Tag der Befreiung und der Dankbarkeit

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Im Wortlaut: Merkel Tag der Befreiung und der Dankbarkeit

Vor 70 Jahren landeten alliierte Truppen in der Normandie, um Europa vom Terror des deutschen Nationalsozialismus zu befreien. Der sogenannte D-Day "möge für uns Ansporn sein, gemeinsam für das Gelingen Europas einzutreten - für ein Europa, in dem die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt", schreibt die Kanzlerin in einem Namensbeitrag für die französische Zeitung "Ouest France".

  • Ein Beitrag von Angela Merkel

Am 6. Juni 1944 landeten die alliierten Truppen an der Küste der Normandie, um Europa von der Schreckensherrschaft Deutschlands im Nationalsozialismus zu befreien. In diesem schicksalhaften Tag vor 70 Jahren spiegelt sich die Entschlossenheit der freien Welt wider, Terror und Unterdrückung zu trotzen und eigene Werte und Überzeugungen zu verteidigen. Hunderttausende Menschen zahlten hierfür den höchsten Preis. Sie kehrten nie zu ihren Familien zurück. Der 6. Juni ist ein Tag der Befreiung, aber auch der Demut und Dankbarkeit angesichts der gewaltigen Opfer, zu denen die Alliierten bereit waren.

Nach Kriegsende, noch in den Trümmern Europas, begann ein neues Denken. Es kam einem Wunder gleich: Die tiefen Gräben, die Krieg und Gewalt über Jahrzehnte und Jahrhunderte in Europa gerissen hatten, wurden überwunden. Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer besiegelten ihre Politik der ausgestreckten Hand mit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags. Mit ihm wurde vor über 50 Jahren der Grundstein gelegt, auf dem die deutsch-französische Partnerschaft aufbaut.

Der ungebrochene Wille zur Versöhnung und der Wunsch von Franzosen und Deutschen, gemeinsam eine friedliche, bessere Zukunft zu gestalten, gehören für mich zu den bewegendsten und inspirierendsten Momenten der jüngeren Geschichte. Nichts muss so bleiben, wie es ist. Aus einem Gegeneinander kann ein Miteinander werden – welch eine wunderbare Erfahrung, die sich 1989/90 wiederholen sollte und die auch mit Blick auf die heutige Welt hoffen lässt.

Vor 25 Jahren war uns Deutschen das beispiellose Glück der Wiedervereinigung unseres Landes beschieden. Mit dem Fall der Berliner Mauer wurde zugleich der Weg für ein geeintes Europa frei. Nach Jahrzehnten der Trennung fanden wir Europäer in Frieden und Freiheit zusammen. Die Einigung Europas war, ist und bleibt die einzig überzeugende Antwort auf die allzu leidvolle Geschichte unseres Kontinents.

Dennoch erfahren wir in diesen Wochen, dass alte, gefährliche Denkmuster keineswegs zur Gänze in die Geschichtsbücher verbannt wurden. Wie schnell Frieden und Freiheit infrage stehen können, führt uns der Konflikt in der Ukraine schmerzlich vor Augen. Die Sorge vor neuen Gräben und Trennlinien ist groß.

Ich wünsche uns allen, die wir der Opfer des 6. Juni 1944, des millionenfachen Leids zweier Weltkriege und des Holocausts, der Tragödie der Teilung Europas ehrend gedenken, dass wir uns unserer gemeinsamen Überzeugungen und Werte vergewissern. Diese Überzeugungen und Werte einen uns in Europa – sie sind mit Krieg, Gewalt und Vorurteilen nicht vereinbar. So möge uns der 6. Juni auch Ansporn sein, weiter gemeinsam für das Gelingen Europas einzutreten – für ein Europa, in dem die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt.