Verantwortung in und für Europa

25 Jahre Versöhnungsmesse Verantwortung in und für Europa

In Polen hat die Kanzlerin am 25. Jubiläum der Versöhnungsmesse teilgenommen. Auf Gut Kreisau erinnerte sie zusammen mit der polnischen Ministerpräsidentin Kopacz an die Friedliche Revolution. Erst der Fall der Berliner Mauer habe eine umfassende Versöhnung beider Nationen ermöglicht, so Merkel.

Bundeskanzlerin Angela Merkel geht durch die Ausstellung "Mut und Versöhnung".

Gang durch die Freilicht-Ausstellung "Mut und Versöhnung".

Foto: Bundesregierung/Denzel

In ihrer Ansprache betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Erst mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der Berliner Mauer öffnete sich die Tür zu einer in der Tat umfassenden Versöhnung."

Auf Gut Kreisau, wo sich die Widerstandskämpfer des Kreisauer Kreises regelmäßig getroffen hatten, nahm die Kanzlerin an einem Festakt der "Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung" teil. Gemeinsam mit Ministerpräsidentin Ewa Kopacz unternahm sie einen Spaziergang durch die neugestaltete Freilichtausstellung "Mut und Versöhnung".

Lehren aus der Geschichte

Kreisau - dieser Name stehe für Verständigung, Versöhnung und Partnerschaft. Es sei ein "Ort des deutschen Widerstands und des freien Worts", erinnerte Merkel in ihrer Rede. Mitten im Zweiten Weltkrieg sei hier über die Nachkriegsvision eines freien Europas gleichberechtigter Völker diskutiert worden. "Die Versöhnungsmesse drei Tage nach dem Mauerfall in Berlin hat diesen Geist in jener historischen Stunde ganz unmittelbar spürbar gemacht."

Am 12. November 1989 trafen sich Bundeskanzler Helmut Kohl und der polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki auf Gut Kreisau (polnisch Krzyżowa). Kurz nach dem Fall der Mauer in Berlin feierten sie im Innenhof des historischen Gutshofs - damals noch eine LPG - gemeinsam eine Versöhnungsmesse. Die anschließende Umarmung der Regierungschefs war ein Zeichen der Versöhnung. Diese Geste des Friedens gilt als ein Neubeginn in den polnisch-deutschen Beziehungen. Der damalige Besuch wurde mit der Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung beendet.

Die Messe sei "ein Meilenstein auf einem Weg, der zuvor mühsam beschritten wurde", so die Kanzlerin. Vorangegangen waren die deutsche Besatzungsherrschaft in Polen und die systematische Auslöschung jüdischen Lebens in Europa - "der Zivilisationsbruch der Shoa". Merkel stellte klar, Deutschland sei "sich seiner immerwährenden Verantwortung für diese Schrecken bewusst."

Erinnern, um zu versöhnen

Dies sei der geschichtliche Hintergrund, vor dem die Vertreibung von Millionen Deutscher aus dem heutigen Polen gesehen werden müsse. "Vertreibung ist schlimmes Unrecht - doch ohne die vorangegangenen Verbrechen Deutschlands im Nationalsozialismus wäre es nicht denkbar gewesen", betonte die Bundeskanzlerin.

Deshalb blickten die Deutschen "mit großem Respekt und tiefer Dankbarkeit" auf den Mut und das Freiheitsstreben der Menschen in anderen Staaten des einstigen Ostblocks. Besonders Polen, das "unsägliches Leid durch Deutsche erfahren" habe, gebühre Dank für seinen Mut und die Vorreiterschaft bei den politischen Umwälzungen im Jahr 1989.

Gemeinsame Verantwortung in und für Europa

Die Kanzlerin zog eine positive Bilanz der vergangenen Jahrzehnte. "25 Jahre nach der Kreisauer Versöhnungsmesse haben wir vieles erreicht, wovon Deutsche und Polen vor einem Vierteljahrhundert nur träumen konnten: Deutschland ist wiedervereinigt. Wir leben frei und in Frieden mit all unseren Nachbarn. Polen ist frei und Mitglied in der Nato und in der Europäischen Union."

Zehn Jahre nach dem EU-Beitritt Polens sei die Zusammenarbeit enger denn je, stellte Merkel fest und nannte als Beispiel das Weimarer Dreieck aus Deutschland, Polen und Frankreich. Überdies rücke mit Donald Tusk am 1. Dezember "erstmals ein Vertreter eines sogenannten ehemaligen Ostblockstaats an die Spitze des Europäischen Rates."

Polen und Deutschland träten für Freiheit und Sicherheit ein. Wie wichtig das sei, zeige sich "auch und gerade angesichts der Krise in der Ukraine, deren territoriale Integrität fortwährend verletzt wird", betonte die Kanzlerin. Sie stellte klar: "Für uns gilt die Stärke des Rechts - und nicht die Inanspruchnahme eines angeblichen Rechts eines Stärkeren. Für uns sind Nachbarländer Partner und keine Einflusssphären."

Das Glück der Einheit in Freiheit verteidigen

Die Vergangenheit lehre, so Merkel, "dass unser Weg in Europa ein Weg der Partnerschaft und des friedlichen Ausgleichs der Interessen sein muss." Die Europäer seien heute zu ihrem Glück vereint, dieses müsse man jedoch "immer wieder verteidigen."

Dies gemeinsam zu tun, mache sie sehr froh, sagte die Kanzlerin - "auch weil wir die wunderbare Erfahrung teilen, die wir vor 25 Jahren gemacht haben: Veränderung zum Guten ist möglich. Dies sollte uns auch in unserem weiteren Zusammenwirken anspornen - zum Wohle unserer beiden Nationen, zum Wohle Europas und seiner Menschen."

Zum Abschluss ihres Besuchs nahm die Bundeskanzlerin in Niederschlesien an einem ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Friedenskirche in Schweidnitz (Świdnica) teil. Der barocke Holzbau gehört - wie die Friedenskirche in Jauer (Jawór) - seit 2001 zum Unesco-Weltkulturerbe.

Der Kreisauer Kreis war eine bürgerliche Widerstandsgruppe in der Zeit des Nationalsozialismus. Sie diskutierte Pläne zur politisch-gesellschaftlichen Neuordnung nach dem angenommenen Zusammenbruch der Hitler-Diktatur. Die Gruppe bildete sich 1940. Ihre Führungspersönlichkeiten waren Helmuth James Graf von Moltke, Besitzer des Gutes Kreisau in Niederschlesien, und Peter Graf Yorck von Wartenburg.

Nach der Verhaftung von Moltkes Anfang 1944 löste sich die Gruppe de facto auf. Einige Kreisauer schlossen sich der Widerstandsgruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg an. Nach dessen Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gelang es Hitlers Geheimer Staatspolizei, die Arbeit des Kreises aufzudecken. Sie benannte die Widerstandsgruppe nach ihrem Tagungsort als "Kreisauer Kreis" – vermutlich wurde der Begriff von Theodor Haubach während seiner Verhöre benutzt – und prägte damit den Begriff, der Eingang in die Geschichtsschreibung fand.