Sicherheit umfassend gewährleisten

Merkel-Interview Sicherheit umfassend gewährleisten

Pflicht der Bundesregierung sei es, "aufzuklären, was geschehen ist und ob Rechte deutscher Staatsbürger verletzt worden sind oder nicht". Das erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger zur Datenüberwachung durch die NSA.

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Das Interview im Wortlaut:

Kölner Stadtanzeiger (KStA): Frau Bundeskanzlerin, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wirft Ihnen in der NSA-Affäre vor, Sie verletzten Ihren Amtseid und schützten die Deutschen nicht vor Ausspähung. Lassen Sie das Volk im Stich?

Angela Merkel: Meine Aufgabe als Bundeskanzlerin ist es, dafür zu arbeiten, dass die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger umfassend gewährleistet ist. Damit meine ich die Sicherheit vor terroristischen Angriffen und anderen Formen von Gewalt und Kriminalität wie auch die Sicherheit der persönlichen Daten, also den Schutz der Privatsphäre. Beides muss immer wieder in eine Balance gebracht werden.

KStA: Das beantwortet die Frage nach Steinbrücks Vorwurf nicht. Ist die Abhör-Affäre ein zugkräftiges Thema für den Wahlkampf?

Merkel: Es beantwortet Ihre Frage sehr wohl. Nun bemühen wir uns aufzuklären, was geschehen ist und ob Rechte deutscher Staatsbürger verletzt worden sind oder nicht. Das ist die Pflicht der Bundesregierung. Eine endgültige Antwort können wir erst geben, wenn wir nicht nur Berichte, sondern überprüfbare Fakten haben. Im Übrigen werden in einem Wahlkampf all die Themen behandelt, die dem Bürger wichtig sind. Mit allem, was die Bürger bewegt, habe ich mich als Politikerin zu befassen und als Regierungschefin die bestmöglichen Lösungen zu finden, die unseren deutschen Werten und Interessen entsprechen und den Menschen dienen.

KStA: Aber Ihr Herausforderer bezichtigt Sie doch nun des Eidbruchs.

Merkel: Das ist Opposition.

KStA: Sie ärgern sich darüber kein bisschen?

Merkel: Ich mache meine Arbeit.

KStA: Und was tun Sie dann in der Abhör-Affäre?

Merkel: Ich setze mich erstens dafür ein, dass unsere Fachleute den Sachverhalt aufklären. Ich mache dabei vorneweg klar, was für mich als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Priorität hat, und das ist, dass auf deutschem Boden deutsches Recht eingehalten werden muss, auch von den Nachrichtendiensten befreundeter Staaten. Ob das in der Vergangenheit immer so war, muss jetzt geklärt werden. Und ich erwarte zweitens, dass dies für die Zukunft sichergestellt ist.

KStA: Sie sprechen von der Notwendigkeit einer Balance zwischen Gefahrenabwehr und Datenschutz. Hat sich diese Balance nicht längst einseitig in Richtung der Sicherheit verschoben - zulasten der bürgerlichen Freiheiten?

Merkel: Beide Werte, Freiheit und Sicherheit, stehen in einem gewissen Konflikt zueinander, und zwar seit jeher, und in einem demokratischen Staat müssen sie genau deshalb immer wieder ins Gleichgewicht gesetzt werden. Für Deutschland kann ich mit Überzeugung sagen, dass wir diese Balance bewahren wollen. Die sehr strikten deutschen Gesetze zum Beispiel im Hinblick auf die Telekommunikation dienen diesem Ziel. Es gibt eine parlamentarische Kontrolle. Aber die Kommunikation ist im globalisierten digitalen Zeitalter buchstäblich grenzenlos geworden, und damit verläuft sie teilweise auch außerhalb des Geltungsbereichs unseres Rechts. Wir brauchen also dringend internationale Vereinbarungen, die sowohl dem Schutz der Privatsphäre eines jeden als auch dem Schutz vor vielfältigen Bedrohungen dienen. Unser nationales Recht allein reicht da nicht aus.

KStA: Sondern?

Merkel: Das Ziel ist ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen. Dabei müssen wir auch wissen, dass schon innerhalb der EU das Verständnis, welche Eingriffe in die Telekommunikation verhältnismäßig sind und welche nicht, sehr unterschiedlich ist - und in Amerika gibt es noch einmal eine andere Einstellung dazu. In der EU verhandeln wir nun sehr engagiert über eine EU-Datenschutz-Grundverordnung.

KStA: … die als EU-Recht an die Stelle des deutschen Datenschutzgesetzes träte.

Merkel: … bei der wir uns bemühen müssen, so viel wie möglich von unserem hohen deutschen Standard auf europäischer Ebene durchzusetzen, dass es also keine qualitativen Abstriche von unseren Standards gibt, sondern ein qualitativ hochwertiger gemeinsamer anspruchsvoller EU-Datenschutzstandard entsteht, der für uns von hohem Wert wäre. Derzeit müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, dass beispielsweise ein Unternehmen wie Facebook, das in Irland registriert ist, irischem Recht unterliegt. Womit ich gar nichts gegen irisches Recht sagen möchte, sondern vielmehr, dass wir uns bei den Verhandlungen in der EU jetzt entschieden dafür einsetzen, dass in Europa ansässige Internetfirmen Auskunft darüber geben müssen, an wen sie Daten weitergeben. Bis jetzt konnte darüber keine Einigung mit den Unternehmen erzielt werden. Wir werden aber auf eine entsprechende Verpflichtung drängen.

KStA: Innenminister Hans-Peter Friedrich sagte nach seinem USA-Besuch, durch den Austausch abgehörter Daten seien in Deutschland mindestens fünf Anschläge verhindert worden. Welche Erkenntnisse haben Sie persönlich darüber?

Merkel: Ich nenne keine Zahlen. Das wird im Parlamentarischen Kontrollgremium erörtert. Es ist bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst seit Jahrzehnten zum Beispiel mit amerikanischen Nachrichtendiensten zusammenarbeitet, wozu auch ein regelmäßiger Austausch von Informationen gehört. Unsere beiden Länder sind engste Freunde und Verbündete. Wir haben Sicherheitshinweise aus den USA bekommen, denken Sie an die so genannte "Sauerlandgruppe", und ich gehe davon aus, dass der BND es umgekehrt genauso hält und im Fall der Gefährdung amerikanischer Staatsbürger Informationen teilt. Der BND und unsere anderen Dienste arbeiten für unsere Sicherheit, und zwar streng im Rahmen der Gesetze und unter Kontrolle des Deutschen Bundestages.

KStA: Sehen Sie kein Problem darin, dass deutsche Behörden - um das bekannteste Beispiel zu nennen - die "Sauerland-Terrorzeile" enttarnen konnten, weil sie Zugriff auf womöglich illegal gewonnene Daten aus den USA hatten?

Merkel: Wir kontrollieren unsere deutschen Nachrichtendienste nach unserer Rechts- und Gesetzeslage. Dazu gehört, dass wir jetzt nach den aktuellen Berichten über flächendeckende Dateiüberwachungen prüfen, was davon zutrifft und dann die Schlussfolgerungen daraus ziehen werden. Der Bundesinnenminister hat dazu ausführliche Gespräche in Washington unter anderem mit dem amerikanischen Justizminister geführt und unsere Überzeugungen deutlich gemacht.

KStA: Der Hinweis auf nationale "Rechts- und Gesetzeslage" ist trickreich: Die NSA tut, was der BND bei uns nicht tun darf und beide haben was davon.

Merkel: Nein, es geht um Bedrohungen, die uns alle gemeinsam treffen und denen wir alle gemeinsam begegnen müssen. Weil wir engste Partner und Verbündete sind, helfen wir uns gegenseitig. Es bleibt dennoch dabei, dass ich einfordere, dass in Deutschland deutsches Recht zu beachten ist.

KStA: Über all das können Sie mit den USA überhaupt nur reden, weil Edward Snowden ausgepackt und die Praxis der NSA öffentlich gemacht hat. Ist er für Sie ein Held - oder ein Verräter?

Merkel: Ich maße mir kein Urteil über einen Menschen an, von dem ich nur das eine oder andere gelesen habe. Was wir wissen, ist, dass er für einen amerikanischen Nachrichtendienst gearbeitet hat und sich entschloss, seine Bedenken im Gespräch mit Medien zu schildern und sie nicht zum Beispiel einem Kongress-Abgeordneten oder Senator zu offenbaren, die sich mit den Geheimdiensten auseinandersetzen.

KStA: Aber Sie müssten Ihm doch dankbar sein.

Merkel: Als Bundeskanzlerin nehme ich das, was aufgrund seiner Berichte nun diskutiert wird, sehr ernst, indem ich mich um Aufklärung darüber bemühe, was von diesen Berichten zutrifft. Dabei halte ich fest, dass für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auch in Zukunft Nachrichtendienste wichtig und unverzichtbar sind.

Das Interview führten Joachim Frank, Burkhard von Pappenheim und Christian Wiermer für den Kölner Stadtanzeiger und den Berliner Kurier .