Pressestatements von Kanzlerin Merkel und DGB-Vorsitzendem Sommer

BK’in Merkel: Meine Damen und Herren, wir haben heute ‑ ich darf sagen: wieder einmal ‑ ein Gespräch mit dem DGB gehabt, und Herr Sommer und ich möchten Ihnen jetzt davon berichten. Im Zentrum unserer Diskussionen heute standen die Situation des Euro und damit verbunden natürlich die Fragen von Wachstum und Beschäftigung in Europa sowie auch der gesamten Lage in der Welt.

 

Ich habe zuerst zu sagen, dass ich mich sehr freue, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund in der gesamten Zeit, in der wir uns jetzt in der Schuldenkrise im Zusammenhang mit dem Euro befinden, immer wieder sehr stark hervorgehoben hat, dass der Euro unsere gemeinsame Währung ist, dass der Euro mehr als eine Währung ist und dass es sich lohnt, für den Euro einzutreten und zu kämpfen.

 

Wir haben über die Beschlüsse des letzten Gipfels gesprochen. Ich habe hier die Notwendigkeit aus meiner Sicht dargestellt, dass wir die Bedingungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Europa insgesamt erfüllen. Wir waren uns einig, dass Stabilitätskultur und Haushaltsdisziplin eine wichtige unabdingbare Facette des Gesamtkomplexes sind, dass wir aber genau auf Wachstumsimpulse achten müssen. Das gilt vor allen Dingen auch mit Blick auf das Ergebnis von Wachstum, nämlich Beschäftigung; denn die Arbeitslosigkeit in großen Teilen Europas ist sehr hoch. Was mich genauso wie den DGB umtreibt, ist, dass vor allen Dingen auch junge Menschen in hohem Maße keine Berufschancen haben.

 

Deshalb liegen, glaube ich, die Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation in einer stärkeren wirtschaftlichen Kooperation, in einem Austausch über gute Erfahrungen ‑ zum Beispiel im Bereich des Arbeitsrechts ‑ unter den einzelnen Mitgliedstaaten, aber natürlich auch in Investitionen, soweit das möglich ist. Ich glaube, dass hier erstens der Bereich intelligente Energienetze und ein Binnenmarkt im Energiebereich sowie zweitens ein wirklicher guter Ausbau von Breitbandmöglichkeiten in ganz Europa ‑ auch in den ländlichen Räumen ‑ zwei Bereiche sein können, in denen wir Europa in Zukunft ‑ gerade auch, was das Wachstum anbelangt ‑ nach vorne bringen.

 

Wir haben dann auch über das Thema Energie und Energiewende in Deutschland gesprochen. Hier teilen wir die Meinung, dass viel von dem Gelingen des Leitungsbaus abhängt und wir deshalb Investitionssicherheit schaffen müssen. Wir haben in diesem Zusammenhang über das Thema Offshore-Anlagen gesprochen. Ich glaube, dass wir den Dialog hier engstens fortsetzen werden.

 

Es ist nicht so, dass wir in den Gesprächen immer in jeder Frage einer Meinung wären, aber ich darf von meiner Seite aus sagen, dass ich die Gespräche als vertrauensvoll empfinde und dass es in Zeiten wie diesen auch ausgesprochen wichtig ist, dass wir einen ganz engen Draht miteinander pflegen und über alle Probleme sprechen. Deshalb herzlichen Dank dafür! Es hat mich gefreut, Sie hier willkommen zu heißen.

 

Sommer: Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, wir hatten das Gespräch, das wir heute geführt haben, ursprünglich für die Zeit, als im Bundestag der Euro-Rettungsschirm zur Debatte stand, vereinbart. Wir haben dieses Gespräch damals dann einvernehmlich verschieben müssen und verschoben. Wir mussten heute allerdings bekannterweise an die Debatte anknüpfen, die damals dieses Land bewegte und die es heute immer noch bewegt.

 

Ich habe seitens der Gewerkschaften noch einmal deutlich gemacht: Wir stehen nach wie vor zu der gemeinsamen Währung und auch zu der Notwendigkeit, diese Währung so zu stabilisieren, dass sie erhalten bleibt und zukunftsfähig ist; da haben die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin unsere Unterstützung. Wir haben auch immer deutlich gemacht, dass wir für eine starke europäische Integration im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik sind. Auch das, glaube ich, trennt uns nicht.

 

Wir haben dann allerdings auch kritisch miteinander darüber diskutiert, wo sich die möglichen Wege spalten. Die Bundeskanzlerin hat uns noch einmal sehr ausführlich über einige Hintergründe der Beschlüsse von Freitag im Europäischen Rat beziehungsweise unter den 17 Euro-Staaten informiert, und wir haben ein paar kritische Nachfragen zur Fiskalunion gestellt, einschließlich der Frage, ob Fiskalunion denn nur die Übertragung der Schuldenbremse und der Abbau der Staatsverschuldung sein kann, oder ob Fiskalunion nicht auch bedeuten muss, dass man die Einnahmeseite des Staates verbessert ‑ und das nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Das sind Fragestellungen und Probleme, die wir generell miteinander diskutiert haben.

 

Ich will positiv hervorheben, dass die Bundeskanzlerin uns gegenüber erklärt hat ‑ bei allen finanziellen, möglicherweise auch eingeschränkten, Spielräumen ‑, dass sie unsere Auffassung teilt, dass jetzt neben der Abteilung Sparen auch die Abteilung Konjunkturanregung erfolgen muss. Sie hat Ihnen ja eben selber gesagt, in welchen Bereichen sie da denkt. Wir haben das ausdrücklich unterstützt. Wir haben seitens der Gewerkschaften natürlich immer die Frage, ob das reicht; denn wir sind schon der Auffassung, dass man diese europäische Staatsfinanzkrise nicht allein damit (bewältigen) kann, dass man spart, sondern dass die Abteilung zwei, also über Wirtschaftswachstum tatsächlich zu einer Prosperität der Eurozone insgesamt zu sorgen, auch eine Notwendigkeit ist, der sich die Regierungen ‑ auch die deutsche Regierung ‑ stellen müssen.

 

Wir haben darüber hinaus, wie gesagt, auch über Fragen der Energiepolitik geredet. Dazu brauche ich jetzt aber nicht zu wiederholen, was die Bundeskanzlerin gesagt hat.

 

Uns scheint wichtig zu sein, dass wir auch das Signal aussenden, dass wir über eine gemeinsame europäische Politik ‑ einschließlich einer engen Abstimmung auch mit Frankreich ‑ tatsächlich in der Lage (sind), die Eurozone zu stabilisieren. Nach unserer Auffassung gehört dazu eindeutig auch, dass wir gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um diesen Prozess zu demokratisieren, das heißt, auch das Europäische Parlament mit einzubeziehen, und dass wir auch in die Lage kommen müssen, insgesamt über eine Verstetigung des Wirtschaftswachstum zu einer wirklichen Wachstumsdynamik in Europa zu kommen ‑ bei allen Schwierigkeiten, die wir da alle kennen, und auch all dem, was uns in einigen Staaten bewegt.

 

Dass wir der Auffassung sind, dass man möglicherweise wesentlich mehr Geld in die Hand nehmen muss, als das jetzt angedacht ist, ist eine andere Frage. Ich glaube aber auch, dass die Felder, über die die Bundeskanzlerin geredet hat, nämlich insbesondere die Frage einer europäischen Energiepolitik und, darin eingebettet, einer deutschen Energiewende, aber auch die Frage einer wirklichen Breitbandoffensive in Europa Zukunftsfelder wären, die notwendig sind ‑ und darüber hinaus möglicherweise noch Infrastrukturmaßnahmen. Dass wir dort weiterkommen, hebt nicht alle Schwierigkeiten und Probleme auf, die wir miteinander diskutiert haben. Wir wollten aber auch bewusst deutlich machen, dass wir gemeinsam ein Interesse daran haben, dass das, was uns einige möglicherweise einreden wollen, nämlich dass wir in eine krisenhafte Entwicklung kommen, abwendbar ist, wenn man eine kluge gemeinsame Politik macht. Für uns gehört dazu auch eine aktive Wachstumspolitik.

 

Wir haben übrigens ‑ Frau Bundeskanzlerin, wenn ich das noch sagen darf ‑ vereinbart, dass wir die Gespräche fortsetzen und uns wahrscheinlich im März das nächste Mal treffen werden, um die Lage dann gemeinsam zu beurteilen.

 

Frage: Ich habe eine Frage an Sie beide: Ich hätte gerne gewusst, ob Sie den Zeitpunkt bereits für gekommen halten, Kriseninstrumente wie das Kurzarbeitergeld mit zeitlicher Begrenzung wieder einzuführen.

 

Außerdem hätte ich gerne noch gewusst, ob Sie auch über die Rente und die neuen Ideen für eine Zuschussrente gesprochen haben.

 

BK’in Merkel: Wir haben heute über das Thema Rente nicht gesprochen, weil wir so mit dem Thema Euro beschäftigt waren.

 

Zweitens, was die Frage nach dem Kurzarbeitergeld anbelangt, vertritt die Bundesregierung die Auffassung ‑ das haben wir auch der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite gesagt ‑, dass wir jederzeit bereit sind, das Kurzarbeitergeld wieder einzuführen, wenn die Lage es erfordert, dass wir aber psychologisch nichts dazu beitragen wollen, was jetzt den Eindruck erwecken würde, wir seien in einer solchen Situation.

 

Sommer: Wenn ich das nur noch einmal kurz ergänzen darf: Abseits dieses heutigen Gesprächs stehen wir natürlich auch bei anderer Gelegenheit im Gespräch mit der Bundesregierung, ich auch mit der Bundeskanzlerin. Wir haben mehrfach über das Kurzarbeitergeld gesprochen. Uns wäre es am liebsten gewesen, die gesetzliche Regelung wäre verlängert worden, und zwar mit einer Inkraftsetzung durch die Bundesregierung durch eine Verordnungsmöglichkeit für den Fall eines Falles.

 

Uns ist insgesamt wichtig, dass wir uns nicht eine Krise an den Hals reden, die wir noch nicht haben. Zur Wirtschaftssituation in Deutschland: Es gibt einen leichten Abschwung, aber wir befinden uns in Deutschland immer noch in der Wachstumszone. Das sollte man auch nicht kaputt reden. Andererseits ist die Politik gut beraten, präventiv zu denken und sich auch auf die Situation vorzubereiten, die wir beide nicht wollen. Dazu gehört das Flottmachen von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten wie dem Kurzarbeitergeld. Ich kenne die Erklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Arbeitgebertag ‑ ich nehme an, Sie haben dieses Forum auch bewusst ausgewählt, um das dort zu sagen ‑, und ich kenne auch das, was wir heute über die Frage konjunkturstützender und konjunkturanregender Maßnahmen diskutiert haben. Beides geht in die richtige Richtung.

 

Frage: Ich habe auch eine Frage an beide, und zwar geht es um die Energiewende: Wie bilanzieren Sie den Stand der Energiewende? Wurde bisher genug getan, oder könnte es ein bisschen mehr Schwung bei der Umsetzung geben?

 

Ich stelle auch ganz konkret die Frage nach dem Stellenabbau bei den Energieversorgungsunternehmen. 10.000 Stellen in Deutschland sind im Gespräch, und das wird auch mit dem Atomausstieg und der Energiewende begründet. Wie sehen Sie das?

 

BK’in Merkel: Ich glaube, dass die Frage der Stellenzahl und der von den Unternehmen angekündigte Abbau von Stellen unternehmerische Entscheidungen sind. Ich denke, insgesamt wird die Energiewende in der Summe mehr Arbeitsplätze schaffen, als dabei vielleicht an einzelnen Stellen verloren gehen. Ich glaube, dass die unternehmerischen Entscheidungen der großen Energiekonzerne durchaus auch etwas mit langfristigen Entwicklungen zu tun haben, also nicht monokausal nur auf die Frage der Atomenergie auszurichten sind.

 

Wir haben über einzelne Aspekte gesprochen, wie ich schon sagte, insbesondere den Netzausbau und die Frage von Investitionssicherheit im Offshore-Bereich; das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Thema. Wir werden in nächster Zeit ‑ wir haben verabredet, dass wir eng im Gespräch bleiben werden ‑ auch über die Frage sprechen müssen: Wie schaffen wir die richtigen Neu- und Ersatzinvestitionen? Wie sind die Anreize dafür? – All das deutet darauf hin, dass wir uns nicht das letzte Mal mit dem Thema Energie befasst haben.

 

Sommer: Wenn ich aus unserer Sicht nur etwas zur Frage des Personalabbaus anfügen darf: Sie kennen die Stellungnahmen der beteiligten Gewerkschaften, also von ver.di und IG BCE, zu dieser Frage. Die befinden sich in Gesprächen, in Verhandlungen und zum Teil auch in Kampfsituationen mit den Unternehmen, weil wir diesen Personalabbau in der Art und Weise, in der er vonstatten geht, weder für begründet noch gerechtfertigt halten.

 

Zu der Frage, die uns heute berührt hat, nämlich der Frage der Energiewende, will ich prinzipiell zwei Sachen sagen: Die deutschen Gewerkschaften haben nach Fukushima von Anfang an die Energiewende unterstützt. Wir haben uns aktiv an den Debatten um die Energiewendegesetze beteiligt. Ich will der Bundesregierung ausdrücklich attestieren, dass es richtig war, was sie gemeinsam mit den Ländern und zum Teil auch mit der Opposition auf den Weg gebracht hat.

 

Es gibt einen Teil ‑ das weiß die Bundeskanzlerin, nachdem ich es vorhin auch gesagt habe ‑, den ich kritisiere: Ich glaube, dass die Koordinationsarbeit der verschiedenen Ressorts, die an der Energiewende beteiligt sind, innerhalb der Bundesregierung besser sein kann, um insgesamt das Problem nach vorne zu bringen, weil das auch einer der entscheidenden Punkte für die industrielle und wirtschaftliche Basis Deutschlands in Zukunft ist. Dabei würde ich mir eine bessere Koordination wünschen.

 

Aber ansonsten sind wir uns, was die Maßnahmen und die Notwendigkeiten anbetrifft ‑ insbesondere in Fragen des Netzausbaus ‑, wirklich einig und auch der Meinung, dass das entsprechend flott gemacht werden muss. Ich hoffe, dass jetzt auch noch einmal richtig Drive in diese Runde kommen wird. Sie wissen: Diese Woche führen Herr Rösler und Herr Röttgen diverse Fachgespräche, an denen wir beteiligt sind und an denen wir uns auch aktiv beteiligen.