Historische Atom-Einigung mit Iran nutzen

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Im Wortlaut: Steinmeier Historische Atom-Einigung mit Iran nutzen

Außenminister Steinmeier äußert sich in einem Zeitungsbeitrag zur Wiener Einigung der E3+3 mit Iran über das Atomprogramm. Es sei gelungen, eine politische Lösung für einen brandgefährlichen Konflikt zu finden. Ein neues Kapital im Verhältnis Irans zum Westen könne damit aufgeschlagen werden, so Steinmeier.

  • Ein Beitrag von Frank Walter Steinmeier
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen (AA).

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Foto: Bundesregierung/Denzel

Man muss kein Pathos bemühen, um die Wiener Vereinbarung über das iranische Atomprogramm historisch zu nennen. Es ist gelungen, eine politische Lösung für einen brandgefährlichen Konflikt zu finden, der die Welt bereits mehrfach an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung gebracht hatte und — mehr noch — in Zukunft zu bringen drohte. Die Vereinbarung bringt ein Mehr an Sicherheit für die Region und schließt einen Griff Teherans nach der Atombombe langfristig und nachprüfbar aus. Weitreichende Beschränkungen der iranischen Nuklearaktivitäten sind mit einem engmaschigen, umfassenden Kontrollregime abgesichert.

Im Gegenzug erhalten die Iraner sukzessive eine Lockerung, Suspendierung und dann auch Aufhebung des vielschichtigen Sanktionsregimes, wohlgemerkt immer erst dann, wenn die von Teheran verlangten und vereinbarten Schritte der Begrenzung und Kontrolle des Atomprogramms verifiziert sind. Die damit verbundene Öffnung wird, da bin ich sicher, die Wirtschaft und die Gesellschaft Irans tiefgreifend verändern und könnte zugleich ein neues Kapitel im Verhältnis Irans zum Westen aufschlagen.

Präsident Rohani hatte den eingeschlagenen Weg echter Verhandlungs- und Veränderungsbereitschaft bereits 2013 bei den Präsidentschaftswahlen dem Votum seines Volkes vorgelegt. Das Ergebnis war klar: Die meisten Menschen in Iran wollten das Abkommen, auch weil sie sich nach der damit verbundenen Öffnung nach innen und außen sehnen. Wir haben jedes Interesse daran, diese Entwicklungen zu stärken und unsere bilateralen Beziehungen mit Teheran neu zu beleben — politisch und wirtschaftlich, aber auch kulturell und zwischengesellschaftlich.

Es geht aber um noch mehr: Die Wiener Vereinbarung eröffnet Iran auch die einmalige Gelegenheit, jetzt, nach jahrzehntelanger Isolation und Konfrontation, auf die Staatengemeinschaft zuzugehen. Sie lässt hoffen, dass sich in Teheran auch über Wien hinaus eine Politik durchsetzt, die im Mittleren Osten nicht mehr nur Gegner, sondern potentielle Partner und Win-win-Konstellationen sieht. Mit dem E3+3-Format haben wir ein funktionierendes Verhandlungsformat geschaffen, das jahrzehntelange Sprachlosigkeit zwischen Iran und den Vereinigten Staaten überwinden half und gleichzeitig die großen internationalen Spieler hat zusammenrücken und gemeinsame Interessen vertreten lassen. Vielleicht können wir jetzt das Momentum der historischen Einigung von Wien nutzen, um anderswo in der Region Versuche zu starten, die schweren Konflikte zu entschärfen.

Dafür — das zeigt die Wiener Vereinbarung — braucht es zwei Dinge: Einigkeit der internationalen Gemeinschaft und den festen Willen, nach gemeinsamen Interessen zu handeln, aber auch die Geduld und Bereitschaft, sich einer Lösung in kleinen, pragmatischen Schritten zu nähern, Misstrauen abzubauen und Ideen und Gesprächsformate zu erproben. Das ist auch unser Ansatz in Libyen, wo wir vor einem Monat in Berlin mit dem Sondergesandten der Vereinten Nationen die Konfliktparteien zusammengebracht haben.

Aber nirgendwo wäre das dringlicher als in Syrien, wo der Bürgerkrieg nun im fünften Jahr wütet. Zehn Millionen Menschen sind auf der Flucht, eine Viertelmillion ums Leben gekommen. Je länger der Konflikt andauert, desto mehr sind auch wir in Deutschland davon betroffen — nicht nur von Flüchtlingsströmen, die wir in diesem Ausmaß seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt haben, sondern auch von der Ausbreitung von Terrorgruppen wie dem IS.

Die syrischen Fronten scheinen verhärteter denn je — militärisch genauso wie politisch. Was 2011 inmitten des Arabischen Frühlings vielen wie ein friedlicher Aufstand gegen Willkür und Unterdrückung erschien, hat schnell Züge eines ethnisch-konfessionell-ideologischen Stellvertreterkriegs angenommen, der auf dem Rücken des syrischen Volks ausgetragen wird. Ausländische Kämpfer und zahllose islamistische Milizen bestimmen das Bild. Der syrischen Armee ist jedes noch so grausame Mittel recht, um Assads Machtanspruch zu verteidigen. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr, die Reste eines syrischen Gemeinwesens zu retten. In Syrien sind bislang alle Bemühungen der Vereinten Nationen gescheitert, die Konfliktparteien für eine friedliche Lösung in die Pflicht zu nehmen, nicht zuletzt an der Uneinigkeit des Sicherheitsrats und einem amerikanisch-russischen Interessengegensatz. Ich setze darauf, dass das bald schon überwindbar wird, denn auch Moskau sieht, dass das Assad-Regime immer mehr in Bedrängnis gerät. Auch die Nachbarstaaten müssen mitspielen, allen voran die Türkei und Saudi-Arabien, die ein Interesse daran haben müssen, dass Syrien nicht völlig auseinanderfällt. Und es braucht ein Iran, das an einer politischen Friedenslösung beteiligt wird und konstruktiv Anteil nimmt.

Ein solcher Prozess kann nicht gelingen, solange auf der einen Seite die Fassbomben Assads und auf der anderen die Schlächter von IS und andere islamistische Milizen stehen, jede Seite massiv unterstützt von Mächten von außen. Um diesem verhängnisvollen Verlauf der Dinge Einhalt zu gebieten, gibt es nur eine Lösung: Die Weltgemeinschaft muss von außen mit einer Stimme sprechen und handeln. Das mag derzeit unendlich fern erscheinen. Aber die Wiener Einigung im Atomstreit hat gezeigt: Friedliche Konfliktlösungen sind möglich, selbst da, wo Misstrauen und sogar Feindschaft anfangs unüberwindlich scheinen. Das ist mühsam, und es verlangt Geduld und Beharrlichkeit. Aber es lohnt jede Mühe. Der Autor ist Bundesminister des Auswärtigen.