Intransparenz als Geschäftsmodell

Namensbeitrag Intransparenz als Geschäftsmodell

"Die Ohnmacht der Verbraucher ist spürbar", schreibt Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie fordert ein modernes Datenschutzrecht für ganz Europa, das den hohen deutschen Standards gerecht wird.

  • Ein Beitrag von Ilse Aigner
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung

Es ist Realität in Deutschland: Die Polizei steht vor der Tür. Sie weist Besucher ab, die eine Party besuchen wollen. Die Einladung war im weltweit größten Sozialen Netzwerk erschienen. Die Gastgeber hatten Freunde einladen wollen. Stattdessen machten sich Hunderte Fremde auf den Weg. Ein anderes Beispiel: Der Anbieter der größten Suchmaschine im Internet, von E-Mail-Services und einer sozialen Plattform steht entgegen allen früheren Dementis kurz davor, die verschiedenen Daten zu ganzheitlichen Profilen zu verknüpfen. Die Daten sind heiß begehrt. Denn mit ihnen lässt sich individuell und zielgerichtet Werbung machen. Vor wenigen Tagen gibt ein Telekommunikationskonzern bekannt, künftig Bewegungsprofile seiner Kunden anderen Firmen anzubieten. Erst nach 48 Stunden öffentlicher Empörung erklärt das Unternehmen, diese Geschäftsidee in Deutschland nicht einsetzen zu wollen.

Moderne Kommunikation bedeutet einen unschätzbaren Gewinn an Möglichkeiten - für Nutzer und Anbieter. Innovative Ideen treten so rasch einen Siegeszug an, der nicht an nationalen Grenzen haltmacht. Zugleich stehen die weltweit tätigen Unternehmen in hartem Wettbewerb. Ihr Potential, mit dem sich Geld verdienen lässt, analysieren die Börsen. Deshalb wollen Unternehmen auch das Persönlichste ihrer Kunden verwerten: Ihre Daten sind das Gold, nach dem im Internetzeitalter gegraben wird. Es geht um die Vermarktung von Nutzerdaten wie Alter, Kontakten, Fotos, Aufenthaltsorten oder Vorlieben. Verwundert reiben sich die Betroffenen die Augen: Dürfen die das denn?

Unser Datenschutzrecht stammt aus einer Zeit, als Telefone noch Wählscheiben hatten. Der Schutz privater Daten muss verbessert werden. Deutschland hat eines der strengsten Datenschutzgesetze der Welt, doch nationale Regelungen greifen bei multinationalen Konzernen meist ins Leere. Das machen sich einige Unternehmen zunutze. Sie lassen Verbraucher gerne im Unklaren. Intransparenz gehört hier offenbar zum Geschäftsmodell. Die Ohnmacht der Verbraucher ist spürbar. Aber auch kleinere und aufstrebende Firmen beklagen angesichts der Macht der Kommunikationsgiganten den unfairen Wettbewerb.

Es ist also eine Frage des Verbraucherschutzes und der Wirtschaftspolitik. Wir brauchen ein modernes Datenschutzrecht für ganz Europa, das den hohen deutschen Standards gerecht werden muss und so Vertrauen in Anbieter und Produkte stärkt. Vertrauen ist die zentrale Antriebskraft beim Ausbau der Wirtschaft 3.0. Die neuen Regeln müssen verbindlich für alle Unternehmen in- und außerhalb Europas gelten, die sich an den europäischen Markt richten: unabhängig davon, wo die Unternehmen ihren Sitz haben, von wo aus sie Daten erheben oder wo sie Daten verarbeiten. Dann herrscht auf dem umkämpften Absatzmarkt Chancengleichheit.

Das neue EU-Datenschutzrecht muss ein klares Ziel verfolgen: Die Selbstbestimmung und Kontrolle der Verbraucher über ihre Daten sollen gestärkt werden. Es sollte der Grundsatz der ausdrücklichen Einwilligung gelten. Der Nutzer muss gezielt einen Haken setzen oder einen Button anklicken, um seine Daten freizugeben. Nur so kann Privates auch privat bleiben. Damit verbunden sind datenschutzfreundliche Voreinstellungen. Durch sie entfällt das umständliche Durchklicken unzähliger Menüs und versteckter Optionen. Sie wären ein entscheidender Schritt zu mehr Transparenz. In einem neuen EU-Datenschutzrecht brauchen wir zudem stärkere Löschungsrechte für Betroffene, vor allem im Internet. Die automatische Vervollständigung von Suchbegriffen zeigt, wie schnell einem die Kontrolle über das Privatleben entgleiten kann. Das Recht auf Vergessenwerden - insbesondere für selbsteingestellte Inhalte - sollte in Abwägung mit der Meinungsfreiheit fest verankert werden.

Europa braucht einheitlichen Datenschutz. Damit verhindern wir einen Standortwettbewerb um die niedrigsten Standards zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch deshalb müssen wir die Kräfte bündeln. Der heute stattfindende Nationale IT-Gipfel sollte sich dessen bewusst sein. Die Macht von 500 Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern in Europa benötigt ein gemeinsames Fundament, um den Kommunikationsgiganten selbstbewusst gegenübertreten zu können: Es sind ihre Rechte im grenzüberschreitenden Datenschutz.

Die Autorin ist Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz