Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy

(Die Ausführungen des fremdsprachlichen Teils erfolgten anhand der Simultanübersetzung.)

P SARKOZY: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Ich heiße Sie herzlich willkommen. Ich heiße insbesondere die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, willkommen.

Ich möchte hier ausführen, dass wir wirklich sehr hart gearbeitet haben   nicht nur heute Nachmittag, sondern auch in den letzten Tagen  , um gemeinsame Vorschläge zu unterbreiten, die sehr ambitiös gestaltet sind. Ich möchte auch sagen, dass Deutsche und Franzosen die Dinge gemeinsam sehen und eine gemeinsame Vision der Zukunft haben.

Wir möchten unseren absoluten Willen zum Ausdruck bringen, den Euro zu verteidigen und zu der besonderen Verantwortung zu stehen, die Deutschland und Frankreich in Europa haben. Unser Bestreben ist eine gemeinsame Sicht der Dinge, was die Themen und die Vorschläge anbelangt, die Frankreich und Deutschland dazu machen werden.

In der augenblicklichen Lage gibt es objektive Gründe, Gerüchte und Entscheidungen, die spekulativer Natur sind. Unser Bestreben, dieses Phänomen zu bekämpfen, kann nicht größer sein. Das trifft auch zu, was unseren Willen anbelangt, die gesamte Eurozone auf den Weg des Wachstums zu bringen. Deshalb haben wir beschlossen, eine gewisse Anzahl von gemeinsamen Vorschlägen zu machen, die Gegenstand eines deutsch-französischen Schreibens sein werden, das morgen Früh an Präsident Van Rompuy geschickt werden wird.

Der erste dieser Vorschläge besteht darin, eine wirtschaftspolitische Steuerung der Eurozone vorzusehen. Diese Wirtschaftsregierung besteht aus den Staats- und Regierungschefs. Sie wird zweimal zusammenkommen   falls notwendig, auch öfter   und wird einen stabilen Vorsitzenden für zweieinhalb Jahre bestimmen und wählen. Frau Merkel und ich schlagen vor, dass dieser Vorsitz von Herman Van Rompuy wahrgenommen wird.

Zweitens ist es unser Wunsch, dass die 17 Mitglieder der Eurozone bis Sommer 2012 die goldene Regel verabschieden, die darin besteht, dass in die Verfassung der 17 Mitgliedsstaaten der Eurozone die Regel aufgenommen wird, dass es im Hinblick auf den Haushalt das Bestreben geben muss, zu einem Gleichgewicht zurück zu gelangen. Es ist eine Regel der Vernunft, die dazu führen soll, dass die Defizite verringert werden und die Verschuldung zurückgeht.

Was Frankreich anbelangt, habe ich der Bundeskanzlerin gesagt, dass diese Regel schon bei uns in der Nationalversammlung, im Senat vorgelegt worden ist. Damit sie auch im Kongress verabschiedet werden kann, brauchen wir eine qualifizierte Mehrheit. Der französische Premierminister François Fillon wird die notwendigen Kontakte mit allen politischen Kräften der Mehrheit und der Opposition knüpfen, um sicherzustellen, dass jeder gemäß seiner Verantwortung, die er zu tragen hat, nach bestem Wissen entscheidet, was er zu tun hat, wenn es darum geht, ein Haushaltsgleichgewicht zu erzielen. Es gibt gewisse Persönlichkeiten, die nicht zur Mehrheit gehören und schon haben durchblicken lassen, dass sie der Verabschiedung dieser Regel zustimmen werden. Sollte ein Konsens möglich sein, werde ich im Herbst den Kongress einberufen. Sollte ein Konsens nicht möglich sein, werden die Franzosen anlässlich der Präsidentschaftswahlen entscheiden, welche politischen Kräfte sie wählen, die zu einem ausgeglichenen Haushalt bereit sind.

Dritter Vorschlag: Frankreich und Deutschland   das heißt der deutsche und der französische Finanzminister   werden den europäischen Institutionen schon im September dieses Jahres einen Vorschlag im Hinblick auf eine Finanztransaktionssteuer unterbreiten, der gemeinsamer Art ist. Dies hat für uns absolute Priorität.

Schließlich und endlich haben wir verschiedene andere Maßnahmen beschlossen, die spezifisch französisch-deutscher Natur sind, weil wir uns bewusst sind, dass Frankreich und Deutschland ein Beispiel für Konvergenz, für Übereinstimmung geben müssen. Deshalb wollen wir im Hinblick auf den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags unsere Finanz- und Wirtschaftsminister bitten, Vorschläge vorzubereiten, die uns zu Beginn des Jahres 2011 anlässlich eines deutsch-französischen Ministerrats vorgelegt werden sollen, damit ab 2013   dem Datum des 50. Jahrestages der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags   Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Unternehmenssteuer einführen können, was die Bemessungsgrundlage und die Steuersätze für deutsche und für französische Unternehmen anbelangt.

Im Übrigen haben wir beschlossen, dass sich zu Beginn jedes europäischen Halbjahres die Wirtschaftsminister aus Deutschland und Frankreich austauschen, damit unsere Wirtschaftsprognosen bei der Vorstellung des Haushalts die gleichen sind, und zwar mit dem Ziel, dass diese in einem gemeinsamen Einverständnis verabschiedet werden können.

Meine Damen und Herren, das waren die wichtigsten Entscheidungen und Beschlüsse, die wir getroffen haben. Sie drücken aus, dass Deutschland und Frankreich fest entschlossen sind, einen gemeinsamen Weg zu gehen, um das zu erreichen, was wir in Europa bisher erreicht haben: Wachstum zu erreichen und dahin zu gelangen, dass in der Eurozone die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften erhöht wird. Deutschland und Frankreich stehen zu ihrer Verantwortung in einer Situation, von der wir alle wissen, wie komplex und wie schwierig sie ist.

BK‘IN  MERKEL: Meine Damen und Herren, wir hatten bereits am 21. Juli angekündigt, dass wir im Verlaufe des August Vorschläge unterbreiten werden, wie die Eurozone enger zusammenarbeiten kann. Diese Vorschläge werden wir Herman Van Rompuy auch in einem Brief mitteilen, so wie es soeben der französische Präsident, Nicolas Sarkozy, gesagt hat.

Wir befinden uns immer noch in den Ausläufern der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich jetzt zum Teil als eine Schuldenkrise darstellt, uns aber auch auffordert, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Wir haben uns vorgenommen   Deutschland und Frankreich fühlen sich dem auch absolut verpflichtet, den Euro als unsere gemeinsame Währung zu stärken und fortzuentwickeln. Es ist ganz offensichtlich: Damit das gelingen kann, muss es eine stärkere Verzahnung der Finanz- und Wirtschaftspolitiken in der Eurozone geben. Deutschland und Frankreich fühlen hier die Verantwortung, dies an vorderster Stelle gemeinsam zu demonstrieren.

Dem hat unser Treffen heute gedient. Unsere Vorschläge richten sich darauf, dass wir Vertrauen der Märkte durch Handeln gewinnen und sichern. Die Schuldenkrise ist in einigen Ländern über viele Jahre entstanden. Sie wird sich nicht mit einem Paukenschlag beheben lassen; aber wir sind davon überzeugt: Durch beständiges und vor allen Dingen auch nachvollziehbares und abrechenbares Arbeiten wird dieses Vertrauen wiedergewonnen werden. Dazu legen wir qualitativ eine neue Phase in der Zusammenarbeit in der Eurozone ein. Das heißt: Wir haben in Europa alle gemeinsam denselben Stabilitäts- und Wachstumspakt, und Deutschland und Frankreich werden mit dem Europäischen Parlament dafür Sorge tragen, dass im September eine Einigung über das gesamte sogenannte Legislativpaket, also diesen neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt, erzielt werden wird.

Aber wir glauben, die Mitgliedstaaten der Eurozone müssen mit einer höheren Verbindlichkeit sicherstellen, dass die Kerngrößen dieses Stabilitäts- und Wachstumspakts auch eingehalten werden. Zum einen bedeutet das einen ausgeglichenen Haushalt und zum anderen, wie es in dem Stabilitäts- und Wachstumspakt heißt, eine beständige Reduktion dessen, was über 60 Prozent der Gesamtverschuldung liegt, um jeweils ein Zwanzigstel pro Jahr.

Deutschland und Frankreich haben sich erstens darauf geeinigt   wir schlagen das den anderen Euro-Mitgliedstaaten auch vor, dass wir jeweils in unserer Verfassung oder etwas Vergleichbarem eine solche Schuldenregel   der Präsident hat es goldene Regel genannt; wir nennen es in Deutschland Schuldenbremse   verankern und so mit einer größeren als der einfachen Mehrheit deutlich machen, dass es in den nächsten Jahren nicht von der tagespolitischen Mehrheit abhängt, sondern dass es davon abhängt, dass sich Länder gemeinsam verpflichten, ganz gleich, wie die Mehrheitsverhältnisse sind, diese Regeln als oberste Prinzipien einzuhalten.

Zweitens wollen wir zur Verbesserung der Stabilitätskultur auch eine Selbstverpflichtung unserer Parlamente anregen, mit der sich die Euro-Staaten verpflichten   das müssen die Parlamente tun  , wenn sie der Europäischen Kommission im Europäischen Semester ihren Haushalt vorgelegt haben und die Kommission kritische Anmerkungen macht, diese kritischen Anregungen nicht einfach zur Kenntnis zu nehmen und zur Seite zu legen, wie es leider oft geschehen ist, sondern sie dann auch umzusetzen.

Drittens. Wir wollen eine Ausrichtung des Struktur- und des Kohäsionsfonds dergestalt, dass die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum gestärkt werden, wir wollen, dass die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ab 2013 in einer Neuausrichtung der Strukturfonds sichergestellt wird. Außerdem schlagen wir vor, dass die Kommission bei den Mitgliedstaaten, die bei der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts Schwächen aufweisen, ein stärkeres Mitspracherecht bekommt, das bei Programmländern bis hin zu einem Eingriffsrecht geht, um dann auch wirklich die Verwendung der Mittel im Sinne von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sicherzustellen.

Wir wissen, dass zum Beispiel Griechenland und Portugal einen großen Teil der zur Verfügung stehenden Mittel noch nicht ausgegeben haben. Deshalb haben wir ja auch am 21. Juli gemeinsam beschlossen, dass die Europäische Kommission hier hilft, um diese Mittel auch im Sinne von mehr Wachstum einsetzen zu können.

Wir wollen die Eurozone institutionell aufwerten, so wie es Nicolas Sarkozy gesagt hat. Wir schlagen vor, dass Herman Van Rompuy die Führung übernimmt, dass wir zweimal im Jahr tagen und dann genau über diese zusätzlichen Verpflichtungen auch durchaus verbindlich und vor allen Dingen, wenn es notwenig ist, auch einmal kontrovers diskutieren, weil nur so Vertrauen zurückgewonnen werden kann.

Wir sind uns bewusst, dass dies ein Prozess in Schritten ist und dass dies nicht mit einem Mal geschafft werden kann; aber wir sind der festen Überzeugung, dass das richtig und wichtig für Europa ist und dass die Eurozone hier vorangehen und zeigen muss, dass wir uns schrittweise annähern.

Hinzu kommt, dass Deutschland und Frankreich bereit sind zu zeigen, dass wir in unserer bilateralen Arbeit enger zusammenwirken. Genau aus diesem Grunde werden wir Vorschläge unterbreiten   unsere Finanzminister sollen das bis September tun  , um die Kommissionsanstrengungen zu einer Finanztransaktionssteuer zu unterstützen. Nach unserer festen Auffassung brauchen wir diese Steuer. Ebenfalls wollen wir sicherstellen, dass Deutschland und Frankreich auch in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik enger zusammenrücken. Anfang 2013 wird das 50-jährige Jubiläum des Elysée-Vertrages sein. Auch das wird ein Punkt sein, an dem wir demonstrieren wollen, dass wir qualitativ enger zusammenarbeiten. Wir haben uns das Projekt der Unternehmensteuer hierfür ausgesucht, also die stärkere Harmonisierung und gemeinsame Vorschläge, sowohl was Bemessungsgrundlagen als auch Steuersätze anbelangt. Das ist eine große Aufgabe, aber nur mit der Inangriffnahme von großen Aufgaben werden wir die Dinge auch schaffen.

Wir   deutsche und französische Ministerräte   werden immer, wenn es um die Vorbereitung der Haushalte geht, gemeinsam tagen, um sicherzustellen, dass die Prinzipien der Haushaltsaufstellung analog sind, und um sicherzustellen, dass wir im Europäischen Semester von der Kommission keine Kritik bekommen, sondern dass wir uns im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspakts gut vorbereiten.

Ich begrüße das, was der französische Präsident zum Vorgehen in Bezug auf das, was er goldene Regel nennt, gesagt hat, außerordentlich. Das ist ein ambitioniertes Vorhaben, genauso wie es die Rentenreform in Frankreich war. Aber wir glauben, dass wir nur durch solche Reformen das Vertrauen wiedergewinnen, das uns verlorengegangen ist und das wir stärken wollen. Denn der Euro ist unsere Zukunft; er ist die Grundlage unseres Wohlstands, und er hat auch etwas mit unserem friedlichen und freundschaftlichen Zusammenleben zu tun.

Deshalb danke schön, dass wir uns heute hier treffen konnten.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vor diesem Treffen durch Ihren Regierungssprecher klarstellen lassen, dass das Thema der Euro-Bonds zwischen Ihnen beiden kein Gesprächsthema sein soll. Einige Mitglieder Ihrer Regierungsfraktion haben das dann aber zum Anlass genommen, es heute in Berlin zum Gesprächsthema zu machen. Finden Sie diese Diskussion in der momentanen Phase schädlich, oder kann sie in dieser Krise zur Entwicklung eines neuen Instruments beitragen?

Herr Präsident, was halten Sie von der Diskussion über Euro-Bonds? Kann dies ein Beitrag zur Lösung des Euro-Problems sein?

BK’IN MERKEL: Erstens leben wir ja in Demokratien. Deshalb sind Diskussionen immer wichtig, gut und richtig, und deshalb positionieren wir uns auch zu diesen Diskussionen. Wir können ja nicht sagen: Wir sprechen über etwas, was in der Öffentlichkeit ist, nicht.

Die Frage ist aber: Was ist in der jetzigen Phase der Bewältigung der Krise richtig? Da sage ich: Ich spüre immer wieder, dass die Menschen nach dem einen Ereignis, nach der einen Methode suchen, mit der alles wieder gut ist und wir aus der Krise heraus sind. In diesem Zusammenhang wird dann oft gesagt, das letzte Mittel seien die Euro-Bonds. Ich glaube weder, dass Europa auf das letzte Mittel angewiesen ist, noch glaube ich, dass man mit dem, was ich „Paukenschlag“ genannt habe, die Probleme lösen kann. Deshalb halte ich das, was wir hier vorstellen, für das Mittel, mit dem wir jetzt die Krise bewältigen, Schritt für Schritt Vertrauen zurückgewinnen und die richtigen Methoden anwenden. Ich glaube nicht, dass Euro-Bonds uns dabei helfen.

Diese Diskussion werden wir führen. Das wird auch einer Überzeugungsarbeit bedürfen; denn es ist ja wichtig und richtig, dass jetzt 17 Euroländer Schritt für Schritt ein Maß an Verbindlichkeit eingehen, bis hin zu der Bitte an Parlamente, sich zu verpflichten, auf die Kommission zu hören, was eine völlig neue Qualität unserer Zusammenarbeit in der Eurozone ist. Deutschland und Frankreich wollen hier mit gutem Beispiel vorangehen. Wir haben ja viel diskutiert, bis wir zu einer gemeinsamen Bewertung gekommen sind. Ich halte das für den gebotenen Weg, der uns auch zum Erfolg führen wird.

P SARKOZY: Die Frau Bundeskanzlerin und ich sehen es genauso, was die Euro-Bonds anbelangt. Vielleicht habe ich das etwas anders erklärt, aber das Ergebnis ist das gleiche.

Worin würden diese Euro-Bonds bestehen? Sie würden darin bestehen, dass das Triple-A für die Schulden aller Länder der Eurozone garantiert würde. Das würde also heißen, dass wir die Gesamtheit der Schulden garantieren, ohne die Ausgaben und die Schulden kontrollieren zu können. Vielleicht kann man sich vorstellen, dass es die Euro-Bonds einmal geben wird, aber am Ende eines Integrationsprozesses in Europa und nicht am Anfang dieses Prozesses.

Es ist doch klar: Wenn jeder frei, offen und ganz unabhängig Schulden machen kann und man die anderen, also die wichtigsten Länder Europas, bittet, für diese Schulden gerade zu stehen, was sagen wir dann unseren Bevölkerungen? Dann sagen wir ihnen: Gut, ihr braucht den Staaten, die zu viele Schulden machen, einfach nur zu verbieten, keine Schulden zu machen. Wir haben aufgrund der Institutionen in Europa nicht die Legitimität, dies zu tun. Ich habe den Eindruck, dass diejenigen, die unbedingt die Euro-Bonds wollen, die sind, die vorgeschlagen haben, dass die einheitliche Währung vorgenommen wird, ohne vorher die Harmonisierung der Wettbewerbsfähigkeit und eine Wirtschaftsregierung vorzuschlagen und ins Auge zu fassen.

Euro-Bonds können vielleicht am Ende eines Integrationsprozesses stehen. Auf keinen Fall können sie ein Vorläufer dieses Prozesses sein. Das würde eine große Gefahr für die Länder der Eurozone sein, die am stabilsten sind, die die besseren Notierungen haben und die dann Schulden garantieren müssten, die sie im Übrigen nicht beherrschen könnten. Es erscheint in unseren Augen das viel produktiver, was wir beschlossen haben, nämlich eine Wirtschaftsregierung, einen Wettbewerbsfähigkeitspakt, eine Harmonisierung unserer Wirtschaftspolitik. Wir wollen unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, um Wachstum zu generieren. Wachstum ist der Schlüssel zu allem, um diese goldene Regel in die Verfassung zu schreiben, um das Defizit zu reduzieren, die Schulden zu reduzieren und das Vertrauen wieder herzustellen. Ohne Vertrauen wird es kein Wachstum geben. Das ist unsere Antwort. Sie ist nicht ideologisch. Sie ist konkreter und praktischer Natur. Wenn Deutschland und Frankreich morgen sagen, dass wir für die Schulden ohne Bedingungen und ohne Grenzen aller einstehen werden, was passiert dann in sechs Monaten mit der Glaubwürdigkeit unserer beiden Länder?

Ich hoffe, ich war ziemlich ausführlich und klar, was die Beantwortung dieser Frage angeht.

FRAGE: Heißt das, dass jetzt die Option ausgeschlossen wird, den EFSF auszuweiten? Manche Wirtschaftsfachleute haben vorgeschlagen, dass er verdoppelt wird, um die Märkte zu beruhigen.

P SARKOZY: Jeder glaubt, Ratschläge geben zu können. In einer Demokratie ist es so, dass, wenn Spezialisten sich äußern, jeder etwas dazu zu sagen hat. Ich sage doch nur: In den letzten Monaten haben wir einen Fonds von 500 Milliarden Euro aufgelegt. Das sind Zahlen, die beachtlicher Natur sind, die im Übrigen nicht abgerufen worden sind. Manche sagen, dass man ihn einfach nur verdoppeln sollte. Ich frage mich, warum man nicht einfach verdreifachen sagt. Eine Verdreifachung würde heißen, dass bei der nächsten Pressekonferenz gefragt wird, warum wir nicht eine Vervierfachung vorgenommen haben.

Wir versuchen ganz einfach, die ganze Sache vernünftig zu handhaben. Es sind beachtliche Summen, die hier im Spiel sind. Im Übrigen wüsste ich nicht, mit welchem Recht wir der Weltspekulation Tür und Tor öffnen sollten. In dem Augenblick, in dem die Bundeskanzlerin und ich eine neue Obergrenze festlegen würden, würde in der darauffolgenden Woche diese neue Obergrenze als nicht ausreichend angesehen. Wir sind der Ansicht, dass dieser Fonds ausreichend ausgestattet ist und dass die Erleichterungen, die vorgesehen sind, was die Rekapitalisierung der Banken oder die Eingriffe auf den Markt anbelangt, ausreichen. Unser Engagement besteht darin, dass wir sagen, dass wir das tun, was notwendig ist, um den Euro zu verteidigen, und zwar in Abstimmung mit allen europäischen Institutionen. Ich glaube, dies ist eine Botschaft, die jeder verstehen muss und klar nachvollziehen sollte.

Wir schließen nichts aus. Wir kündigen nichts an. Wir sind überzeugt, dass dieser Europäische Währungsfonds, dessen Schaffung Frau Merkel und ich vor einigen Wochen gewollt haben, in Übereinstimmung mit den unabhängigen Institutionen der EZB das dauerhafte Instrument ist, um Spekulationen entgegenzuwirken, die destabilisierend auf unsere Währung wirken könnten.

BK’IN. MERKEL: Die wichtige Botschaft heißt doch: Wir arbeiten immer in zwei Richtungen. Einmal geht es um die Solidarität mit denen, die Schwierigkeiten haben, weil wir den Euro als unsere gemeinsame Währung verteidigen, weil wir nicht wollen dass er als Ganzes in Gefahr kommt, und auf der anderen Seite geht es immer um die eigenen Anstrengungen. Italien hat jetzt zum Beispiel ein neues Programm aufgelegt. Das sind wichtige Beiträge, um diesen Stabilitäts- und Wachstumspakt zu bekommen. Wir haben, um Sicherheit für unser dauerhaftes Engagement zu geben, sehr frühzeitig   wir haben jetzt 2011   einen permanenten Mechanismus geschaffen, den man auch Europäischen Währungsfonds nennen kann. Wir werden Herman Van Rompuy noch einmal vorschlagen, dass dieser Europäische Währungsfonds auch Analysekapazität bekommt und damit auch eigenständig über die Verfasstheit der einzelnen Euro-Mitgliedstaaten urteilen kann. Das heißt, wir haben uns hier langfristig, dauerhaft und sehr verlässlich verpflichtet; aber wir müssen aufpassen, dass das, wozu wir uns verpflichten, auch tragfähig ist und dass wir nicht eine Tendenz haben, die leichtesten Aufgaben immer sofort zu lösen und die eigentlichen Hausaufgaben, sozusagen das Bohren des dicken Bretts   Schuldenabbau, ausgeglichene Haushalte   immer nach hinten zu schieben. Das würde eine Illusion stärken, die uns langfristig überhaupt nicht hilft. Deshalb ist unser Vorgehen genauso, wie es Nicolas Sarkozy dargestellt hat.

FRAGE: Wenn Sie erlauben, stelle ich eine Frage sowohl an Sie, Frau Bundeskanzlerin, als auch an Sie, Herr Präsident Sarkozy: Das Wachstum ist der Schlüssel für alles, hat der französische Staatspräsident gerade gesagt. Wie bewerten Sie beide in diesem Zusammenhang die jüngsten Konjunkturzahlen aus Frankreich und aus Deutschland für das zweite Quartal? Muss man nach Ihrer Meinung auf Dauer eine starke Abschwächung des Wachstums oder sogar einen Rückfall in die Rezession fürchten? Erfordert diese Situation, in der sich das Wachstum verlangsamt, neue akute politische Reaktionen in Ihren jeweiligen Ländern und auf EU-Ebene? Wenn sich jetzt möglicherweise das Wachstum in den starken Ländern der Eurozone verlangsamt, was bedeutet das für den Stabilitätsfonds und für den Hilfsfonds, für den Euro?

BK’IN. MERKEL: Ich finde, wir sind insgesamt   da können uns einzelne Quartalszahlen überhaupt nicht leiten   in einer Situation, in der wir zum Beispiel in Deutschland das Niveau von vor der Krise wieder erreicht haben oder sehr bald erreichen werden. Da wird es immer wieder auch Quartalsschwankungen geben. Wir haben eine generelle Aufgabe, nämlich die Wachstumsmöglichkeiten in Europa generell zu stärken, durch mehr Wissenschaft, durch mehr Innovation, durch weniger Bürokratie. Das sind permanente Aufgaben, und diese werden noch an Bedeutung gewinnen. Denn unser sogenanntes Potenzialwachstum ist nicht zu hoch, wenn man sich andere Regionen dieser Erde anschaut. Aber wir können uns jetzt unmöglich von jeder konjunkturellen Schwankung abhängig machen. Wir werden alles tun.

Frankreich hat den G20-Vorsitz. Gerade auch bei der Vorbereitung der G20-Sitzung in Cannes   auch darüber haben wir gesprochen   wird wieder überlegt werden, wie das weltweite Wachstum stimuliert werden kann. Wir hängen voneinander ab, aber ich bin nicht pessimistisch, was die Wachstumsaussichten anbelangt. Ich glaube, wir befinden uns auf einem guten Pfad. Wir haben ja alle gelernt, dass punktuelle Ereignisse vielleicht manchmal eine zu große Bedeutung bekommen. Wir sollten uns immer die langfristigen Phasen anschauen. Da ist dieses Jahr 2011 sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ein Jahr mit gutem, vernünftigem Wachstum, für Deutschland kann ich sagen: auch bei sehr guter Beschäftigungssituation. Aber wir müssen wissen: Wir dürfen nicht stehen bleiben. Die Welt schläft nicht, und Europa ist aufgefordert, mehr zu tun und vor allen Dingen das Richtige zu tun. Darüber werden wir sicherlich auch in der Eurogruppe immer wieder sprechen.

P SARKOZY: Was ist denn geschehen? Es gab viele entwickelte Länder, die schon vor der Wirtschaftskrise von 2008 und 2009 sehr hoch verschuldet waren. Diese Wirtschaftskrise war unerhört heftig. Es war sicherlich die wichtigste Krise in diesem Jahrhundert. Um dieser Krise begegnen zu können, um das Wachstum zu unterstützen und um den schwindelerregenden Fall bei den Steuereinnahmen zu begegnen, haben gewisse Länder ihre Schulden und ihre Defizite erhöhen müssen.

Wir haben es dieses Jahr mit einer Schuldenkrise zu tun. Diese Schuldenkrise schafft Instabilität. Jeder weiß, dass Instabilität für das Wachstum nicht gut ist. Deshalb muss das Vertrauen wieder hergestellt werden, und zwar über Unterstützungsprogramme. Das heißt, wir müssen Ausgaben, Defizite und die Verschuldung reduzieren. Ich bin wie die Bundeskanzlerin zuversichtlich, was die Wirtschaftsperspektiven in der Eurozone und in der Welt anbelangt.

Was Frankreich angeht, so hat das Wachstum im ersten Halbjahr dieses Jahres 1,4 Prozent betragen. Nächste Woche wird der Premierminister mit dem Wirtschaftsminister und der Haushaltsministerin die Gelegenheit ergreifen, eine gewisse Anzahl von Entscheidungen anzukündigen, an denen man den absoluten Willen Frankreichs ablesen kann, das einzuhalten, wozu wir uns bei der Reduzierung des Defizits verpflichtet haben.

Im Übrigen möchte ich noch einmal betonen, dass es, wie auch die Bundeskanzlerin gesagt hat, für Frankreich wichtig war, das Rentensystem zu reformieren und die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren, genauso wie die Anzahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Es ist selbstverständlich, dass diese Politik fortgeführt wird. Nur so werden wir wieder das Vertrauen herstellen. Nur so werden wir die Stabilität in der Welt wieder herstellen. Somit werden wir wieder auf den Weg des Wachstums und damit der Beschäftigung zurückkehren.

FRAGE: Möchten Sie, dass es Sanktionen gegen die Staaten gibt, die die goldene Regel nicht akzeptieren oder nicht einhalten? Welche Sanktionen könnten dies sein?

BK’IN. MERKEL: Wir machen ja heute Vorschläge, um die Verlässlichkeit in der Eurozone zu stärken. Warum schlagen wir vor, die Schuldenregel, die goldene Regel, die Schuldenbremse, wie immer Sie das nennen, in die Verfassung zu schreiben? Weil wir überall in unseren Ländern auch Kontrollorgane haben, die das überprüfen können. Das ist dann nicht einfach europäisches Recht, das man einhält oder nicht einhält, sondern das ist eine nationale Verpflichtung, unabhängig von der Mehrheit, die mit Sicherheit von der jeweiligen Opposition oder von irgendjemandem im Lande infrage gestellt werden würde, falls man sie nicht einhielte. Das heißt, wir geben das Maximum an Verlässlichkeit inklusive der Selbstverpflichtung, sodass ich doch hoffe, dass wir, wenn alle sich daran halten und das bis Mitte 2012 umgesetzt ist   das ist sehr bald; das ist im Sommer des nächsten Jahres, also heute in einem Jahr  , einen ganz anderen Grad von Verbindlichkeit haben. Sicherlich werden wir darüber auch noch diskutieren müssen. Aber das ist heute, wie ich finde, ein mutiger Schritt unserer beiden Länder zu sagen: Wir erwarten das. Wir haben ja an vielen Stellen gesehen, dass sich jeder in Europa seiner Verantwortung bewusst ist. Wenn alle schon in der Vergangenheit so verantwortungsbewusst gehandelt hätten, wie das heute der Fall ist, dann brauchten wir uns mit vielen Problemen nicht herumzuschlagen.

Das heißt also: Die Selbstbindung an das nationale Recht ist angesichts der nicht vorhandenen Haushaltskompetenz der Europäischen Kommission die beste Möglichkeit, uns zu binden, und das ist im Sinne einer Selbstbindung dann aber eine sehr nachprüfbare Bindung. Deshalb ist es, glaube ich, die größte Sanktion, im eigenen Land verurteilt zu werden. In Deutschland ist das jetzt in einem Bundesland vorgekommen. Das ist unangenehm. Der Haushalt muss neu gemacht werden. Dem möchte man sich, glaube ich, nicht so gerne aussetzen.

P SARKOZY: Die Eurozone und die Volkswirtschaften der 17 Euroländer haben Probleme, was die Wettbewerbsfähigkeit anbelangt. Wir müssen mehr in Ausbildung, Forschung, Innovation und unsere Universitäten investieren. Um unsere Schulden zu reduzieren, brauchen wir ein stärkeres Wachstum.

Es gibt weitere Probleme, nämlich das Defizit und die Verschuldung. Dies ist in einer Anzahl von Ländern der Fall. Frankreich hat seit 35 Jahren einen Defizithaushalt. Das ist kein Problem der Linken oder der Bürgerlichen. Beschließen wir jetzt einfach, mit diesen schlechten Gewohnheiten zu brechen oder nicht?

Diese goldene Regel, die wir vorsehen, besteht darin, dass wir sagen: Ab sofort wird das jährliche Haushaltsgesetz Teil eines fünfjährigen Prozesses im Hinblick auf die Rückkehr zum ausgeglichen Haushalt sein müssen. Aber wer kann überhaupt gegen eine solche Regel sein?

Was die Eurozone anbelangt, ist es so: Wenn wir dort wieder Stabilität erreichen wollen, wenn wir wollen, dass wir in der Eurozone vorankommen und dass sie nicht auseinanderfällt, dann müssen Fortschritte bei der Wettbewerbsfähigkeit gemacht werden. Wir müssen unsere Defizite gemeinsam harmonisieren, um sie so zu reduzieren. Für alle, die in der Eurozone sind, ist es so: Wenn unsere Vorschläge von den 17 angenommen werden, dann müssen sie diese Regel auch einhalten.

Damit komme ich zu einem Punkt, den ich noch anmerken möchte: Der Euro hat uns erlaubt, viele große wirtschaftliche Fortschritte zu machen. Gemeinsam sind wir stärker als alleine. Aber der Euro besteht nicht nur aus Rechten, die jemand hat, sondern aus Regeln, Vorschriften und Pflichten, die man einzuhalten hat. Euro heißt auch, Disziplin und Solidarität zu zeigen, wenn es nicht gut läuft. Das heißt auch, die Achtung und Einhaltung der Regeln. Deshalb ist es so: Sollte diese goldene Regel von den 17 Ländern verabschiedet werden, was die Bundeskanzlerin und ich möchten, wäre das keine Option, sondern eine Verpflichtung. Wenn es nur eine Option wäre, könnte man sagen, dass sie nur gewisse Länder in der Eurozone achten müssten und andere nicht. Mit welchem Recht sollten diejenigen, die das nicht tun würden, sich an die wenden, die sich bemüht haben, und sagen: Wir bitten um Entschuldigung. Wir brauchen die Regeln nicht einzuhalten, aber bitte zahlt jetzt einmal für uns.

Ich sage dies umso mehr (im Hinblick auf das), was unsere spanischen und italienischen Freunde jetzt machen. Wie die Bundeskanzlerin sind wir der Ansicht, dass die Regierungen dieser beiden Länder vor Kurzem Entscheidungen getroffen haben, die für die Glaubwürdigkeit der Eurozone absolut nützlich waren.

FRAGE: Eine Frage an die Bundeskanzlerin und den Herrn Präsidenten. Haben Sie sich für die Schuldenregel, die in die Verfassung eingeschrieben werden soll, irgendeinen Zeithorizont vorgestellt? Was wäre ein Zeitraum, den Sie für die Rückkehr zum ausgeglichenen Haushalt für sinnvoll halten?

Zweitens. In Frankreich ist das Niveau der Unternehmenssteuer höher als in Deutschland. Wenn Sie Bemessungsgrundlage und Steuersatz angleichen wollen, müssen die deutschen Unternehmen dann damit rechnen, dass die Unternehmenssteuer steigt?

BK’IN MERKEL: Die deutschen Unternehmen müssen nicht damit rechnen, dass sich für sie etwas verschlechtert. Für die französischen Unternehmen verschlechtert sich auch nichts. Solche komplizierten Aufgaben werden unsere Finanzminister gut regeln können.

Es geht jetzt darum, dass wir das machen, was von uns auch öffentlich immer wieder verlangt wird, nämlich dass wir, wenn wir mit einer gemeinsamen Währung leben und einen gemeinsamen Binnenmarkt haben, mehr als nur den freien Warenverkehr vereinheitlichen müssen, sondern dass wir dann auch bestimmte Gemeinsamkeiten brauchen. Ein deutsch-französischer Anfang dazu könnte ein Beispiel sein, dass man vielleicht in Europa, das schon sehr lange darüber diskutiert, ob man zum Beispiel gemeinsame Bemessungsgrundlagen hat und dabei nicht richtig vorankommt, die Ernsthaftigkeit (dieses Vorhabens) unter Beweis stellt. Das ist genau das, was die Märkte wollen, und zwar mit einem gewissen Recht. Sie sagen: Wenn wir eine gemeinsame Währung haben, müsst ihr auch die Konvergenz und die Steigerung eurer Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam unter Beweis stellen. Das kann ich nicht mit einem Federstrich oder Paukenschlag machen und sagen, dass ich einfach eine Vergemeinschaftung der Schulden vornehme, sondern das ist der ganz mühselige Prozess, viel mehr Gemeinsamkeit zu haben. Das haben wir mit dem Euro-Plus-Pakt versucht.

Wir sagen: Deutschland und Frankreich sollten sich auch schwierigen Aufgaben widmen. Ich mache mir keine Illusionen, dass das einfach ist. Aber das soll nicht dazu führen, dass unsere Unternehmen zum Schluss schlechter da stehen, sondern das soll dazu führen, dass unsere Unternehmen gemeinsam besser da stehen. Das ist die Aufgabe.

Der Zeitrahmen für die Schuldenregel ist Mitte 2012. Das ist unser Vorschlag. Herman Van Rompuy wird im Oktober Vorschläge für alle machen. Darauf sollten wir uns verständigen, denn wir haben nicht ewig Zeit, um zu warten.

P SARKOZY: Was die Schuldenregel anbelangt, stimme ich der Bundeskanzlerin zu.

Kurz etwas zu Deutschland und Frankreich: Deutschland und Frankreich sind zwei Länder, die das Schicksal und die Geografie nebeneinander gestellt hat. Sie sind die zwei größten Volkswirtschaften in Europa. Deutschland ist unser erster Lieferant. Wir sind Deutschlands erster Kunde.

General de Gaulle und Konrad Adenauer haben die Versöhnung zwischen unseren beiden Ländern betrieben. Männer wie Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt haben es ermöglicht, dass wir uns angenähert haben. Männer wie François Mitterrand und Helmut Kohl haben die Währung geschaffen.

Das Ziel von Frau Merkel und mir besteht darin, diese Annäherung fortzuführen. Man sieht ja, dass so große Länder wie Deutschland und Frankreich gemeinsam vorangehen müssen. Status quo geht einfach nicht. Konvergenz ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir sind der Ansicht, dass ein breiter und stabiler Wirtschaftsraum von Deutschland und Frankreich (notwendig ist), mit dem wir schrittweise die Disparitäten aus dem Weg schaffen würden, die auf beiden Seiten der Grenze wirklich weh tun, um ein europäisches Modell zu schaffen, das unsere Werte weiter trägt. Das ist unser beider Aufgabe.

Wir haben beschlossen, bei der Unternehmenssteuer etwas zu tun. Das ist nicht einfach. Wir können Ihnen auch nicht sagen, wohin wir gelangen. Aber wir haben einen ambitionierten Zeitplan dafür aufgestellt. Wir können 2013 beginnen, dies umzusetzen. Es gibt weitere Themen, bei denen wir uns weiter annähern werden, so zum Beispiel bei Ausbildung, Forschung und Wissenschaft. All dies sind Dinge, die wir gemeinsam vorantreiben müssen und bei denen es, so glaube ich, unsere Pflicht ist, diese Konvergenz sicherzustellen.

FRAGE: Ich habe eine Frage an Sie beide. Kann man sich für Frankreich und Deutschland einen gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzminister vorstellen?

P SARKOZY: So wie es im Augenblick aussieht, steht das nicht im Kommuniqué. Ich glaube, man sollte das in der richtigen Reihenfolge sehen. Was möglich ist, ist die gemeinsame Analyse, die Konvergenz unter Achtung der Identität und der Besonderheiten und Eigenheiten. Franzosen und Deutsche sind unterschiedlich. Jeder hat seine Qualitäten und manchmal auch seine Schwächen. Aber gemeinsam sind wir stärker. Ich habe immer gesagt: Wenn wir Franzosen uns einem System anschließen sollten, ist das ein System, das uns voranbringt und uns nicht zurückwirft. Als ich in Deutschland war, habe ich immer von der Achtung gesprochen, die die Franzosen hinsichtlich des Erfolgs und des Fleißes unserer deutschen Freunde haben.

Wir haben uns in der Geschichte so oft kriegerisch gegenübergestanden. Unsere Verantwortung besteht darin, dass wir uns weiter annähern. Ich habe den Franzosen gesagt, dass sie vor dieser Annäherung keine Angst haben dürfen. Weil wir uns angenähert haben, weil wir übereinstimmen, sind wir in der Lage, unsere eigene Identität zu bewahren. Ich halte das, was im Augenblick geschieht, für sehr wichtig.

Im Übrigen gilt für alle Märkte der Welt, für die gesamte Welt, die ja auf uns schaut: Die Tatsache, dass Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Sprache finden, eine gemeinsame Vision haben, einen gemeinsamen Willen haben und gemeinsame Perspektiven teilen, ist vielleicht das Beste, was wir Europa in seiner Gesamtheit vermitteln und geben können.

BK’IN MERKEL: Es ist eigentlich immer eine Bereicherung, wenn aus den unterschiedlichen Blickwinkeln Deutschlands und Frankreichs Ideen zusammengeführt werden. Das ist auch die Idee von Europa. Am Anfang der Europäischen Union ging es sehr stark um die Frage von Krieg und Frieden. Man kam aus dem Zweiten Weltkrieg, man kam aus dem Ersten Weltkrieg. Die Menschen waren verbittert. Es gab den großen Brückenschlag „Nie wieder Krieg“. Heute leben wir in einer Europäischen Union der gemeinsamen Werte. Wir sind zusammen 500 Millionen Menschen. Wir stehen aufstrebenden Wirtschaftsmächten gegenüber, einer immer mehr zusammenwachsenden Welt. Wir müssen uns fragen: Wie können wir diese Interessen, unsere gemeinsamen Interessen gut im Sinne des Wohlstandes für alle Bürgerinnen und Bürger in unseren Ländern durchsetzen?

Das ist unglaublich spannend. Wenn der französische Regierungschef und ich diskutieren, dann bringen wir die Ideen von mehr dem östlichen und nördlichen Teil Europas, die Ideen mehr des Mittelmeerraums und des mittleren Teils Europas ein. Unsere Geografie ist wirklich so, dass wir vieles von dem, was in Europa gedacht, gefühlt und gemacht wird, vereinen und daraus eine gute Lösung bauen können, die oft auch für viele andere gut ist, aber natürlich auch mit anderen weiter diskutiert werden muss. Die Verantwortung besteht heute darin, dieses Europa in der Globalisierung stark zu machen.

Wir haben keinen Garantieschein, dass wir immer im Wohlstand leben werden. Wir haben keinen Garantieschein, dass wir am stärksten wachsen werden. Das war so seit der Weltausstellung in Paris. Seit Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich vieles um Europa gedreht. Dann sind die Vereinigten Staaten hinzugetreten. Das muss am Ende des 21. Jahrhunderts nicht so sein. Was wir fühlen ist, dass wir es alleine, jeder für sich, nicht schaffen werden. Gemeinsam haben wir eine gute Chance, und das ist unsere Verantwortung.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, Herr Präsident, auf der einen Seite geht es um eine verbindlichere Finanzpolitik, die sich in der Eurozone angleichen muss, auf der anderen Seite haben wir aber den Vertrag von Lissabon, der trotz aller Reformen, die angestrengt wurden, weiterhin die nationale Souveränität in der Wirtschafts- und Finanzpolitik garantiert. Ist es perspektivisch möglich, in der Eurozone weiter mit diesem Vertrag zu leben, oder muss man nicht doch noch einmal über eine Reform des Lissabon-Vertrages nachdenken?

BK’IN MERKEL: Die Erstellung des Lissabonner Vertrags hat ja sehr lange gedauert. Als er fertig war, haben sich alle erst einmal erschöpft in den Sessel gesetzt und gesagt: Wir wollen zu unseren Lebzeiten keine Vertragsänderung mehr. Ich habe das immer sehr skeptisch gesehen. Denn wenn eine Staatengemeinschaft erklärt: Ganz gleich, was auf der Welt passiert   wir ändern unseren Vertrag nicht mehr, dann ist sie eigentlich schon fest in den Händen von Menschen, die es mit uns gar nicht so gut meinen. Deshalb war ich ganz zufrieden, dass wir den permanenten europäischen Stabilisierungsmechanismus nur mit einer Vertragsänderung geschafft haben. Wir haben also gezeigt: Das geht, wenn man will. Das heißt: Wenn wir sagen, dass wir den Euro verteidigen wollen, dann impliziert das auch, dass wir die notwendigen Maßnahmen treffen können. Ich sehe heute keine weitere Vertragsänderung. Ich sehe sie nicht. Aber ich werde mich nicht hinstellen und sagen: Zu meinen Lebzeiten wird nie wieder irgendetwas verändert.

Wir gehen jetzt den Weg einer sehr starken nationalen Verantwortung, die wir gemeinsam spüren. Dieser Weg wird auch erfolgreich sein. Aber ich halte es für nicht klug, ein für allemal zu erklären: Dies war der letzte Vertrag, den eine Staatengemeinschaft gemacht hat.

Damit kündige ich keine neue Vertragsänderung für morgen an. Ich sage nur: Wir müssen offen sein und müssen immer schauen, wie wir die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen können.

P SARKOZY: Als wir den Lissabon-Vertrag gemacht haben, erinnere ich mich noch an die Beobachter, die uns gesagt haben, dass wir die Probleme Europas allein über den Weg institutioneller Reformen nicht lösen würden und dass man sich auch um die Wirtschaft kümmern müsse. Das tun wir. Und jetzt sagt man uns, man sollte wieder eine neue Runde institutioneller Reformen angehen. Der Lissabon-Vertrag gilt für 27 Länder. Trotzdem muss man sehen, dass der komplexe Charakter der Entscheidungen und der Kompromisse, die sich aus dem europäischen Prozess ergeben, etwas Außergewöhnliches ist. Vielleicht ist Europa das Schönste, was die Menschen je im Dienste des Friedens geschaffen haben. Genau wie die Bundeskanzlerin gesagt hat, bin ich auch der Ansicht: Es gibt Weiterentwicklungen, auch was die Institution anbelangt. Wie könnte es auch anders sein? Was ist die richtige Dosierung, damit sich 27 Länder und demnächst noch mehr verstehen, wo sie doch manchmal unterschiedliche Interessen und eine unterschiedliche Geschichte haben?

Aber wir sprechen hier im Augenblick von den 17 Ländern der Eurozone. Ganz klar muss gesagt werden, dass wir uns in Richtung einer verstärkten wirtschaftlichen Integration der 17 Länder begeben. Und ganz klar muss auch gesagt werden   ich sage, was meine Überzeugung ist, was Europa anbelangt  : Die Debatten und Diskussionen von gestern sind nicht mehr die Debatten und Diskussionen von heute. Gestern gab es die Anhänger der Konföderation und der Föderation. Das hatte sicherlich einen gewissen Sinn. Aber jetzt sehen wir ganz klar, dass das Europa der 27, demnächst das Europa der 30, aus Ländern besteht, die sich absolut (dem europäischen Gedanken verpflichtet fühlen), und wir müssen feststellen: Auch mit diesen Ländern wird es immer mehr in Richtung Konföderation gehen. Aber wer kann denn bestreiten, dass in der Eurozone in dem Augenblick, in dem es eine einheitliche Währung gibt, die wirklich dringende Verpflichtung besteht, in der Eurozone auch zur wirtschaftlichen Integration zu gelangen?   Hier haben sich also die Konzepte verändert.

Was ich noch hinzufügen möchte, ist, dass die Institutionen der Eurozone, deren Reform wir vorschlagen, nicht vom Vertrag erfasst sind. Dadurch ist es möglich, dass viel bessere Veränderungen vorgesehen werden können als die im Vertrag vorgesehenen, die zu diesen immensen Diskussionen über den Vertrag von Lissabon geführt haben.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit.