Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Ministerpräsident Erwin Sellering, Bundesminister Hans-Peter Friedrich, Beauftragter der Bundesregierung Christoph Bergner anlässlich der 40. Regionalkonferenz der Regierungschefin und Regierungschefs der ostdeutschen Bundesländer

Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Ministerpräsident Erwin Sellering, Bundesminister Hans-Peter Friedrich, Beauftragter der Bundesregierung Christoph Bergner anlässlich der 40. Regionalkonferenz der Regierungschefin und Regierungschefs der ostdeutschen Bundesländer

in Berlin

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Donnerstag, 6. Oktober 2011

MP Tillich: Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundesminister Friedrich, Herr Sellering, Herr Staatssekretär Bergner! Die Ministerpräsidentenkonferenz hat eine umfassende Tagesordnung gehabt; trotz der Kürze haben wir uns mit den verschiedensten Themen beschäftigt.

Zum einen hat sich die Bundeskoalition darauf verständigt, ein Handlungskonzept zur Daseinsvorsorge im demografischen Wandel vorzulegen und dieses Land zukunftsfähig zu gestalten. Wir haben uns heute mit dem Bund darauf verständigt, dass wir nicht nur bei dem Handlungskonzept zusammenarbeiten wollen, sondern letztendlich auch bei der Strategie, die dann im Februar des nächsten Jahres in Angriff genommen wird ‑ dafür meinen Dank.

Zweitens haben wir uns mit den wirtschaftlichen Perspektiven und der Entwicklung Ostdeutschlands beschäftigt ‑ Stichwort Investitionszulage. Die Länder sind sich dessen bewusst, dass das ein wichtiges Instrument ist, das der Unternehmensentwicklung und auch der Entwicklung der Arbeitsplätze im Freistaat Sachsen und in den anderen ostdeutschen Bundesländern zuträglich war. Dafür haben wir uns eingesetzt. Wir wollen erreichen, dass dieses Instrument, das unbürokratisch und auch planbar für die Unternehmen ist, auch in der Zukunft seine Fortsetzung findet und dass die degressive Abschmelzung, die vorgesehen ist, ausgesetzt wird. Darauf haben wir uns aber ‑ so viel will ich dazu schon sagen ‑ zwischen dem Bund und den Ländern nicht verständigen können. Wir werden unsere Interessen da aber weiter vertreten.

Drittens haben wir ‑ und hier haben wir eine gemeinsame Position ‑ über die Ausgestaltung der EU-Kohäsionspolitik ab dem Jahr 2014 gesprochen. Hier wollen wir gemeinsam dafür werben, dass sowohl die ostdeutschen Länder davon zukünftig weiter profitieren können als auch die Übergangsregionen entsprechend den Vorschlägen der Kommission in einem sogenannten Sicherheitsnetz aufgefangen werden. Wir haben uns auch gemeinsam gegen eine Kappung der Agrarbeihilfen jeglicher Art gewendet.

Die neuen Länder streben an, dass es eine Anschlussregelung oder ein ähnliches Instrument bei der Altschuldenregelung gibt. Sie kennen das Problem: Bei den Wohnungsbauunternehmen im Osten Deutschlands gibt es einen enormen Bedarf des Rückbaus von nicht vermietbaren beziehungsweise nicht notwendigen Wohnungen. Wir rechnen seitens der ostdeutschen Ministerpräsidenten damit, dass nach den Auskünften der Demografen die Bevölkerung im Osten Deutschlands bis 2015 um weitere 900.000 Menschen zurückgehen wird, was zur Folge hat, dass weiterer 400.000 Wohnungen am Wohnungsmarkt nicht vermietbar sein werden. Wir wollen mit dieser Anschlussregelung erreichen, dass die Wohnungsbauunternehmen in der Lage sind, den Stadtrückbau und -umbau weiter voranzutreiben, und gleichzeitig in der Lage sind, die Anforderungen, die mit dem Energieumstieg verbunden sind ‑ nämlich die Gebäudesanierung im Sinne einer höheren Energieeffizienz ‑, zu stemmen.

Wir haben uns des Weiteren über die Frage der Neuausrichtung der Energiepolitik unterhalten. Dabei ging es vor allem um die Netzausbaukosten. Dazu wird aber noch der Kollege Sellering etwas sagen.

Insgesamt möchte ich mich bei der Bundesregierung und namentlich bei der Bundeskanzlerin dafür bedanken, dass wir immer wieder die Gelegenheit haben, diese auch ostspezifischen Themen anzusprechen. Diese Themen sind aber eben nicht nur ostspezifisch, sondern wirken bei uns eben aufgrund der demografischen Entwicklung zuerst. Folglich geht es darum, Handlungsstrategien zu erarbeiten, die dann auch für Gesamtdeutschland Anwendung finden können. Das Gleiche gilt zum Beispiel auch in der Frage der Wohnungsbauunternehmen. Insofern ist es gut, dass wir diese Möglichkeit haben, miteinander in die Diskussion zu kommen.

Ich möchte mich ausdrücklich auch beim Gastgeber dafür bedanken, dass wir hier heute die Möglichkeit hatten, am Standort von Porsche in Leipzig die Tagung durchzuführen. ‑ Herzlichen Dank.

BK’in Merkel: Von meiner Seite aus glaube ich, dass es sehr sinnvoll und hilfreich ist, wenn wir seitens des Bundes ‑ auch des Bundesinnenministers und des Beauftragten für die Neuen Bundesländer ‑ immer wieder das Gespräch mit den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer suchen. Es gibt nach wie vor strukturelle Unterschiede zwischen den neuen und den alten Bundesländern, die man als qualitative Unterschiede bezeichnen kann. Der Aufbau der Wirtschaft ist gut vorangekommen, dennoch haben wir in den neuen Bundesländern noch lange nicht das Lebensniveau erreicht, das wir im Durchschnitt der alten Bundesländer haben; wir haben nicht einmal das Niveau der strukturschwächeren Länder erreicht. Dies ist auch der Grund dafür, dass wir über einige der genannten Themen gesprochen haben. Hier möchte ich das Handlungskonzept für die Sicherung der Daseinsvorsorge hervorheben, auf das der Bundesinnenminister gleich noch einmal eingehen wird. Die neuen Länder sind in einem schwierigen Prozess des demografischen Wandels sozusagen Vorreiter. Deshalb möchte ich mich dafür bedanken, dass hier zwischen Christoph Bergner und den neuen Bundesländern sehr eng zusammengearbeitet wurde. Wir haben selbstverständlich auch zugesagt, dass bei der Entwicklung der Handlungsempfehlungen und der Strategien ‑ Wie wollen wir weiter vorgehen? ‑ die Konsultation mit den neuen Ländern gesucht wird.

Zweitens. Über die Investitionszulage ist berichtet worden. Hier differieren unsere Standpunkte, welches das geeignete Mittel sein könnte. Dazu wird man sicherlich in einzelnen Teilen noch im Gespräch bleiben; das haben wir auch verabredet. Ich kann aber nicht sagen, dass ich hier in den grundsätzlichen Unterschieden schon eine Einigung sehen würde.

Ein Punkt, in dem wir ganz eng zusammenarbeiten, ist die Interessendurchsetzung im Bereich der Kohäsionsfonds und Regionalbeihilfen für die Zeit nach 2013. Hierzu hat die Europäische Kommission heute Vorschläge gemacht. Wir werden diesbezüglich zwischen Bund und Ländern immer sehr gemeinsame Verhandlungsstrategien entwickeln und diese dann in Europa auch mit aller Kraft und Macht durchsetzen.

Wir haben auch über die Neuausrichtung der Energiepolitik gesprochen. Hier ist es in der Tat so, dass die Energiewende auch ganz wesentlich von neuen Bundesländern mitgetragen wird und dass deshalb neue Infrastrukturvorhaben vorrangig hier gebaut werden ‑ siehe Netzausbau, Herr Sellering wird dazu gleich ja noch etwas sagen. Wir haben zugesagt, dass wir im Rahmen der Netzentgelte prüfen, ob es eine Verordnung geben soll, die sich mit einer breiter gestreuten Umlage der erhöhten Netzentgelte befasst, und nicht nur einer Umlage in den jeweiligen Einzugsbereichen. Der Bund ist hier offen; ich werde den Bundeswirtschaftsminister auch bitten, die Gespräche weiter zu führen. Allerdings muss es dann auch eine Einigung zwischen allen Bundesländern geben. Daran werden wir weiter arbeiten.

Insgesamt gibt es also noch deutliche strukturelle Besonderheiten in den neuen Bundesländern. Dennoch bedanke ich mich, dass man uns nicht sozusagen in ein Gebiet geführt hat, wo es besonders schlecht geht, sondern dass man uns an einen Platz geführt hat, wo man auch sieht, dass der Aufbau Ost seine Früchte trägt. Es zeichnet die neuen Bundesländer auch aus, dass sie immer wieder deutlich machen, was alles geschafft wurde. Das ist ja auch eine Bund-Länder-Gemeinschaftsarbeit.

MP Sellering: Es ist gut, dass es diese regelmäßigen Treffen der Ost-Ministerpräsidenten gibt. Es geht darum, dass wir unsere gemeinsamen Interessen definieren und gemeinsam darüber reden, wie wir verstärkt zusammenarbeiten, um voranzukommen. Es ist sehr gut, dass wir dann auch immer die Gelegenheit erhalten, uns mit der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung auszutauschen.

Als ostdeutsche Länder eint uns ja ‑ bei allen Unterschieden, die es gibt ‑, dass wir diesen wirtschaftlichen Aufholprozess seit über zwanzig Jahren gemeinsam haben und wir ihn auch gemeinsam abschließen müssen. Die Investitionszulage ist ein kleines Zeichen dafür, wie schwer es noch ist und welche Hilfen wir noch brauchen. Denn der Angleichungsprozess, der Aufholprozess, ist noch nicht zu Ende gekommen.

Ich will von den vielen Punkten, die wir heute besprochen haben, nur zwei herausgreifen, die besonders interessant sind:

Das ist einmal die demografische Entwicklung. Diese trifft gerade die ostdeutschen Länder. Wenn es um etwas geht, dann können wir sagen: Uns eint der wirtschaftliche Aufholprozess; das sind für uns große Herausforderungen und Probleme. Mecklenburg-Vorpommern ist das am dünnsten besiedelte Bundesland, und uns trifft die demografische Entwicklung in erster Linie. Deshalb geht es darum, dort gute Lösungen zu entwickeln. Ich freue mich, dass wir durch die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium jetzt einen Demografie-Bericht haben. Aber nun müssen wir auch gemeinsam konkrete Handlungsstrategien entwickeln. Wir müssen, zum Beispiel auch im ländlichen Bereich in Ostdeutschland, die ärztliche Versorgung sichern. Es geht darum, dass die Menschen teilnehmen können, also um Teilhaberechte an allem, was das Leben ausmacht. Es geht um öffentlichen Nahverkehr. Da müssen überall kluge Lösungen gefunden werden.

Beim zweiten Punkt, den ich ansprechen will, geht es um die Energiewende, um das Setzen auf die erneuerbaren Energien. Ganz Deutschland hat diese Energiewende vollzogen. Aber ich will deutlich sagen: Im wirtschaftlichen Aufholprozess der ostdeutschen Bundesländer sehe ich eine ganz besondere Bedeutung dieser Energiewende, weil uns das neue Chancen eröffnet. Auch in den ostdeutschen Ländern gibt es Kohleländer. Aber alle sind sich einig, dass sehr gute Chancen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung bestehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zusammenhalten, um die Probleme, die es da noch gibt, zu lösen. Das ist zum Beispiel der Netzausbau, der dringend erforderlich ist. Wenn wir an der Küste demnächst offshore große Mengen an Energie herstellen und generieren, müssen diese Mengen transportiert werden. Das muss möglichst schnell gehen.

Ein kleines Problem haben wir in besonderer Weise besprochen: Im Moment haben wir eine politische Fehlsteuerung in dem Sinne, dass diejenigen, die besonders viel an erneuerbarer Energie in die Netze einspeisen, besonders hohe Netzentgelte zahlen. Da muss umgesteuert werden. Es muss einem aber auch klar sein, dass die 16 Bundesländer im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energien nicht gleichgerichtete Interessen haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir ostdeutsche Länder in dem Punkt zusammenhalten.

Ich will noch einen Punkt ansprechen, der außerhalb der Tagesordnung ein sehr wichtiger war: Wir hatten heute den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen hier zu Gast und haben mit ihm ein gutes Gespräch geführt. Er hat uns seine Haltung zu verschiedenen Punkten dargelegt. Mir war sehr wichtig, deutlich zu machen, dass auch hier die ostdeutschen Ministerpräsidenten ein gemeinsames Interesse eint, nämlich gemeinsam deutlich zu machen, dass die DDR sich nicht auf die Stasi reduzieren lässt, sondern für die Menschen, die wir vertreten, ganz deutlich zu machen, dass auch die Lebensleistung der Menschen in der DDR Respekt verdient, dass es nicht nur Täter und Opfer gegeben hat, sondern Millionen Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen auch hervorragende Leistungen gebracht haben und die Anerkennung verdienen, gerade auch im Prozess des Zusammenwachsens zwischen Ost und West. Das war ein wirklich gutes Gespräch.

BM Friedrich: Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf unser Handlungskonzept „Daseinsvorsorge im demografischen Wandel zukunftsfähig gestalten“ lenken. Wir haben dieses Konzept gestern im Bundeskabinett behandelt und so auch verabschiedet.

Es ist ein Konzept, das im Wesentlichen auf der Erfahrung der neuen Länder in den vergangenen Jahren mit einer Fülle von Pilot- und Forschungsprojekten aufbaut und das deutlich macht, was Herr Sellering bereits angedeutet hat, nämlich dass die strukturellen Herausforderungen in den neuen Ländern durch diese neue Herausforderung demografischer Wandel überlagert werden, die sich zunächst einmal wie mit einem Brennglas auf die neuen Länder richtet und mit einer zeitlichen Verzögerung über kurz oder lang das ganze Land, ganz Deutschland, aber darüber hinaus Europa beschäftigen wird.

Das, was wir an Handlungsempfehlungen grob skizziert haben, ist zum einen, dass wir für alle Fragestellungen einen ganzheitlichen Ansatz brauchen. Das widerspricht ein bisschen dem, was wir in der Vergangenheit an Vorgehensweisen aus den Verwaltungen heraus vorgenommen haben, nämlich dass wir gefragt haben: Welche Zuständigkeit haben wir? Was können wir mit dieser Zuständigkeit anfangen?

Der Weg muss jetzt umgekehrt sein: die Beschreibung des Problems, die Handlungsoptionen und als dritten Punkt die Frage, mit wem wir diese Handlungen umsetzen können. Da brauchen wir Flexibilität, und zwar sowohl im öffentlichen Bereich als auch bei der Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen Bereich und der Wirtschaft. Ich denke, das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Für das Innenministerium als Organisationsministerium für den öffentlichen Dienst ist es, glaube ich, eine wichtige Herausforderung, das auch über den Tag und über die Problematik hinaus sicherzustellen.

Ich glaube, weiterhin ist wichtig, dass wir dezentrale Kompetenzen bei der Lösung all dieser Fragen haben wollen ‑ nicht nur, weil wir glauben, dass es dezentral besser geht als zentralisiert, sondern auch weil es eine zwingende Voraussetzung dafür ist, dass wir die Menschen dazu gewinnen können, sich vor Ort in die Prozesse und die Gestaltung ihrer unmittelbaren sozialen Umgebung einzubringen. Das ist eine wichtige Herausforderung und Voraussetzung. Wir wollen das Potenzial, das in den Menschen steckt, auch für die Lösung dieser Probleme nutzen und sie dafür interessieren. Wir gehen von den mündigen Bürgern aus, die sich einbringen wollen und nicht entmündigt von zentralisierter Stelle gelenkt werden wollen.

Frage: Frau Merkel, glauben Sie, dass die europäische Krise beherrschbar bleibt? Können Sie das guten Gewissens versichern?

BK’in Merkel: Wir sind hier in Leipzig. Das ist ein Ort, an dem so vieles verändert wurde und so viele Herausforderungen gemeistert wurden. Deswegen sage ich natürlich: Wir haben eine schwere internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die auch verschiedene Phasen durchläuft. Es hat immer die politische Entschlossenheit gegeben, diese Krise zu bewältigen, und zwar immer gemäß dem Prinzip: Was ist gut für die Menschen, die von solchen Krisen betroffen sind? Diesen Weg werden wir weiter gehen. Wir werden ihn auch in der Europäischen Union weiter gehen. Aber es bedarf auch weltweiter Anstrengungen.

Was ich an der Stelle noch einmal hervorheben möchte, ist Folgendes: Auf der einen Seite gab es immer wieder politische Unterstützung. Aber auf der anderen Seite sind wir noch nicht so weit, dass wir die Finanzmärkte so reguliert haben, dass die Menschen den Eindruck haben, solche Krisen könnten sich nicht wiederholen. Deshalb werde ich bei dem G20-Treffen Anfang November in Cannes ganz besonders Gewicht darauf legen, dass wir bei der Finanzmarktregulierung nicht Halt machen, sondern weiter voranschreiten und zum Beispiel für eine Finanzmarkttransaktionssteuer werben.

Frage: Herr Ministerpräsident, Frau Bundeskanzlerin, können Sie uns etwas deutlicher beschreiben, wo die Differenzlinie bei der Investitionszulage zwischen den ostdeutschen Ländern und der Bundesregierung verläuft?

MP Tillich: Die Differenzlinie liegt da, wo es darum geht, dass die ostdeutschen Bundesländer dafür werben, dass die Degression ausgesetzt wird. Es ist im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP auf Bundesebene vereinbart worden, dass in den Jahren 2011/12 eine Überprüfung der Degression stattfindet. Wir werben dafür, dass die Investitionszulage bis zum Jahr 2019 fortgesetzt ist, weil wir der Auffassung sind, dass es sich hier um ein (gutes) Instrument handelt. Ich erinnere daran, dass die geltende Investitionszulage heute 15 Prozent für kleine und mittelständische Unternehmen und 7,5 Prozent für große Unternehmen ausmacht. Das heißt, ein Unternehmen, das eine Investition tätigt, muss einerseits 85 Prozent oder sogar über 90 Prozent eigenes Kapital aufbringen, um diese Subvention in Anspruch nehmen zu können.

Sie ist aber eine Investition, die planbar ist, weil sie per Gesetz einem Unternehmen zusteht. Sie entspricht an und für sich unserer Überzeugung, dass die Unternehmen besser als die Beamten in den Ministerien wissen, welche Förderinstrumentarien gut für die Entwicklung der Wirtschaft im Osten Deutschlands sind. Das heißt, ein Unternehmen, das eine Investition tätigt ‑ und das zu 90 Prozent aus eigenem Vermögen ‑, ist sich dessen gewiss, dass diese Investition nicht eine Mitnahme ist, sondern dass es eine Investition ist, die zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und zum weiteren Bestand oder zur Fortentwicklung von Arbeitskräften beiträgt. In der Fortsetzung dieser Investitionszulage liegt die Differenz. Ich weiß wohl, dass der Bund es schwer hat, die anderen Bundesländer davon zu überzeugen, dass das das richtige Instrument ist.

BK’in Merkel: Die Differenz ist richtig beschrieben. Die Investitionszulage sollte schon ausgelaufen sein. Wir haben uns entschieden, sie bis 2013 degressiv auszugestalten, also für diese Legislaturperiode noch fortzusetzen. Das hat dann auch schlussendlich eine Mehrheit im Bundesrat gefunden. Aber natürlich sagen auch die alten Bundesländer zunehmend: Es gibt in den neuen Bundesländern Regionen sehr guten Wachstums und sehr guter Entwicklung. Es gibt in den neuen Bundesländern genauso wie in den alten Bundesländern Regionen, in denen Schwierigkeiten bestehen.

Deshalb gibt es ein gemeinsames Instrument für alle Bundesländer. Das ist die Gemeinschaftsaufgabe, in der man auch regionale Entwicklungen fördern kann. Da gibt es in der Tat eine andere Verteilung der Bund-Länder-Prozentzuschüsse. Das ist grundgesetzlich 50 zu 50 geregelt. Wir glauben, dass diese kleinteiligere Förderung doch die adäquatere nach dem Ende dieser Legislaturperiode ist. Wir werden darüber weiter im Gespräch bleiben, zumal dort noch Details eine Rolle spielen, an denen man vielleicht sogar noch etwas ändern kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Herr Barroso arbeitet am großen Wurf an der Rekapitalisierung des europäischen Bankensystems. Was wäre der Beitrag der Bundesregierung dazu?

BK’in Merkel: Ich glaube, dass der Ausdruck „großer Wurf“ nicht das Problem trifft. Die Frage ist: Sind die Banken entsprechend der Situation auf den Finanzmärkten unterkapitalisiert und müssen sie besser kapitalisiert sein? Hierzu gibt es inzwischen europäische Aufsichtsbehörden, die das beurteilen können, so zum Beispiel die Europäische Bankenaufsicht oder der Systemrisikorat bei der Europäischen Zentralbank. Wir müssen dann natürlich die Empfehlungen befolgen.

Ich habe gestern deutlich gemacht: Wenn die dafür zuständigen Institutionen ‑ zum Beispiel die Europäische Bankenaufsicht ‑ zu der Überzeugung kommen, dass es eine Unterkapitalisierung von Banken gibt, die zu systemischen Risiken führen kann, dann wird sich die Bundesrepublik Deutschland diesen Empfehlungen nicht verweigern. Der Präsident der Europäischen Kommission hat heute gesagt, dass dies aus Sicht der Kommission natürlich für alle Länder gelten sollte. Ich denke, jedes Land in der Europäischen Union ist sich seiner Verantwortung bewusst. Deshalb warten wir auf die Empfehlungen, die von der Europäischen Bankenaufsicht kommen werden.

Sie wissen, dass es eine Runde Stresstests gab, die für die europäischen Banken durchgeführt werden. Die Folgen aus diesen Stresstests werden jetzt gerade implementiert, also umgesetzt. Aber die Lage auf den Märkten verändert sich. Deshalb nehmen wir neue Empfehlungen, sollten sie von der Europäischen Bankenaufsicht kommen, natürlich sehr aufmerksam zur Kenntnis. Wir haben alle während der Krise gelernt: Wenn Banken nicht mehr funktionieren, hat das unmittelbare Konsequenzen für die Realwirtschaft. Das wollen wir nicht. Deshalb warten wir auf diese Empfehlungen.

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