Es lebe die deutsch-französische Freundschaft!

Westerwelle/Fabius Es lebe die deutsch-französische Freundschaft!

Paris und Berlin müssen sich gemeinsam für die Herausforderungen der Zukunft in der Europäischen Union wappnen. Das schreiben die Außenminister Frankreichs und Deutschlands in einem gemeinsamen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Europa sei nicht das Problem, sondern die Lösung.

  • Ein Beitrag von Guido Westerwelle
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung

Für Jahrhunderte standen sich unsere Länder als Rivalen, Gegner, gar als so genannte "Erzfeinde" gegenüber. Die beiden Weltkriege, besonders die Verbrechen der Nazi-Diktatur, waren die furchtbaren Tiefpunkte. Macht man sich diese historische Dimension bewusst, zeigt sich ganz besonders klar der Mut, ja die Kühnheit von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, als sie am 22. Januar 1963 den Elysée-Vertrag unterzeichneten. Der Vertragstext ist kurz und kompakt, sein Inhalt aber war geradezu revolutionär: Deutschland und Frankreich bekennen sich darin zu nicht mehr und nicht weniger als in allen wesentlichen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Fragen "so weit wie möglich zu einer gleichgerichteten Haltung" zu gelangen. Der Vertrag ist - auch nach 50 Jahren - immer noch aktuell. Die Kernbegriffe seiner Präambel: Versöhnung, Jugend, Solidarität und Europa beschreiben das Wesen unserer Partnerschaft. Der Vertrag hat im Laufe der Jahre jenseits aller Widrigkeiten des Alltags eine Nähe und Freundschaft geschaffen, wie sie nur wenige Völker kennen.

Aus Jahrhunderte währender Feindschaft kann tiefe Freundschaft entstehen - das ist die Botschaft des Elysée-Vertrages, mit weltweiter Strahlkraft. Die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen ist geglückt. Aktuelle Umfragen belegen, dass in beiden Ländern mehr als 85 Prozent unserer Bürger ein gutes oder sogar sehr gutes Bild vom Nachbarn haben. Wir haben ein gemeinsames Geschichtsbuch, eine Deutsch-Französische Brigade, den zweisprachigen Fernsehkanal Arte und zahlreiche andere Institutionen des Dialogs und der Integration. Hinzu kommen die engen Verbindungen der Menschen auf beiden Seiten des Rheins. Heute gibt es über 2000 Partnerschaften zwischen deutschen und französischen Städten. Sie leisten einen entscheidenden Beitrag für unseren intensiven kulturellen und gesellschaftlichen Austausch. Unsere Volkswirtschaften sind eng miteinander verzahnt.

Wir dürfen aber nicht der Illusion der Selbstverständlichkeit erliegen. Was damals galt, gilt auch heute: Die Jugend ist der Schlüssel zur gemeinsamen Zukunft. Unsere Aufgabe bleibt, den jungen Menschen in beiden Ländern zu vermitteln, wie spannend und wichtig die Hinwendung zum Nachbarn ist. Dass es vielmillionenfach geglückt ist, junge Franzosen und Deutsche zusammenzubringen, ist das besondere Verdienst des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Das werden wir fortsetzen.

Unsere Freundschaft ruht auf dem festen Fundament gemeinsamer Werte. Zu Hause und in der Welt setzen wir uns ein für Freiheit, Toleranz, Hilfe für die Schwachen und kulturelle Vielfalt. Gleichwohl hatten Deutschland und Frankreich in den vergangenen 50 Jahren mitunter unterschiedliche Vorstellungen, wenn es wichtige Fragen gemeinsamen Belangs zu lösen galt. Aber unsere Fähigkeit zum Verständnis für die Haltung des anderen, unsere Bereitschaft zu einer für beide Seiten tragfähigen Lösung haben wir ein ums andere Mal unter Beweis gestellt. Deutschland und Frankreich wollen auch in Zukunft gemeinsam Lösungen für die großen Herausforderungen der Zeit finden: bei der Sicherung von Wachstum und Wohlstand, bei der Förderung von Innovation und Bildung, im Umweltschutz und der Versorgung mit sicherer und nachhaltiger Energie, auch bei den neuen Fragen des Informationszeitalters, nicht zuletzt auch bei unserem Engagement für Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Welt.

Deutschland und Frankreich teilen die gleiche Entschlossenheit, wenn wir uns für ein freies, demokratisches und selbstbestimmtes Mali einsetzen. Zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Union werden wir einen wichtigen Beitrag für die Zukunft dieses afrikanischen Staates leisten.

Im Mittelpunkt unserer Partnerschaft steht heute mehr denn je Europa. Die Erfolge der Europäischen Union, vom Binnenmarkt über die Reise- und Güterfreiheit bis hin zur gemeinsamen Währung, wären ohne unser gemeinsames Wollen und Wirken nicht vorstellbar. Wir wollen auch weiterhin die deutsch-französische Freundschaft in den Dienst Europas stellen und laden zum Mitmachen ein. Im Weimarer Dreieck engagiert sich Polen an unserer Seite mit großem Nachdruck für die europäische Integration. Es zeichnet sich ein Kreis von Ländern ab, die das mit uns erreichen wollen. Ein Europa "à la carte", in dem einige die Vorteile der Union gern in Anspruch nehmen, ohne die damit einhergehenden Verpflichtungen zu erfüllen, ist dagegen keine Option, die wir ins Auge fassen sollten.

Die Herausforderungen, vor denen wir in Europa stehen, sind groß. Auf wirtschaftlicher Ebene bleiben die Überwindung der Krise und der Umgang mit den tief greifenden wirtschaftlichen Veränderungen die Prioritäten. Wir brauchen dazu konsolidierte Staatsfinanzen, aber auch Wachstum und Solidarität, um Europa wirtschaftlich wiederauferstehen und fit für den globalen Wettbewerb zu machen. Um uns in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts zu behaupten, müssen wir bereit sein, unsere Volkswirtschaften und unsere Gesellschaften ständig zu modernisieren, aber auch das europäische Haus zum richtigen Zeitpunkt weiterzubauen und krisenfest zu machen.

Wir wollen der Gefahr einer Erosion innerhalb der EU entgegenwirken. Die Neigung zu Populismus und Nationalismus hat im Laufe der europäischen Schuldenkrise bedenklich zugenommen. Dem stellen wir ein deutsch-französisches Bekenntnis für Europa entgegen. Unser Verhältnis kann heute mehr denn je zu einem Motor Europas werden. Als Außenminister und Bürger Europas sind wir überzeugt, dass der "europäische Reflex" der Krieg- und Nachkriegsgeneration auch in anderem Kontext gepflegt und fortgeschrieben werden muss. Für die heutigen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, ist Europa im Gegensatz zu dem, was gelegentlich behauptet wird, nicht das Problem, sondern es muss die Lösung sein. Dazu sind Verbesserungen unerlässlich, die wir proaktiv herbeiführen müssen. Wir möchten ein Europa, das den Erwartungen der Bürger voll entspricht. Denn Europa hat nicht nur einen Preis, sondern auch einen Wert, von dem unsere Bürger täglich profitieren: durch mehr Freiheit, mehr Wohlstand, mehr Sicherheit. Das ist heute die Botschaft von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle für uns.

Vive l'amitié franco-allemande! Es lebe die deutsch-französische Freundschaft!