Eingangsstatement von Bundeskanzlerin Merkel bei der Konferenz „Frauen in Führungspositionen“

BK’in Merkel: Meine Damen, ich begrüße Sie zuerst und dann auch die anwesenden Herren. Ich muss mich gleich entschuldigen, dass ich heute manchen die ganze Veranstaltung lang den Rücken zukehre. Aber Sie sehen, der Raum ist gut gefüllt. Ich hoffe, Sie sind alle gut angekommen. Es gibt einige, die noch im Stau stecken. Aber es gibt Hoffnung, dass sie noch eintreffen werden.

Ich freue mich, dass Sie sich alle bereit erklärt haben, heute an dieser für uns doch besonderen Veranstaltung teilzunehmen. Die Begrüßung mache ich auch im Namen meiner Kollegin, Kristina Schröder. Wir werden heute diskutieren und haben in dieser Legislaturperiode ja schon an verschiedener Stelle - insbesondere bei Kristina Schröder - diskutiert, wie wir Frauen in Führungspositionen stärken können.

Diskutiert wird seit Jahrzehnten. Vor insgesamt zwölf Jahren haben dann die damalige Bundesregierung und die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, wenn man sich einmal auf die Wirtschaft konzentriert hat, eine Vereinbarung unterschrieben, die Fortschritte bringen sollte. Das war vor zwölf Jahren, 2001. - Man muss ganz nüchtern sagen: Die Ergebnisse waren mager.

So erweckt - das muss man auch sagen - diese Veranstaltung auf den ersten Blick einen etwas falschen Eindruck. Sie sind als Frauen in Führungspositionen hier ganz viele. Es sieht aus, als gäbe es sehr viele von Ihnen. Doch wir wissen, dass insgesamt im Lande die Situation bei Führungspositionen durchaus noch verbesserungsbedürftig ist. Sie haben in gewisser Weise noch immer einen Seltenheitswert. Umso wichtiger ist natürlich Ihre Anwesenheit hier.

Sie haben sich Ihren Stand im Beruf hart erarbeitet. Etliche unter Ihnen sind noch gar nicht so lange in Führungspositionen, sondern durch die öffentliche Diskussion auch in den Jahren 2011 und 2012 in ihre aktuellen Funktionen gekommen. Aber wir können sagen: Es bewegt sich durchaus etwas.

Dass sich etwas bewegt, sieht man daran, dass zum Beispiel der Frauenanteil in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen von 2011 bis 2012 von 3 auf 4 Prozent gewachsen ist. Allerdings muss man sagen: In das Schneckentempo muss noch etwas Bewegung hineinkommen. In den 200 größten deutschen Unternehmen gibt es also einen Frauenanteil in den Vorständen von 4 Prozent. Bei einem Frauenanteil von über 50 Prozent an der Bevölkerung gibt es hier durchaus eine gewisse Verbesserungsmöglichkeit.

Das trifft insgesamt auf Führungspositionen zu. Bei den DAX-30-Unternehmen liegt der Frauenanteil in den Vorständen heute immerhin schon bei 8 Prozent und in den Aufsichtsräten bei über 20 Prozent. Das sah vor einigen Jahren noch ganz anders aus. Auch durch die Tatsache, dass unsere Ministerin Kristina Schröder jetzt dazu übergegangen ist, dass die Unternehmen selbst angeben müssen, was sie denn für die nächsten Jahre vorhaben, ist da schon ein Stück mehr Verbindlichkeit hineingekommen.

Wir sollten auch auf den Mittelstand schauen. Deshalb sind hier nicht nur Vertreterinnen der Wirtschaft aus den großen Unternehmen, sondern auch aus den mittelständischen und kleine Unternehmen. Hier üben Frauen schon recht häufig Verantwortung aus.

Wir haben uns heute hier keinesfalls nur auf die Wirtschaft beschränkt, sondern haben auch andere Berufsfelder mit hineingenommen, nämlich Spitzenfrauen der Wissenschaft, der Medien, des Gesundheitswesens, aus Kunst und Kultur, der Kommunalpolitik und der Verwaltung. Da hätten sich sicherlich noch mehr gefunden.

Ich habe gerade eben zu der Generalmusikdirektorin von Hamburg gesagt: Zum Beispiel im Musikbereich ist es erstaunlich, wie wenige Frauen heute Spitzenpositionen haben.

Wir haben heute - zusätzlich zu denen, die heute schon in Spitzenpositionen sind – auch Studentinnen und Nachwuchskräfte unter uns, die ich ganz herzlich begrüßen möchte, die noch einen Weg vor sich haben. Für Sie ist es vielleicht von Interesse, heute der Diskussion beizuwohnen und zu hören: Was kommt auf uns zu? Was können wir lernen? Welche Ratschläge können Frauen, die es geschafft haben, jungen Frauen geben? - Wir hoffen und wissen, dass Spitzenpositionen bestimmte Sogwirkungen entfalten können. Darauf setzen wir auch.

Wir müssen vor allen Dingen darauf achten, dass wir nicht nur über die obersten Spitzen diskutieren, sondern auch in den mittleren Führungsebenen schauen, dass mehr Frauen in Verantwortung sind. Es geht also um ganz praktisches Leben von Gleichberechtigung. Es geht um gleiche Chancen bei gleichen Qualifikationen. Wir stellen immer wieder fest, dass das Qualifikationsniveau von Frauen im Personaltableau immer noch nicht die entsprechende Reflektion findet.

Das ist in dreifacher Hinsicht nicht akzeptabel: Erstens weil Frauen heute sehr gut beruflich gebildet sind. Zweitens weil wir auch etwas bei dem verlieren, was Managementqualität insgesamt ausmacht. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Vielfalt die beste Antwort auf eine gute Qualität ist. Drittens ist es angesichts des demografischen Wandels für unsere Volkswirtschaft natürlich auch eine Vergeudung von, wie man heute fachlich korrekt sagt, Humanressourcen, also von menschlichen Möglichkeiten.

Viele Frauen sind bestens für leitende Aufgaben geeignet. Aber man muss dann auch zum Zuge kommen können.

Ich würde gern heute mit Ihnen ausloten, vor welchen Hürden Frauen auf dem Weg zu Spitzenpositionen stehen, wie man davon etwas abbauen kann und welche Ratschläge Sie weitergeben können. Denn wir wissen: Netzwerke sind auch sehr wichtig für den Austausch von Erfahrungen. Ich denke, das Ganze fängt schon recht früh bei der Karriereplanung an. Mädchen haben ja heute oft bessere Schulabschlüsse als Jungen.

Ich war gerade gestern in einer Berliner Schule. Wir haben über Europa diskutiert. Da musste ich schon aufpassen, dass überhaupt ein Junge zu Wort kam - ich habe dann gesagt, jetzt bräuchte ich einmal eine männliche Stimme -, weil die Mädchen sich ganz schnell gemeldet und sich auch sehr gut artikuliert haben.

Allerdings lernen Mädchen häufig Berufe, die auch heute noch mit geringerem Einkommen verbunden sind. Wir haben jedes Jahr den Girls’ Day. Ich hatte jetzt wieder die Preisfrage ausgelobt. Mädchen einer Klasse mussten darauf antworten, wie viel Prozent der Frauen eines Jahrgangs denn Elektrotechnik studieren. Alle Schätzungen der Mädchen waren total zu optimistisch. Es waren, glaube ich, 11 Prozent.

Da sieht man schon, dass natürlich bestimmte Entwicklungen trotz aller Werbung für die sogenannten MINT-Fächer noch nicht Platz greifen. Wir versuchen ja, Mädchen mit vielen Maßnahmen an technische Berufe heranzubringen.

Dann geht es um die Frage „Familie und Karriere“. Hier ist es, glaube ich, ganz wichtig, dass wir auch über die Rolle der Väter diskutieren. Ohne eine vernünftige Teilung der Arbeit wird es an vielen Stellen nicht gehen.

Dann ist es natürlich ganz wichtig, dass wir uns austauschen, welche Möglichkeiten es eigentlich gibt, Zeitmanagement zu betreiben. Die Bundesregierung, Kristina Schröder, macht hier eine ganze Vielzahl von freiwilligen Aktionen der Wirtschaft; hier gibt es sehr gute Beispiele. Vieles hängt mit flexibler Arbeitszeitgestaltung und mit einem gutem Zeitmanagement zusammen. Unternehmen, gerade mittelständische Unternehmen, sind heute angesichts des Fachkräftemangels bereit – und das wird zunehmen -, sich mehr einem solchen Zeitmanagement zu unterwerfen.

Wichtig ist natürlich, dass die Voraussetzungen für eine bessere Vereinbarung von Beruf und Familie geschaffen sind. Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab 1. August ist hier ein qualitativer Fortschritt. Das wird dann sicherlich noch auszubauen sein. Es geht um Öffnungszeiten. Es geht um Flexibilität auch in diesem Bereich. Der Bund hat den Kita-Ausbau aus Überzeugung zwischen 2008 und 2014 mit rund 5,4 Milliarden Euro gefördert. Er beteiligt sich auch dauerhaft an den Betriebskosten. Sonst wäre das gar nicht möglich gewesen.

Wir wollen heute miteinander über Ihre Einschätzungen diskutieren. Ich bitte Sie um eine schonungslose und realitätsnahe Darstellung der Dinge und bin auch auf Ihre Einschätzungen und Vorschläge gespannt, was man verbessern kann. - Was wollen Sie als erfolgreiche Spitzenfrauen den Jüngeren mit auf den Weg geben? Welche Vorurteile, welche Klischees bestehen noch? Wie lassen sie sich weiter abbauen? Und was muss in Unternehmen eigentlich noch selbstverständlicher werden, was Flexibilität, Zeitmanagement und Chancengerechtigkeit anbelangt?

Die jüngeren Frauen im Publikum – darüber würde ich mich freuen – könnten etwas zu folgenden Themen sagen: Was sind Ihre ersten Erfahrungen beim Start ins Berufsleben? Welche Erwartungen setzen Sie in Ihre Arbeitgeber? Und wo möchten Sie eigentlich in zehn oder zwanzig Jahren stehen?

Ich habe vor kurzem Frau Sandberg von Facebook getroffen, die ja mit ihrem Buch „Lean In“ auch gewisse provokative Thesen aufgestellt hat. Sie sagt: Das Erste ist, dass die Frauen für sich selber eine klare Planung haben und klare Entscheidungen treffen.

So, ich halte jetzt erst einmal inne.

Vor Beginn der Diskussion möchte ich allerdings noch dem Geburtstagskind gratulieren. Frau Gläser, herzlichen Glückwunsch! Alles Gute im neuen Lebensjahr! Ich glaube, Sie sind heute an Ihrem Geburtstag in guter Gesellschaft.

Jetzt gehen wir an die Arbeit. Ich übergebe das Wort an unsere Moderatorin und freue mich, dass Sie, Frau Frohnert, das so nett für uns machen.