Vielfalt in freiheitlicher Demokratie

Rosch Haschana Vielfalt in freiheitlicher Demokratie

Bundeskanzlerin Angela Merkel wünscht in ihrem Grußwort zum Neujahrsfest Rosch Haschana 5774 am 5. und 6. September allen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, deren Familien und Freunden für das neue Jahr Frieden, Gesundheit und Wohlergehen.

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Jüdische Synagoge in Berlin

Die Jüdische Synagoge in Berlin

Foto: picture-alliance/ dpa

"Zu Rosch Haschana grüße ich Sie sehr herzlich. Mögen Friede, Gesundheit und Wohlergehen Sie, Ihre Familien und Freunde in Deutschland, Israel und der ganzen Welt im neuen Jahr begleiten!

Im kommenden Jahr kehren Gedenktage wieder, die uns Deutsche in besonderer Weise innehalten lassen, führen sie uns doch das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte vor Augen. Ich erinnere etwa nur an den 75. Jahrestag der Novemberpogrome. Er ist uns ein eindringlicher Fingerzeig, wie erschreckend kurz der Weg von Vorurteilen und Diffamierung über Ausgrenzung bis hin zu Entrechtung und blanker Gewalt sein kann. Deutschland - ein Land großartiger Traditionen, ein Land mit einer auch vom jüdischen Leben geprägten reichen Kulturgeschichte - wurde binnen weniger Jahre ein Land der Täter, Mitläufer und Wegseher; ein Land, das alle Regeln der Menschlichkeit verletzte.

Zahlreiche Initiativen im Rahmen des aktuellen Berliner Themenjahres "Zerstörte Vielfalt" lassen die bittere Zäsur zumindest erahnen, die der unfassbare Zivilisationsbruch der Shoah, die millionenfache Verfolgung und Ermordung jüdischer Familien, bedeutete. Eingedenk dieser beispiellosen Verbrechen nimmt es sich wie ein Wunder aus, heute inmitten unserer Gesellschaft eine wachsende jüdische Gemeinschaft zu haben, die in Deutschland ihren Traditionen zu neuer Blüte verhilft. Die wissenschaftlichen Ausbildungsstätten für angehende Rabbiner und Kantoren sind nur ein Beispiel dafür. Auch an der Einrichtung eines Lehrstuhls für die Geschichte der jüdischen Musik und an der Eröffnung des konservativen Rabbinerseminars können wir mutmachende Entwicklungen ablesen, die in Europa einzigartig sind. Dazu zählt auch, dass - ganz im Geiste Abraham Geigers - die jüdische Theologie in Deutschland einen gleichberechtigten, festen Platz im Haus der Wissenschaft erhält. Für dieses zukunftsweisende Signal auch weit über unsere Landesgrenzen hinaus bin ich sehr dankbar.

Die jüdische Gemeinschaft hierzulande vereint Menschen verschiedenster Herkunft. Zunehmend kommen auch junge Menschen aus Israel zu uns, um bei uns zu leben und zu arbeiten. In den 65 Jahren seit Gründung des Staates Israel ist ein starkes Band der Partnerschaft und Freundschaft zwischen Israel und Deutschland entstanden. Ob politische oder wissenschaftliche Zusammenarbeit, ob Städtepartnerschaften oder Jugendaustausch - ich freue mich sehr über ein enges und vielfältiges Miteinander unserer beider Länder.

In den einzigartigen deutsch-israelischen Beziehungen liegen Verantwortung für die Vergangenheit und Zukunftsgestaltung besonders eng beieinander. Dabei wissen wir um das Wesen lebendiger Vielfalt als Quelle kulturellen Reichtums. Vielfalt ist Ausdruck jeder freiheitlichen Demokratie. Leider erleben wir immer wieder Angriffe auf unsere kulturelle Vielfalt. Es ist und bleibt also unsere Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass alle Menschen, ungeachtet ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit, ein Leben in Sicherheit und Freiheit führen können. Auch und gerade die Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit macht uns bewusst, wie zerbrechlich das kostbare Gut der Menschenwürde ist. Sie gilt es im tagtäglichen Umgang miteinander zu bewahren, zu schützen und, wenn nötig, zu verteidigen. Das zeichnet ein weltoffenes, tolerantes und lebenswertes Land aus. Lassen Sie uns in diesem Sinne auch im neuen Jahr Deutschland gemeinsam gestalten. Schana Tova!"