Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten der Republik Serbien, Boris Tadić

(Hinweis: Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung.)

MP TADÍC: Die bilateralen Gespräche, die die Bundeskanzlerin und ich als Präsident von Serbien geführt haben, waren sehr inhaltsvolle Gespräche, bei denen noch einmal vonseiten Serbiens die strategische Orientierung unseres Landes hervorgehoben wurde, dass wir Mitglied der Europäischen Union werden möchten.

Serbien hat Verständnis dafür, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union die Beachtung der europäischen Werte, der europäischen Prinzipien, aber auch der Standards, die in den Kriterien von Kopenhagen definiert worden sind, beinhaltet. Serbien betont immer, dass es nicht einen künstlichen Weg hin zur Europäischen Union möchte, sondern die Erfüllung aller Kriterien.

In den früheren Jahren haben wir sehr intensiv an der Erfüllung dieser Kriterien gearbeitet. Es handelt sich um die Reformen unseres Landes. An vielen dieser Reformen arbeiten wir noch immer. Ich glaube, dass wir bis September alle festgelegten Kriterien erfüllen werden, wenn es sich um die Verabschiedung von Gesetzen und die Implementierung dieses Teils der Reformen handelt. Andererseits befindet sich Serbien in einem politischen Prozess der Reformen, parallel zur Erfüllung der internationalen Verpflichtungen, wie es zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegstribunal der Fall ist.

Serbien hat den schwierigsten Teil der Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegstribunal abgeschlossen. Wir sind der Meinung, dass das eine wichtige Tatsache ist. Das haben wir wegen der Bürger Serbiens, der Bürger der Region, wegen der Versöhnung und der Einführung normaler geleistet, indem wir eine sichere und prosperitäre Region im Vergleich zu den 90er Jahren erschlossen haben.

Wenn es um die deutsch-serbischen Beziehungen geht, möchte ich noch einmal sagen, dass Deutschland der Schlüsselpartner Serbiens in der Europäischen Union ist. Deutschland ist einer der Schlüsselpartner Serbiens in Bezug auf die Wirtschaft. Wir haben eine lange Geschichte serbisch-deutscher Beziehungen. Diese Beziehungen haben in den vorhergehenden Jahrhunderten Oszillationen erlebt. Aber wir glauben tief an die Zukunft dieser Beziehungen.

Ich glaube, es ist das fünfte Treffen, das ich mit der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland abgehalten habe. Wir haben immer einen Fortschritt in unseren gegenseitigen Beziehungen erreicht. Wir haben immer ehrliche und offene Gespräche geführt. Ich habe immer ganz offen gesagt, was für Serbien akzeptabel und was nicht akzeptabel ist. So wird es auch in der Zukunft sein.

Den Menschen, die den demokratischen politischen Organisationen angehören, die eine politische Zukunft für ihre Völker wünschen, müssen sich gegenseitig verstehen und offen sein, auch wenn wir mit schwierigen Fragen konfrontiert sind. Ich will ganz offen sagen: Wir sind auch heute mit sehr komplexen Fragen konfrontiert worden. Das braucht man nicht zu verheimlichen.

Eine dieser Frage betrifft den Kosovo. Serbien hat keine Illusionen, dass das in die Europäische Union einen neuen Konflikt hineinbringen könnte. Die Europäische Union hat schon ausreichend eigene Konflikte. Serbien möchte die Konflikte im Raum des westlichen Balkans lösen. Die Lösungen finden sich in den Grundlagen der Politik, die ich als Präsident Serbiens vorgeschlagen habe. Die Bürger Serbiens haben bei allen Wahlen eine solche Politik akzeptiert. Gleichzeitig hat Serbien seine eigenen Prinzipien bei der Bewältigung der Konflikte, mit denen wir schon seit zwei Jahrzehnten konfrontiert sind. Wir wünschen uns, mit unseren deutschen Gesprächspartnern und deutschen Freunden einen sehr praktischen Weg zu finden, wo wir die Identität, die Würde aller Völker und alle Länder in der Region bewahren können. Wir erwarten, dass Deutschland, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Zukunft so wie bisher Verständnis für die Komplexität dieses Zustands im Raum des westlichen Balkans haben wird.

Serbien ist der Meinung, dass jede Lösung der einzelnen Konflikten im Bereich Südosteuropas die Stabilität des gesamten Südosteuropas in Betracht ziehen muss. Deswegen sind wir gegen politische Präzedenzfälle, die einen gefährlichen Dominoeffekt hervorrufen können. Wir, die wir uns an der Spitze Serbiens befinden, sind der Vision der Entwicklung Serbiens verpflichtet, aber nicht nur dem serbischen Volk allein, sondern allen Völkern, die in Südosteuropa leben und leben werden. Ich betrachte diese Politik als die einzig mögliche Politik. Ich bin der Meinung, dass eine solche Politik die einzig verantwortungsvolle Politik ist. In diesem Kontext sind auch unsere Reformen, die wir durchführen, zu sehen und auch die Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegstribunal und die Entschuldigung, die wir gegenüber den Angehörigen anderer Völker ausgesprochen haben, die Opfer waren oder die Verwandte der Opfer der vorhergehenden Kriegsgeschehnisse waren. In diesem Kontext ist auch die zwischenregionale Zusammenarbeit zu sehen, die eigentlich der zentrale Punkt unserer Politik ist.

Ich sehe nicht, dass der Raum Südosteuropas außer in der Europäischen Union eine andere sichere Zukunft hat. Ich bin der Meinung, dass die Europäische Union nie als ein politisches Friedensprojekt abgerundet wird, wenn sie nicht auch den Westbalkan in die Struktur der Europäischen Union in sich integriert.

In diesem Kontext unterstützen wir die schnellstmögliche Integration Kroatiens in die Europäische Union und wünschen allen anderen Völkern so schnell wie möglich, Mitglieder der Europäischen Union zu werden. Gleichzeitig fordern wir, dass die gleichen Prinzipien und Kriterien auch beachtet werden, wenn es sich um die Republik Serbien handelt.

Wir haben während der bilateralen Gespräche nicht allzu lang über die Wirtschaft gesprochen. Frau Merkel wird darüber mit Ministerpräsident Cvetković weitere Gespräche führen. Diese wirtschaftlichen Beziehungen haben eine besondere strategische Dimension. Wir sind den deutschen Unternehmen, die in Serbien tätig sind, sehr dankbar. Das sind die besten Unternehmen. Wir sind der deutschen Diplomatie auch wegen aller Bemühungen, die unternommen worden sind, sehr dankbar, um die Europäische Union zu stabilisieren. Deutschland ist das Schlüsselland der Europäischen Union heute. Ich möchte Frau Merkel zu den großen Bemühungen und Errungenschaften und zu der sehr komplexen und verantwortungsvollen Rolle gratulieren, die Deutschland in der europäischen Zukunft bei der Stabilisierung der wirtschaftlichen Gegebenheiten gespielt hat.

Wir haben von Deutschland ziemlich viel für uns gelernt. Das Land Serbien ist ein Land mit einer hohen Finanzverantwortung. Wir sind ein Land, das realistisch die eigenen Möglichkeiten einschätzt. Wir sind mit Schwierigkeiten konfrontiert, besonders was die wirtschaftliche Krise angeht. Aber auch unter solchen Umständen versuchen wir, eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik durchzuführen. Trotzdem leidet die serbische Bevölkerung sehr unter der Weltkrise, für die Serbien nicht verantwortlich ist. Die Arbeitslosigkeit in Serbien ist sehr hoch. Aber auch in anderen Ländern der Europäischen Union ist das der Fall. Wir fordern nicht einen künstlichen Weg hin zur Europäischen Union, auch keinen künstlichen Weg zur wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes. Wir möchten gleiche Standards für Serbien. Wir sind sicher, dass Serbien auch in Zukunft ein sehr sicherer Partner für Deutschland in Südosteuropa sein kann. Ich bin überzeugt, dass es ohne den europäischen Weg Serbiens keine Stabilität im gesamten Raum des westlichen Balkans geben kann.

Noch einmal danke, Frau Merkel, dass Sie nach Belgrad, dass Sie nach Serbien gekommen sind. Ich habe sehr viel Verständnis dafür, dass Sie eine Freundin unseres Landes sind. Ich bedanke mich für die Hilfe, die Deutschland unserem Land in den letzten zehn Jahren gewährt hat. Das ist eine unschätzbare Hilfe für unser Land. Wir schätzen sehr hoch den deutschen Beitrag für die Stabilität Serbiens und für die Entwicklung unseres Landes. In diesem Sinne noch einmal vielen Dank!

BK’IN MERKEL: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass ich heute hier in Serbien, in Belgrad zu Gast bin. Ich bedanke mich für den Empfang und unsere Gespräche.

Ich glaube, die Beziehungen zwischen Deutschland und Serbien sind sehr gut. 300.000 Serben leben dauerhaft in Deutschland. Sie sind so etwas wie eine Brücke. Wir werden auch noch Gelegenheit haben, intensiver über unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit zu sprechen. Serbien war Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse im März dieses Jahres. Das heißt, es gibt nicht nur wirtschaftliche und politische Beziehungen, sondern auch kulturelle.

Ich habe heute Morgen mit Frau Ružica Djindjić und den Stipendiaten der Zoran-Djindjić-Stiftung ein interessantes Gespräch gehabt. Auch diese jungen Leute zeigen, dass sie eine Brücke zwischen unseren beiden Ländern sind.

Wir haben in unseren politischen Gesprächen natürlich vor allen Dingen auch über die europäische Perspektive Serbiens heute gesprochen. Ich will hier ganz deutlich sagen: Mein Besuch soll auch ein Bekenntnis dazu sein, dass Deutschland sich wünscht, dass Serbien ein Mitglied der Europäischen Union wird. Wir glauben, dass Serbien nach Europa gehört. Wir erkennen an und danken auch für den Mut, den Präsident Tadić auf diesem Weg dahin bewiesen hat.

Wir haben in unseren ersten Gesprächen vor Jahren darüber gesprochen, wie wichtig es ist, mit dem Internationalen Gerichtshof zusammenzuarbeiten. Inzwischen ist diese Zusammenarbeit ganz selbstverständlich. Die entsprechenden gesuchten Personen Mladic und Hadzic sind auch dort und werden in rechtsstaatlichen Verfahren beurteilt. Das war ein ganz, ganz wesentlicher Schritt, genauso wie wir natürlich von unserer Seite gezeigt haben, dass wir durch die Visa-Liberalisierung die Anbindung Serbiens an Deutschland wollen. Gerade die jungen Leute haben noch einmal gesagt, wie wichtig ein solcher Schritt für sie war.

Ich glaube, im Augenblick sind wir in einer sehr entscheidenden Phase. Ich sage es noch einmal: Die Frage des Kandidatenstatus für Serbien in der Europäischen Union, die das nächste Ziel auf unserem Weg der Annäherung ist, hängt mit zwei Dingen zusammen. Der Präsident hat darauf hingewiesen, dass eine Vielzahl von eigenen Gesetzen und Anstrengungen – Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und viele andere Reformen – auf den Weg gebracht werden müssen und schon auf den Weg gebracht wurden.

Zum Zweiten ist, wie Präsident Tadić sagte, eine Voraussetzung der Kopenhagener Kriterien eben auch die Beziehungen zu der Nachbarschaft. Hier tut Serbien vieles. Wir haben über die Entschuldigung im Zusammenhang mit Srebrenica gesprochen. Wir haben über das Verhältnis von Serbien und Kroatien gesprochen. Wir haben die Rolle Serbiens im Zusammenhang mit einer Regierungsbildung in Bosnien-Herzegowina besprochen.

Wir haben auch über das Thema Kosovo gesprochen. An dieser Stelle habe ich deutlich gemacht, dass wir Fortschritte im Umgang miteinander brauchen. Ich weiß, dass nicht alle Probleme von einem Tag auf den anderen gelöst werden können. Aber ich denke, Probleme des Handels mit dem Kosovo sind möglich und auch einige andere Dinge, die aus unserer Sicht wichtig sind, um auf dem Weg zum Kandidatenstatus voranzukommen.

Es wird heute nicht das letzte Gespräch zwischen uns gewesen sein. Was unsere Diskussionen jeweils auszeichnet, ist, dass wir offen die Probleme ansprechen, dass solche Gespräche auch dazu dienen, zu verstehen, was jemand leisten kann und was die Erwartungen sind. Was uns eint ‑ das sollte uns auch die Kraft geben, die zu überwindenden Probleme in Angriff zu nehmen ‑, ist, dass wir gegenseitig davon überzeugt sind, dass eine Europäische Union die Länder des westlichen Balkans als Mitgliedsstaaten braucht, dass wir umfassenden Frieden in der Europäischen Union nur bekommen werden, wenn wir die Probleme auf dem westlichen Balkan gelöst haben. Das ist aus den historischen Erfahrungen heraus schwierig. Aber das erscheint mir möglich. Wenngleich ich sagen muss: Es sind noch etliche Hürden zu überwinden.

Aber unsere guten bilateralen Beziehungen sollten uns auch die Kraft dazu geben, diese Diskussionen fortzusetzen. Mein Besuch hier in Serbien ist die ganz klare Aussage: Wir sehen Serbiens Zukunft in der Europäischen Union. Wir werden alles dafür tun, dass auf der Basis der Prinzipien der Europäischen Union Serbien diesen Weg auch erfolgreich geht.

FRAGE: Eine Frage an Sie beide. Haben Sie darüber Gespräche geführt, auf welche Art und Weise die Situation im Norden des Kosovo gelöst werden soll? Welche Einschätzung haben Sie bezüglich der Ansage aus Priština, dass vielleicht neue einseitige Schlüsse gezogen werden könnten, bevor die Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Europäischen Union weitergeführt werden?

Frau Bundeskanzlerin, werden Sie mit dem Ministerpräsidenten detaillierte Gespräche über die wirtschaftliche Zusammenarbeit führen? Stimmen die Nachrichten, dass demnächst große neue deutsche Investitionen in Serbien bevorstehen?

BK’IN MERKEL: Von meiner Seite aus kann ich nur sagen, dass wir uns wünschen, dass unsere Wirtschaft hier investiert. In Deutschland ist es so: Wir begleiten das nicht persönlich. Der Staat versucht, die Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Wirtschaft investiert. Ich werde mit dem Ministerpräsidenten darüber sprechen. Wir werden sicherlich auch beim Mittagessen Gelegenheit haben, noch darüber zu sprechen.

Was die nächsten Schritte anbelangt, so will ich von meiner Seite aus sagen: Man muss alles tun, um einseitige Schritte einer Seite zu verhindern. Deshalb wünschen wir uns, dass die Direktgespräche zwischen Serbien und Kosovo so geführt werden, dass dabei auch Resultate herauskommen. Wir glauben, dass man noch mehr Ergebnisse erzielen könnte und dass dann die Gefahr, dass einseitige Maßnahmen ergriffen werden, geringer werden würde. Das ist mein Wunsch. Ich glaube, dass wir darüber noch nicht das letzte Wort gesprochen haben.

MP TADÍC: Wir haben insgesamt über den Kosovo gesprochen. Wir haben auch über die Situation im Norden des Kosovo gesprochen. Wir haben natürlich nicht über das (akustisch unverständlich) gesprochen. Das ist vielleicht die Gelegenheit, das vor der internationalen Öffentlichkeit anzusprechen. Die Strategie von Priština ist mehr als offensichtlich, mit unilateralen Unterfangen die Situation vor Ort zu verändern, dass eine neue politische Realität hergestellt wird. Deswegen hat vor einer gewissen Zeit die Aktion der Sonderpolizei im Norden des Kosovo stattgefunden, und zwar mit der Absicht, den faktischen Zustand im Norden des Kosovo zu verändern. Wir haben 2004 einen Akt der Gewalt erlebt, der die ethnische Struktur des Kosovo verändert hat, als die Serben aus ihren Häusern vertrieben wurden, als die serbischen Kirchen gebrannt haben, als die Serben die albanischen Kinder angegriffen haben. Später wurde festgestellt, dass das nicht der Fall war und dass die albanischen Kinder in einem Fluss ertrunken sind. Die Folgen sind bis zum heutigen Tag zu spüren. Die Serben leben nicht mehr in diesen Dörfern und Ortschaften, in denen sie vor diesem Pogrom im Jahr 2004 gelebt haben.

Die Aussage, die wir aus Priština im Laufe des vorigen Tages bekommen haben, dass vor der Fortsetzung des Dialogs Priština bereit ist, neue einseitige und gewalttätige Unterfangen zu unternehmen, ist Teil der Strategie, bestimmte Schritte zu unternehmen, dass dadurch eine neue Realität entstehen kann. Wir erwarten von der Europäischen Union einen völlig klaren Standpunkt, der an Priština und an die albanische Führung in Priština weitergegeben wird. Es ist für uns absolut inakzeptabel, dass derjenige belohnt wird, der einseitige Schritte oder Akte der Gewalt unternimmt und er praktisch durch die neue Realität vor Ort belohnt wird.

Serbien ist für den Frieden als Lösung. Wir möchten den Dialog fortsetzen, der mit dem Kosovo zu tun hat. Das war unsere Absicht, auch nachdem die Resolution mit den 27 Ländern der Europäischen Union erbracht worden ist. Wir glauben, dass nur auf diese Weise ein Kompromiss und eine nachhaltige langfristige Lösung gefunden werden kann. Mit Hilfe des Dialogs können Lösungen für die technischen Fragen gefunden werden, nicht nur Fragen der Strategie, die mit der serbischen oder albanischen oder europäischen, sondern auch mit der praktischen Natur zu tun haben, die den Menschen ein normales Leben ermöglichen. Serbien möchte eine Lösung. Wir möchten den Konflikt nicht auf Eis legen. Wir möchten, dass nicht nur für die Serben, sondern auch für die Albaner ein normales Leben möglich wird. Serbien möchte einen normalen Umsatz von Waren. Es möchte aber auch die eigene Identität haben. Wir sind wie jedes andere normales Land, das eine eigene Verfassung hat. Wir haben unsere Rechtsprinzipien, die im Einklang mit dem internationalen Völkerrecht stehen. Wir glauben zutiefst, dass wir eine Politik umsetzen, die im Einklang mit den europäischen Interessen und auch mit den deutschen Interessen ist.

Wenn es um deutsche Investitionen geht, sind wir mit dem Niveau der jetzigen Investitionen zufrieden. Die deutschen Unternehmen sind mit die besten in Serbien. Wir wünschen uns auch neue deutsche Investitionen. Das hängt natürlich auch von Serbien ab, von der Transparenz der Verfahren und der Ausschreibungen, von der Bekämpfung der Korruption und der Offenheit unseres Marktes. Dann werden deutsche Unternehmen sicherlich immer öfter nach Serbien kommen. Sie werden neue Arbeitsplätze schaffen und wettbewerbsfähig sein. Die Unternehmen sind exportorientiert. Kein deutsches Unternehmen hat Serbien verlassen. Ganz im Gegenteil. Neue Unternehmen kommen. Das ist im Einklang mit unseren Reformen, auch mit unseren Steuerreformen.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gerade Serbien aufgefordert, den Dialog mit Kosovo wieder aufzunehmen und haben von einer Art schrittweisen Annäherung an die EU gesprochen. Könnten Sie näher spezifizieren, wie diese Annäherung aus Ihrer Sicht aussehen könnte und wie der zeitliche Rahmen dafür aussehen könnte?

BK’IN MERKEL: Erstens. Die zeitliche Perspektive hängt von den inhaltlichen Fortschritten ab. Das kann schnell gehen. Das kann aber auch natürlich auch länger dauern, wenn die Inhalte nicht so vorangehen, wie es nach den Kriterien, die wir für die Verhandlungen zum Beitritt in der Europäischen Union haben, notwendig wäre.

Die inhaltliche Frage ist die, dass wir in der Tat zu Ergebnissen bei den Direktgesprächen kommen. Der Sommer war unerquicklich ‑ darüber brauchen wir nicht zu reden ‑ und hat wieder Konflikte hervorgebracht, die wir gerne überwunden hätten. Ich will noch einmal sagen: Deutschland ist der Haupttruppensteller bei der Truppe KFOR. Unsere ganze Anwesenheit dort dient eigentlich nur einem einzigen Ziel, nämlich dass alle Menschen im Kosovo, auch die Serben, im Nordkosovo unter vernünftigen und friedlichen Bedingungen leben können.

Das ist ein Einsatz, den wir gerne leisten, aber bei dem wir natürlich auch wollen, dass es Fortschritte gibt. Man braucht auch nicht darum herumzureden: Es gibt einen Unterschied. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Republik Kosovo anerkannt. Auf der anderen Seite gibt es eine andere Auffassung von serbischer Seite. Ich glaube, man muss jetzt nicht alle Fragen in einem Zuge klären, sondern man muss Schritt für Schritt versuchen, Möglichkeiten zu eröffnen. Die Möglichkeiten, um zum Beispiel den Kandidatenstatus zu erreichen, heißen Erfolge bei Direktgesprächen, heißen eine gute Möglichkeit für EULEX, dort in allen Teilen des Kosovo auch arbeiten zu können. Sie heißen letztlich, dass wir nicht immer mehr Parallelstrukturen haben, sondern dass wir einen Abbau von Parallelstrukturen haben. Das ist das, was wir uns vorstellen. Darüber sind wir im Gespräch. Das ist nicht einfach.

Ich sage ganz ausdrücklich: Wir werden nicht alle Fragen in einem Zug schaffen können. Wir kennen die Dinge auch aus der deutschen Geschichte, dass wir oft sehr pragmatisch vorgehen mussten. Das wird man hier auch tun müssen. Darüber haben wir gesprochen. Ich glaube, der Wert liegt einfach darin, dass wir uns immer wieder austauchen und sagen: Das geht, und das geht nicht, dann aber auch immer wieder den Weg finden, wie wir vorankommen. Das war heute der Inhalt unserer Gespräche.

Ich kann über die Zeitachse nichts sagen. Es ist eher die Frage: Was muss inhaltlich geschafft werden? Dass die Frage Serbien und Kosovo ein langer Prozess ist, das ist unstrittig. Aber wir können nicht die Beitrittsverhandlungen mit der EU erst bis zum Ende führen. Wenn wir das letzte Kapitel verhandelt haben, sagen wir: Nun fällt uns noch ein, dass wir noch ein Problem zwischen Serbien und Kosovo haben. Das wäre gegenüber Serbien nicht fair. Deshalb sprechen wir lieber heute die schwierigen Dinge an, als dass wir sie auf übermorgen verschieben.

FRAGE: Sie haben teilweise schon eine Antwort auf meine Frage gegeben. Welche konkreten Schritte erwarten Sie von Serbien, damit es den Status als Kandidat erhält?

Zweitens. Ich möchte fragen, ob am Ende dieses Weges für die Mitgliedschaft Serbiens in der EU die Anerkennung des Kosovo Voraussetzung ist.

BK’IN MERKEL: Ich will einmal die Dinge nicht komplizierter machen, als sie sind. Jetzt lassen Sie uns doch einmal den Schritt eins machen. Die Menschen wollen immer gleich wissen, wo alles endet. Natürlich kann man sich schwer vorstellen, dass wir auf der einen Seite sagen: Die Länder des westlichen Balkans sollen eine Perspektive in der Europäischen Union haben und anschließend gibt es Zustände, dass immer ein Land den Saal verlässt, wenn ein anderes Land drin ist. Das ist schwierig. So kann man nicht arbeiten.

Präsident Tadić hat darauf hingewiesen, dass wir bei der Frage Zypern zum Beispiel heute schon in der Europäischen Union etliche Schwierigkeiten haben. Ich glaube, wir tun uns gegenseitig den besten Gefallen, wenn wir erst einmal über den nächsten Schritt sprechen. Meine Botschaft an die Menschen hier ist: Wir machen keine falschen Versprechungen, sondern es ist unser Wunsch. Es ist in unserem gegenseitigen Interesse. Es ist nicht nur im Interesse Serbiens, dass Serbien in Europa ist, sondern es ist auch im europäischen Interesse. Es ist das Interesse Deutschlands, dass Serbien ein Mitglied ist. Trotzdem haben wir unsere Prinzipien. Nun sind wir dafür Politiker, dass wir Fragen, die etwas schwieriger sind, als diejenigen, die man ganz einfach lösen kann, auch lösen. Sonst bräuchte man keine Politiker.

MP TADÍC: Das war eine Frage, die Sie nicht an mich gerichtet haben. Ich kann aber meinerseits auch einen Kommentar dazu abgeben.

Serbien möchte Mitglied der Europäischen Union werden. Das ist ganz sicher. Das haben wir auch nach dem 5. Oktober des Öfteren gesagt. Das ist der Sinn des Kampfes der Bürger Serbiens am 5. Oktober 2000 gewesen. Diese Politik hat immer eine Unterstützung der gesamten serbischen Bevölkerung gehabt.

Gleichzeitig sollte man nicht künstliche Fristen aufstellen, wann Serbien Mitglied in der EU werden wird. Serbien möchte von den europäischen Partnern auf die gleiche Art und Weise wie alle anderen Länder behandelt werden. Eine der spezifischen Herausforderungen ist das Kosovo. Wir haben keine Illusionen, dass wir die EU auch in einen neuen Konflikt hineinführen können. Deswegen möchten wir mit Hilfe des Dialogs das Problem bewältigen.

Niemand fordert von Serbien wieder einen Dialog mit Priština zu führen. Das erstrangige Interesse Serbiens ist eine demokratische Politik. Andererseits sind wir tief davon überzeugt, dass wir praktisch in der nächsten Woche alle Kriterien erfüllen werden, die mit dem Kandidatenstatus zu tun haben. Wir sind der Meinung, dass der Kandidatenstatus nicht ausreicht. Wir möchten das Datum für die Aufnahme der Verhandlungen, denn dann wird dieser schicksalhafte Schritt gemacht werden. Es wird nicht mehr möglich sein, eine Revision dieses politischen europäischen Prozesses in Serbien vorzunehmen. Das wäre historisch ein sehr wichtiger Augenblick für unser Land, für unsere Bürger und für die gesamte Region.

Das würde andere Länder der Region unterstützen, sich schneller hin zur Europäischen Union zu bewegen, dass die Reformen intensiver umgesetzt werden. Wir erwarten von der Europäischen Kommission eine positive Meinung bezüglich unserer Reformen. Wir haben eine spezifische Charakteristika. Wir haben die Reformen, die sehr tiefgreifend und komplex sind, gestartet, bevor wir den Kandidatenstatus bekommen haben. Manche andere Länder haben den Prozess der Verhandlungen abgeschlossen, indem sie Reformprozesse begonnen haben. Das sind bei uns die Reform des Justizwesens, Eigentumsverhältnisse und sehr komplexe und delikate Gesetze im sozialen Sinne.

Wir nehmen das Risiko und die Schwierigkeiten auf uns, indem wir davon ausgehen, dass das ein Aspekt unserer Politik ist. Die Politik ist natürlich eine praktische Tätigkeit. Da bin ich absolut der gleichen Meinung mit Ihnen, Frau Merkel. Aber gleichzeitig verstehen wir unter der Politik auch bestimmte Prinzipien. Darüber haben wir auch heute gesprochen. Darüber werden wir im Laufe des heutigen Tages noch weitere Gespräche führen.

FRAGE: (auf Englisch; es erfolgt keine Übersetzung)

BK’IN MERKEL: Fürchten tue ich gar nichts. Insofern ist das kein guter Ratgeber für politische Arbeit.

Ich habe darauf hingewiesen, dass Deutschland die Republik Kosovo anerkannt hat. Serbien tut das nicht. Das ist eine Situation, in der wir vorankommen müssen. Für uns heißen die nächsten Schritte, die ich auch aufgezählt habe, die, die ich genannt habe: Direktgespräche mit Ergebnissen, EULEX-Arbeit und Abbau von Parallelstrukturen im Norden des Kosovo. Das ist die Situation, an der wir jetzt arbeiten. Ich mache auch zum jetzigen Zeitpunkt keine zeitlichen Aussagen. Ich weiß, dass Serbien sehr schnell vorankommen möchte. Ich weiß, dass wir auf der anderen Seite bei den Sachfragen auch vorankommen müssen. So werden wir miteinander im Kontakt bleiben.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, noch einmal zum Thema Kosovo. Was sagt Ihnen sozusagen Ihr politisch seismografisches Gefühl? Sie haben sich ja vor Ihrem Besuch hier in Belgrad durchaus zweckoptimistisch gezeigt. Was sagen Sie nach dem Gespräch mit Präsident Tadić? Sind Sie zuversichtlich, dass es zu einer Übereinkunft kommen könnte? Oder eher nicht?

Herr Präsident Tadić, Sie haben von europäischen Werten gesprochen, die Ihr Land versucht zu erreichen. Welches sind die härtesten Nüsse, die man knacken muss, um diese Werte zu erreichen? Wo fällt es Ihnen und Ihren Landsleuten am schwersten, diese Werte zu erreichen?

BK’IN MERKEL: Mein politisches seismografisches Gefühl sagt mir, dass wir es in der Frage des serbischen Weges in die EU mit einem der eher schwierigen Probleme zu tun haben. Mein Gefühl sagt mir auf der anderen Seite, dass wir einen Erfolg brauchen, und zwar sowohl für Serbien als auch für Europa. Deshalb sage ich, dass es wichtig ist, dass wir miteinander sprechen, und zwar in der Zukunft eher öfter als weniger oft, dass wir uns auch nicht von Wahlen dauernd abbringen lassen, den Weg weiter ganz ruhig zu gehen. Denn entweder haben wir in Deutschland Wahlen oder in Serbien sind Wahlen oder in Europa sind Wahlen. Wenn wir nicht aufpassen, haben wir immer eine Entschuldigung, warum wir gerade nicht sprechen können.

Die Breite der Aufgabe hat das Gespräch noch einmal vor Augen geführt. Aber ich bin ein optimistischer Mensch. Wer wie ich erlebt hat, dass sich Deutschland vereinigt hat, obwohl man das auch alles nicht möglich gehalten hat, der hält es auch für möglich, dass die Probleme hier in dieser Region gelöst werden. Das, was ich immer wieder sage und hier auch noch einmal sagen möchte, ist: Europa ist zum Schluss die Lösung. Wenn Sie Europa haben und Sie sind zum Beispiel in einer fernen Zukunft eines Tages Teil von Schengen, dann gibt es die Grenzen nicht mehr, dann gibt es die Pässe nicht mehr. Dann ist das alles weg.

Das heißt, man darf also nicht vergessen, was man auch bekommt, wenn man die Prinzipien Kopenhagens anerkannt hat. Für diese Vision werde ich weiter werben und Präsident Tadić auch. Er hat viele Risiken auf sich genommen. Als wir uns das erste Mal gesehen haben, gab es Herrn Mladic und Herrn Hadzic noch nicht beim Internationalen Gerichtshof. Da war überhaupt die Frage, ob hier in Serbien eine Mehrheit für einen proeuropäischen Kurs zu erreichen ist. Das alles ist gelungen. Man hätte schon vor Jahren sagen können, dass man das nicht schafft.

Insofern bin ich optimistisch, dass wir das, was an einem Berg von Arbeit noch vor uns liegt, auch schaffen.

MP TADÍC: Ich bin meinerseits auch Optimist. Ich bin der Meinung, dass der Optimismus auch in Krisenzeiten und in schwierigen Zeiten ein Wert an sich ist. ich glaube, dass die Krisen und die komplexen Umstände Gelegenheit bieten, gelöst zu werden und dass Lösungen gefunden werden, die nachhaltig sind. Ich glaube tief daran, dass es möglich ist, den Balkan im politischen Sinne zu entbalkanisieren. Ich glaube, dass der Balkan zu einem Raum gemacht wird, in dem das Prinzip der Minimisierung der Konflikte eingeführt wird.

Das wäre nicht nur ein Beitrag für die Völker des Balkans, sondern auch für die gesamte EU, die Sicherheit in der EU und die Strategie der Europäischen Union in der Definition ihrer gänzlichen Politik gegenüber anderen Identitäten. Andererseits habe ich als Präsident der Republik Serbiens meine eigene Überzeugung, von der ich nicht Abstand nehme. Ich werde keine politische Lösung unterstützen, von der ich weiß, dass sie vielleicht nicht morgen, aber in fünf oder zehn Jahren neue Krisenherde auf dem Balkan schafft, Menschen in neue Lebensgefahren bringen wird und neue Konflikte und Kriege hervorrufen wird. Es gibt keine politischen Umstände, unter denen ich solche Lösungen anstreben würde.

Wenn es um die Wahlen geht, dann bin ich der gleichen Meinung. Wahlen können keine Rechtfertigung oder Ausrede für das Untätigsein sein. Ich denke nicht zuerst daran, dass ich bei den Wahlen gewinnen muss. Ich befasse mich mit der Politik, damit ich gute Erfolge nach meiner Amtszeit erziele. Die Bürger entscheiden, ob ich bei den Wahlen gewinne oder nicht. Ich habe mehrmals vor den Bürgern über eine Politik gesprochen, von der man nicht annahm, dass sie ein richtiges politisches Ergebnis für mich erbringen wird. Das wird in der Zukunft auch so bleiben.

Ich möchte noch einmal sagen, dass die Politik, die ich vertrete, die Politik der Versöhnung ist. Das ist die Politik des demokratischen Serbiens. Wir Serben akzeptieren nicht die Unabhängigkeit des Kosovo. Wir suchen nach einer Kompromisslösung. Ich bin sicher, dass ein Kompromiss und eine praktische Lösung gefunden werden kann. Ich glaube, dass die Politik, bei der Serbien vor die Wahl gestellt würde ‑ Kosovo oder die Europäische Union ‑, eine falsche ultimative Politik wäre, die nicht im Einklang mit den europäischen Werten stehen würde. Ich glaube, dass solche Umstände umgangen werden müssen. Das wäre nützlich für alle ‑ nicht nur für das serbische Volk, sondern auch für die europäischen Völker und für die Europäische Union. Das wäre die praktischste Lösung. Man sollte eine kreative Lösung unter den gegebenen politischen Umständen finden, die nicht ein normales Leben der Menschen verhindern würde und die nicht die Würde weder des albanischen noch des serbischen Volkes gefährden würde. Eine Lösung, die eine europäische Funktionsfähigkeit in Südosteuropa ermöglichen würde und die nicht neue Gefahren für die Nachbarländer hervorruft.

Das sind unsere Überzeugungen. Was bei den Wahlen sein wird, werden wir sehen. Ich glaube, dass eine solche Politik die Unterstützung der Bürger bekommen kann, denn ich bin überzeugt, dass die Politik der Mitgliedschaft in der Europäischen Union von wesentlicher Bedeutung für die Bürger Serbiens ist. ‑ Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.