Sehr geehrter Herr Präsident,
um die gegenwärtige Krise zu überwinden, sind alle notwendigen Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone als Ganzes zu ergreifen. Wir sind zuversichtlich, dass wir erfolgreich sein werden.
Wir sind überzeugt, dass wir die Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion über die unverzichtbaren Maßnahmen hinaus stärken müssen, die für die unmittelbare Krisenbewältigung dringend notwendig sind. Diese Schritte sind nun ohne weitere Verzögerung zu unternehmen. Wir halten dies für eine Frage der Notwendigkeit, der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens in die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion.
Die gegenwärtige Krise hat die Konstruktionsmängel der Wirtschafts- und Währungsunion schonungslos aufgedeckt. Wir müssen diese Defizite beheben. Um eine dauerhafte Stabilitäts- und Wachstumsunion zu schaffen, die es uns erlaubt, unser einzigartiges europäisches Modell zu erhalten, das wirtschaftlichen Erfolg und soziale Verantwortung verbindet, müssen wir die Fundamente der Wirtschafts- und Währungsunion substantiell verstärken. Neben einer gemeinsamen Währung ist ein starker wirtschaftlicher Pfeiler unerlässlich, der auf verbesserter wirtschafts- und finanzpolitischer Steuerung zur Stärkung der Finanzdisziplin sowie eines nachhaltigeren Wachstums und größerer Wettbewerbsfähigkeit gründet. Um diese Ziele zu erreichen, benötigen wir einen erneuerten Kontrakt zwischen den Mitgliedstaaten der Eurozone. Diese Überzeugung ist die treibende Kraft hinter unserem Vorschlag.
Wir benötigen mehr verbindliche und ehrgeizigere Regeln und Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten der Eurozone. Sie sollten widerspiegeln, dass eine gemeinsame Währung bedeutet, gemeinsam Verantwortung für die gesamte Eurozone zu übernehmen. Sie sollten den Weg für eine neue Qualität von Zusammenarbeit und Integration in der Eurozone bereiten.
Wir schlagen vor, dass diese neuen Regeln und Verpflichtungen in den Europäischen Verträgen verankert werden. Alternativ müssen die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, vorangehen. In diesem Fall würden wir sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten, die willens und fähig sind, sich anzuschließen, dies tun könnten, und dass die europäischen Institutionen eine wichtige Rolle spielen. Wir würden auch anstreben, diese neue Vereinbarung so bald wie möglich in den Rahmen der Europäischen Union zu überführen.
Die Hauptelemente der neuen Stabilitäts- und Wachstumsunion sind:
Eine verstärkte institutionelle Architektur
Es ist notwendig, die wirtschafts- und finanzpolitische Steuerung der Eurozone substantiell zu verstärken. Wir sollten daher einen besser integrierten und effizienteren institutionellen Aufbau vorsehen, ohne dabei bestehende europäische Strukturen oder Institutionen zu duplizieren. Dieser Aufbau sollte gegründet sein auf:
Dieses Rahmenwerk wird voll und ganz mit der institutionellen Architektur der EU in Übereinstimmung stehen. Mit Nachdruck unterstreichen wir unsere Bereitschaft, die Europäische Kommission umfassend einzubinden und auch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente in angemessener Weise zu beteiligen.
Ein umfassendes Rahmenwerk zur Prävention
Es liegt ohne Zweifel im Interesse aller Mitglieder der Stabilitäts- und Wachstumsunion, Abweichungen von einer soliden Wirtschafts- und Fiskalpolitik festzustellen und zu korrigieren, lange bevor sie zu einer Bedrohung für die Stabilität der Eurozone als Ganzes werden. Daher benötigen wir ein umfassendes Rahmenwerk zur Prävention, das aus verstärkter Koordination, Überwachung und Durchsetzung sowie positiven Anreizen besteht und auf bestehenden Ansätzen (neues Verfahren für makroökonomische Ungleichgewichte, Strategie Europa 2020, EuroPlus-Pakt) aufbaut und diese weiterentwickelt.
Dieses Rahmenwerk sollte vor allem Folgendes umfassen:
Wir müssen Wachstum durch größere Wettbewerbsfähigkeit sowie durch eine größere Konvergenz der Wirtschaftspolitik, zumindest unter den Mitgliedstaaten der Eurozone, stärken. Zu diesem Zweck sollte auf der Grundlage des Artikels 136 und/oder einer verstärkten Zusammenarbeit ein neuer gemeinsamer Rechtsrahmen errichtet werden, der mit dem Binnenmarkt voll und ganz vereinbar ist und es erlaubt, in konkreten Bereichen schneller Fortschritte zu erzielen, wie zum Beispiel in den Bereichen:
Ein verstärktes Verfahren zur Durchsetzung einer soliden Fiskalpolitik
Um den präventiven Arm des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu ergänzen und insbesondere um das Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts und einer ex-ante-Prüfung der Haushaltsentwürfe zu erreichen, sollte ein neues Verfahren geschaffen werden, um eine Verletzung der Grenze von 3% des BIP für das Haushaltsdefizit zu korrigieren.
Sobald durch die Europäische Kommission festgestellt wird, dass ein Mitgliedstaat die Obergrenze von 3 % verletzt hat, sollten automatisch Konsequenzen eintreten, es sei denn, die Mitgliedstaaten der Eurozone beschließen mit qualifizierter Mehrheit etwas anderes. Außergewöhnliche Umstände sollten berücksichtigt werden.
Im Regelfall würden folgende Konsequenzen automatisch folgen:
Aufbauend auf den Regelungen für einen quantitativen Richtwert zum Schuldenabbau im ‚Six Pack’ (1/20-Regel) muss in den neuen vertraglichen Bestimmungen auch das Verfahren für den Schuldenabbau der Mitgliedstaaten der Eurozone festgelegt werden, die einen Schuldenstand von mehr als 60% des BIP haben.
Ein dauerhafter Mechanismus zur Krisenbewältigung
Wir werden die Schaffung des dauerhaften zwischenstaatlichen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beschleunigen, der im Jahr 2012 wirksam sein sollte, um jede zukünftige Bedrohung für die Stabilität der Eurozone als Ganzes, einschließlich des Risikos einer Ansteckung anderer Mitgliedstaaten der Eurozone, besser abzuwehren und den betroffenen Mitgliedstaaten auf diese Weise in Notsituationen beizustehen.
Um die Effizienz des ESM und seine Fähigkeit, dringende Entscheidungen zu treffen, zu maximieren, sollte eine besonders qualifizierte Mehrheit (z. B. 85 % des gezeichneten EZB-Kapitals) eingeführt werden.
Hinsichtlich der Beteiligung des Privatsektors sollte der ESM-Vertrag angepasst werden, um deutlich zu machen, dass für Griechenland eine einmalige und außergewöhnliche Lösung erforderlich war. Wir erinnern daran, dass alle anderen Mitgliedstaaten der Eurozone feierlich ihre unumstößliche Entschlossenheit bekräftigt haben, die von ihnen selbst begebenen Anleihen vollständig zu bedienen.
Ein Erwägungsgrund der Präambel sollte klarstellen, dass die Eurozone der Praxis des IWF folgen wird. Wie vereinbart sollten einheitliche allgemeine Geschäftsbedingungen für Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses - CACs) eingeführt werden.
Anlässlich des 50. Jahrestags der Unterzeichnung der Römischen Verträge haben wir gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union feierlich unsere Entschlossenheit bekräftigt, die Errungenschaften der europäischen Einigung zum Wohle der künftigen Generationen zu verteidigen. Zu diesem Zweck haben wir uns verpflichtet, die politische Gestalt Europas immer wieder zeitgemäß zu erneuern. In diesem Geist unterbreiten wir unseren europäischen Partnern unseren Vorschlag.
Wir sind überzeugt, dass wir unverzüglich handeln müssen. Wir müssen auf dem nächsten Europäischen Rat eine Entscheidung treffen, damit die neuen vertraglichen Bestimmungen im März 2012 vorliegen.
Mit freundlichen Grüßen
Angela Merkel Nicolas Sarkozy