Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim 24. Ordentlichen Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Metall am
10. Oktober 2019 in Nürnberg

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Sehr geehrter Herr Hofmann,

sehr geehrte Delegierte und Gäste,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Maly,
meine Damen und Herren,

lassen Sie mich aus aktuellem Anlass eine Vorbemerkung machen. Ich bin wie Millionen Menschen in Deutschland schockiert und bedrückt von dem Verbrechen, das gestern in Halle verübt worden ist. Zwei Menschen sind ermordet worden – unbegreiflich, an einem friedlichen Mittag, in der Nähe einer Synagoge, in der jüdische Mitbürger eines ihrer höchsten Feste, Jom Kippur, feierten. Ich trauere mit den Familien und Freunden der Ermordeten in diesen Stunden, die so schmerzlich sind. Ich denke an die Verletzten. Wir wissen: Die Menschen in der Synagoge sind nur sehr knapp einem schrecklichen Angriff entgangen. Es hätte noch sehr viel mehr Opfer geben können.

Ich habe es gestern in Berlin an der Neuen Synagoge gesagt; und ich wiederhole es hier: Wir sind froh über jede Synagoge, über jede jüdische Gemeinde und über alles jüdische Leben in unserem Land. Das heißt zuallererst, dass die Repräsentanten des Rechtsstaates – und als ein solcher stehe ich ja vor Ihnen – alle Mittel des Rechtsstaates nutzen müssen, um gegen Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Da gibt es keinerlei Toleranz. Außerdem heißt das, dass wir den Anfängen wehren müssen. Das bedeutet, dass wir schon bei der Sprache aufpassen müssen. Denn sehr oft kann es passieren, dass aus Worten Taten werden. Auch das muss unterbunden werden.

Wir müssen also parallel in Prävention und politische Bildung investieren. Wir müssen einen respektvollen und bei allen Meinungsunterschieden offenen Diskurs pflegen, der auf den Werten unseres Grundgesetzes fußt. Hass, Rassismus und Antisemitismus dürfen keinen Platz in unserem Land haben. Neben der Konsequenz unseres Rechtsstaats kann diesem Ziel nichts besser dienen als ein vielfältiges zivilgesellschaftliches Engagement. Denn gegen Vorurteile und Hass aufzustehen, für Respekt und Toleranz einzustehen und in Vereinen, Freiwilligendiensten und anderen Initiativen mitzuwirken, das macht uns als Gesellschaft stark.

An dieser Stelle möchte Ihnen allen danken, die Sie die IG Metall repräsentieren. Denn Sie zeigen in diesem Bereich außergewöhnlichen Einsatz. Ich denke dabei zum Beispiel an Ihre Initiativen „Respekt! Kein Platz für Rassismus“ und „100 Prozent Menschenwürde – zusammen gegen Rassismus“. In diesen Initiativen kommt im Übrigen auch zum Ausdruck, dass sich Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft – ob Digitalisierung, Klimawandel oder demografischer Wandel – nur im gegenseitigen Respekt voreinander gestalten lassen. Dafür steht das Motto Ihres Gewerkschaftstages „Miteinander für morgen – solidarisch und gerecht“.

Deshalb möchte ich Ihnen an dieser Stelle einfach danke für die vielen Gespräche sagen – Herr Hofmann hat sie angesprochen – und natürlich endlich das tun, was ich schon am Eingang gemacht habe, nämlich ganz herzlich gratulieren: Ihnen, Herr Hofmann, zu Ihrer erneuten Wahl zum Ersten Vorsitzenden der IG Metall, und auch Ihnen, Frau Benner, zur Wiederwahl sowie den anderen gewählten Vorstandsmitgliedern. Ich freue mich auf eine weitere kritisch-konstruktive Zusammenarbeit.

Die IG Metall ist mit nunmehr 70 Jahren genauso alt wie die Bundesrepublik Deutschland und wie unser Grundgesetz. Damit gehört Ihre Gewerkschaft zum festen Inventar unseres Landes. Auch zu Ihrem Jubiläum beglückwünsche ich Sie natürlich ganz herzlich. Jubilare wissen, dass oft erst der Blick zurück das Bewusstsein dafür stärkt, was alles tatsächlich erreicht werden kann.

Deshalb möchte ich mit Ihnen einmal etwas weiter als 70 Jahre zurückschauen, nämlich auf das Jahr 1835. Denn damals fuhr zwischen Nürnberg und Fürth die erste mit Lokomotiven betriebene Eisenbahn Deutschlands. Es standen Tausende Schaulustige da, mit Staunen und manche auch mit Schrecken. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, doch sie läutete ein neues Zeitalter ein. Mit der Eisenbahn ergaben sich ungeahnte neue Möglichkeiten über den Verkehr hinaus auch für den Handel und die Industrie. Ein völlig neues Tempo zog in alle Produktions- und Lebensbereiche ein. Dieser Wandel behagte bei Weitem nicht allen. Ein Pfarrer aus der Region verurteilte die Eisenbahn gar als „Teufelsding“. Aber wohlgemerkt: vor der ersten Fahrt. Es ist nicht überliefert, wie er danach gesprochen hat.

Ich erzähle das, weil wir uns heute in einer ähnlichen Situation befinden: mitten in einem Transformationsprozess. Ich will ausdrücklich hervorheben und auch danke dafür sagen, dass die IG Metall – ich will dabei niemanden aus den anderen Gewerkschaften in irgendeiner Weise in den Schatten stellen – sehr früh damit begonnen hat, sich mit den Facetten der Transformation zu beschäftigen.

Die Digitalisierung wird unsere Welt vollkommen verändern. Sie tut es schon. Sie erleben das in den Unternehmen. Sie erleben das auch zu Hause mit Ihren Kindern oder bei Ihrer eigenen Nutzung der sozialen Medien. Aber viele sehen eben auch heute nicht nur die Chancen, sondern haben auch Sorgen; und das ist ja auch verständlich. Sie fragen sich, wie sich ihr Arbeitsplatz verändern wird, ob es den Arbeitsplatz später überhaupt noch geben wird und ob man bei diesem Wandel mitkommt. Sie als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter werden in den Betrieben jeden Tag mit diesen Fragen konfrontiert. Ob unter Sozialpartnern, in der Politik oder insgesamt in der Gesellschaft – wir brauchen die Diskussion darüber, wie wir die Arbeitswelt 4.0 so gestalten können, dass wir alle oder zumindest möglichst viele Menschen mitnehmen können.

Diese Frage stellt sich nun in einer wirtschaftlichen Lage, die zwar weiterhin ordentlich ist. Aber gerade in den Unternehmen, in denen Sie tätig sind, sieht man, dass jetzt, nach zehn Jahren des wirtschaftlichen Wachstums, doch Wolken am Konjunkturhimmel erkennbar sind. Wir hatten zehn gute Jahre mit guten Auswirkungen auf die Reallöhne, mit stabilen sozialen Sicherungssystemen und – darüber sind wir in der Tat auch froh – einem ausgeglichenen Staatshaushalt. Wir haben einen Arbeitsmarkt, in dem Millionen mehr Menschen in Arbeit und im Übrigen auch in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse hineingekommen sind.

Es ist auch eine gute Entwicklung der letzten Jahre, dass mehr Frauen erwerbstätig sind. Allein in den letzten zehn Jahren ist die Quote von 64 Prozent auf 72 Prozent gestiegen. Das wäre ohne politische Flankierung nicht möglich gewesen – Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, Elterngeld, flexiblere Elternzeit.

(vereinzelter Beifall)

– Das sind wohl die wenigen Frauen, die hier anwesend sind. –

(Heiterkeit und Beifall)

Ich will ausdrücklich sagen: Nachdem wir im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und dann den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz bekommen haben, fehlt jetzt noch ein Baustein für eine vernünftige Vereinbarkeit von Beruf und Familie; und das ist der Rechtsanspruch auf die Betreuung im Grundschulalter. Er ist Teil unserer Programmatik für diese Legislaturperiode.

Das alles hat dabei geholfen, dass sich mehr Frauen eine Erwerbstätigkeit zutrauen, aber auch dabei – dafür war das Elterngeld natürlich ganz wichtig –, dass mehr Männer mehr Familienpflichten übernommen haben. Beides geht aus meiner Sicht Hand in Hand.

Wir haben massiv in Bildung und Forschung investiert. Damit haben wir den Drei-Prozent-Anteil am Bruttoinlandsprodukt erreicht. Wir werden auch noch die steuerliche Forschungsförderung einführen.

Wir haben uns also eine gute Ausgangslage geschaffen. Aber was wir nicht machen können, ist, uns einen Rechtsanspruch auf künftige Beschäftigungssicherheit zu schaffen. Unsere Beschäftigungschancen hängen ganz klar davon ab, wie die Transformation in die digitale Gesellschaft, die Nutzung der künstlichen Intelligenz und vieles andere mehr gelingen.

Ich habe von den Wolken am Konjunkturhimmel gesprochen. Damit meine ich vor allem die internationale Situation. Wir konnten aus der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise überhaupt nur deshalb herauskommen, weil wir multilateral gehandelt haben, weil wir damals das G20-Format auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs geschaffen haben, weil sich die Vereinigten Staaten von Amerika, Deutschland, China und die anderen G20-Mitgliedstaaten an Konjunkturprogrammen beteiligt haben. So konnten wir diese Krise überwinden – damals in Deutschland im Übrigen auch mit dem Kurzarbeitergeld, das geholfen hat, Beschäftigung zu sichern. Wir erinnern uns daran, Herr Hofmann, dass das so war, und haben das nicht vergessen.

Heute sehen wir verstärkt protektionistische Tendenzen und Handelskonflikte zum Beispiel zwischen den Vereinigten Staaten und China, worunter auch wir leiden. Es gibt auch die Unsicherheit bei der Frage, die wir wenige Tage vor dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union nach wie vor haben, nämlich ob wir einen geregelten Austritt hinbekommen oder nicht. Alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die in ihr verbleiben, werden bis zum letzten Tag daran arbeiten, dass wir einen geregelten Austritt hinbekommen. Aber wir haben es nicht allein in unserer Hand.

Wir müssen mit den veränderten Rahmenbedingungen umgehen und gleichzeitig den Wandel gestalten. Hierbei versucht die Bundesregierung, die richtigen Weichen zu stellen, im Übrigen in vielen Gesprächen gemeinsam mit Ihnen. Das betrifft angesichts technologischer Veränderungen auch das Thema des lebenslangen Lernens. Deshalb haben wir gemeinsam die Nationale Weiterbildungsstrategie entwickelt. Natürlich ist Weiterbildung vor allen Dingen Aufgabe der Unternehmen und Sozialpartner. Aber der Staat muss und wird hierbei seinen Beitrag leisten. Einige Dinge haben wir auch schon festgeschrieben.

Wir haben die Förderung der Weiterbildung mit dem sogenannten Qualifizierungschancengesetz erheblich verbessert und ausgeweitet. Die Bundesagentur für Arbeit unterstützt Beschäftigte und Unternehmen mit einer teilweisen Übernahme von Weiterbildungs- und Lohnkosten. Wie es immer so ist, wenn ich hier bei Ihnen bin: Das reicht Ihnen natürlich noch nicht. Aber ich glaube doch, es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Sie haben weitere Vorschläge gemacht, zum Beispiel für ein Transformationskurzarbeitergeld und auch für das Kurzarbeitergeld in Zeiten konjunktureller Schwierigkeiten. Ich kann Ihnen zusagen, ohne jetzt konkrete Zusagen zu machen, über die Sie sich noch mehr freuen würden, dass wir angesichts der jetzigen Entwicklung miteinander im Gespräch darüber bleiben, was wann notwendig ist und wo wir agieren müssen, damit wir unser Pfund, unsere Stärke, nämlich die qualifizierten Beschäftigten in unseren Betrieben, nicht aufs Spiel setzen. Das kann ich Ihnen versprechen.

Sie alle hier in diesem Saal wissen, dass die IG Metall nicht nur aus Mitgliedern besteht, die in der Automobilindustrie tätig sind, aber Sie wissen auch, dass dies ein wichtiger Teil unserer industriellen Wertschöpfung ist. Diese Branche verändert sich grundlegend. Es gibt im Grunde genommen drei große Veränderungen. Sie betreffen die Antriebstechnologien, die Möglichkeiten der Digitalisierung, was das autonome Fahren anbelangt, und das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger bezüglich des Besitzens oder Benutzens eines Autos. Diese drei Trends müssen gleichermaßen berücksichtigt werden. Sie bedeuten disruptive Veränderungen in der Produktion.

Die Automobilbranche ist zum Teil auch unter Druck und hat Vertrauen verloren. Das ist natürlich eine ganz schwierige Ausgangssituation, wenn man gerade in einem Wandlungsprozess ist. Ich will ausdrücklich sagen, dass Sie an diesem Vertrauensverlust keine Schuld tragen. Sie müssen aber mit den Konsequenzen eines solchen Vertrauensverlustes leben. Wir werden deshalb auch auf politischer Seite versuchen, gemeinsam mit Ihnen in die Zukunft zu schauen. Das sage ich ausdrücklich. Deshalb haben wir die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität gegründet. Herr Hofmann hat den Vorsitz einer der insgesamt sechs Arbeitsgruppen. Wir haben auch einen strategischen Dialog auf der Führungsebene eingeleitet, so will ich einmal sagen, in dem wir alle anstehenden Fragen nicht nur miteinander besprechen, sondern auch einer Lösung zuführen wollen.

Der erste Punkt ist die Frage: Wie schaffen wir den Umstieg auf die Elektromobilität sowohl mit Hybridfahrzeugen als auch mit rein elektrischen Fahrzeugen? Wer auf der IAA war, der sieht, dass dabei erhebliche Entwicklungsfortschritte zu verzeichnen sind und dass jetzt neben kleineren Autos auch Mittelklassewagen langsam auf den Markt kommen. Aber wir müssen natürlich auch die gesamte Umstellung der Produktion im Auge behalten.

Wir brauchen mehr erneuerbare Energien. Auch das ist wichtig. Denn es nützt nichts, ein Elektroauto zu fahren, wenn der Strom dafür aus einem Kohlekraftwerk kommt. Dann ist die Ökobilanz auch noch nicht gut. Ich sage nachher noch etwas zu den erneuerbaren Energien.

Ich möchte auch auf zwei andere Branchen eingehen, die sich ebenfalls in Transformationsprozessen befinden: Das sind die chemische Industrie und die Stahlindustrie. Ich habe verfolgt, dass Sie hier sehr umfassende Diskussionen auch über die technologischen Herausforderungen geführt haben. In der Tat, wenn wir die Stahlproduktion in Europa und Deutschland halten wollen, dann muss sie kohlenstofffrei erfolgen. Das bedeutet, dass wir in erheblichem Umfang Wasserstoff aus erneuerbaren Energien brauchen. Und das ist mit großen Investitionen verbunden. Das wird die Wirtschaft nicht alleine schaffen. Daher werden wir gemeinsam mit der Wirtschaft nach technologischen Lösungen suchen müssen. Das gilt ähnlich für die chemische Industrie. Auch hier müssen wir uns überlegen, wie wir den Wandel hin zu einer völlig veränderten Energieproduktion hinbekommen.

Wir haben einige Erfolge erzielt. Wir haben uns in Deutschland auf den Ausstieg aus der Braunkohle und aus der Kohle insgesamt bis zum Jahr 2038 geeinigt. Angesichts der Tatsache, dass wir unter den Ländern eines der ganz wenigen sind, das praktisch parallel aus der Kernenergie und aus der Kohle aussteigt – 2022 aus der Kernenergie und spätestens 2038 aus der Kohleproduktion –, haben wir natürlich einen erheblichen Transformationsprozess zu bewältigen. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt einen Anteil der erneuerbaren Energien von um die 40 Prozent haben und dass wir bis 2030 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 65 Prozent erreichen wollen.

Aber wir brauchen dazu auch geeignete Rahmenbedingungen. Und das betrifft vor allen Dingen den Leitungsbau. Ich bitte Sie alle, auch dort, wo Sie vielleicht versucht sind, in Bürgerinitiativen gegen den Bau neuer Leitungen aufzutreten, dass man berücksichtigen muss: Wir werden die Transformation nicht schaffen, wenn wir nicht auch unser gesamtes elektrisches Leitungssystem in gewissem Umfang neu ausjustieren. Das ist einfach Teil der Aufgabe, vor der wir stehen.

Wir haben die große Herausforderung, die Akzeptanz insbesondere für die Windenergie zu stärken. Ich habe einen Küstenwahlkreis. Dort ist schon die Akzeptanz für die Offshore-Energie nicht unendlich, so will ich es einmal sagen. Zumindest alles, was noch von Land aus sichtbar ist, ist sehr schnell in der Kritik.
Aber es ist vor allem der Ausbau von Windenergie an Land, der für uns im Augenblick ein sehr großes Problem darstellt. Zum Teil wird gesagt: Mit euren neuen Beschlüssen im Zusammenhang mit dem Klimapaket, mit denen ihr die Abstandsregelung in den Dörfern verändert und die Abstände vergrößert habt, werdet Ihr dem Ausbau noch mehr schaden. – Ich sage Ihnen ganz offen: Das glaube ich nicht. Denn wenn wir keine Akzeptanz haben, dann haben wir für jedes Windrad ein fünfjähriges Genehmigungsverfahren und dann haben wir so viel Protest, dass wir überhaupt nicht mehr weiterkommen.

Ganz ehrlich gesagt, es kann doch nicht sein, dass die Menschen, die in großen Städten leben, zwar den Erneuerbare-Energien-Strom haben wollen, aber nicht fragen, wo er produziert wird. Mich haben neulich junge Leute aus Berlin gefragt, mit wem auf der Welt sie eine Partnerschaft übernehmen sollen. Darauf habe ich geantwortet: Übernehmt sie mit den Menschen aus meinem Wahlkreis und unterhaltet euch darüber, ob ihr, wenn neben eurem Dorf eine Windenergieanlage ausgetauscht wird, die bisher 80 Meter hoch war und in Zukunft 220 Meter hoch sein wird, noch so begeistert von der Windenergie wärt. Ihr müsst es sein; wir wollen es alle sein. Aber es muss auch zu zumutbaren Bedingungen passieren. Das ist ganz, ganz wichtig. Akzeptanz ist immer wichtig in einer Gesellschaft, die sich transformiert.

Meine Damen und Herren, wir stehen vor der Herausforderung des Klimawandels. Die Bundesregierung hat ein Konzept zum Klimaschutz verabschiedet, das breit kritisiert wurde und sicherlich auch noch Gegenstand großer Debatten im Deutschen Bundestag und im Bundesrat sein wird. Aber wir haben mit diesem Konzept zwei Dinge völlig verändert, die wir bisher nicht in der Hand hatten und die uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dahin führen werden, dass wir das Ziel, 2050 klimaneutral zu sein, erreichen können.

Das eine ist die Tatsache, dass wir gestern mit der Verabschiedung des Klimagesetzes einen vernünftigen Mechanismus eingeführt haben. Wir führen Jahr für Jahr ein Monitoring durch und haben für den Fall, dass wir unsere Etappenziele nicht erreichen, einen Mechanismus entwickelt, um schnell nachsteuern zu können. Das bringt Transparenz, aber das bringt eben auch Handlungsdruck; und der ist notwendig.

Zum anderen führen wir zum ersten Mal ein Bepreisungssystem ein, das eindeutig auf CO2 ausgerichtet ist. Das Bepreisungssystem wird mit ansteigenden CO2-Preisen für Kraftstoffe und für Heizöl deutlich machen, dass die Innovation immer da liegen muss, wo CO2 vermieden wird. Nun sind wir kritisiert worden, dass wir zu klein einsteigen. Okay, mit dieser Kritik müssen wir leben. Wir haben lange darüber nachgedacht. Sicherlich haben zehn Euro je Tonne CO2 noch nicht den Effekt, sofort das Verhalten zu ändern. Aber wenn wir langsam vorgehen, wenn wir auch immer im Auge haben, dass wir Menschen Zeit geben müssen, bis sie sich ein neues Auto, eine neue Heizung anschaffen oder ihr Haus wärmedämmen können, dann, glaube ich, werden wir in den 20er Jahren schnell den Effekt erreichen, dass Menschen ihr Verhalten verändern und bei jeder Anschaffung auch die Frage stellen: Was bedeutet das für mein klimafreundliches Verhalten?

Wenn wir uns darüber einig sind, dass Klimaschutz wirklich eine Menschheitsaufgabe ist, dann ist es auch wichtig, dass wir so handeln und dass unser Ziel, bis 2030  55 Prozent der klimaschädlichen Gase einzusparen, auch wirklich erreicht werden kann. Aber die Notwendigkeit, Menschen dabei mitzunehmen, und die Frage, wie wir diese Änderungen organisieren, das ist ja auch etwas, was Ihnen jeden Tag vor Augen ist. Und die Frage ist: Reicht die Zeit? Wie ist der Handlungsdruck? Er ist groß beim Klimawandel. Er ist auch groß bei den Fragen der Digitalisierung. Aber wir haben mit unseren Beschlüssen erst einmal einen Stein ins Wasser geworfen; und ich glaube, es ist ein ziemlich umfassender Stein.

Wir werden Bahnfahren billiger und Fliegen teurer machen und die an CO2 ausgerichtete Kfz-Steuer noch einmal verändern. Es wird Veränderungen in vielen Bereichen geben. Wir werden vor allen Dingen staatliche Anreize setzen – Anreize zur Gebäudesanierung, Zuschüsse in Höhe von 40 Prozent für den Austausch von Heizungen. Ich hoffe, dass viele Bürgerinnen und Bürger davon auch wirklich Gebrauch machen. Das wiederum, Herr Hofmann, ist ein Investitionsprogramm mit 54 Milliarden Euro allein in den Jahren bis 2023 und natürlich mit weitaus mehr im Verlauf des nächsten Jahrzehnts.

Jetzt sage ich Ihnen einmal ganz ehrlich: Was ist im Augenblick unser Problem? Wir haben die höchsten Investitionsmittel im Bundeshaushalt. Unser Problem ist nicht, dass wir nicht genügend Mittel für Investitionen haben, sondern unser Problem ist, dass unsere Planungs- und Genehmigungsverfahren elendig – so sage ich einfach einmal – langsam sind. Sie sind auch deshalb langsam, weil wir ein Rechtsstaat sind. Das muss sein. Bürgerinnen und Bürger müssen Einspruchsmöglichkeiten haben. Aber sie sind auch deshalb langsam, weil im öffentlichen Bereich in den vergangenen Jahren zum Teil Planungskapazitäten abgebaut wurden. Das gilt für den Bund, das gilt aber auch für Länder und Kommunen. Sie sind langsam, weil wir vielleicht manchmal auch die Dringlichkeit nicht mehr richtig spüren. Wenn man sieht, dass der Gotthard-Basistunnel fertig und der Brenner-Basistunnel auf gutem Wege ist und nur die Zufahrten aus Deutschland immer Jahre bis Jahrzehnte im Rückstand sind, dann kann man sich auch nicht einfach mit dem europäischen Recht herausreden, sondern dann müssen wir in Deutschland die Dringlichkeit besser spüren und insgesamt schneller werden.

Deshalb werden wir für ausgewiesene Projekte auch Einzelgesetze machen. Deshalb haben wir uns jetzt noch einmal vorgenommen, insbesondere bei der Elektrifizierung der Eisenbahn schneller zu werden. Insofern ist das Thema Geschwindigkeit für uns ein ganz bestimmender Schritt.

Nun sagen Sie: Okay, das habt ihr für die Bürgerinnen und Bürger in den Bereichen Mobilität und Gebäude gemacht, aber wir brauchen im Industriebereich – ich habe über Wasserstoff und anderes gesprochen – mehr staatliche Mittel. Wir werden uns natürlich immer fragen, was wir investieren müssen. Dafür allein haushaltliche Themen zugrunde zu legen und zu sagen, die schwarze Null ist unser Fetisch – darum geht es nicht. Ich sage Ihnen aber auch – darüber haben wir ja auch schon öfters gesprochen –: Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, die eine demografische Entwicklung haben, mit der wir immer weniger junge Menschen haben werden. Sie sehen jetzt schon, was für ein Thema der Fachkräftemangel für den Industriestandort Deutschland ist. Wir müssen deshalb auch schauen, dass wir den nachkommenden Generationen nicht inakzeptabel viele Schulden überlassen.

Wir können stolz darauf sein, dass unsere Gesamtverschuldung jetzt wieder unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Das gibt uns die Möglichkeit, zu sagen: Wenn einmal Not am Mann ist, wenn wir in eine schwierige Situation kommen, dann haben wir sozusagen ein paar Reserven, auf die wir konsequenterweise aber erst dann zurückgreifen. Und das können wir, weil wir jetzt gut dastehen, unsere sozialen Sicherungssysteme sicher sind und glücklicherweise große Rücklagen in der Arbeitslosenversicherung haben. All das brauchen wir, weil wir nicht nur an uns denken dürfen, sondern weil wir auch an unsere Kinder und Enkel denken müssen.

Aber, meine Damen und Herren, ich höre durchaus, welche Forderungen von Ihnen wir noch nicht erfüllt haben. Ich glaube im Übrigen, wir sollten sehr vorsichtig sein, nicht eine Krise sozusagen mental schon herbeizuführen, die wir noch nicht sehen. Sie sehen auf der einen Seite die Daten von geringeren Auftragseingängen. Auf der anderen Seite sagen uns Wirtschaftsforscher aber, dass wir trotzdem keine schwere konjunkturelle Delle bekommen. Ob die Prognosen stimmen oder nicht, das müssen wir jeweils abgleichen. Aber wir werden mit Ihnen im Gespräch darüber bleiben, was die angemessenen Maßnahmen sind. Jetzt müssen wir auch gerade all das, was wir im Bereich Bildung, Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung eingeführt haben, erst einmal weiter betreiben.

Ich möchte zum Abschluss noch auf zwei Dinge hinweisen. Das eine ist, dass wir mit dem Brexit ein Thema vor uns haben, das ein hohes Maß an Unsicherheit mit sich bringt. Wir haben auf europäischer und auf nationaler Ebene umfangreiche gesetzliche Maßnahmen getroffen – zum Aufenthaltsrecht, zu Sozialversicherungen, zum Luft- und Straßenverkehr. So soll es nicht dazu kommen, dass Versicherte in den Sozialversicherungen aufgrund des Austritts ihren Versicherungsstatus verlieren oder unfreiwillig einer Doppelversicherung unterliegen. Auch Renten werden in vollem Umfang gezahlt, wenn die begünstigten Personen ihren Wohnort in Großbritannien haben. Wir wollen die negativen Auswirkungen, auch wenn es zu einem ungeregelten Austritt kommt, in beiden Ländern minimieren. Die Einreise ins Vereinigte Königreich soll weiterhin visumsfrei möglich sein, genauso wie für Britinnen und Briten die Einreise in die EU.

Die Geschlossenheit der EU-27, meine Damen und Herren, ist nicht nur im Zusammenhang mit dem Brexit wichtig, sondern auch in vielen, vielen anderen Fragen. Sie sehen, in welcher internationalen Situation wir uns im Augenblick befinden. Ich denke etwa an die Situation in Syrien, in Libyen und anderswo.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen noch einmal ganz herzlich danken. Als ich vor vier Jahren hier bei Ihnen war, hatten wir eine ganz prekäre Situation in Deutschland. Wir waren gefordert. Die Oberbürgermeister – Herr Maly ist hier – haben getan, was sie konnten; die Landräte ebenso. Aber es gab natürlich auch viele Sorgen. In dieser schwierigen Situation, als es um Menschen ging, die ihre Heimat verlassen mussten, als wir bestimmte Abkommen wie zum Beispiel das EU-Türkei-Abkommen noch nicht hatten, da hat die IG Metall ganz eindeutig an unserer Seite gestanden und die Bundesregierung unterstützt. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Das war damals sehr wichtig.

Deshalb sage ich Ihnen an einem anderen Punkt auch Unterstützung zu. Das ist natürlich kein Blankoscheck, weil Ihre Forderungen ja immer ganz schön hart sind. Aber es ist mir ein großes Anliegen, in dem Transformationsprozess, in dem sich unser Land und in dem Sie sich in den Betrieben befinden, alles zu tun, um den Zusammenhalt in unserem Land zu stärken. Wir wissen ja, in welche Stresssituation dieser Zusammenhalt schnell geraten kann.

Für ein Kernstück des Zusammenhalts halte ich mit Blick auf die Gewerkschaften und die Sozialpartner die Tarifbindung. Die Entwicklung der Tarifbindung macht mir durchaus Sorgen. Denn wir haben in den neuen Ländern eine viel zu geringe Tarifbindung. Und wir haben die Tendenz, gerade auch im Zusammenhang mit neuen Beschäftigungsformen im Zeitalter der Digitalisierung, dass die Tarifbindung auch in den alten Ländern abnimmt. Wir haben sehr oft darüber diskutiert, wie wir die Tarifbindung stärken können und wie wir auch in Sachen Flexibilität oder Erprobungsmöglichkeiten von neuen Formen des Arbeitens diejenigen besserstellen und sozusagen belohnen können, die sich weiter zur Tarifbindung bekennen.

Die Frage der Tarifbindung liegt ja nicht allein in der Hand der Gewerkschaften, sondern sie liegt vor allen Dingen auch bei denen, die Unternehmen führen. Dort werde ich mit gleicher Zunge und in gleicher Art und Weise sprechen. Für das Miteinander in unserem Land ist das Miteinander von Politik und Sozialpartnern von entscheidender Bedeutung. Die Politik kann vieles nicht allein lösen. Wir haben durch den Mindestlohn schon Antworten gefunden, die ich, wenn die Tarifbindung stärker gewesen wäre, lieber zwischen den Sozialpartnern gefunden hätte.

Die Politik wird immer wieder einstehen, wenn es darum geht, dass Leitplanken gebaut werden, damit faire, vernünftige und gute Beschäftigung möglich ist. Aber alles, was innerhalb der Tarifpartnerschaft gelöst werden kann, kann dort besser, zielgenauer und an die Situation angepasster gelöst werden. Deshalb ist für mich – im Zusammenhang mit Gewerkschaften und gerade auch mit der IG Metall – das Thema Tarifbindung ein zentrales Thema. Ich möchte, dass die Tarifpartnerschaft auch dann, wenn wir 80 und 90 Jahre Grundgesetz feiern, ein wesentlicher Markstein der Sozialen Marktwirtschaft ist. Dafür lassen Sie uns bitte gemeinsam arbeiten. In diesem Sinne: Auf gute Zusammenarbeit.