Pressekonferenz nach dem Gespräch der Bundesregierung mit den Sozialpartnern

Sprecher: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler, Bundesarbeitsministerin Dr. Ursula von der Leyen, DGB-Bundesvorsitzender Michael Sommer, BDA-Präsident Dr. Dieter Hundt

BK'IN DR. MERKEL: Meine Damen und Herren, ich möchte mich bedanken, dass wir heute als Bundesregierung die Möglichkeit hatten, mit den Sozialpartnern über das Thema „Arbeit der Zukunft“ und in diesem Fall über die Fachkräftesicherung zu sprechen. Wir haben Ihnen eine gemeinsame Erklärung zukommen lassen. Ich möchte mich bei den beiden Ministern Ursula von der Leyen und Philipp Rösler, die viel dazu beigetragen haben, aber natürlich auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund und beim BDA ganz besonders dafür bedanken, dass wir zu diesem gemeinsamen Ausdruck gekommen sind.

Es geht im Grunde um ein sehr vielfältiges Aufgabenfeld. Wir müssen die Arbeitskräftepotenziale, die es bei uns im Lande gibt, in der Realität oder in der Praxis auch wirklich verstärkt ausschöpfen. Das bedeutet, dass Frauen, die heute gerne arbeiten würden, dies im Hinblick auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Zukunft auch tun sollen. (Dabei geht es um) bessere schulische Bildung, bessere lebenslange Qualifizierung und natürlich auch bessere Arbeitschancen für Ältere. Genauso brauchen wir dann sachgerechte Zuwanderung in unsere Berufswelt, und wir müssen hierbei auch als Land attraktiv erscheinen. Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir das in der Vergangenheit nicht immer waren und dass nicht die ganze Welt darauf wartet, endlich bei uns erwerbstätig werden zu können, sondern dass wir auch einladend sein müssen.

Das sind Aufgaben, die bedeuten, dass die Regierung in Zukunft handeln muss und wird. Das bedeutet aber auch, dass die Sozialpartner das in ihren Tarifverhandlungen und in ihrer täglichen Gestaltung des Arbeitslebens berücksichtigen müssen. Deshalb war die Diskussion heute sehr anregend und sehr vielfältig, und ich glaube, wir haben daraus eine Menge gelernt - jeder für sich, aber auch als Gesamtaktivität.

Eine der Wissenschaftlerinnen, die uns heute in die verschiedenen Themen eingeführt hat, hat gesagt, wir sollen die ganze Situation des demografischen Wandels als Chance und als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen. Das wollen wir auch, und das tun wir auch. Insofern werden wir jetzt auf der Basis des heute Erreichten weiterarbeiten.

HUNDT: Ich bin sehr erfreut darüber, dass das Thema der Fachkräftesicherung, das für die Zukunft von überragender Bedeutung für die deutsche Wirtschaft ist, jetzt in der Prioritätenliste der Politik ganz oben steht. Ich bin sehr erfreut über den heutigen Kabinettsbeschluss, dass die Vereinfachung für die Zukunft erfolgt. Das ist ein erster Schritt. Wir benötigen weitere. Wir müssen insbesondere ausländischen Absolventen deutscher Hochschulen ermöglichen, dass sie, wenn sie einen Arbeitsplatz nachweisen, länger bei uns im Land bleiben können.

Heute ist die Vorrangprüfung abgeschafft worden. Darüber hinaus wollen wir auch einen weiteren Abbau der Hürde der hohen Einkommen. Derzeit muss für ausländische qualifizierte Fachkräfte außerhalb Deutschlands, außerhalb der der EU ein Einkommen in Höhe von 66.000 Euro nachgewiesen werden. Das erscheint uns als unüberbrückbare Hürde.

Das sind alles richtige Schritte in die richtige Richtung. Wir werden, um unser zukünftiges Fachkräftepotenzial rekrutieren zu können, vor allen Dingen unser Inlandspotenzial besser nutzen. Das betrifft eine Verbesserung der Bildung, mehr Beschäftigung von Frauen und Älteren sowie die bessere Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderungen.

Ganz wichtig erscheint mir, dass wir nicht zwischen der Nutzung der inländischen Potenziale und der notwendigen Zuwanderung von außen unterscheiden, sondern erkennen, dass dies ein „Sowohl-als-auch“ ist. Wir müssen auf beiden Wegen vorankommen, wenn wir den Bedarf der Zukunft sichern und damit verhindern wollen, dass ein Fachkräftemangel eine Bremse für Beschäftigung und Wachstum darstellt.

Besonders erfreut bin ich, wie eingangs gesagt, darüber, dass wir ‑ Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften ‑ uns gemeinsam darum bemühen, diese Herausforderungen erfolgreich zu lösen, und uns auch in dieser Frage nicht auseinanderdividieren lassen.

SOMMER: Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren, wir haben jetzt über mehrere Stunden mit acht Bundesministern, wenn ich richtig gezählt habe, zusammengesessen, das Thema „demografischer Wandel und Wert der Arbeit“ kreuz und quer diskutiert und es auch von verschiedenen Seiten beleuchtet. Wir werden das sicherlich heute Abend auch noch fortsetzen.

Ich halte es für einen wesentlichen Fortschritt, dass wir nach der Überwindung der Krise wieder Zukunftsthemen in den Blick nehmen. Das hatten wir in dem Meseberg-Gespräch im vergangenen Jahr vereinbart. Wir haben auch unsere Schulaufgaben gemacht. Wie Sie sehen, ist heute eine gemeinsame Erklärung herausgekommen. Die war an verschiedenen Stellen nicht ganz einfach (zu vereinbaren). Unter Federführung von Frau von der Leyen ist es dann gelungen, deutlich zu machen, dass wir ein gemeinsames Problem haben, ein gemeinsames Ziel haben und eine gemeinsame Chance haben.

Sie kennen das Papier; ich brauche es Ihnen nicht vorzulesen und will es auch gar nicht tun. Ich will nur sagen: Was wir gemeinsam machen, ist, etwa zu sagen, dass wir schon heute einen Fachkräftemangel in bestimmten Berufen und in bestimmten Regionen dieses Landes ‑ zum Beispiel im Osten ‑ konstatieren. Wir wissen aber, dass dieser Fachkräftemangel aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmen wird. Wir wollen heute eigentlich vernetzte Antworten geben. Bei diesen vernetzten Antworten finde ich es sehr positiv, dass wir gesagt haben: Es gibt kein Entweder-Oder, sondern es gibt ein paralleles Herangehen mit einer klaren Priorität. Wenn man sagt „Wir wollen die Probleme zuallererst im Inland lösen“, dann gibt es verschiedene Ansätze. Herr Hundt hat darauf hingewiesen; ich brauche darauf nicht gesondert einzugehen.

Ich habe heute noch einmal deutlich gemacht, dass ich glaube, dass wir gerade auch angesichts der Debatte, die wir in Europa über die Zukunft Europas führen, sehen müssen, dass wir Fachkräftemangel, Fachkräfteanwerbung, aber auch, wenn man so will, den Wettbewerb um Fachkräfte im Rahmen einer europäischen Dimension sehen müssen. Es gibt drei Länder in Europa, in denen die Jugendarbeitslosigkeit geringer als 10 Prozent ist. Das sind Deutschland, Österreich und die Niederlande. In allen anderen Ländern der EU ist die Jugendarbeitslosquote deutlich höher; Spanien ist Spitzenreiter mit 44,4 Prozent. Das heißt, wenn wir über Fachkräfte reden, dann bin ich der Meinung, dass wir den Blick auch auf diejenigen Menschen richten müssen, die mit uns gemeinsam in einer Europäischen Union vereint sind, in einer politischen und wirtschaftlichen Union, und dass wir diese Probleme auch zusammen angehen sollten.

Ich erhoffe mir sehr, dass nach diesem heutigen Gipfel eine Masse konkreter Maßnahmen erfolgen wird. Wenn acht Minister da sind und acht verschiedene Ressorts angesprochen sind, dann gibt es sicherlich auch die Möglichkeit, jetzt in den verschiedensten Bereichen nachzuarbeiten und konkret zu werden. Ich hoffe, dass das passieren wird, dass es dann nicht nur bei einer Absichtserklärung bleiben wird und dass an der einen oder anderen Stelle ‑ gestatten Sie mir diese kritische Bemerkung ‑ dann schon richtige Politik betrieben wird. Wenn man zum Beispiel die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die man zu Fachkräften umschulen will, steigern will, dann sollte man nicht die Maßnahmen für aktive Arbeitsmarktpolitik der Bundesarbeitsministerin kürzen.

FRAGE: Ich weiß nicht, an wen die Frage geht, wahrscheinlich eher an Frau von der Leyen. Frau von der Leyen, es ist jetzt schon von mehreren Seiten die Einkommensgrenze in Höhe von 66.000 Euro angesprochen worden. Das ist eine hohe Hürde. Wie ist denn da jetzt das Prozedere? Sind Sie optimistisch, dass man das in naher Zukunft auch noch wird absenken können? 40.000 Euro sind ja im Gespräch. Wäre das auch eine Größe, auf die Sie sich einigen würden?

BM DR. VON DER LEYEN: Wir gehen schrittweise an das Thema der Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials und der Entwicklung des globalen Arbeitsmarktes heran. In der Tat gibt es im Augenblick die Einkommensgrenze in Höhe von 66.000 Euro. Wir werden sicherlich in den nächsten Wochen darüber debattieren, ob sie noch lebensnah ist und ob sie eine Hürde darstellt, die auch bereits junge Menschen und Fachkräfte, die mit ihren Familien hierher kommen wollen, überschreiten können.

Sie wissen, dass ich der Meinung bin, dass wir diese Gehaltsgrenze im internationalen Vergleich und insbesondere im europäischen Vergleich harmonisieren müssen ‑ das heißt, dass wir sie auch an das angleichen müssen, was die anderen Länder als Schwelle anbieten ‑, damit wir uns im globalen Arbeitsmarkt nicht schlechterstellen, sondern genauso wie die anderen auch um die Spitzenkräfte dieser Welt werben können. Deshalb wird darüber in den nächsten Wochen sicherlich auch noch eine weitere Diskussion geführt werden.

BM DR. RÖSLER: Wenn ich das noch kurz ergänzen darf: Wir sind ja heute hier zusammengekommen, weil wir ein Ziel haben, nämlich das der Fachkräftesicherung. Wir haben momentan ein enormes Wachstum zu verzeichnen. Unsere gemeinsame Aufgabe und auch unser gemeinsamer Wille ist es, das zu verstetigen. Dafür muss man sich eben um Fachkräfte bemühen. Das umfasst inländische Maßnahmen ‑ die haben wir zusammengefasst ‑, aber eben auch das Thema der Zuwanderung von Fachkräften, also qualifizierter Zuwanderung. Auch in dieser Hinsicht hat das Bundeskabinett heute ‑ zum Beispiel im Rahmen der Aussetzung der Vorrangprüfung für einige Berufe ‑ klare Entscheidungen getroffen.

Aber die Frage der Gehaltsschwelle ist beim heutigen Treffen ebenso angesprochen worden, auch noch einmal von der Wirtschaft. Die Grenze von 66.000 Euro ist eindeutig zu hoch; denn uns fehlen im Bereich der Naturwissenschaften schon heute mehr als 140.000 Beschäftigte. Anhand der Schwelle sind bisher nur 169 Fachkräfte zu uns gekommen. Das heißt, man muss also sehr wohl noch einmal über die Größenordnungen nachdenken. Die Zahl 40.000, um das auch noch einmal zu betonen, zeigt eben: Es geht auch hierbei um hochqualifizierte Arbeitskräfte, um hochqualifizierte Jobs. Insofern, glaube ich, muss man sich keine Sorgen machen, dass man, wenn man diese Zahl von 66.000 Euro beispielsweise auf 40.000 Euro senkt, dann eine Zuwanderung in den Niedriglohnbereich bekommt. Ganz im Gegenteil: 40.000 Euro, das zählen wir auch noch zu den hochqualifizierten Fachkräften.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, Herr Rösler, zu der Attraktivität eines Landes ‑ ich kann Ihnen die Frage heute nicht ersparen ‑ zählt ja auch die Steuer- und Abgabenlast. Heute steht die Meldung im Raum, die Koalition bzw. die Bundesregierung habe sich im Grundsatz auf eine Steuersenkung geeinigt. Ist das richtig? Haben Sie beide sich auf eine Steuersenkung geeinigt, und, wenn ja, auf welche?

BK'IN DR. MERKEL: Wir stehen zu dem, was in der Koalitionsvereinbarung steht, und dabei geht es um ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuersystem, was ein Land genauso wie erträgliche Lohnzusatzkosten und -ausgaben ‑ „anständige Einkommen“, fügt Herr Sommer noch hinzu ‑ selbstverständlich auch attraktiv macht. Wenn es in dieser Frage Neuigkeiten zu übermitteln gibt, dann werden wir Sie daran teilhaben lassen. Heute haben wir uns mit den Fachkräften beschäftigt.

BM DR. RÖSLER: Wir haben auch vereinbart, dass wir diese Pressekonferenz zum Thema der Fachkräfte gemeinsam abhalten wollen.