechnen, sondern wir werden das tun, was notwendig ist und was wir brauchen. Das war auch damals ein Signal und ist im Übrigen auch ein Signal an die Wirtschaft, mitzumachen, und ist auch ein Signal an Kapitalgeber - auch an internationale -, dass Deutschland bereit ist, seine echte Herausforderung auch ökonomisch so gut es geht zu schultern. Wir bleiben im Spiel.

BK’in Merkel: Ich will vielleicht noch einmal zu der Situation sagen: Der Chef des Robert-Koch-Instituts hat heute noch einmal gesagt, dass er sich an eine solche Situation, auch was Pandemien und Epidemien anbelangt, nicht erinnern kann. Wir sind also in einer ganz außergewöhnlichen Situation, die auch noch einmal völlig zu unterscheiden ist von anderen Herausforderungen, bei denen wir Medikamente und dann auch sehr schnell Impfstoffe hatten. Das heißt, ganz besondere Situationen erfordern auch besondere Maßnahmen. Das ist alles andere als eine Kleine Facette im Lauf der Geschichte. Das ist vielmehr ein Einschnitt, der uns sehr viel abverlangt.

BGM Tschentscher: Wenn ich noch einmal die medizinische Reaktion auf die Verbreitung dieses Virus zwischen Deutschland und anderen Ländern europäischen Ländern vergleichen darf: Ich glaube, Deutschland kann und muss sich nichts vorwerfen. Wir haben sehr konsequent auf einem sehr hohen Niveau sofort reagiert. Wir können in kürzester Zeit auch größere Patientenkollektive testen. Wir haben es in Hamburg hinbekommen, obwohl wir einen sehr frühen Fall hatten, diesen Fall sehr konsequent zu isolieren und alle Kontaktpersonen zu untersuchen. Wir sind in unserem Gesundheitssystem sehr, sehr schlagkräftig, und wir sind medizinisch auf einem Spitzenniveau unterwegs. Ich glaube, das wird sich auch in den nächsten Wochen zeigen, wenn wir mit den Maßnahmen, die wir heute beschlossen haben, konsequent vorangehen. Unsere sehr, sehr leistungsfähigen Krankenhäuser und unsere Möglichkeiten zu testen - innerhalb kürzester Zeit können wir eine große Anzahl von Untersuchungen machen - haben uns in die Lage versetzt, auch in diesen frühen Phasen der Virusausbreitung sehr, sehr gut Dinge zu begrenzen.

Es ist aber so: Die Epidemie wird ihren Lauf nehmen. Wir werden vieles nur begrenzen können. Das wiederum ist dann aber wichtig, damit wir mit unseren medizinischen Kapazitäten eben nicht überfordert sind. Deswegen empfinde ich die heutigen Beschlüsse als sehr übereinstimmend mit dem, was ich gestern von unseren Experten am Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf erfahren habe. Hier wird, glaube ich, sehr konsequent auch von der fachlichen Seite Politik beraten, und wir haben das sehr gut aufgenommen.

StS Seibert: Dann danke ich und wünsche einen schönen Abend!