Leutheusser-Schnarrenberger: Freiheit und Recht sind die besten Waffen gegen Terror

Leutheusser-Schnarrenberger: Freiheit und Recht sind die besten Waffen gegen Terror

Zum zehnten Jahrestag des 11. September geht Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger im "Handelsblatt" auf die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit im Kampf gegen den Terror ein. "Entscheidend ist die Standfestigkeit, mit der Gesellschaften gerade in schwierigen Zeiten den rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen treu bleiben."

  • Ein Beitrag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Am 11. September 2001 geschah das Unfassbare. Über 3000 Menschen verbrannten, erstickten oder stürzten sich in den sicheren Tod, nachdem Passagiermaschinen in New York und Washington D.C. von Islamisten zum Terrorinstrument umfunktioniert worden waren. Als kurz darauf der amerikanische Präsident George W. Bush den „Krieg gegen den Terror“ verkündete, ließ sich bereits erahnen, dass das der Beginn einer Politik mit nicht absehbaren Folgen sein würde.

Die proklamierte „Neuordnung der Welt“ blieb bekanntlich aus. Neben Bürgerkrieg und Machtvakuum im Irak und in Afghanistan sind die Übertretungen des Völkerrechts nach wie vor ein Problem. Die andauernde Inhaftierung Terrorverdächtiger in Guantánamo oder die im irakischen Gefängnis Abu Ghraib angewandten Behandlungs- und Verhörmethoden verstören bis heute. Als Reaktion auf den islamistischen Terror entstand aber kein „clash of civilizations“. Die islamisch geprägte Welt ließ sich nicht von den Terroristen in Geiselhaft nehmen. Auch zahlreiche Akteure der nicht-islamisch geprägten Welt setzten auf die unerschütterliche Attraktivität der Werte des demokratischen Rechtsstaats und suchten den interreligiösen Dialog.

In ganz anderer Hinsicht hinterließ der „Kampf gegen den Terror“ aber tiefe Spuren. In den USA wurde der berüchtigte „Patriot Act“ beschlossen, und weltweit reagierten demokratische Rechtsstaaten mit Gesetzgebungsaktionismus. Unter dem Vorwand, das deutsche Grundgesetz umfasse ein Grundrecht auf Sicherheit, setzte die rot-grüne Bundesregierung alles daran, all jene staatlichen Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte zu legalisieren, die den Sicherheitsbehörden bei der Abwehr von Terrorgefahren nützlich zu sein versprachen. Mehr Überwachung und staatliche Befugnisse weit im Vorfeld von Straftaten sollten die Antwort auf Angst und Verunsicherung sein – gaben aber tatsächlich einem gefühlten Bedrohungsszenario Nahrung. Die Spirale aus mehr Sicherheitsgesetzen und Symbolpolitik drehte sich immer schneller.

Wie die deutsche föderale Sicherheitsarchitektur in ihrer Struktur und Arbeitsweise auf die Herausforderung des Terrorismus reagieren sollte, wurde leider im politischen Diskurs ausgeblendet. Dem Bundesverfassungsgericht kam in diesem „Kampf gegen den Terror“ die Aufgabe zu, schlimme Fehlentwicklungen zu korrigieren – allem voran mit seiner Entscheidung zum rot-grünen Luftsicherheitsgesetz. Menschenleben dürfen eben nicht gegeneinander aufgerechnet werden.

Allein: Nicht die Rigorosität und Repressivität der Sicherheitspolitik entscheiden den Kampf gegen den Terror. Entscheidend ist die Standfestigkeit, mit der Gesellschaften gerade in schwierigen Zeiten den für ihre freiheitliche Verfassung konstitutiven Grundsätzen treu bleiben. Das hat der bewundernswerte Umgang Norwegens mit dem schrecklichen Anschlag im Sommer gezeigt. Auch die muslimisch geprägten Länder Nordafrikas sehnen sich nach einer rechtsstaatlichen und demokratischen Rechtsordnung, die ihnen Freiheit, Sicherheit und persönliche Entfaltung garantiert. Der arabische Frühling setzt El Kaida mehr zu, als es Kriegseinsätze vermochten.

Seit zwei Jahren hat Deutschland die Spirale ständig neuer Sicherheitsgesetzgebung durchbrochen. Erstmals seit 1998 gibt es keine neuen Sicherheitsgesetze. Und zum ersten Mal wurden einige Anti-Terror-Befugnisse abgeschafft. Auf den zehnten Jahrestag des 11. September 2001 reagiert die schwarz-gelbe Bundesregierung mit einer Regierungskommission, um die ausufernde Sicherheitsgesetzgebung der letzten zehn Jahre einer kritischen Gesamtschau zu unterziehen. Ziel sind konkrete Empfehlungen für die künftige Gesetzgebung und Sicherheitsstruktur. Aus rechtsstaatlicher Perspektive stehen nicht nur Eingriffsbefugnisse auf dem Prüfstand, sondern auch die Aufgabenabgrenzungen zwischen Nachrichtendiensten, Polizei und Strafverfolgungsbehörden. Die Trennlinie zwischen Polizei und Nachrichtendiensten droht zu verwischen, wenn die Polizei immer weiter im Vorfeld tätig wird und Nachrichtendienste über immer mehr polizeiähnliche Befugnisse verfügen.

Die Regierungskommission soll außerdem Aufgabenüberschneidungen aufdecken und durchleuchten. So müssen künftig auch Doppelzuständigkeiten zwischen Militärischem Abschirmdienst und Bundesamt für Verfassungsschutz vermieden werden. Bereits im Herbst wird die Kommission eingesetzt, schon im nächsten Jahr soll ein erster Zwischenbericht vorliegen.

Der Terror verfängt, wenn rechtsstaatliche Prinzipien und demokratische Werte auf dem Altar der Terrorismusabwehr geopfert werden. Genau diesen Weg geht die Bundesregierung nicht. Die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, die strikte Orientierung der Innen- und Rechtspolitik an den Grundrechten, das ist ein Markenkern liberaler Politik.

Von: Sabine Leutheusser-Schnarrengerger im Handelsblatt .