Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Verleihung der Leo-Baeck-Medaille

Sehr geehrter Herr Präsident Blum,
sehr geehrte Frau Direktorin Kahn Strauss,
sehr geehrter Herr Professor Blumenthal,
sehr geehrte Vorstandsmitglieder und Freunde des Leo-Baeck-Instituts,

meine Damen und Herren,

herzlichen Dank, Herr Professor Blumenthal, für diese Laudatio, die mich sehr berührt hat. Die Leo-Baeck-Medaille zu erhalten, ist für mich ein zutiefst bewegender Moment. Herzlichen Dank auch dafür.

In Ihrem Lebensweg, Herr Professor Blumenthal, spiegelt sich – deshalb war es besonders anrührend, Sie heute zu hören – auch die Geschichte vieler deutscher Juden wider, die das Leo-Baeck-Institut immer wieder erzählt und lebendig hält. Sie haben Ihre Kindheit in Oranienburg und Berlin erlebt. Ihr Vater wurde ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. – Die Gedenkstätte Buchenwald hat der amerikanische Präsident Obama letztes Jahr besucht. Ich durfte ihn begleiten. – Doch 1939 gelang Ihrer Familie die Flucht ins Shanghaier Exil. Von dort emigrierten Sie in die Vereinigten Staaten von Amerika und haben ein neues Leben aufgebaut – ein sehr erfolgreiches Leben. Als Präsidentenberater, als Finanzminister und als Unternehmer haben Sie Amerika große Dienste erwiesen.

Für uns – das darf ich als deutsche Bundeskanzlerin sagen – ist natürlich besonders bedeutsam, dass Sie Ihre Herkunft, Ihre Heimat, nie vergessen haben. Seit 1997 leisten Sie nun eine großartige Arbeit als Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Für die Zeit, die Kraft und die Leidenschaft, die Sie in diese Arbeit einbringen, und für Ihre gelebte Verbundenheit mit Deutschland möchte ich Ihnen zutiefst Dankeschön sagen.

Mein Dank gilt ebenso Ihnen, Herr Präsident Blum, sowie dem gesamten Vorstand des Leo-Baeck-Instituts. Ich möchte auch Ihnen, Frau Kahn Strauss, danken. Als Exekutivdirektorin haben Sie in den letzten 16 Jahren das Wirken des Leo-Baeck-Instituts geprägt – mit Ihrer Kompetenz, Ihren Erfahrungen, vielen Initiativen und – wer Sie kennen gelernt hat, der weiß das auch – mit Ihrer menschlichen Wärme.

Deshalb ist es mir eine ganz besondere Ehre, die Leo-Baeck-Medaille entgegennehmen zu dürfen. Ich sehe das als Ansporn und als Auftrag an, mich auch weiterhin für ein gedeihliches Miteinander mit der jüdischen Gemeinschaft einzusetzen. Dazu gehört vorneweg – ich muss sagen: leider ist das immer wieder nötig –, gegen Antisemitismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen Rassismus einzutreten.

Die Überlebenden der Shoah sind eindringliche Mahner – und das zu Recht –, bereits den Anfängen zu wehren. Ihre Stimme gegen das Vergessen und für ein friedliches Miteinander ist unvergleichbar eindringlich. Hinzu kommt die Arbeit eines Instituts wie des Leo-Baeck-Instituts. Sie übernehmen die verdienstvolle Aufgabe, Wurzeln, Traditionen und Einzelschicksale jüdischen Lebens in Deutschland den heutigen und den zukünftigen Generationen zu vermitteln.

Die reiche Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland hat im schwärzesten Kapitel der deutschen Vergangenheit eine bittere Zäsur gefunden. Die systematische Ermordung von sechs Millionen Juden ist und bleibt unbegreiflich. Es gibt keine Worte dafür, das Unfassbare auch nur annähernd zu beschreiben. Es lässt uns vor den Opfern verstummen. Der Zivilisationsbruch der Shoah ist stete Mahnung, unserer Verantwortung für Freiheit, für Demokratie und für Toleranz immer wieder und jeden Tag gerecht zu werden. Es ist eine immerwährende Verantwortung im Dienste der Menschlichkeit.

Nur auf der Grundlage der Vergegenwärtigung des unermesslichen Leids und Verlusts können Aussöhnung und Verständigung wachsen. Auch deshalb bin ich dem Leo-Baeck-Institut für sein Engagement außerordentlich dankbar. Mit seinem Archiv schafft es einen wichtigen Zugang für die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft. Es errichtet auch eine Brücke zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, indem es die Lebenswege der aus Deutschland emigrierten Juden nachzeichnet.

Es erfüllt mich mit Dankbarkeit und Freude, sagen zu können: Heute haben wir in Deutschland wieder eine der größten jüdischen Gemeinschaften Europas. Wer hätte es für möglich gehalten, dass wir nach den unsäglichen Schrecken des Holocaust wieder ein blühendes jüdisches Leben in Deutschland haben würden?

Wir haben dies auch solch mutigen Wegbereitern wie Leo Baeck zu verdanken. Er verkörperte Toleranz und gegenseitigen Respekt zwischen Menschen jeglicher Herkunft. Seine unbeirrbare Haltung des Ausgleichs und der Verständigung war und bleibt Vorbild und Maßstab zugleich. Ich denke, solchen Maßstab und Einsatz für Verständigung und Frieden brauchen wir allemal auch in unseren Zeiten.

So haben Anfang dieses Monats in Washington erstmals seit fast zwei Jahren wieder direkte Verhandlungen zwischen Israel und Palästinensern begonnen. – Ich habe heute mit Präsident Abbas im Gebäude der Vereinten Nationen gesprochen und am Freitag mit dem israelischen Premierminister telefoniert. – Wir alle, so glaube ich, verbinden mit diesen Gesprächen die Hoffnung auf Fortschritte hin zur Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung. Aber wir wissen auch, wie schwierig und kompliziert das noch sein wird. Deshalb muss von beiden Seiten auch immer wieder der Wille zur Verständigung und zum Kompromiss eingefordert werden. Wir wissen um die Schwierigkeiten auf diesem Weg. Ich glaube aber, trotz aller Enttäuschungen, die wir schon erlebt haben, müssen wir auch diese Chance nutzen. Deutschland ist gemeinsam mit seinen Partnern in der Europäischen Union und natürlich den Vereinigten Staaten dazu bereit, mit aller Kraft zum Friedensprozess beizutragen.

Wenn wir in diesen Tagen vom Ziel eines friedlichen Miteinanders im Nahen und Mittleren Osten sprechen, dann muss natürlich zwangsläufig auch das iranische Nuklearprogramm angesprochen werden. Es gibt nach wie vor erhebliche Zweifel an den Absichten des Iran. Deshalb muss der Iran die bestehenden Zweifel der internationalen Staatengemeinschaft am ausschließlich friedlichen Charakter seines Nuklearprogramms ausräumen. Das ist bisher nicht geschehen.

Es ist daher aus meiner Sicht ein großer Erfolg gewesen, dass im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution verabschiedet werden konnte, die auf eine breite Mehrheit gestützt ist. Der Iran muss wissen, dass er die von den E3+3 unterbreiteten Angebote zur umfangreichen Kooperation mit der internationalen Staatengemeinschaft annehmen und an den Verhandlungstisch zurückkehren sollte, da ihm ansonsten weitere Isolation und eine konsequente Fortführung der Sanktionen drohen. Zu unseren Erwartungen an den Iran zählt auch, dass die Sicherheit und die Existenz des Staates Israel anerkannt werden. Beides ist für Deutschland niemals verhandelbar.

Meine Damen und Herren, internationale Aufgaben können nur international gelöst werden. Dabei ist es für Deutschland gut zu wissen, mit den Vereinigten Staaten einen verlässlichen Verbündeten, einen engen Partner und aufrichtigen Freund zu haben. Wir Deutsche – Professor Blumenthal hat auch darauf hingewiesen – feiern in wenigen Tagen den 20. Jahrestag unserer wiedergewonnenen staatlichen Einheit. Auch ich habe natürlich noch eine recht gute Erinnerung an diesen Tag vor 20 Jahren. Wir werden nicht vergessen, dass der Weg zur Einheit ohne die entschlossene und vertrauensvolle Unterstützung unserer Freunde in den Vereinigten Staaten nicht möglich gewesen wäre.

In dieser Freundschaft nimmt das Leo-Baeck-Institut einen festen Platz ein – als Brückenbauer zwischen Vergangenheit und Zukunft, als Brückenbauer zwischen unseren Völkern. Mit der Ehrung, die ich heute erfahren durfte, darf ich mich Ihnen nun auch ganz persönlich verbunden fühlen. Dies erfüllt mich Stolz und Freude. Und es wird mich anspornen, bei all den schwierigen politischen Problemen, die wir heute entsprechend der Maßstäbe von Leo Baeck zu lösen haben, noch mehr Kraft einzusetzen. - Herzlichen Dank.