Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso

(Die Ausführungen des fremdsprachlichen Teils erfolgten anhand der Simultanübersetzung.)

P BARROSO: Guten Tag, meine Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude, dass wir heute Bundeskanzlerin Merkel hier in der Europäischen Kommission begrüßen können.

Wir haben regelmäßige Kontakte. Ich bin umso mehr geehrt, dass Bundeskanzlerin Merkel heute das gesamte Kollegium getroffen hat. Wir haben bilateral miteinander diskutiert. Danach hat die Bundeskanzlerin mit dem ganzen Kollegium das Mittagessen eingenommen.

Wir haben uns zu vielen wichtigen europäischen Themen ausgetauscht. Wir wissen alle, dass Europa heute an einer Weggabelung steht. Die Frage ist: Wollen wir unsere Errungenschaften zurückdrehen? Oder wollen wir die Zeit nutzen und eine europäische Erneuerung in Gang bringen?

Ich freue mich, sagen zu können, dass die Antwort klar ist: Nur durch eine europäische Erneuerung und durch mehr Engagement für die europäische Führung können wir auch Vertrauen in unsere gemeinsamen Fähigkeiten schaffen, um zu handeln. Nur durch europäische Erneuerung können wir sicherstellen, dass Europa in der Welt eine Rolle spielt und in der Lage ist, die Interessen der Bürger zu verteidigen und unsere Werte zu verteidigen, das heißt unsere soziale Marktwirtschaft.

Für eine Erneuerung sind Entschlossenheit und Führungskraft nötig. Deswegen müssen wir auch vorbehaltlos Ja zu einem geeinteren Europa mit starken Gemeinschaftsinstitutionen sagen, die in enger Partnerschaft mit den Mitgliedsstaaten arbeiten. Nur so können wir das erreichen, was wir am meisten brauchen, nämlich Wachstum, mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Arbeitsplätze. Nur so kann man sicherstellen, dass Europa in der Welt ernst genommen wird, und zwar sowohl als wirtschaftliche als auch als politische Macht. Deswegen müssen wir zusammenarbeiten, um unser Haus in Ordnung zu bringen.

Einige der Entscheidungen, vor denen wir stehen, werden schwierig, oft auch schmerzlich sein, und zwar gerade im finanziellen Bereich. Aber ich bin überzeugt davon, dass es ohne diese Reformen, ohne strukturelle Reformen und ohne Haushaltskonsolidierung, nicht klappen kann und wir den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt nicht mehr garantieren können.

Ich denke, nirgendwo hat man das besser verstanden als in Deutschland. Man hat dort ehrgeizige Strukturreformen frühzeitig umgesetzt und war immer entschieden, solide öffentliche Finanzen zu sichern. Deutschland hat damit in vielerlei Hinsicht den Weg gezeigt. Das Ergebnis war hohe Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und wenig Arbeitslosigkeit. Das sind Dinge, um die andere Länder Deutschland nur beneiden können. Deutschland ist heute ein wirtschaftliches Rollenmodell in Europa geworden. Ich bin sicher, dass man darauf auch stolz ist und sein kann.

Wir haben, was unsere gemeinsamen Herausforderungen angeht, schon einige Fortschritte gemacht. Wir sind Herausforderungen angegangen. Wir werden sehr bald die verstärkte europäische Finanzstabilitätsfazilität nutzen können. Das wird eine effiziente Brandmauer gegen die Ausbreitung der Krise in Europa.

Ich möchte die Bundeskanzlerin zur Abstimmung im Bundestag in der letzten Woche beglückwünschen. Das war eine überwältigende Abstimmung, die gezeigt hat, wie entschieden Deutschland sich für den Euro einsetzt.

Ich möchte aber auch die Gelegenheit nutzen und an die Slowakei appellieren, unsere Entscheidungen auch zu unterstützen.

Eine weitere Priorität ist die Stärkung der finanziellen Regulierung und Aufsicht. Seit Ausbruch der Krise hat die Kommission 29 Vorschläge in diesem Bereich vorgelegt. Viele sind bereits angenommen worden. Letzte Woche haben wir beispielsweise einen wichtigen Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer angenommen. Das ist etwas, das auch in Deutschland sehr positiv aufgenommen wurde. Wir möchten aber hier nicht inne halten. Die Bundeskanzlerin und ich sind uns einig, dass es jetzt der rechte Zeitpunkt ist, ein neues globales Momentum entstehen zu lassen. Wir werden beim G20 in Cannes ebenfalls auf eine weltweite Finanztransaktionssteuer drängen.

Wir haben auch unsere wirtschaftliche Governance gestärkt. Der Ecofin-Rat hat am Dienstag einer Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakt in Form des sogenannten "Sixpack“ zugestimmt, das die Kommission im September 2010 vorgeschlagen hat. Dieser Pakt greift jetzt wirklich. Er hat wirklich Kraft. Wir tun, was wir können, um ein neues System entstehen zu lassen, mit dem man dann auch makroökonomische Ungleichgewichte rechtzeitig erkennen kann. So können wir unsere Wettbewerbsprobleme angehen. Die Kommission wird das Instrument voll nutzen und dieses Verfahren dann auch in den Mittelpunkt unserer gesamten Bemühungen für Disziplin, mehr Stabilität und mehr Wettbewerbsfähigkeit stellen.

Das Europäische Semester haben wir eingerichtet, um eine bessere Koordinierung unserer Wirtschafts- und Haushaltspolitiken zu erreichen. Die Kommission wird eine zentrale Rolle in dieser immer engeren Koordinierung spielen. Das ist das Spiegelbild unserer gegenseitigen Abhängigkeit. Ich danke der Bundeskanzlerin für die Unterstützung, die sie für diese Rolle der Kommission und für das Europäische Semester im Deutschen Bundestag Anfang September zum Ausdruck gebracht hat. Nur durch eine europäische Koordinierung können wir unsere Ziele erreichen. Die Entscheidungen in einem Land haben Auswirkungen auf alle anderen. Damit ist es nur legitim, dass auch alle anderen mitreden, wenn jeder Einzelne Entscheidungen trifft. Wir müssen aber noch weiter gehen. Wir müssen uns einer echten Union der Stabilität und des Wachstums nähern, einer Union der Verantwortung und der Solidarität. Ich habe es letzte Woche im Parlament gesagt: Ich begrüße, dass die Mitgliedsstaaten dahingehend zustimmen, dass mehr Zusammenarbeit und Koordinierung vor allem im Euroraum nötig ist. Ich begrüße es auch, dass nun ein besser organisierter Prozess mit regelmäßigeren Treffen in Gang kommt.

Gleichzeitig ist unerlässlich, die Kohärenz zum Binnenmarkt zu gewährleisten und die Kohärenz in der Europäischen Union insgesamt in einem echten Gemeinschaftsgeist zu gewährleisten, denn alle Länder des Euroraums und der Europäischen Union müssen zusammenarbeiten. Ich möchte noch einmal deutlich sagen: Was die Zuständigkeiten der Union angeht, was die Bereiche angeht, für die die Union zuständig sind, so ist die Kommission schon die europäische Regierung. Mehr Governance brauchen wir da nicht. Die Kommission wird natürlich in Partnerschaft und im Rat mit den Mitgliedsstaaten in den Bereichen arbeiten, die in nationaler Zuständigkeit sind. Das ist eine wichtige Kombination. Ein stärkeres Europa kann nur dann Erfolg haben, wenn alle Schlüsselinstitutionen zusammenarbeiten. Es muss vermieden werden, dass es zu parallelen Prozessen kommt. Unsere Länder und unsere Politiken hängen immer stärker voneinander ab. Die Gemeinschaftsmethode und der Gemeinschaftsgeist sind deswegen wichtiger als je zuvor. Stabilität und Wachstum machen natürlich auch Disziplin, Strukturreformen und effiziente Investitionen nötig.

Das Kollegium hat heute Bundeskanzlerin Merkel Details über unser Legislativpaket für den künftigen Strukturfonds genannt. Die Kommission wird morgen dazu eine Entscheidung annehmen. Wir werden damit Europa noch besser verbinden und Regionen und Länder noch besser anbinden, die heute im Rückstand sind. Wir werden die Wettbewerbsfähigkeit Europas damit insgesamt verbessern. Wir möchten auch, dass über diese Fonds die Haushaltsdisziplin gestärkt werden kann und wachstumsfördernde Reformen durchgesetzt werden können. Das heißt, die Strukturfonds werden zum Instrument für Wettbewerbsfähigkeit in Europa.

Ich möchte zum Abschluss sagen, dass es für mich wichtig ist, dass Deutschland einen so wichtigen Beitrag zur europäischen Integration leistet. Ohne Deutschland wäre heute die Europäische Union nicht so, wie sie ist. Der deutsche Beitrag war entscheidend. Europa kann ohne Deutschland keinen Erfolg haben. Ich denke, dass auch Deutschland Europa braucht. Ich glaube, der heutige Besuch der Bundeskanzlerin hat noch einmal gezeigt, wie sehr Deutschland sich für die Union engagiert. Ich denke, das ist der einzige Weg zum Erfolg. Wir müssen innerhalb der Institutionen und der Mitgliedsstaaten eng zusammenarbeiten.

Frau Bundeskanzlerin, noch einmal vielen Dank für Ihren Besuch.

BK’IN MERKEL: Ich möchte mich bei dem Präsidenten der Kommission und bei allen Mitgliedern der Kommission ganz herzlich für die Möglichkeit bedanken, in einer Zeit in einen sehr intensiven Gedankenaustausch einzutreten, in der Europa in der Tat dahingehend an einem Scheideweg steht, wie wir unsere europäische Zukunft gestalten wollen.

Ich habe deutlich gemacht, dass Deutschland für die Europäische Union ist, dass Deutschland die Europäische Union stärken will, dass wir eine Stabilitätsunion sein wollen, dass wir wettbewerbsstärker sein wollen und dass wir all das, was die Kommission genau in dem Blick darauf unternimmt, unterstützen.

Zur Stabilitätsunion: José Manuel Barroso hat es gesagt: Wir haben einen neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der sehr ambitioniert ist. Die Kommission wird in vielen Fragen sicherlich sehr klar mit den Mitgliedsstaaten reden. Wir haben das Europäische Semester, das Deutschland ausgesprochen unterstützt. Man kann also sagen: Die Haushaltspolitik muss entsprechend dem Stabilitäts- und Wachstumspakt stattfinden. Wir gehen in den deutschen Diskussionen so weit, dass wir sagen: Wenn es eines Tages notwendig sein sollte, Verträge zu ändern, um mehr Verlässlichkeit insbesondere in die Zusammenarbeit der Eurozone hineinzubringen, darf eine Vertragsänderung kein Tabu sein, sondern dann müssen wir unsere rechtliche Situation den faktischen Notwendigkeiten anpassen.

Zweitens. Es geht um mehr Wachstumskräfte. Dazu gibt es die Agenda 2020. Dazu gibt es den Euro-Plus-Pakt. Dazu gibt es auch die Vorschläge der Kommission ‑ ich habe sie heute sehr interessiert zur Kenntnis genommen ‑ für die zukünftige Ausgestaltung der Struktur- und Kohäsionsfonds. Das oberste Prinzip heißt: Dort, wo wir Geld einsetzen, soll die Wettbewerbsfähigkeit und die Wettbewerbskraft alle Mitgliedsstaaten gestärkt werden. Dieses Prinzip wird von uns vollkommen unterstützt. Das schließt nicht aus, dass wir im Detail natürlich auch zwischen Deutschland und der Kommission Diskussionen im Rahmen der finanziellen Vorausschau haben werden.

Wir haben die Solidaritätsmechanismen ‑ EFSF‑  in der Eurogruppe gestärkt. Deutschland hat in der letzten Woche abgestimmt. Jetzt kommt es auf die zwei Seiten der Medaille an: auf der einen Seite Konditionalität, das heißt Eigenanstrengungen der Länder, die Unterstützung bekommen, und auf der anderen Seite die Solidarität weiter umsetzen und in Kraft setzen. Ich hoffe natürlich auch, dass alle Mitgliedsstaaten des Euroraums diese Inkraftsetzung des EFSF in den nächsten Tagen schaffen. Ich glaube, das wird ein ganz wichtiges Signal an die internationalen Finanzmärkte sein.

Ich möchte einen letzten Dank an die Kommission für die Bemühungen zur Finanzmarktregulierung sowie zum Vorschlag hinsichtlich der Finanzmarkttransaktionssteuer aussprechen. Deutschland wird diese Diskussion sehr konstruktiv begleiten. Es war gestern ein wichtiges Zeichen, dass wir beim Derivatehandel durch den Ecofin-Rat eine gemeinsame Position haben, die jetzt im Trilog auch durchgesetzt werden kann. Kommissar Barnier hat heute noch einmal deutlich gemacht, dass wir Schritt für Schritt alle Vorgaben des G20-Prozesses in die europäische Rechtswirklichkeit umsetzen werden. Die Menschen in Europa sind noch nicht davon überzeugt, dass die Finanzmärkte weltweit die notwendige Regulierung bekommen haben. Ich glaube, Europa wird auch hier beim nächsten G20-Gipfel mit einer sehr starken Stimme auftreten, um zu sagen: Wir wollen jedes Produkt, jeden Platz und jeden Akteur auf den Finanzmärkten regulieren. Das ist bis heute noch nicht geschafft. Aber wir sind viele wichtige Schritte gegangen.

Insgesamt sage ich danke für die Zusammenarbeit und für die Möglichkeit des intensiven Gesprächs. Die Mitgliedsstaaten haben Kompetenzen nach Europa übertragen. Diese Kompetenzen werden von der Kommission wahrgenommen. Das ist Teil unserer europäischen Realität. Die Mitgliedsstaaten, zusammengefasst im Rat, sind Partner der Kommission und wollen das zum Wohl der Menschen in der Europäischen Union auch unterstützen. Gerade in so schwierigen Zeiten ‑ die Schwierigkeiten sind mit dem heutigen Tage noch nicht beendet; das weiß auch ich ‑ glaube ich, dass wir das schaffen können, wenn wir von dem gleichen europäischen Willen geleitet sind.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, der Präsident hat eben schon das Thema Wirtschaftsregierung angesprochen. Herr Juncker hat in den letzten Tagen in Luxemburg gesagt, dass zum nächsten Gipfeltreffen, das heißt am 17. und 18. Oktober, nur Eckpunkte von Herrn Van Rompuy vorgelegt werden sollen und dass Entscheidungen erst zum Jahresende getroffen werden könnten. Sie haben sich mit Herrn Sarkozy für dieses Vorhaben sehr stark gemacht. Sind Sie mit dem Tempo, mit dem es jetzt vorangeht, zufrieden? Oder könnte das nicht ein bisschen schneller gehen?

BK’IN MERKEL: Ich bin eigentlich zufrieden. Wir haben im Juni darüber gesprochen, dass wir solche Vorschläge haben wollen. Deutschland und Frankreich haben einige Vorschläge vorgelegt. Sie sind ja sehr weitgehend. Zum Beispiel betreffen sie die Einführung von Schuldenbremsen in jedem Nationalstaat. Dazu braucht man einige Konsultationen. Wir sind erfreut, dass Herman Van Rompuy zusammen mit der Kommission weitere Vorschläge vorlegen wird. Dann gehört es zur Fairness, dass die Mitgliedsstaaten wenigstens zwei Monate Zeit haben, diese Dinge zu diskutieren. Es gibt Dinge, die wir in Europa schon viele, viele Jahre diskutieren. Insofern würde ich sagen, dass wir ziemlich schnell sind.

Wir haben die Agenda 2020 und die Ziele, auf die wir uns bereits verständigt haben. Wir haben den Euro-Plus-Pakt. Es ist nicht so, dass wir noch keinerlei gemeinsame Zielsetzung bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit haben. Jetzt kommen noch einige Dinge dazu. Aber ich glaube, das Tempo ist gut. Ich freue mich auf die Vorschläge von Herman Van Rompuy.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die EU-Finanzminister haben gestern auch über die Lage der Banken und eine mögliche Rekapitalisierung gesprochen. Der IWF hat heute vorgeschlagen, das pauschal zu machen und für die größten Banken 100 oder 200 Milliarden Euro einzusetzen. Können Sie sich diesem Vorschlag annähern? Ist es richtig, da eine Brandmauer zu ziehen?

BK’IN MERKEL: Ich glaube, dass es, wenn es die gemeinsame Betrachtung gibt, dass die Banken für die derzeitige Marktlage nicht ausreichend kapitalisiert sind, richtig ist, dass man das tut. Es müssen dafür natürlich Kriterien entwickelt werden. Das können die Staats- und Regierungschefs nicht tun. Das muss von fachkundiger Seite gemacht werden.

Ich glaube, wichtig ist in dem Zusammenhang auch, dass wir hinsichtlich des amerikanischen und des europäischen Kontinents nicht übereinander, sondern miteinander reden. Für die Märkte ist es natürlich wichtig, dass wir Resultate bekommen, bei denen nicht dauernd übereinander kritisch gesprochen wird. Die deutsche Bundesregierung ‑ das hat der Bundesfinanzminister in den letzten beiden Tagen sehr deutlich gemacht ‑ steht bereit, eine solche Kapitalisierung der Banken durchzuführen, wenn sie notwendig ist. Wir brauchen einheitliche Kriterien. Ich denke, die Zeit drängt. Deshalb sollte das auch schnell entscheiden werden. Wenn es notwendig ist, dass wir auf dem Europäischen Rat darüber sprechen, sind wir auch dazu bereit.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Kommissionspräsident, gestern haben die Finanzminister auch die Möglichkeit eines Schuldenschnittes für Griechenland nicht ausgeschlossen. Vielleicht geben Sie einmal ein positives Signal für den kommenden Gipfel. Wird es da vielleicht so etwas wie einen Befreiungsschlag geben?

BK’IN MERKEL: Ich habe immer wieder gesagt, dass der Weg aus der Union, in der es zu viele Schulden gibt, hin zu einer Union, die Stabilität verkörpert, ein Weg mit vielen Schritten ist. Da wird es nicht den einen Befreiungsschlag geben. Wir haben ein ganz klares Procedere: IWF, Kommission und EZB haben vor Ort in Griechenland die Troika. Sie werden bewerten: Was macht Griechenland? Was ist das Ergebnis? Ist die Schuldentragfähigkeit gegeben – ja oder nein? Auf der Basis werden wir als Mitgliedsstaat Deutschland entscheiden, wie wir weiter fortfahren.

Es gibt Resultate vom 21. Juli, die eine freiwillige Beteiligung privater Gläubiger besagen. Wir müssen jetzt schauen, ob die aktuellen Wirtschaftszahlen Griechenlands noch zu diesen Beschlüssen passen. Notfalls muss das angepasst werden. All das wird uns die Troika sagen. Deshalb warten wir auf diesen Troika-Bericht und werden dann das Notwendige tun. Ich sage ganz eindeutig: Ich sehe die Notwendigkeit, dass Griechenland ein Teil des Euroraums bleibt. Griechenland muss die Chance bekommen, dass es auf die Beine kommt. Deshalb wird der deutsche Wirtschaftsminister morgen eine Reise nach Griechenland unternehmen und zeigen: Wir wollen dort auch Wachstum. Wir wollen nicht nur immer wieder neue Belastungen. Ich bin der Kommission sehr dankbar, dass sie Herrn Reichenbach und sein Team nach Athen geschickt hat, um genau die notwendigen Hilfeleistungen zu geben, die Griechenland braucht, um wieder Wirtschaftswachstum zu erreichen.

Zuruf: Wann werden die Ergebnisse vorliegen?

BK’IN MERKEL: Das kann ich nicht sagen. Ich werde zum Beispiel morgen die Chefin des Internationalen Währungsfonds treffen. Dann wird man uns etwas (dazu) sagen. Die Kommission kann auch nicht auf den Tag genau sagen, wann die Verhandlungen abgeschlossen sind. Wir sollten warten. Gründlichkeit geht sicherlich vor Schnelligkeit. Wir haben keine Notwendigkeit, alle fünf Tage neu zu diskutieren. Wenn die Ergebnisse vorliegen, wird darauf geantwortet. Ob das bereits bis zum Gipfel der Fall sein wird, kann ich heute nicht sagen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie sprachen von Vertragsänderungen. An was denken Sie denn genau? Wie würden die Veränderungen dann erreicht werden können?

BK’IN MERKEL: Dazu kann und will ich Ihnen heute nichts sagen. Wir werden schauen, wie sich das Europäische Semester bewährt, wie sich die Einhaltung des neuen Stabilitäts- und Wachstumspakts bewährt. Der neue Stabilitäts- und Wachstumspakt ist viel ambitionierter. Bisher haben wir immer auf das Defizit Wert gelegt. In Zukunft wird es um die Gesamtverschuldung und vor allen Dingen um die makroökonomischen Daten eines Mitgliedsstaates gehen. Wenn man dann zu der Überzeugung kommt, dass hier nicht ausreichend Rechte gegeben sind, das auch einzuklagen, dass die Mitgliedsstaaten des Euroraums dies alles erfüllen, dann muss man sagen: Es darf auch nicht tabu sein, über die Veränderung eines Vertrags nachzudenken. Wir sind dafür da, dass die Währungsunion klappt, dass sie erfolgreich ist. Dazu müssen wir die notwendigen Mittel dann auch bereitstellen.

P BARROSO: Eventuell brauchen wir eine Vertragsänderung für mehr Integration, wenn die augenblicklichen Mechanismen nicht ausreichen. Ich habe das auch vor Kurzem im Europaparlament gesagt. Wir schlagen nicht vor, eine Vertragsänderung zu machen, um die Entscheidungen, die wir treffen müssen, zu vermeiden. Wir wollen die Entscheidungen nicht vertagen. Einige müssen jetzt getroffen werden. Ja, in der Zukunft ist es eventuell möglich, eine weitere Vertragsänderung vorzunehmen. Bei den Vertragsänderungen soll keine Entschuldigung gefunden werden, das nicht zu tun, was zu tun ist. Es ist ein guter Hinweis für die Märkte und die Investoren, dass wir für eine weitere Integration im Euroraum in die Zukunft blicken und nicht weniger Europa haben. Das ist wichtig. Ansonsten könnte das falsch ausgelegt werden. Ich glaube, dass ich den Geist richtig auslege, in dem Bundeskanzlerin Merkel den Vorschlag gemacht hat. So verstehe ich das.