Scheitert der Euro, dann scheitert mehr

Interview Scheitert der Euro, dann scheitert mehr

Mit den Bürgschaftspaketen für Griechenland wie für die gesamte Eurozone seien die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die gemeinsame Währung stabil bleibe, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Jetzt komme es in Europa darauf an, die öffentlichen Haushalte wieder in Ordnung zu bringen.

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  • Süddeutsche Zeitung
Bundeskanzlerin Angela Merkel während einer Pressekonferenz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Foto: REGIERUNGonline / Faßbender

SZ: Frau Bundeskanzlerin, was ist falsch an dem Satz: Für die Griechen ist Geld da, für Steuersenkungen nicht?

 

Merkel: Er stellt einen falschen Zusammenhang her. Wir müssen mit den Bürgschaftspaketen für Griechenland wie auch jetzt für die gesamte Eurozone und den ökonomisch wie rechtlich strikten Voraussetzungen dafür sicherstellen, dass unsere gemeinsame Währung stabil bleibt. Damit schützen wir das Geld unserer Bürgerinnen und Bürger.

 

SZ: Viele Bürger haben aber das Gefühl, Deutschland sei der Zahlmeister Europas.

 

Merkel: Deutschland ist die stärkste Wirtschaftsnation Europas. Jedes Land leistet seinen Beitrag seiner Größe und Stärke entsprechend. Ich bin zutiefst überzeugt, dass die große Mehrzahl der Bürger die Europäische Union will. Von der europäischen Integration und der gemeinsamen Währung profitiert Deutschland – auch wirtschaftlich – erheblich, und das wissen die Menschen. Es gibt aber vollkommen verständliche Sorgen in Bezug auf den Euro - vor allem mit Blick auf die riesigen Haushaltsdefizite, die in Europa zuletzt durch die Bekämpfung der Finanzkrise aufgelaufen sind. Europa muss die öffentlichen Haushalte in den kommenden Jahren wieder ins Lot bringen und die Schulden abbauen.

 

SZ: Eben. Die Bürger wissen, dass auch in Deutschland kräftig gespart werden muss, und kommen deshalb zu dem Schluss, dass sie mit ihrem Geld nicht auch noch die Probleme der ganzen Welt lösen können.

 

Merkel: Vollkommen richtig, natürlich können wir nicht die Probleme der ganzen Welt lösen. Darum geht es auch nicht, sondern um die Probleme unserer eigenen gemeinsamen Währung. Es geht um die Verantwortung in Europa und für den Euro, der eine wichtige Grundlage unseres Wohlstandes ist. Mit der D-Mark hätten wir zum Beispiel die Finanzkrise mit Sicherheit weniger gut überstanden Deshalb können wir uns jetzt, wenn die Stabilität der Eurozone bedroht ist, im ganz eigenen deutschen Interesse, nicht einfach aus der Verantwortung davon stehlen. Die Entscheidungen fallen in Europa wie immer erst nach intensiven Verhandlungen, weil es gilt, völlig unterschiedliche Mentalitäten, Stärken und Stabilitätskulturen zu einem gemeinsamen Ergebnis zusammenzuführen. Aber, und das bleibt festzuhalten: Alle, ohne jede Ausnahme, haben dafür gekämpft, Europa zu diesem gemeinsamen Ergebnis zu führen. Das Signal, das wir damit gesendet haben, lautet: Europa steht zusammen.

 

SZ: Welche Sicherungen haben Sie in den EU-Absprachen eingebaut, damit Sie bei der Verteilung deutscher Steuergelder weiter mit entscheiden?

 

Merkel: Mein Ziel bei den Verhandlungen der letzten Wochen war, dass die Probleme an der Wurzel bekämpft werden, und zwar an der schlechten Haushaltslage in einzelnen Ländern und deren Mangel an Wettbewerbsfähigkeit. Das Problem nicht nachhaltiger Staatsfinanzen eines Landes kann man nicht durch zusätzliche Finanzierungen lösen, sondern nur durch mehr Einnahmen und weniger Ausgaben im Haushalt. Aus diesem Grund habe ich darauf bestanden, den Internationalen Währungsfonds einzubinden und zunächst die Länder, die in Schwierigkeiten sind, zu verpflichten, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um ihre öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen, bevor Hilfe von außen in Frage kommt. Zudem haben wir vereinbart, dass abgesehen von den 60 Milliarden aus dem EU-Haushalt jede Entscheidung über Hilfszusagen in dem Paket, dass das Kabinett diese Woche beschlossen hat, einstimmig  fallen muss. Wir werden auf die strikte Einhaltung der Zugangsbedingungen und der Programme zur Haushaltskonsolidierung achten.

 

SZ: Die Opposition wirft Ihnen vor, gezögert und die Bewältigung der Krise noch verteuert zu haben.

 

Merkel: Das ist das gute Recht der Opposition, geht aber an den Tatsachen vorbei. Ich habe die Dinge so entschieden, wie ich es rechtlich und ökonomisch für richtig halte. Daher ging es mir im Falle Griechenlands darum, bei den eigentlichen Ursachen, dem hohen Defizit und der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit anzusetzen. Deshalb musste auch der IWF mit seinen Erfahrungen einen Beitrag leisten. Genauso werde ich alle weiteren Entscheidungen treffen.

 

SZ: Eine weitere Sorge der  Menschen ist die Frage, ob sie sich auf eine Inflation einstellen müssen.

 

Merkel: Die Europäische Zentralbank ist eine Notenbank mit klarem stabilitätsorientierten Kurs. Sie steht glaubwürdig für den Erhalt einer stabilen Währung.

 

SZ: Auch nach den Entscheidungen vom vergangenen Wochenende noch, als die EZB unter dem Druck der Krise eherne Prinzipien über Bord werfen musste?

 

Merkel: Ich habe volles Vertrauen in die EZB. Sie hat auch bereits in der Bankenkrise verantwortungsvoll und schnell gehandelt und den Euro stabil gehalten. Es geht insgesamt nicht nur um den Euro. Es geht bei der Stärkung der gemeinsamen Währung darum, ob mit der Währungsunion die ganze europäische Idee ins Wanken gerät. Denn wir wissen: Scheitert der Euro, dann scheitert mehr. Im Übrigen emittiert die EZB Geld für den Kauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt, dafür reduziert sie die Geldmenge aber an anderer Stelle. Das ist ein sehr starkes Signal im Kampf gegen die Inflation.

 

SZ: Mit dem Aufbau des 750 Milliarden Euro teuren Rettungsschirms für die Währungsunion haben Sie die eigentlichen Ursachen der Krise nicht beseitigt.

 

Merkel: Das ist wahr. Das eigentliche Problem sind insbesondere die hohen Haushaltsdefizite in den Euro-Ländern. Deshalb hat Deutschland in den Verhandlungen mit den Partnern darauf bestanden, dass das Problem bei der Wurzel angepackt werden muss, das heißt das die Länder die Staatsfinanzen in Ordnung bringen und sich um eine bessere Wettbewerbsfähigkeit bemühen müssen. Langfristig werden wir die Stabilität des Euro nur sichern können, wenn Europa in der Finanzpolitik weiter zusammenrückt. Das ist die eigentliche Konsequenz, die gezogen werden muss. Und bei einer solchen stärkeren Verzahnung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik in Europa dürfen nicht die Schwächsten die Entschiedenheit bestimmen, sondern die Stärksten, damit es gelingen kann.

 

SZ: Müssen wir den Spekulanten also dankbar sein, dass sie die Probleme der Eurozone offen zu Tage befördert haben?

 

Merkel: Nein, denn es gab auf den Finanzmärkten maßlose Übertreibungen. Wir werden deshalb dafür sorgen, dass es in wichtigen Bereichen, etwa bei Leerverkäufen von Wertpapieren und beim Handel mit Kreditausfallversicherungen, strikte Begrenzungen gibt.

 

SZ: Bislang sind die Akteure auf den Finanzmärkten wenig beeindruckt von Ihren Regulierungsbemühungen. Wenn etwa eine Ratingagentur inmitten der Verhandlungen über die Griechenland-Rettung die Anleihen der Regierung in Athen herabstuft und dadurch das Problem vergrößert, ist das doch ein offener Affront.

 

Merkel: Wir werden die Rolle der Rating-Agenturen neu bewerten. In einem gemeinsamen Brief mit Präsident Sarkozy habe ich die Europäische Kommission aufgefordert, hierzu, genauso wie zu weiteren Regulierungen, rasch Vorschläge zu machen.

 

SZ: Das alles haben Sie nach der Bankenkrise auch schon gesagt - und trotzdem ist das jetzt der zweite Fall binnen eineinhalb Jahren, in dem die Märkte die Regierungen dazu zwingen, ein gigantisches Hilfspaket bereitzustellen. Wie oft steht die Politik das noch durch?

 

Merkel: Es führt kein Weg daran vorbei, einerseits durch konsequente Konsolidierung der Haushalte die Angreifbarkeit zu verringern und andererseits zugleich die Regulierung der Märkte voranzutreiben.

 

SZ: Sie könnten die Märkte sehr viel stärker reglementieren als das bislang vorgesehen ist.

 

Merkel: Einiges können wir national tun, vieles international. Wir haben in der G 20, der Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, bereits viele Dinge auf den Weg gebracht, die jetzt in der Umsetzung sind. In Demokratien geht es dann darum, die Dinge in nationales Recht umzusetzen. Das gelingt aber nur in einem gemeinsamen Vorgehen von Europa und Amerika. Wir Europäer müssen unsere Regulierungen aber gerade jetzt beschleunigt umsetzen.

 

SZ: Es gibt aber auch Dinge, die Sie daheim vorantreiben könnten. Warum wehren Sie sich beispielsweise gegen die Forderung, eine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen einzuführen, die ja auch in ihrer eigenen Partei erhoben wird?

 

Merkel: Wir werden in Deutschland eine Bankenabgabe einführen, die Eckpunkte wurden bereits im Kabinett verabschiedet, und wir setzen uns weiterhin international für eine angemessene Beteiligung des Bankensektors an der Krisenbewältigung ein. Die Gründe, die gegen eine Finanztransaktionssteuer sprechen, sind bekannt. Es muss geprüft werden, ob und wie diese Gründe entkräftet werden können.

 

SZ: 500 Milliarden Euro für die Banken, eine Billion Euro zur Sicherung der Sparguthaben in Deutschland, 750 Milliarden Euro für die Währungsunion: Wird Ihnen angesichts der Versprechen, die Sie abgegeben haben, nicht manchmal selbst schwindlig?

 

Merkel: Als wir im Herbst 2008 das Bankenrettungspaket geschnürt hatten und wir es zum ersten Mal in einem solchen Zusammenhang mit dreistelligen Milliardensummen für Garantien zu tun hatten, habe ich nach den getroffenen Entscheidungen in meinem Büro einen Teller Linsensuppe gegessen.

 

SZ: Um sich auf harte Zeiten vorzubereiten?

 

Merkel: Nein, um in einer solchen Ausnahmesituation etwas ganz Alltägliches zu tun. So etwas ist mir immer wichtig.

 

SZ: Wie lange können Sie es sich noch leisten, in einer so dramatischen Lage auf einen voll handlungsfähigen Finanzminister zu verzichten?

 

Merkel: Ich habe Wolfgang Schäuble zugesagt, dass ich ihm die Zeit gebe, die er braucht, um wieder richtig zu Kräften zu kommen. Wir kennen das von uns selbst, dass man umso schneller wieder fit ist, je weniger man sich selbst unter Druck setzt. Wenn man sich die Lebensleistung von Wolfgang Schäuble anschaut, und seine große Kompetenz als Finanzminister, dann kann es an ein paar Wochen nicht hängen. Er hat dem Land so viel gegeben.

 

SZ: Auch nicht, wenn es entscheidende Wochen sind? Nach dem Kraftakt um den Euro-Rettungsschirm, bei dem er fehlte, muss er schon im Juni ein Sparprogramm vorlegen, wie es Deutschland noch nicht gesehen hat.

 

Merkel: Ich bin über all das mit ihm im engen Kontakt. Noch vor einer Woche bei der Schlussabstimmung zu Griechenland hat er eine große Rede im Bundestag gehalten, die in der Koalition Begeisterungsstürme ausgelöst hat.

 

SZ: Solche Begeisterungsstürme in der Koalition sind ja sehr selten.

 

Merkel: Richtig. Wolfgang Schäuble ist ein Ausnahmepolitiker.

 

SZ: Das glauben wir sofort. Aber warum braucht es eigentlich eine Wahlniederlage mit minus zehn Prozent, damit Sie als Regierungschefin etwas tun, von dem fast alle lange vorher wussten, dass es getan werden muss: die Pläne für Steuersenkungen fürs erste zu begraben?

 

Merkel: Meine Entscheidungen zu den Steuerplänen haben nichts mit der Landtagswahl in NRW zu tun, sondern – wie ich das stets gesagt habe – mit der in der letzten Woche erfolgten Steuerschätzung. Das ist die Basis für alle weiteren Schritte, auch um manche politischen Wünsche an die Realität anzunähern.

 

SZ: Und zufälligerweise war der Prozess der Annäherung an die Realität am Tag nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen vollzogen?

 

Merkel: Die unterschiedlichen optimistischen Einschätzungen über die Machbarkeit von Steuersenkungen waren bekannt. Die Steuerschätzung gilt der Koalition jetzt als Orientierungspunkt für alle notwendigen Entscheidungen.

 

SZ: Trotzdem haben Sie erst jetzt ein Machtwort gesprochen.

 

Merkel: Ich treffe meine Entscheidungen dann, wenn sie eine belastbare Grundlage haben. Das ist jetzt der Fall. Alles andere wäre unprofessionell und unvernünftig.

 

SZ: Den Krach hatten Sie doch trotzdem. Nochmal: Was war nach der NRW-Wahl plötzlich anders?

 

Merkel: Deshalb auch von meiner Seite nochmal: Auf der Grundlage der Steuerschätzung können wir jetzt die nötigen und richtigen Entscheidungen treffen, die wir unter den neuen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat umsetzen werden.

 

SZ: Jetzt also Haushaltskonsolidierung...

 

Merkel: Für das Jahr 2010 haben wir uns bewusst entschieden, Teile des Konjunkturprogramms noch weiter laufen zu lassen, um die Krise schneller zu überwinden. Ab dem nächsten Jahr greift die Schuldenbremse des Grundgesetzes. Das haben wir so gewollt. Wie notwendig sie ist, das ist durch die Stabilitätsdebatte um den Euro in der ganzen EU stärker ins Bewusstsein der Menschen eingedrungen, auch hier in Deutschland.

 

SZ: Das klingt, als würden Sie sich aufs Sparen freuen.

 

Merkel: Darum geht es nicht. Es wird natürlich harte Fragen geben, wo wir sparen. Ich werde die Haushaltsverhandlungen nicht jetzt über die Zeitung führen. Aber ich kann sagen, dass Konsolidierung und politischer Gestaltungsanspruch sich nicht ausschließen.

 

SZ: Wenn es nach der EU-Kommission geht, müssen Sie den Haushalt dann erst mal in Brüssel zur Kontrolle vorlegen. Finden Sie diesen Vorschlag sinnvoll?

 

Merkel: Er geht eindeutig in die richtige Richtung, über Details sprechen wir dann, wenn sie vorliegen.

 

SZ: Ihr Vizekanzler Guido Westerwelle und die Opposition fürchten um das Königsrecht des Parlaments: das Haushaltsrecht.

 

Merkel: Vollkommen richtig. Das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente darf niemand angreifen, aber strengere Regeln sind notwendig, um mehr Haushaltsdisziplin durchsetzen zu können.

 

SZ: Ihr Parteifreund, der hessische Ministerpräsident Roland Koch, hat auch Ideen: Er möchte Zuwächse in der Bildungspolitik und bei der Kinderbetreuung auf den Prüfstand stellen.

 

Merkel: Roland Koch ist stellvertretender Parteivorsitzender der CDU. Wenn wir Prioritäten diskutieren, dann trägt jeder in der CDU dazu bei und kann seine Meinung sagen. In der Umsetzung ist es dann Aufgabe der Bundesregierung, den Bundeshaushalt aufzustellen, so wie jede Landesregierung ihren Landeshaushalt nach ihren Prioritäten aufstellt.

 

SZ: Was sind Ihre Prioritäten?

 

Merkel: Wir haben immer gesagt: Der Schwerpunkt für Deutschlands Zukunftsfähigkeit liegt bei Bildung und Forschung. Auch bei der Betreuung der Unter-Drei-Jährigen  bleibt es. Ich halte nichts davon, diese zentralen Aspekte in Frage zu stellen. Das haben wir uns vorgenommen, das machen wir auch.

 

SZ: Schreit die Lage des Landes nicht nach einer großen Koalition - nicht nur in Düsseldorf, sondern auch im Bund?

 

Merkel: Nein. Die Lage des Landes ruft vielmehr nach verantwortlichem Verhalten aller, egal ob Regierung oder Opposition. Nach dem Ende der Großen Koalition haben wir wieder normale Gegebenheiten mit einer klaren Regierungsmehrheit unter Führung der einen Volkspartei und einer starken Opposition mit der anderen Volkspartei in Deutschland. Das ist gut für die Klärung der Sachpositionen und die demokratische Auseinandersetzung im Land. Im Übrigen hatten auch in der Vergangenheit Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Mehrheiten. Dennoch haben es Union und SPD über Jahrzehnte geschafft, viele große Reformen in Deutschland gemeinsam zu machen. Das wird uns auch jetzt wieder gelingen.