Rede der Kulturstaatsministerin Grütters anlässlich des staatlichen Festakts zum Reformationsjubiläums

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Im Wortlaut Rede der Kulturstaatsministerin Grütters anlässlich des staatlichen Festakts zum Reformationsjubiläums

Beim Festakt in Wittenberg zog Kulturstaatsministerin Grütters eine positive Bilanz. Das breite Angebot habe Raum gegeben: zum einen einem vielstimmigen Erinnern an eine Reformationsgeschichte mit Licht und Schatten, zum anderen "der kulturellen Selbstvergewisserung. Wohl selten zuvor haben sich so viele Menschen mit einem prägenden Ereignis der frühen Neuzeit und vor allem mit der Suche nach unseren Wurzeln und Werten befasst."

Dienstag, 31. Oktober 2017 in Wittenberg

Herzlich willkommen zur Feier des 500. Reformationsjubiläums, herzlich willkommen zum festlichen Höhepunkt und würdigen Ausklang eines Jahres im Zeichen des gemeinsamen Erinnerns! Ein solches Volksfest der Verständigung hätte Martin Luther sich gewiss nicht im Entferntesten träumen lassen, als er am 31. Oktober 1517 hier in Wittenberg mit 95 theologischen Thesen eine Debatte anstoßen wollte. Schwer zu sagen, was ihn – wäre er als zeitgereister Ehrengast unter uns - mehr überraschen würde:

  • der Schulterschluss zwischen Katholiken und Protestanten in der Bereitschaft, das Verbindende über das Trennende zu stellen
  • die von zahlreichen Ehrengästen aus dem Ausland bezeugte, wahrhaft weltbewegende Resonanz auf seine reformatorische Kirchenkritik

  • oder die Konfrontation mit der kulturellen Vielfalt einer pluralistischen Demokratie – eine Vielfalt, die heute dank der zahlreichen Repräsentanten verschiedener Religionsgemeinschaften und zivilgesellschaftlicher Gruppen auch die voll besetzten Reihen dieses Festsaales prägt.

Wir dürfen jedenfalls davon ausgehen, dass dem Ehrengast aus dem 16. Jahrhundert das ungläubige Staunen ins Gesicht geschrieben wäre angesichts der politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Folgen seines Ringens um Gott und seines Drängens auf Erneuerung der Kirche.

Um die Reformation als Teil eines gewaltigen gesellschaftlichen Umbruchs zu würdigen, hat der Bund sich bei den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum finanziell wie organisatorisch außerordentlich engagiert, und ich freue mich, die - insbesondere in den Besucherzahlen sichtbare - Erfolgsbilanz in einem einzigen Satz zusammenfassen zu können: Wohl selten zuvor haben sich so viele Menschen mit einem prägenden Ereignis der frühen Neuzeit und vor allem mit der Suche nach unseren Wurzeln und Werten befasst. Die Ausstellungen und Veranstaltungen, die kulturellen Beiträge, die wissenschaftlichen und publizistischen Wortmeldungen des Jubiläumsjahres haben nicht nur der Vielstimmigkeit des Erinnerns an Licht und Schatten der Reformationsgeschichte Raum gegeben, sondern auch der kulturellen Selbstvergewisserung: der Auseinandersetzung mit prägenden Lernerfahrungen, aus denen heraus sich nicht zuletzt auch unsere demokratischen Werte entwickelt haben. Ich danke allen Mitwirkenden der Kirchen und der Zivilgesellschaft, der Länder und der Kommunen, die dazu mit Tatkraft, Ideen, Begeisterung und - ganz im Sinne Martin Luthers - auch mit inspirierender Debattier- und Streitlust beigetragen haben.

Gerade mit seiner Streitbarkeit - mit seinem verwegenen Mut, als kleiner Mönch mächtigen Autoritäten entgegen zu treten - hat Martin Luther den Weg in unser heutiges Gemeinwesen geebnet, auch wenn er selbst demokratische Werte wie Toleranz und Religionsfreiheit im heutigen Sinne weder predigte noch praktizierte. Und so wäre die persönliche Botschaft dieses sperrigen, störrischen Kirchenrebellen - unseres fiktiven Ehrengastes - heute vielleicht gerade die Aufforderung, das Suchen und das Zweifeln zu üben. Als Zweifelnder, der sich auf dem Wormser Reichstag 1521 allein auf die Heilige Schrift und sein Gewissen berief, setzte er der weltlichen wie auch der geistlichen Macht Grenzen - was ihn und viele Mitstreiter und Erben freilich nicht davor bewahrte, die eigenen Überzeugungen mit bisweilen fundamentalistischem Wahrheitsfuror zu verteidigen. Als Suchender rang er um klare Worte und starke Bilder und eröffnete so mit seiner Bibelübersetzung allen Menschen Zugang zum Wort Gottes - während manche seiner ebenso sprach-gewaltigen Schriften Hass und Ausgrenzung propagierten.

In dieser Ambivalenz blieb Luther, auch wenn er seiner Zeit in vielerlei Hinsicht voraus war, seiner Zeit auch verhaftet. Doch gerade, weil er als Zweifelnder und Suchender auch auf Irrwege geraten ist, gerade weil er uns die Möglichkeit der Fehlbarkeit tiefster Überzeugungen erkennen lässt, lehrt er uns, Fragende zu bleiben und nicht nur den Glauben, sondern auch den Zweifel Raum zu geben. Um es mit den Worten eines bekennenden Liebhabers des Christentums und eines streitbaren Intellektuellen muslimischen Glaubens zu sagen - in den Worten Navid Kermanis: "Die Liebe zum Eigenen – ob es nun die eigene Kultur, Religion oder auch die eigene Person ist – erweist sich in der Kritik." In diesem Sinne hoffe ich, meine Damen und Herren, dass der heutige Tag nicht als Schlusspunkt der Auseinandersetzung mit der Reformation in Erinnerung bleibt, sondern als Einladung: als Einladung, in der kritischen Auseinandersetzung - im Zweifeln, im Suchen, im Fragen - die Liebe zum Eigenen zu pflegen.