Schulden abbauen, Wirtschaftlichkeit verbessern

Euro-Stabilität Schulden abbauen, Wirtschaftlichkeit verbessern

Der Euro hat keine Krise als Währung, sondern es gibt eine Schuldenkrise in einzelnen Euroländern, ist Bundeskanzlerin Angela Merkel überzeugt. Diese Mitgliedsstaaten müssten Schulden abbauen und ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Nur so könne der Euro stabil bleiben, sagt Merkel im ARD-Sommerinterview. Künftig müssten die Euroländer wirtschafts- und finanzpolitisch enger zusammenarbeiten.

  • Interview mit Angela Merkel
  • in der "ARD"
Bundeskanzlerin Merkel auf einer Terrasse mit den Moderatoren Rainald Becker und Ulrich Deppendorf(M), beide Chefredakteure des ARD-....

"Der Euro ist wirtschaftlich für Deutschland von allergrößter Bedeutung"

Foto: picture alliance / dpa

ARD: Gilt Ihr Versprechen eigentlich noch, dass die Gelder und Einlagen auf Banken und Sparkassen der Bürger sicher sind?

Angela Merkel: Den Worten von damals ist nichts hinzuzufügen. Und wir arbeiten dafür, dass der Euro vor allen Dingen als Währung eine stabile Währung ist. Der Euro hat ja keine Krise als Währung, sondern wir haben eine Schuldenkrise in einzelnen Mitgliedsstaaten. Und wir haben zu große Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit, also in der Kraft der einzelnen Mitgliedsstaaten, wirtschaftlich wirklich vorne zu sein. Und das muss verbessert werden - Schulden (abbauen) und Wettbewerbsfähigkeit (verbessern), das sind die beiden Aufgaben. Und ansonsten brauchen wir den Euro als Deutsche ganz besonders.

ARD (Zuschauerfrage): Wie viele Euro-Länder wollen wir noch retten?

Merkel: Wir wollen natürlich, dass möglichst viele Länder selber Reformen durchführen, ihre Schulden abbauen. Aber wir wollen eben auch den Euro als Ganzes. Ich muss noch einmal sagen: Der Euro ist wirtschaftlich für Deutschland von allergrößter Bedeutung. Wir sind eine Exportnation, zwei Drittel unserer Exporte gehen in die Europäische Union. Der Euro ist aber auch ein Teil der europäischen Identität, das heißt, er ist auch etwas, was die europäische Zusammengehörigkeit deutlich macht. Und deshalb wollen wir nicht viele Länder retten, aber wir wollen den Euro stabil halten.

ARD: Sie haben gesagt, Sie fahren nur dann zum Euro-Gipfel am Donnerstag, wenn es ein Ergebnis gibt. Gibt es ein Ergebnis dann, oder bleiben Sie hier?

Merkel: Ich bin ja noch nicht gefahren. Aber hinfahren tue ich nur, wenn es ein Ergebnis gibt. Es wird natürlich noch gearbeitet. An dem Datum Donnerstag sehen Sie schon, dass noch vieles zu besprechen ist - - -

ARD: - - - Sind Sie denn optimistisch?

Merkel: Ich habe meinen Plan so eingerichtet, dass ich Donnerstag Zeit habe, dorthin zu fahren. Und ich glaube, es ist auch dringend notwendig. Wir müssen ein Signal der Stabilität aussenden. Und ich glaube, dass wir sehr, sehr vorankommen können bei dem Griechenland-Programm, bei dem neuen, darum geht es ja im Kern. Italien hat jetzt seinen Haushalt verabschiedet, das war eine wichtige Botschaft. Also, wir müssen uns um Griechenland kümmern. Und da sollen eben auch private Gläubiger mitbeteiligt werden. Das ist die Aufgabe, die zu lösen ist.

Umschuldung Griechenlands

ARD: Wird es eine Umschuldung Griechenlands geben, oder bleibt es bei dem jetzigen Weg?

Merkel: Was wichtig ist - das ist ein bisschen ein technischer Begriff -, es muss die Schuldentragfähigkeit Griechenlands sichergestellt sein, das heißt, die Reformen, die Griechenland machen muss. Das ist das Eine, das hat Griechenland beschlossen. Dann müssen wir Unterstützung leisten, aber nur soviel, dass zum Schluss die Rechnung aufgeht. Und sie geht besser auf, wenn wir private Gläubiger beteiligen. Und je mehr wir die privaten Gläubiger jetzt schon auf freiwillige Art und Weise beteiligen können, umso unwahrscheinlicher wird wieder, dass man nächste Schritte machen muss. Aber wir müssen auf die Dinge uns natürlich auch einstellen. Aber das Wichtigste heißt: Griechenland muss seine Hausaufgaben machen und private Gläubiger auch miteinbezogen werden.

ARD: Daraus schließe ich: Sie schließen eine Umschuldung nicht mehr aus. Eine weiche vielleicht?

Merkel: Schauen Sie, die freiwillige Beteiligung privater Gläubiger ist doch auch schon ein Schritt, der sagt, die Schuldentragfähigkeit ist jetzt nur unter sehr, sehr schwierigen Bedingungen gegeben, und wir arbeiten daran.

Was wir wollen, ist doch: möglichst wenig Maßnahmen. Und eine Umschuldung, die jetzt immer genannt wird, hat natürlich auch den negativen Effekt, dass die Länder sich vielleicht nicht mehr so anstrengen. Das heißt, ich arbeite darauf nicht hin - wir versuchen alles, was wir können, um etwas zu vermeiden, was noch härter ist -, aber ich sage ganz deutlich: Einbeziehung privater Gläubiger zeigt schon, dass wir in Griechenland ein besonderes Problem haben wegen der sehr, sehr hohen Schulden.

ARD: Auf freiwilliger Basis - kommt denn da überhaupt ein nennenswerter Betrag rum?

Merkel: Darüber gehen ja gerade die Gespräche: Was kann man da machen, wie weit ist die Bereitschaft? Aber ich glaube auch, die Anleger haben ja ein Interesse daran, dass der Euro als Ganzes stabil bleibt. Sie haben ein Interesse daran, dass Griechenland wieder auf die Beine kommt. Und insoweit werden wir hier, glaube ich, in den Gesprächen doch - so hoffe ich jedenfalls - Fortschritte erzielen.

Rating-Agenturen

ARD: Warum wird gegen die Ratingagenturen eigentlich nichts unternommen. Es gibt immer Forderungen, aber es geschieht nichts. Sie treiben die Märkte und Regierungen vor sich her.

Merkel: Also, die Ratingagenturen sind ja nicht an sich böse. Sie weisen schon auf Schwächen hin. Und die Tatsache, dass wir in einigen Euro-Ländern Schwierigkeiten haben, hängt mehr mit den Schulden zusammen, als mit den Ratingagenturen.

ARD: Ratingagenturen wirken aber in sensiblen Momenten - und einen solchen sensiblen Moment haben wir jetzt bezüglich des Euro - durchaus verstärkend. Sie schauen überhaupt nicht darauf, was ist rational, vernünftig. Und an dieser Stelle ist es schon nachdenkenswert, ob man nun alles und jedes glaubt, was Ratingagenturen sagen. Wenn wir Programme machen, zum Beispiel für Griechenland, kann man ja auch sagen, wir (glauben) an diese Programme - und wir schauen jetzt nicht jeden Tagen hin: Wird wieder Griechenland runtergestuft oder nicht?

Merkel: Ich glaube, dass es auf die mittlere Frist wichtig ist, dass Europa auch eine Ratingagentur hat. Leider hat es hier in der Wirtschaft kein Interesse bis jetzt daran gegeben. Das ist ein Manko - die Chinesen haben jetzt eine Ratingagentur. Und wir können natürlich nicht als Staaten eine Ratingagentur uns (einfach) schaffen. Das würde ja so aussehen, als ob wir uns ein wohlgesonnenes Urteil beschaffen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die europäische Wirtschaft mal dazu kommt und sagt: Wir brauchen hier auch eine Einschätzung.

ARD: Hinter Ihnen ist der Deutsche Bundestag. Haben Sie das Gefühl, dass bei Ihrem europapolitischen Kurs Ihnen Ihre eigene Fraktion, aber auch die Fraktion der Liberalen wirklich folgen, gerade bei der Eurorettung? Oder fürchten Sie, dass Sie im Herbst vielleicht sogar die Vertrauensfrage stellen müssen?

Merkel: Nein, das fürchte ich nicht. Wir haben jetzt ja vor den Sommerferien noch einmal unsere grundsätzlichen Bedingungen für ein neues Griechenlandprogramm diskutiert. Darüber hat eine Abstimmung im Deutschen Bundestag stattgefunden. Und ich glaube, dass die Einsicht da ist. Es ist viel zu diskutieren, und es ist auch absolut richtig von den Abgeordneten, und das freut mich auch, dass das in unseren Koalitionsfraktionen besonders gemacht wird, dass nachgefragt wird und dass man sagt, was passiert denn auch in den Ländern, die Schwierigkeiten haben. Und ich finde, wir haben bis jetzt immer sehr, sehr gute Lösungen gefunden.

ARD: Es mehren sich in Ihrer Union die Stimmen, die von Ihnen endlich eine Richtungsentscheidung erwarten, wie es in Europa weitergehen soll. Warum sagen Sie nicht, Europa ist eine so tolle Idee, sie hat uns 50 Jahre Frieden gebracht, sie hat uns Wohlstand beschert, die Deutschen haben davon profitiert. Europa ist uns wichtig. Da fehlt von Ihnen, wie viele meinen, eine Ansage?

Merkel: Ich glaube, dass ich schon bei meinen Reden, gerade auch im Deutschen Bundestag, diese Dinge gesagt habe. Ich habe gesagt, scheitert der Euro, scheitert Europa. Europa ist ein Friedenswerk, genauso, wie Sie es gesagt haben. Nur, wir müssen ja praktikable Lösungen finden, und wir arbeiten auf der Grundlage des Lissabon-Vertrages. Und ich kann natürlich überlegen, was kann ich noch stärker integrieren. Und ich weiß jetzt schon, dass die Eurokrise uns dazu bringen wird, dass wir wirtschafts- und finanzpolitisch in der Eurozone stärker zusammenarbeiten müssen. Deshalb habe ich im Übrigen den Wettbewerbsfähigkeitspakt, den Euro-Plus-Pakt vorgeschlagen, damit man sich auch in Fragen, die in nationaler Zuständigkeit sind, koordiniert. Aber wir wissen aus der Geschichte des Lissabon-Vertrages auch, dass man nicht von heute auf morgen einen Vertrag bekommt. Und ich kenne viele Länder, die wollten überhaupt nie wieder eine Vertragsänderung. Jetzt mussten wir schon eine machen. Und deshalb sage ich, von einer Bundeskanzlerin erwartet man ein Bekenntnis zu Europa, aber von einer Bundeskanzlerin erwartet man auch Vorschläge, die umsetzbar sind. Vorschläge, die nicht so einfach umsetzbar sind, die kann die Opposition machen, die kann einfach mal eine Umschuldung fordern, die kann einfach mal Eurobonds fordern. Bei mir erwartet man schon, dass ich mich mit den Vorschlägen dann auch durchsetze und das praktizieren kann.

ARD: Angeblich soll der Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl Sie scharf kritisiert haben, soll gesagt haben, die macht mir mein Europa kaputt. Haben Sie schon mit Helmut Kohl telefoniert?

Merkel: Nein, das musste ich nicht. Aber ich dachte, Sie hat auch noch vor dem Interview erreicht, dass Helmut Kohl das als frei erfunden schon persönlich zurückgewiesen hat. Ich habe heute Abend beim Fußballspiel vielleicht die Gelegenheit, ihn zu fragen.

Steuersenkungen

ARD: (Zuschauerfrage) Die geplanten Steuersenkungen, soll das eine Rettungsmaßnahme für die FDP sein?

Merkel: Nein, das, was wir uns vorgenommen haben, das hat etwas mit Steuergerechtigkeit zu tun. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in der Krise sehr stark auch auf Lohnzuwachs verzichtet, im Übrigen über viele Jahre, seit dem wir den Euro haben auch - anders als in anderen Ländern. Und jetzt geht es darum, vor allem die kalte Progression zu bekämpfen, das heißt, das, was durch Inflation weggenommen wird, wodurch man in eine höhere Steuerstufe kommt, auszugleichen - also, ganz stark um eine Frage der Steuergerechtigkeit. Welche Spielräume wir haben, was wir machen können, das werden wir im Herbst diskutieren. Aber es ist das programmatische Anliegen - sowohl der Union als auch der FDP -, Steuergerechtigkeit und möglichst niedrige Steuern auch für mittlere und kleine Einkommen vor allem zu erreichen.

ARD: Aber ist die FDP besonders da nicht auf dem Holzweg, wenn man die Umfragen sich anschaut? Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger will ja eher den Schuldenabbau denn Steuersenkungen?

Merkel: Naja, der Schuldenabbau steht auch für uns im Vordergrund. Und wir sehen ja, wozu viele Schulden hinführen. Und deshalb ist Deutschland eines der wenigen Länder, das so etwas wie eine Schuldenbremse hat, und damit ist der Pfad, wie wir einsparen, was wir einsparen, natürlich total vorgegeben. Und das ist auch in der Koalition unangefochten. Die Spielräume, die wir haben, die können wir nutzen. Aber vorher steht: Wie halte ich die Schuldenbremse ein, wie konsolidiere ich den Haushalt? Und ich finde das auch sehr, sehr gut, dass die Menschen in Deutschland, anders als vielleicht vor etlichen Jahren, auch angesichts der Eurosituation sagen, das hat für uns Vorrang. Und das ist auch richtig so.

ARD: Hat denn Ihr Finanzminister noch Ihren vollen Rückhalt?

Merkel: Natürlich. Wolfgang Schäuble trägt ja diese Formulierungen vollkommen mit. Ich habe das ja mit ihm auch mal wieder besprochen. Aber ich finde das schon in Ordnung, dass der Finanzminister erst mal das Geld zusammenhält und überlegt, was kann ich tun, was muss ich tun, und auch auf Sicherheit schaut. Denn, ich meine, wir haben in diesem Jahr eine erfreuliche Wirtschaftslage. Wir haben vor allen Dingen eine sehr, sehr erfreuliche Lage auf dem Arbeitsmarkt. Aber wir wissen auch, dass die Weltwirtschaft durchaus Risiken hat, und deshalb müssen wir immer wieder schauen, was können wir uns leisten, was können wir uns nicht leisten. Aber gerade im Sinne der Gerechtigkeit für kleine und mittlere Einkommen werden wir etwas machen.

ARD: (Zuschauerfrage) Warum haben Sie eine solche Gurkentruppe als Kabinett?

Merkel: Solche Worte benutzen wir ja nicht wieder. Das haben wir uns ja fest vorgenommen. Und insofern glaube ich, dass wir einiges geschafft haben und über anderes auch noch durchaus streiten. Schauen Sie, ich glaube, dass wir ziemlich viele massive Probleme zu bewerkstelligen haben, wenn ich nur mal an die Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise denke, wenn ich an die Frage des Euro denke, dann ist das Neuland. Und dann wird natürlich manchmal auch hin und her diskutiert, das heißt heute sofort immer Streit. Eine öffentliche Meinungsbildung soll es zwar geben. Aber wenn dann zwei unterschiedliche Meinungen auf dem Feld sind, heißt es, man streitet wieder. Und ich glaube, dass wir auch einiges wirklich auf den Weg gebracht haben. Wir haben eine Gesundheitsreform, die Wehrpflicht ist ausgesetzt. Wir haben verschiedene Rettungsprogramme, wie gesagt, für den Euro gemacht. Wir haben herausragende Arbeitslosenzahlen, die liegen deutlich unter drei Millionen. Das hat auch etwas mit der Politik, nicht nur, das sage ich ausdrücklich, aber etwas damit zu tun. Wer hätte gedacht, dass wir die Schuldenbremse einhalten können? Also ich glaube, da ist vieles geschafft worden. Und in Fragen der Innen- und Rechtspolitik, das hat Tradition zwischen Union und FDP, gibt es oft unterschiedliche Meinungen.

CDU

ARD: In Ihrer Partei ist das Murren groß. Man sagt: Sie macht so viele Schwenks; wir kommen da nicht mehr mit. Ihnen wird vorgeworfen, Sie haben keinen Kompass...

Merkel: Tja. Ich glaube schon, dass ich das tue, was notwendig ist. Natürlich war die Frage (nach der) Aussetzung der Wehrpflicht für die Union keine einfache Entscheidung. Aber der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat die Lage dargestellt: 13 Prozent, die noch zum Wehrdienst eingezogen wurden. Das ist nicht gerade das, was man Wehrpflicht nennt. Und Fukushima ist ein Ereignise gewesen, das nicht nur mich erschüttert hat, sondern viele, viele Menschen. Dass man daraus Schlussfolgerungen zieht, dass man durch eine Welt, die sich verändert, nicht einfach immer weiter so geht, das ist, glaube ich, richtig.

ARD: Wenn schon so ein abrupter Schwenk wie in der Atompolitik - die Energiewende -, warum haben Sie die Beschlüsse dazu eigentlich nicht - wie es die Grünen zum Beispiel gemacht haben - durch einen Parteitag absegnen lassen?

Merkel: Darüber haben wir sehr nachgedacht, aber das waren Beschlüsse, die wir sehr schnell nach der Ethikkommission in der Koalition gefällt haben. Auf einen Parteitag gehen - es müssten ja drei Parteitage sein - und diskutieren, vielleicht mit Änderungsanträgen rauskommen, oder den Leuten sagen: "Entweder Ihr akzeptiert es oder nicht", ist eine ein (etwas) andere Situation, als wenn ich wie die Grünen in der Opposition bin und etwas ganz Unerwartetes tue, nämlich plötzlich einem Regierungsbeschluss zustimme. Die Sache haben wir abgewogen. Wir haben das in der Partei breit diskutiert. Ich glaube, dass es im Großen und Ganzen eine große Zufriedenheit gibt. Jetzt heißt die Aufgabe, das, was wir uns vorgenommen haben, auch schaffen: nämlich neue Netze bauen, wirklich die erneuerbaren Energien voranbringen. Da werden wir noch viel, viel Arbeit haben. Ich glaube, die Union kann hier Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit sehr gut zusammenbringen.

Waffenexporte

ARD: Zur Außenpolitik. Vor den Ferien gab es eine Diskussion über das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien. Auf Ihrer Afrikareise haben Sie die Ertüchtigung der angolanischen Marine angesprochen. Da sollen Patrouillenboote geliefert werden. Haben Sie einen Schwenk in Ihrer Politik bei Waffengeschäften vorgenommen?

Merkel: Absolut natürlich nicht. Wir haben Richtlinien für den Bundessicherheitsrat, der aus guten Gründen geheim tagt. Diese Richtlinien sind in einer hohen Kontinuität. Wir haben sogar die strengeren Richtlinien von Rot-Grün als große Koalition und jetzt als christlich-liberale Koalition übernommen. Entlang dieser Richtlinien entscheiden wir. Und wir entscheiden natürlich auf der einen Seite nach den Fragen der Menschenrechte und vieler anderer Dinge in den Ländern. Und wir entscheiden nach unseren Sicherheitsinteressen. Da ist vieles abzuwägen: Terrorismusbekämpfung, da ist abzuwägen, dass wir eigentlich die Erfahrung gemacht haben, dass wir in nicht zu viele Länder unsere Soldaten schicken wollen, sondern die Länder ertüchtigen müssen, es selber zu können. Und bei dieser Abwägung heißt es, es gibt nicht schwarz und weiß - in den allerseltensten Fällen nur -, zum Beispiel gerade im arabischen Raum im Nahen Osten gibt es Israel. Das ist ein freiheitliches Land, und sonst ist nichts schwarz und weiß.

ARD: Gerade beim Panzergeschäft wird Ihnen vorgeworfen, Sie hätten sich hinter einer Zustimmung Israels zu diesem Geschäft so ein bisschen versteckt...

Merkel: Die Sache ist so, dass die Entscheidungen im Bundessicherheitsrat geheim sind. Deshalb spreche ich darüber nicht, und deshalb kann ich da gar nichts verstecken. Sondern ich kann nur sagen: Unsere Abwägungen bei allem - ob es Indien und Pakistan ist, ob es Saudi-Arabien, Iran und die ganze Region ist, ob es wieder andere Länder sind - gehen immer nach der Frage: Was sind unsere sicherheitspolitischen Interessen, was ist die Menschenrechtssituation, wie werten und wie gewichten wir das. Ich denke, wir sollten in den nächsten Jahren auch noch stärker vielleicht innerhalb der Verbündeten, mit Frankreich, mit Großbritannien einmal darüber sprechen: Wie sind unsere Interessen, auch nach den Erfahrungen in Afghanistan, nach den Erfahrungen des Irakkrieges. Da heißt für mich die Aufgabe, gerade auch in Afrika: Wir brauchen Länder, die selbst sich verteidigen können gegen Drogenschmuggel, gegen Fischereiraub und vieles andere mehr.

Das Interview führten Ulrich Deppendorf und Rainald Becker für die ARD.

Das gesamte Interview können Sie hier abrufen.