Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Ministerpräsidenten des Königreichs der Niederlande, Mark Rutte

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass heute der niederländische Premierminister Mark Rutte bei uns zu Besuch ist. Wir haben eine sehr enge, freundschaftliche Partnerschaft. Auch bilateral sind die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern so intensiv, wie sie eigentlich in der Geschichte noch nie oder selten waren. Das hat sich kürzlich auch in den Besuchen des Bundespräsidenten und des Bundesratspräsidenten gezeigt. Es ist ein ganz intensives Verhältnis.

Wir treffen uns heute aber, um vor allen Dingen den Rat Ende nächster Woche vorzubereiten und die Probleme zu besprechen, die wir im Augenblick in der Europäischen Union bzw. in der Wirtschafts- und Währungsunion haben. Wir unterstützen, dass es bei dem Rat in Juni schwerpunktmäßig um das Thema Wachstum geht. Wir haben das bereits im Januar und März vorbereitet. Wir haben die fiskale Konsolidierung durch den Fiskalpakt ein ganzes Stück verbindlicher gemacht. Das war ein sehr wichtiger Schritt. Natürlich ist Wachstum die andere Seite der gleichen Medaille. Das heißt: Haushaltskonsolidierung und Wachstum bedingen einander. Ein nachhaltiges Wachstum ist ohne eine Konsolidierung in den Haushalten nicht möglich.

Wir glauben, dass wir bezüglich einer Wachstumsagenda, die vor allen Dingen auch die Arbeitslosigkeit bekämpft, auf einem guten Weg sind. Deutschland und die Niederlande werden hierzu ihre Vorschläge machen. Wichtig ist allerdings, dass sich Wachstum immer daran ausrichtet, dass die Wettbewerbsfähigkeit so gut ist, dass man seine Produkte, die man produziert, auch auf den Weltmärkten verkaufen kann. Wir wissen, dass die großen Wachstumsregionen dieser Erde im Augenblick im Bereich der Schwellenländer liegen. Hier müssen wir vor allem unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern.

Es ist beeindruckend, welche Schritte hierzu Portugal, Spanien und auch Italien unternehmen. Gerade was Spanien anbelangt ist es wichtig und richtig, dass Spanien jetzt in den nächsten Tagen einen Antrag stellen und bezüglich der Hilfe für die Probleme in den Banken spezifizieren wird. Wir alle wissen aus der Zeit der Bankenkrise in den Vereinigten Staaten von Amerika und nachfolgend auch in Europa: Banken müssen rekapitalisiert sein, Banken müssen arbeiten können, damit das Wirtschaftswachstum überhaupt stattfinden kann. Deshalb unterstützen wir den Antrag, den Spanien stellen wird.

Insgesamt werden wir beim nächsten Europäischen Rat auch über nächste Schritte sprechen. Hier ist es ganz wichtig, dass wir bei einer Intensivierung der Zusammenarbeit in der Eurozone Schritt für Schritt vorgehen und dass wir bei jedem Schritt darauf achten, dass die Kontrolle auch wirklich effektiv ist, damit uns das, was uns so oft in der Vergangenheit passiert ist, nämlich dass wir uns zu Dingen verpflichtet haben, die wir anschließend nicht eingehalten haben, nicht mehr passiert; denn nur so ‑ das ist meine Überzeugung ‑ kann Glaubwürdigkeit wiedergewonnen werden. Glaubwürdigkeit ist genau das, was die Europäische Union und insbesondere die Eurozone auf den internationalen Finanzmärkten jetzt wieder brauchen.

Es wird hierzu auch eine Kooperation zum Beispiel im Bereich der Banken geben müssen, bei der die Aufsicht europäischer ist. Über all diese Schritte werden wir in der nächsten Woche sprechen. Aber es geht jetzt erst einmal darum, dass auch jedes Land seine Hausaufgaben macht und damit wieder Verlässlichkeit und Vertrauen schafft.

Noch einmal herzlich willkommen! Wir werden unsere Diskussion noch fortsetzen.

MP Rutte: Vielen Dank! Die Bundeskanzlerin und ich haben heute erneut ein gutes Gespräch über alle wichtigen aktuellen Entwicklungen geführt. Selbstverständlich habe ich ihr zunächst zu den bisherigen Leistungen der deutschen Mannschaft bei der Europameisterschaft gratuliert. Am Sonntag hat ganz Holland Deutschland die Daumen gedrückt. Leider hat das unserem Oranje-Team am Ende nichts genützt. Aber so ist das im Sport. Natürlich wünschen wir Joachim Löw und seiner Elf viel Erfolg.

Sehr verehrte Damen und Herren, ich möchte mich den Worten anschließen, die Frau Bundeskanzlerin Merkel gesprochen hat. Es ist sehr viel passiert in den letzten zwei Jahren. Irland und Portugal sind stärker geworden als sie noch vor zwei Jahren waren. Die europäischen Verhältnisse sind besser geworden. Die Regierungen Spaniens und Italiens ergreifen die richtigen Maßnahmen. Die Banken werden rekapitalisiert, aber es muss trotzdem noch sehr viel passieren.

Es ist wichtig, dass eine Aufsicht über den Banken- und Finanzsektor besteht. Wir müssen wichtige Schritte gehen. Es ist wichtig, dass wir jetzt den Fiskalpakt haben. Dadurch werden Sanktionen von der Kommission durch den verantwortlichen Kommissar verhängt. Dadurch gibt es mehr Automatismen, sodass es auch für die Politik einfacher wird, Sanktionen zu verhängen, wenn Länder sich nicht an bestimmte Vereinbarungen halten.

Es wäre gut, wenn außer den Sanktionen, die verhängt werden, wenn Mängel entstehen, auch Sanktionen für Schuldkriterien niedergelegt werden. Das ist allerdings nicht passiert. Aber es gibt jetzt einen Fiskalpakt, der bestimmte Möglichkeiten schafft. Dadurch kann der Stabilitäts- und Wachstumspakt gestärkt werden.

Ich bin mir auch absolut einig mit Frau Bundeskanzlerin Merkel: Wir brauchen Wachstum für Europa, für den Binnenmarkt. Wir brauchen bei EDV, bei Telekommunikation und bei den Neuen Medien mehr Fortschritt, denn da gibt es große Chancen für Europa. Diese Chancen müssen wir ergreifen. Wir sind der größte und reichste Markt der Welt, und wir müssen dafür sorgen, dass wir diese schwierige Phase schnell durchschreiten, sodass sich Länder zum Beispiel in Südeuropa wieder berappeln und wir das Wachstum wieder fördern können.

FRAGE: Sie haben gesagt, dass die politische Union von Europa in Deutschland eigentlich etwas anderes als in den Niederlanden bedeutet. Haben Sie darüber mit Frau Merkel gesprochen? Sind Sie zu einer Einigung gekommen, oder haben Sie eine Übereinstimmung in Bezug auf inhaltliche Aspekte und darauf, was diese politische Union bedeuten könnte, erreichen können? Was werden Sie nun den Leuten in den Niederlanden antworten, zum Beispiel Herrn van Haersma Buma von den Christdemokraten, der Klarheit haben möchte?

MP Rutte: Eigentlich sind sich Deutschland und die Niederlande in diesem Bereich schon seit Jahren einig. Seit dem Beginn der Krise haben wir uns immer dafür ausgesprochen, dass wir eine Situation kreieren müssen, in der sich die Länder an ihre Vereinbarungen halten. Wir als Länder wie Deutschland, die Niederlande oder Finnland können die Unterstützung für Südeuropa nicht fortsetzen, wenn wir nicht sicher sein können, dass sich die südeuropäischen Länder eben auch daran halten und ihre Haushalte wieder in Ordnung bringen. Deswegen ist es meiner Ansicht nach unvermeidlich, dass wir in diesem Bereich sehr viel stärker zusammenarbeiten. Das betrifft natürlich den Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Fiskalunion und auch das Dokument der Kommissare. Das ist die Position, die wir stärken möchten. Deswegen ist es wichtig, dass die Banken gestärkt werden. Die Bankenaufsicht muss eingesetzt werden, und auf diese Art und Weise können wir auch die europäische Münze und den gemeinsamen europäischen Markt stärken.

BK'in Merkel: Wir stehen natürlich immer darüber im Gespräch und haben auch immer gemeinsame Lösungen gefunden. Der Premierminister, Mark Rutte, hat eben den Fiskalpakt genannt. Ich könnte auch den Euro-Plus-Pakt nennen, durch den wir nicht Kompetenzen irgendwo nach Europa abgeben, aber durch den wir uns intergouvernemental bestimmte Ziele setzen und zusammenarbeiten. Die Wettbewerbsfähigkeit ‑ das ist ja das, was dahinter steckt ‑ muss sich in Europa angleichen, und wir müssen uns an den Besten messen. Dazu brauchen wir mehr Verbindlichkeit. Dabei kann es verschiedene Wege geben, aber die Arbeit bezüglich der Ziele, die wir erreichen wollen ‑ das Benchmarking ‑, muss intensiviert werden. Dabei sind die Niederlande und Deutschland völlig einer Meinung, wenn ich das noch ergänzend zu dem, was Mark Rutte gesagt hat und was ich vollkommen teile, hinzufügen kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gab heute mehrere Zeitungsmeldungen, wonach es Gedankenspiele in Bezug darauf gibt, der Rettungsschirm EFSF könnte spanische Anleihen kaufen. In diesen Meldungen stand auch, Sie könnten sich mit diesem Gedanken anfreunden und hätten nichts dagegen. Meine Frage: Ist das so? Wenn Spanien einen solchen Antrag stellen sollte, wären Sie dafür, dass die EFSF Anleihen kauft? Welche anderen Möglichkeiten sehen Sie, das spanische Zinsproblem zu lösen?

BK'in Merkel: Ich habe von solchen Dingen nichts gehört. Richtig ist, dass sowohl der EFSF als auch dem ESM unter den Optionen, die vertraglich möglich sind, der Ankauf von Sekundäranleihen am Markt möglich ist. Dies steht jetzt aber nicht zur Debatte. Wir wissen, dass Spanien einen Antrag auf die Rekapitalisierung der Banken stellen will, und ich glaube, jetzt ist es sehr wichtig, dass dieser Antrag dann, wenn er kommen wird, auch spezifiziert ist, damit die Märkte wissen, was dahinter steckt. Dann wird, glaube ich, auch wieder mehr Sicherheit eintreten, weil hierbei gerade die Banken eine Schlüsselfunktion innehaben.

Es gibt keine konkreten Planungen, die mir bekannt sind, aber es gibt die Möglichkeit für EFSF und ESM, auf dem Sekundärmarkt Staatsanleihen zu kaufen, natürlich immer mit einer Konditionalität verbunden. Aber das ist eine rein theoretische Aussage zur vertraglichen Lage.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben letzte Woche im Bundestag über die politische Union gesprochen. Sie haben das auch schon in Interviews angesprochen. In den Niederlanden denken wir bei einer politischen Union immer sofort daran, dass nationale Befugnisse an Brüssel übertragen werden, vielleicht an eine europäische Regierung, vielleicht auch an einen europäischen Präsidenten. Könnten Sie einmal erklären, was Sie genau mit dieser politischen Union meinen?

BK'in Merkel: Ich kann im Grunde das wiederholen, was ich eben gesagt habe: Wir werden in der Eurozone enger zusammenarbeiten müssen. Wir können nicht 17 Volkswirtschaften mit völlig unterschiedlichen Fähigkeiten sein. Wir müssen auch Mittel und Wege finden, wie wir das intensivieren können. Darauf wird es zum Teil europäische Antworten geben, zum Beispiel eine Aufsicht über die Banken.

Es hat sich jetzt bei Spanien herausgestellt, dass der Stresstest, der ja von der europäischen Bankenaufsicht beaufsichtigt wurde, letztlich doch auch unter dem Druck der nationalen Bankenaufseher stattgefunden hat und vielleicht nicht so objektiv war, wie er es hätte sein sollen. Deshalb könnte ich mir zum Beispiel vorstellen, dass die Europäische Zentralbank in dieser Frage eine größere Bedeutung bekommt und damit eine unabhängige Kontrollinstanz darstellt. Das habe ich zum Beispiel im Bundestag gesagt.

Ich kann mir aber genauso vorstellen, wie wir es im Euro-Plus-Pakt machen, dass wir uns intergouvernemental ‑ jeder behält seine Zuständigkeiten ‑ trotzdem anschauen, was die besten Beispiele sind, wo wir hin müssen, wie sich die Lohnstückkosten verhalten und was jedes Land tun muss, damit es dort besser wird, und dass wir uns dabei an den Besten und nicht an den Schlechteren ausrichten.

Ansonsten wird es immer wieder Entwicklungen geben. Aber das, was jetzt konkret zur Debatte steht, ist das, was ich anhand der beiden Beispiele aufgezeigt habe, zum Beispiel mehr Aufsicht seitens Europas und auf der anderen Seite mehr Zusammenarbeit auch auf der intergouvernementalen Ebene.

Frage: Ich habe eine Frage an den niederländischen Ministerpräsidenten. Es gibt eine neue griechische Regierung, und ich hätte ganz gerne von Ihnen gewusst, ob Sie die Notwendigkeit sehen, diese Pro-Reform-Kräfte, die jetzt gewonnen haben, dadurch zu entlasten oder zu belohnen, dass man Ihnen mehr Zeit gibt, die Reformauflagen zu erfüllen.

Frau Bundeskanzlerin, erlauben Sie eine Fußballfrage? Wünschen Sie sich, dass auch der griechische Ministerpräsident am Freitag nach Danzig kommt?

MP Rutte: Was Griechenland angeht, ist es natürlich wichtig, dass schnell eine griechische Regierung eingerichtet wird. Ich glaube, dass das heute alles ganz gut geklappt hat. Das ist eine gute Nachricht. Jetzt ist es wichtig, dass Griechenland die richtigen und gute Maßnahmen ergreift, um die Vereinbarungen, die wir in der Eurogruppe beschlossen haben, auch umzusetzen. Ich gehe davon aus, dass diese Vereinbarungen auch eingehalten werden. Wir haben immer noch die Troika, und wir haben auch etwas, was wir zwischen Deutschland und den Niederlanden vereinbart haben. Wir sind natürlich sozusagen die Fremden, die jetzt den Griechen auf die Finger schauen, ob sie ihre Vereinbarungen einhalten oder nicht. Es gibt jetzt eine Regierung, es gibt parlamentarische Unterstützung, und ich gehe davon aus, dass Griechenland jetzt auch die Vereinbarungen einhalten wird.

BK'in Merkel: Ich habe eben dem griechischen Premierminister zu seiner Wahl gratuliert und zu diesem Zweck auch mit ihm gesprochen. Ich würde mich von meiner Seite aus freuen, wenn er auch nach Danzig käme. Ob er das einrichten kann, muss er selbst sagen; das kann ich nicht für ihn sagen. Auf jeden Fall wird es ein gutes sportliches Ereignis werden, und ich hoffe, dass es ein sehr faires sportliches Ereignis werden wird.