Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnungsveranstaltung der 30. Medientage am 25. Oktober 2016

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Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Horst Seehofer,
sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Ilse Aigner,
sehr geehrter Herr Präsident Schneider,
sehr geehrter Herr Professor Wahlster,
sehr geehrte Frau Hayali,
meine Damen und Herren hier im Saal und anderswo,

auch ich gratuliere ganz herzlich zum 30. Jahrestag der Medientage. Zur Einordnung des nicht abgelaufenen Films kann ich nur sagen: Ausnahmen bestätigen die Regel. Das heißt also: Bayern braucht an seinem Selbstbewusstsein nicht zu zweifeln.

Diese Medientage – das hat Herr Präsident Schneider eben auch deutlich gemacht – sind über die Jahre deutlich gewachsen: sowohl thematisch als auch technologisch, worauf wir doch noch einmal hinweisen müssen, und auf jeden Fall mit Blick auf die Teilnehmerzahlen. Inzwischen gehören die Münchner Medientage zu den Großereignissen der Medienwelt. Kaum eine Redaktion, kaum ein Verlag und auch kaum ein namhafter Internetdienst kommt an ihnen noch vorbei. Das Programm ist ja in der Tat sehr vielfältig und damit auch ein klares Indiz dafür, dass wir uns mitten in einem tiefgreifenden Umbruch nicht nur der Medienlandschaft, sondern auch der gesamten gesellschaftlichen Kommunikation befinden. Es ist wahrscheinlich eine Zeit, in der wir noch nicht richtig überblicken, was das alles für die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland, in Europa, auf der Welt bedeutet.

Es sind Kräfte der Disruption, wie man heute sagt, und der Innovation, die unsere Zukunft mit allen Chancen und Risiken prägen werden, wobei Chancen und Risiken dicht beieinander liegen werden. Ich finde auch sehr beachtenswert, was Klaus Schwab, der Chef des Weltwirtschaftsforums in Davos, sagt. Entscheidungsträger in dieser Gesellschaft seien sehr häufig traditionellen, linearen und gerade nicht disruptiven Denkmustern verhaftet. Sie würden durch kurzfristige Belange oft davon abgehalten werden, sich mit langfristigen Trends zu beschäftigen. Daher stellt sich auch die Frage – wir in Europa und in Deutschland müssen uns diese Frage sehr intensiv stellen –, ob wir in der Lage sind und den ausreichenden strategischen Weitblick besitzen, diese Dinge schnell genug einzuordnen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir uns auf der Welt umschauen, woher viele Neuerungen kommen. Ich freue mich sehr, dass die Start-up-Landschaft in Deutschland im Wachsen begriffen ist. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Zeichen dafür, dass wir aus traditionellen Denkmustern ein Stück weit ausbrechen können.

Nun habe ich den Wandel von heute angesprochen. Aber auch schon in den Anfängen der Münchner Medientage vor 30 Jahren fühlte man sich schon inmitten eines Wandels. 1987 wurden diese Medientage als Reaktion auf das Vordringen privater Programme per Kabelfernsehen gegründet. Damals erschienen Publikationen unter Überschriften wie etwa „Urknall im Medienlabor“ oder „Das Publikum verstreut sich“. Das waren Titel, die die Diskussionen vor rund einem Vierteljahrhundert widerspiegelten. Solche Überschriften sind aber auch heutzutage auf der Tagesordnung.

Lieber Herr Schneider, die Bayerische Landeszentrale für neue Medien beteiligt sich intensiv an der gesellschaftlichen Diskussion. Auch für sie gilt, dass das, was ihre Gründer 1985 unter den sogenannten neuen Medien verstanden, davon zu unterscheiden ist, was wir heute darunter verstehen. Die Grundanliegen jedoch bleiben bestehen. So schauen Sie heute neben technologischen und wirtschaftlichen Aspekten des Medienwandels unverändert auch auf Fragen der Qualität und Vielfalt. Eine vielfältige, freie und qualitativ hochwertige Medienlandschaft – das ist und bleibt, wie auch Frau Hayali soeben gesagt hat, die Basis für eine informierte, kritische Bürgerschaft, für eine umfassende gesellschaftliche, kulturelle und politische Teilhabe.

Das heißt ja nicht, dass man verschlossen gegenüber Kritik sein muss. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Vielfalt, Umfang und Präzision in der Medienlandschaft für die Entwicklung einer Bürgerschaft, einer freien Gesellschaft konstitutiv sind. Dazu gehört natürlich, dass uns nicht alles gefällt, was man zu lesen, zu hören und zu sehen bekommt. Aber Vielfalt erweitert unseren Horizont. Sie lädt uns ein, die Welt auch mit den Augen anderer zu sehen, was im Übrigen die Voraussetzung dafür ist, Kompromisse eingehen und gemeinsame Handlungsmöglichkeiten ausloten zu können.

Deshalb denke ich, dass wir zutiefst dankbar dafür sein können, dass wir hierzulande Pressefreiheit mit einer der mannigfaltigsten Medienlandschaften in der Welt haben. Bei aller Kritik sollten wir das auch als ein Pfund, als ein positives Zeichen unseres Landes sehen. Wenn wir uns anschauen, wie wenig selbstverständlich Pressefreiheit insgesamt in internationaler Hinsicht ist, dann ergibt sich daraus automatisch die Aufgabe, Pressefreiheit immer und überall zu verteidigen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch die Arbeit der Deutschen Welle hervorheben, die den Informationsauftrag rund um den Globus erfüllt.

Wir sind aber auch in Deutschland selbst gefordert, uns der Bedeutung einer freien und vielfältigen Medienlandschaft stets bewusst zu sein. Denn wir erleben in letzter Zeit verstärkt eine Art und Weise der Äußerung von Zweifeln, die mit konstruktiver Kritik in der Tat wenig bis gar nichts mehr zu tun hat. Natürlich gab es auch schon vor dem Internetzeitalter Quellen und Personen, die fast nur noch daran interessiert waren, eigene Auffassungen zu teilen und zu untermauern, sich bestätigt zu sehen und andere Meinungen generell zu verwerfen. Die digitale Technik aber hat dies noch um ein Vielfaches verstärkt. Sie hat unseren Radius einerseits ungemein vergrößert. Andererseits können Algorithmen, die auch schon im Beitrag von Herrn Schneider auftauchten und immer wichtiger werden, das Bedürfnis nach Selbstbestätigung und die Abwehrhaltung gegenüber scheinbar überfordernden Informationsfluten verstärken, indem sie dafür sorgen, dass gezielt und fast ausschließlich bestimmte Informationen angeboten werden – solche also, die an die bereits offenbarten Interessen der jeweiligen Internetnutzer oder an Empfehlungen und Kommentaren ihrer Internetfreunde anknüpfen.

Diese Entwicklung müssen wir genau beobachten. Ich persönlich bin dabei auch der Meinung, dass Algorithmen transparenter sein müssen, sodass interessierten Bürgern auch bewusst ist, was eigentlich mit ihrem Medienverhalten und dem anderer passiert. Denn die eigene Bequemlichkeit, sich bestätigt zu fühlen, kann Personen natürlich auch immer wieder in Versuchung führen – ich denke, kaum einer ist davon frei –, zu meinen, dass man ja so viele Unterstützer hat, weshalb man sich um andere Meinungen überhaupt nicht mehr zu kümmern bräuchte. Wenn man sich in der eigenen Welt immer besser einrichten kann, dann kann das also Folgen für den gesellschaftlichen Diskurs haben. Die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, könnten abnehmen. Das ist eine Herausforderung nicht nur für politische Parteien, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Das heißt also, dass solche Mechanismen, wenn sie nicht transparent sind und wenn nicht klar ist, was passiert, zur Verzerrung der Wahrnehmung führen können. Sie verengen den Blickwinkel. Deshalb gilt es, wirklich daran zu arbeiten, solche Mechanismen zu durchschauen.

Hinzu kommt noch, dass sich die großen Plattformen mit ihren Algorithmen zunehmend zum Nadelöhr für die Vielfalt der Anbieter entwickeln. Das kann erhebliche wirtschaftliche Folgen haben, zumal sich der Zugang zu Werbeeinnahmen verengen kann. Da werden Existenzgrundlagen von Medien infrage gestellt. Das heißt also, dass wir hierbei sehr aufmerksam sein müssen.

Algorithmen gewinnen sozusagen eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Früher hat man sich mit so etwas in Mathematik- und Physikstudien herumgeschlagen. Heute macht der Algorithmus die künstliche Intelligenz aus. Ich bin fast ein bisschen traurig darüber, dass ich den anschließenden Vorträgen nicht lauschen darf. Aber ich komme auch so wieder einmal auf Herrn Wahlster zurück, damit er mir ein bisschen von seinem Wissen erklärt und nahebringt. Künstliche Intelligenz wird eines der großen Themenfelder der Zukunft sein. Der Wettbewerb zwischen dem Menschen und seinem Assistenten wird uns noch viel beschäftigen.

Wir haben neben Verengungstendenzen auf der einen Seite immer mehr Anbieter eigener Inhalte im Netz auf der anderen Seite. Das macht den Wettbewerb um Aufmerksamkeit nicht einfacher. Das macht auch die Frage nach der Qualität nicht einfacher. Natürlich ist es immer gut, Informationen aus erster Hand zu haben. Auch wir als Bundesregierung sind inzwischen auf verschiedensten Kanälen präsent, um unsere Arbeit darzustellen – so wie viele andere auch. Jeder bietet seine Inhalte an. Stars kommunizieren mit ihren Fans. Blogger kommentieren das, was ihnen wichtig erscheint. Tatortzeugen posten Bilder, wenn irgendwo etwas passiert ist. Und vieles, vieles mehr.

Wenn aber zum Beispiel auf einer Videoplattform Aufnahmen von einem Ereignis erscheinen, müssen wir uns fragen, wer absichert, dass diese Bilder tatsächlich die Wirklichkeit abbilden, und wer verhindert, dass Fälschungen oder verkürzte Wiedergaben ursprüngliche Informationen oder Botschaften ins Gegenteil verkehren. Das heißt: Auf der einen Seite können Algorithmen hilfreich sein, sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden, aber auf der anderen Seite kann die Welt, wenn wir sie fast ausschließlich mit gewissen Einschränkungen sehen, in Wahrheit weit von der Realität entfernt sein. Das wird noch manche gesellschaftliche Diskussion hervorrufen, für die die Medientage sicherlich ein sehr geeigneter Ort sind.

Wenn wir uns dessen bewusst sind, was da abläuft, können wir erkennen, dass in diesen Entwicklungen auch große Chancen für den Journalismus liegen. Denn neue Medien sprudeln zwar über vor unzähligen Mitteilungen, die aber für sich genommen jeweils nur Teilinformationen darstellen. Doch erst wer verschiedene Seiten abgleicht, wer unterschiedliche Aussagen zueinander in Beziehung setzt und einzelne Teile wie in einem Puzzle zu einem Gesamtbild zusammenfügt, der kommt der komplexen Wirklichkeit näher. Das ist eine spannende Aufgabe, für die der uns bisher bekannte Journalismus, meine ich, geradezu prädestiniert ist.

Nun sagt sich das relativ leicht. Doch die Fülle laufender Informationen ist ja für alle Redaktionen eine besondere Herausforderung. Die digitale Rasanz erhöht den Druck, Informationen möglichst rasch zu verarbeiten und in ihren Kontext einzuordnen. Das führt auch zu einer gewissen, von mir zum Teil belächelten Verhaltensweise, dass nämlich Ereignisse oft quasi schon kommentiert sind, bevor sie überhaupt stattgefunden haben, weil man in dem Wettlauf in der Frage, wer der Erste ist, der die Einordnung richtig gemacht hat, das Ereignis selber eben kaum mehr abwarten kann.

Insofern war es eigentlich auch gut, dass der Film vorhin ausgefallen ist. Stellen Sie sich vor, einer hätte schon berichtet, welch toller Film hier gezeigt worden wäre, was dann aber nicht stattgefunden hat. Das war eine Aufforderung, die Realität doch noch ernst zu nehmen. Vielleicht war das ja der geheime Plan – neben der Fragestellung, ob Frau Hayali reaktionsfähig ist und auf unangenehme Situationen reagieren kann. Das hat sie gut gemacht.

Aber unverändert gilt: Wer gründlich recherchiert, ein möglichst wirklichkeitsnahes Bild zusammensetzt und vermittelt, vermag auf Dauer zu überzeugen. Das heißt, ich glaube, dass Qualität Glaubwürdigkeit und Vertrauen stärkt. In der Vielfalt der Informationen werden sich Menschen immer wieder Anker suchen, denen sie Vertrauen schenken können. Es ist und bleibt für Medienanbieter ganz entscheidend, dass sich durch Qualität ein Vertrauensverhältnis aufbaut.

Dazu gehört natürlich, dass wir auch Medienkompetenz in Zeiten solchen Wandels viel stärker vermitteln müssen, gerade auch jungen Menschen. Denn das Zurechtfinden in der Vielzahl der Angebote, das Erlernen des Einordnens und des Gewichtens ist natürlich eine sehr wesentliche Fähigkeit. Die Stärkung der Medienkompetenz im Allgemeinen und die Vorbereitung auf die digitale Arbeitswelt im Besonderen – beides ist gleichermaßen Aufgabe des Bildungssystems.

Es ist übrigens ein interessanter Punkt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch ihre Smartphonekenntnisse bereits mit einem guten Vorwissen in die Unternehmen gehen, die die Möglichkeiten der Digitalisierung und der Industrie 4.0 nutzen. Die Unternehmen können sich sozusagen diese Smartphonekenntnisse zu eigen machen, um ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die entsprechenden Maschinen und technischen Einrichtungen der Unternehmen zu binden.

Die Medienbranche ist wie auch fast alle anderen Wirtschaftszweige auf Fachkräfte angewiesen, die mit neuen Technologien umgehen können. Das ist, denke ich, insbesondere auch für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten eine Herausforderung. Denn das klassische Beschäftigungsverhältnis steht der permanenten Zuführung neuer Fachkräfte ein bisschen im Wege. Insofern sollte auch da umgedacht und neu gedacht werden.

Wir als Bundesregierung wollen mit einer Bildungsinitiative für die digitale Wissensgesellschaft die Vorbereitung junger Menschen auf die Herausforderungen der sich wandelnden Arbeitswelt unterstützen. Kinder und Jugendliche – das ist das Schöne – begeistern sich für neue Technik. In einer Umfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung haben 82 Prozent der 14-bis-19-Jährigen angegeben, dass sie mit digitalen Techniken motivierter seien, Neues zu lernen. Jetzt muss man ihnen nur noch die Möglichkeit geben, das praktizieren zu können. Dazu gehören Tablets und andere digitale Möglichkeiten, um neues Wissen zu erlernen und um das Lernen besser zu lernen. Wir fördern in ziemlich breitem Maße auch die sogenannten MINT-Fächer – Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Technik –, um auch hierfür ausreichend viele Fachkräfte in unserem Land zu haben. Das ist eine tolle Sache auch für Frauen, weil man in diesen Bereichen relativ gut verdient. Aber Frauen sind dort immer noch ganz schön unterrepräsentiert. Im Übrigen – wir sprechen heute so viel über Algorithmen – denke ich, dass es auch eine der grundlegenden Notwendigkeiten ist, dass im Schulunterricht das Programmieren zumindest ansatzweise gelernt wird, damit man weiß, wie Algorithmen zustande kommen.

Wir haben bei unserem diesjährigen IT-Gipfel, der im Saarland stattfinden wird, als Schwerpunkt die digitale Bildung. Es ist sehr spannend zu sehen, dass sich diese IT-Gipfel inzwischen zu einer zentralen Plattform für den Austausch von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft entwickelt haben und sie sehr gut zur Digitalen Agenda der Bundesregierung passen. Es ist auch sehr spannend, dass wir uns bei diesen IT-Gipfeln permanent auf Neuland begeben und dass die klassischen Verhaltensmuster – Wirtschaft fordert, Politik soll liefern und liefert oder liefert nach Meinung der Wirtschaft nicht – dort gar keine Rolle spielen, sondern dass es immer um neue, noch nicht bekannte Sachverhalte geht, für die wir konstruktive Lösungen finden müssen. Dort hat sich eine völlig neue Art der Kooperation herausgebildet, die ich sehr begrüße.

Die Umsetzung unserer Digitalen Agenda, die vonseiten der Politik aufgelegt wurde, erfordert als Erstes eine flächendeckende Breitbandanbindung – also in allen Teilen des Landes. Wir haben dafür jetzt vier Milliarden Euro vorgesehen. Wir haben auch mit dem Ressortzuschnitt des Verkehrsministers unseren Schwerpunkt auf eine moderne Infrastruktur deutlich gemacht. Wir werden bis 2018 eine Grundversorgung mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde erreichen. Das ist ein guter Schritt, aber er reicht nicht aus, um damit das dritte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts hinreichend zu bestehen. Denn dazu müssen wir in den Gigabitbereich vordringen. Sowohl das autonome Fahren als auch die Telemedizin und der zuverlässige Austausch zwischen Unternehmen erfordern Gigabitbreiten. Hier müssen wir handeln.

Wir haben das DigiNetz-Gesetz verabschiedet, mit dem wir den weiteren Ausbau beschleunigen wollen. Zum Beispiel gehört die Verlegung von Glasfaserkabeln automatisch mit dazu, wenn neue Verkehrswege oder Neubaugebiete erschlossen werden, so wie man eben auch Strom- und Wasserleitungen verlegt. Das muss ganz normal werden.

Wir arbeiten – das muss europaweit geschehen; Deutschland ist schon relativ gut dabei – an einem flächendeckenden Mobilfunknetz der fünften Generation, kurz 5G genannt, um riesige Datenmengen in Echtzeit übertragen zu können. Wir haben wenigstens schon die Frequenzbereiche weitestgehend freigeräumt. Ich bin den Medienanbietern sehr dankbar dafür, dass sie sich diesem Ansinnen der Politik geöffnet haben. Aber Südkorea rollt dieses 5G-Netz bereits aus und wird uns mehrere Jahre voraus sein. 5G ist sozusagen der Standard, den wir auch für die Entwicklung des europäischen digitalen Binnenmarkts brauchen.

Hierbei geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Frage der Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen an dem, was in Zukunft Normalität sein wird – ob es um Fragen des Wirtschaftens, der Bildung oder des gesellschaftlichen Lebens gehen mag. Deshalb haben wir eine Vielzahl von neuen Gesetzen zu verabschieden – sowohl was das Wettbewerbsrecht als auch was Verbraucher- und Datenschutz sowie den Schutz geistigen Eigentums anbelangt.

Für Deutschland ist das Ganze nicht trivial. Wir haben eine Verfassungsrechtsprechung, mit der mit Blick auf das Individuum zur Datensparsamkeit aufgefordert wird. Wir leben aber auch im Zeitalter des Big Data Management oder Mining. Das heißt also, dass die Einstellung, die wir zu Daten haben – ob diese sozusagen sparsam verwendet und inwieweit sie geschützt werden müssen oder ob man fähig und in der Lage ist, aus großen Datenmengen neue Produkte zu machen –, über die Frage entscheiden wird, ob wir in Zukunft nur eine verlängerte Werkbank, was das Wirtschaften anbelangt, oder aber weiterhin ein führender Industriestandort sein werden. Sie wird also auch darüber entscheiden, wie viel Innovationskraft wir haben werden. Denn der Rohstoff der Zukunft sind die Daten.

Die Europäische Union hat in einem relativ zügigen Verhandlungsprozess die Datenschutz-Grundverordnung verabschiedet. Das ist sozusagen die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Der Kompromiss hat aber dazu geführt, dass wir eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe haben. Ich hoffe, dass die Auslegung durch die jeweiligen Datenschützer nicht so restriktiv ausfallen wird, dass Europa bei der Art und Weise, wie große Datenmengen verarbeitet werden müssen, nicht mithalten kann. Es stellt sich auch die Frage der Nutzung von Daten in Verbindung mit dem Verwendungszweck. Er darf nicht geändert werden, wenn Daten einmal erhoben wurden. Das ist auch ein weites Feld der Auslegung. Wann verändert sich ein Nutzungszweck? Dazu werden wir also noch viele, viele Diskussionen haben.

Wir gehen die Reform des Urheberrechts und ein neues Urhebervertragsrecht an. Dazu haben wir bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wer die Urheberrechtsdiskussion verfolgt, weiß, dass ganze Legislaturperioden vergehen können, ohne dass es zu Entscheidungen kommt, was den Urhebern, deren Eigentum geschützt werden soll, im Grunde nicht hilft. Wir merken bei den Diskussionen über diese Gesetze auch, dass im Grunde zwei Welten aufeinandertreffen: die Welt derer, die sagen, dass Daten allen zugänglich sein müssen, und die Welt derer, die sagen, dass der Inhalt auch noch etwas zählen muss. Wir müssen vor allen Dingen darauf Wert legen, dass beide Gruppen Kenntnis von den jeweils anderen Kernkompetenzen haben, damit es überhaupt zu Kompromissen kommen kann.

Viele von Ihnen, die hier im Raum sind, haben sich sehr engagiert in diese Debatten eingebracht. Ich möchte mich dafür bedanken. Das gilt auch für das Mitwirken an der Arbeit der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz – auch Herr Schneider sprach bereits von dieser Konvergenz –, die wir natürlich rechtlich absichern müssen. Dass wir in der Bund-Länder-Kommission einen Grundkonsens darüber erreicht haben, ist sehr wichtig – auch dafür, dass wir in Brüssel mit einer Stimme auftreten können und dass nicht verschiedene deutsche Positionen vorgebracht werden. Deshalb konnten wir erreichen, dass die EU-Kommission in ihrem Vorschlag für eine neue EU-Richtlinie über audiovisuelle Medien zentrale deutsche Positionen berücksichtigt hat. Hierbei geht es im Kern darum, dass dem veränderten Medienkonsum Rechnung getragen wird. Neben dem Fernsehen gibt es Videoplattformen, die von jungen Menschen sehr stark genutzt werden. Bei diesen Diensten müssen natürlich die Regeln des Jugend- und Verbraucherschutzes, des Schutzes vor Hassreden oder vor Verletzung von Persönlichkeitsrechten genauso eingehalten werden wie bei den traditionellen Medien.

Für uns in Europa wird es sehr wichtig sein, dass wir einheitliche Standards für einen digitalen Binnenmarkt schaffen. Es ist gut zu wissen, dass mit Günther Oettinger ein deutscher Kommissar daran arbeitet und dabei sehr enge Rückkoppelungen zu uns, aber auch in alle anderen europäischen Länder pflegt. Digitalisierung kennt keine Grenzen. Um uns möglichst viele Chancen zu erschließen, brauchen wir europäische Lösungen, um im weltweiten Wettbewerb überhaupt eine Chance zu haben. Das heißt also, dass die Fragen eines digitalen Binnenmarkts auch Fragen einer besseren Wertschöpfung und neuer Arbeitsplätze in der digitalen Welt sind. Sie werden darüber während Ihrer Medientage auf dem sogenannten Europatag am 27. Oktober noch eingehend diskutieren.

Von der Europäischen Kommission ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgelegt worden. Wir als Staats- und Regierungschefs haben uns bei unserem Treffen in Bratislava dazu verpflichtet, die Beratungen hierüber schnell voranzubringen. Mit Fragen zu Plattformen, Wirtschaft und Urheberrecht kann man Jahre und Jahre verbringen, während man Entwicklungen hat, die den gesetzlichen Arbeiten weit vorauseilen, und damit zum Teil eben auch rechtsfreie Räume, was uns auch nicht recht sein kann.

Das war nur ein Ausschnitt dessen, worüber Sie hier diskutieren. Ich könnte jetzt noch über Finanzierungsbedingungen von Start-ups und vieles andere mehr sprechen. Es werden spannende, lebendige Tage – davon bin ich überzeugt. Ich bin den Organisatoren dieser Medientage sehr dankbar dafür, dass sie eine so umfassende Plattform für die Diskussion bieten und maßgebende Akteure zusammenbringen. Falls neben dem Betrachten des eigenen mobilen Geräts, das man immer zur Hand hat, noch Zeit für das persönliche Gespräch zwischen Individuen bleibt und nicht nur Selfies gemacht werden, sondern auch neue Gedanken aufgenommen werden, dann werden die Medientage ein voller Erfolg. Danke dafür, dass ich bei der Eröffnung mit dabei sein kann.