Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnung des Usedomer Musikfestivals am 22. September 2018

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Exzellenzen,
liebe Frau Ministerpräsidentin Schwesig,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten,
sehr geehrter Herr Hummel,
sehr geehrter Herr Gericke,
vor allem liebe Musikerinnen und Musiker,
liebe Gäste dieses Abends,

wer Usedom kennt, weiß es – und wer Usedom noch nicht kennt, sollte es wissen: die Ostseeinsel ist immer eine Reise wert. Und das sage ich, obwohl zu meinem Wahlkreis die Insel Rügen und der Darß gehören.

Aber Gutes kann immer noch besser werden. Das haben sich vor 25 Jahren viele gedacht, die sich dieser Insel sehr verbunden fühlen. Sie haben sich mit Hoteliers und Geschäftsleuten zusammengetan, um ein Musikfest ins Leben zu rufen. Das Usedomer Musikfestival bringt nicht nur die Insel, sondern eine ganze Region zum Klingen. Denn die Festival-Macher haben von Anfang an Kunst und Kultur der Ostsee-Anrainerstaaten in den Blick genommen. In der Tat ist die Kulturinsel Usedom Teil einer großen Familie, die das Baltische Meer eben nicht trennt, sondern verbindet.

Das verkörpert auch und besonders das Baltic Sea Philharmonic. Mit seiner Gründung vor zehn Jahren wurde ein wunderbares neues Kapitel der Musikgeschichte aufgeschlagen. Zu verdanken haben wir das Ihnen, lieber Herr Hummel und lieber Herr Järvi. Sie haben junge Dänen und Deutsche, junge Esten, Finnen, Letten und Litauer, junge Norweger, Polen, Russen und Schweden zum gemeinsamen Musizieren eingeladen. Das Ergebnis hat Tiefe und Eleganz. Damit hat die Kultur im Ostseeraum einen neuen Klang gewonnen und das Orchester über die Jahre hinweg viel Anklang gefunden. Davon zeugen die Erfolge zahlreicher Auftritte nicht nur hier, sondern in Europa. Erst kürzlich hat das Orchester sogar im Mittelmeerraum, in Italien, gastiert.

Dem Baltic Sea Philharmonic gratuliere ich herzlich zum zehnjährigen Bestehen. Ich freue mich auf das heutige Eröffnungskonzert. Die Mitglieder des Orchesters leben internationale Verständigung. Sie bedienen sich der Musik als einer zeitlosen Sprache, die über Grenzen hinweg jeder verstehen kann.

So ist es geradezu folgerichtig, dass das heutige Konzertprogramm durch ein weiteres Jubiläum inspiriert ist, indem es an die Erlangung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Finnlands und Polens vor rund 100 Jahren erinnert – konkret zwischen Dezember 2017 und November 2018. Diese Ereignisse waren eine Folge des Ersten Weltkriegs, dessen Endes wir in diesen Monaten in Europa gedenken. Wer die Geschichte kennt, weiß jedoch auch, dass keines der fünf Länder seine Unabhängigkeit frei entwickeln durfte. Denn der Völkergemeinschaft war es damals, nach dem Ersten Weltkrieg, nicht gelungen, die Grundlagen für eine dauerhafte Friedensordnung zu schaffen. Im Gegenteil, es sollten der von Deutschland begangene Zivilisationsbruch der Shoa und der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg folgen.

Unser Gedenken dieser Schrecken, unser Gedenken auch des Endes des Ersten Weltkriegs und des Erlangens der staatlichen Unabhängigkeit kann und darf daher nicht sich selbst genügen. Damit verbunden ist auch die Verpflichtung, dass wir uns immer wieder für unsere Friedensordnung, für Zusammenhalt und für Verständigung stark machen. Frieden gibt es nicht einfach so, sondern Frieden braucht festen Boden, um aufeinander zugehen zu können. Diesen festen Boden unter unseren Füßen bilden gemeinsame Werte. Sie zu bewahren, zeichnet erst eine Gemeinschaft aus, die auf gegenseitiges Wohl bedacht ist. Diese Werteorientierung brauchen wir in unserem Land, in Europa und in unseren internationalen Beziehungen. Wir wissen ja aus der Geschichte, wie wertvoll, aber auch wie wenig selbstverständlich, ja, wie zerbrechlich Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind. Sich für diese Werte stark zu machen – das ist eine Aufgabe, deren Notwendigkeit uns auch über Gedenk- und Jahrestage hinaus bewusst sein muss.

Daher freut es mich, dass während des Usedomer Musikfestivals auch das anklingt, was Europa letztlich geeint hat: nämlich die Toleranz, die Offenheit füreinander und der Respekt voreinander. Ein stärkeres Kontrastprogramm zu dem, was einst hier, in der ehemaligen Heeresversuchsanstalt Peenemünde, geschah, kann man sich kaum wünschen. Hier wurden einst Waffen entwickelt, um Tod und Schrecken zu verbreiten. Heute aber kommen hier Menschen aus verschiedenen Nationen zusammen, um die Gemeinschaft stiftende Wirkung der Musik zu erleben – durch gemeinsames Musizieren ebenso wie durch gemeinsames Zuhören.

Kultur verbindet – das zeigt sich auch daran, dass der polnische Teil Usedoms ganz selbstverständlich seinen Platz im Veranstaltungsprogramm hat. Seit 25 Jahren nun geht von diesem Festival eine musikalische Botschaft für eine friedliche und gedeihliche Nachbarschaft in der gesamten Ostseeregion aus. Das sind 25 wirklich gute Gründe dafür, dass ich sehr gerne die Schirmherrschaft über das Jubiläumskonzert übernommen habe.

Ich danke den Künstlerinnen und Künstlern. Ich danke allen sehr herzlich, die dieses Festival organisiert haben, und allen, die es auf verschiedenste Weise unterstützen. Ich weiß, hier waren und sind unglaublich viele hilfreiche Geister am Werk. Sie alle zusammen tragen zum Gelingen bei – auch dadurch, dass sie neben dem kulturellen Wohl auch für das leibliche Wohl sorgen. Sie alle pflegen Musikkultur und eine Kultur des Miteinanders. Sie setzen sich für ihr Usedom ein. Sie öffnen sich und sie öffnen damit ihre Heimat für neue Begegnungen. Was könnte ein Festival Schöneres bewirken?

Daher: herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum – und auf weitere 25 Jahre, in denen das Usedomer Musikfestival viele Kulturfreunde aus nah und fern zusammenführt und begeistert. Aber warum zeitlich in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Freuen wir uns erst einmal auf das heutige Eröffnungskonzert. Ich wünsche Ihnen und uns allen einen wunderbaren Abend.

Herzlichen Dank.