Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Eröffnung der Hannover Messe am 22. April 2018

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Sehr geehrter Herr Präsident Peña Nieto,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kommissare, lieber Günther Oettinger,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundeskabinett und aus den anderen Kabinetten,
sehr geehrter Herr Welcker,
Herr Professor Wahlster,
liebe Ausstellerinnen und Aussteller,
meine Damen und Herren,

wir wissen es: die Hannover Messe ist die weltgrößte Industriemesse. Sie schafft es auch nach über sieben Jahrzehnten ihres Bestehens, Aufbruch und Aufschwung zu verkörpern. Sie setzt Maßstäbe und gewährt jedes Mal wieder neue Einblicke in die technologische Zukunft. Hier präsentiert sich nicht nur die deutsche Industrie vor aller Welt. Es kommen auch Hightech-Unternehmen aus aller Welt hinzu. Man kann sagen, hier versammelt sich, was in der Industrie Rang und Namen hat.

Das diesjährige Leitthema der Messe lautet: „Integrated Industry – Connect and Collaborate“. Verbinden und Zusammenarbeiten – das sind geradezu Wesensmerkmale der Industriegeschichte. Ein bisschen scherzhaft muss man sagen: Hoffentlich können die Menschen immer noch etwas besser zusammenarbeiten als die Maschinen. Das wünsche ich mir für die Zukunft. Wenn wir auf die Welt blicken, haben wir noch viel zu tun.

Wenn wir einmal zurückschauen: Als Alexander von Humboldt Mexiko bereiste, gab es die Industrie 1.0., die erste industrielle Revolution. Antriebstechniken waren Wasser und Dampfkraft. Es folgten die Industrie 2.0, die die Automatisierung kannte, mit der Entdeckung der Elektrizität und mit der Entdeckung der Mobilität zunehmend in Form von Autos und neuen Eisenbahnen, und die Industrie 3.0 in den 1970er Jahren, anknüpfend an den ersten Computer, der schon vorher von Konrad Zuse erfunden wurde, mit der Automatisierung durch Elektronik und Informationstechnologie. Und jetzt reden wir angesichts der digitalen Entwicklung und Möglichkeiten des Internets der Dinge, der Just-in-time-Möglichkeiten und der individuellen Produktion von der Industrie 4.0.

Immer wieder waren Veränderungen erfolgt – gravierende Veränderungen, wenn wir uns einmal überlegen, dass bis zum Entstehen der Industrie 1.0 die übergroße Mehrheit der Menschen in Deutschland in der Landwirtschaft gearbeitet hat und dass heute nur noch 1 bis 1,5 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft arbeiten. Aber immer haben wir es geschafft, Wandel zu gestalten. Im Übrigen ging das zwar auch mit schwierigen Kämpfen einher, wenn ich nur an den Aufstand der Weber denke. Letztlich aber verlief die industrielle Revolution immer so, dass sie zum Wohle der Menschen war. Das muss auch unser Anspruch angesichts von Industrie 4.0 sein, meine Damen und Herren.

Einhergegangen mit der Industrialisierung in ihren verschiedenen Etappen sind immer auch Internationalisierung und Globalisierung. Dies spiegelt auch die Hannover Messe wider. In diesem Jahr sind mehr als 5.000 Aussteller aus 75 Ländern nach Hannover gekommen.

Ganz besonders freuen wir uns natürlich über Mexiko als Partnerland. Lieber Herr Präsident, lieber Enrique Peña Nieto, es ist schön, Sie hier begrüßen zu können. Die Aussteller aus Mexiko heiße ich alle ganz herzlich willkommen, genauso wie die Institutionen, die sich hier präsentieren werden. Wir wissen, dass Ihr Land der Globalisierung offen gegenübersteht. Wir arbeiten im Format der G20 eng zusammen. Deutschland und Mexiko hatten 2016 und 2017 das Mexikojahr in Deutschland und das Deutschlandjahr in Mexiko. Bei der Hannover Messe ist es natürlich insbesondere die Frage der industriellen, der wirtschaftlichen Kooperation, die im Mittelpunkt steht.

Mexiko ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Lateinamerika. Das bilaterale Handelsvolumen ist im letzten Jahr auf über 20 Milliarden Euro angewachsen. Das ist ein Plus von 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wir sind nicht nur gute Handelspartner, sondern wir sind auch gute Investitionspartner. Gute Infrastrukturen, der große Binnenmarkt des Landes und die enge Einbindung in die Weltwirtschaft machen Mexiko zu einem wichtigen und guten internationalen Standort für die deutsche Wirtschaft, vor allem für die Automobilindustrie. Aber auch in den Branchen Pharma, Chemie, Transport und Logistik haben deutsche Unternehmen intensiv investiert.

Morgen findet ein deutsch-mexikanisches Wirtschaftsforum statt, das der BDI und sein mexikanischer Partnerverband organisiert haben. Das ist eine hervorragende Gelegenheit, unsere bilateralen Wirtschaftsbeziehungen weiter zu vertiefen. Wir werden morgen auch eine Kooperationsvereinbarung zwischen Mexiko und Deutschland zur Industrie 4.0 unterzeichnen. Das ist eine gute Nachricht für alle, denen der Ausbau unserer Zusammenarbeit auch in den nächsten Jahren am Herzen liegt.

Die deutsch-mexikanische Wirtschaftspartnerschaft lebt auch davon, dass unsere Länder mehr verbindet, als die geografische Entfernung auf den ersten Blick vielleicht vermuten lässt. Uns verbinden Werte und Überzeugungen. Die Amerika-Reise des Naturforschers Alexander von Humboldt führte ihn 1803 auch nach Mexiko. Er soll einmal gesagt haben – ich möchte ihn zitieren –: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.“ Deshalb ist es wichtig, auch in Zeiten der Globalisierung hinzuschauen.

Mexikaner und Deutsche wissen sehr gut, wie wichtig es ist, auf die Welt zu schauen. Wir wissen um viele gemeinsame Herausforderungen. Und wir glauben daran, dass multilaterale Zusammenarbeit ein Mehrwert für alle sein kann. Deshalb treten wir für einen möglichst freien Welthandel ein, der auf gemeinsamen Regeln basiert. Wir glauben, dass das Welthandelssystem der Welthandelsorganisation WTO hierfür den richtigen Rahmen bietet und dass bilaterale Handelsabkommen eine gute Ergänzung sein können. Es kommt also auf einvernehmliche Verhandlungslösungen an.

Ich möchte ausdrücklich würdigen, dass es gelungen ist, kurz vor der Hannover Messe – bestimmt hat sie noch ein bisschen Antrieb gegeben – eine Erneuerung, eine Weiterentwicklung unseres Handelsabkommens im Grundsatz zu beschließen. Ein herzliches Dankeschön daher an die Europäische Kommission, an Kommissarin Malmström, die in diesen Tagen wirklich herausragende Arbeit leistet, und an die mexikanischen Partner. Die technischen Arbeiten sollten jetzt zügig verlaufen. Das ist eine wirklich gute Nachricht für Deutschland, für Europa und für Mexiko.

Meine Damen und Herren, die Welt entwickelt sich rasant weiter. Deshalb gibt es auch für Deutschland immer wieder große Herausforderungen. Wir haben im Augenblick eine sehr gute wirtschaftliche Situation. Die Arbeitslosigkeit ist so gering wie nie seit der Wiedervereinigung. Dennoch: Herr Welcker, ich weiß schon, dass die Momentaufnahme von heute noch nicht die Prognose für die Zukunft ist. Deshalb ist es entscheidend, dass wir unsere Innovationsfähigkeit weiter stärken. Nicht umsonst hat die Bundesbildungs- und -forschungsministerin, Anja Karliczek, heute den „HERMES Award“ verliehen. Dass der Preis bereits zum 15. Mal verliehen wurde, zeigt, dass gerade auch mittelständische Unternehmen in Deutschland Treiber der Innovation sind, ohne dass ich die Leistung der größeren schmälern möchte. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Herrn Professor Wahlster auch noch einmal ganz herzlich danke zu sagen. Der „HERMES Award“ war eine gute Idee, ist eine gute Institution und wird sicherlich weiterhin bestehen bleiben.

Das Prädikat „Made in Germany“ soll auch in Zukunft für wegweisende Innovationen stehen. Deshalb sind wir froh, dass wir das Drei-Prozent-Ziel bei den Ausgaben für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung erreicht haben – zwei Drittel durch die Wirtschaft, ein Drittel durch staatliche Institutionen. Ein solches Ziel stellt uns bei hohem Wirtschaftswachstum mit Blick auf den Bundeshaushalt immer wieder vor große Herausforderungen. Aber wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, dass wir bis 2025 sogar 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Denn mit drei Prozent stehen wir in Europa zwar nicht schlecht da. Allerdings wissen wir, dass Länder wie Südkorea und Israel deutlich mehr für Innovation ausgeben. Das muss unser Maßstab sein.

Wir wissen, dass sowohl in den großen als auch in den mittleren und kleinen Unternehmen viel Innovationspotential steckt. Gerade für die letztgenannten wollen wir eine steuerliche Forschungsförderung umsetzen. Ich denke, dieses Mal müssen wir es schaffen. Wir sprechen schon mehrere Jahre davon, um es einmal vorsichtig zu sagen. Jetzt muss es auch etwas werden.

Meine Damen und Herren, ich erinnere mich noch gut, als ich den von Herrn Wahlster geprägten Begriff Industrie 4.0 hier zum ersten Mal ausgesprochen habe. Damals ging er uns – jedenfalls mir – noch nicht so leicht von der Hand. Wir konnten auch noch nicht so schön von Cobotern sprechen, sondern man hatte gerade einmal etwas von Robotern gehört. Man sieht, wie rasant sich die Dinge doch weiterentwickeln.

Auf dieser Messe wird das Thema Künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle spielen. Herr Ministerpräsident Weil und ich haben uns eben ein bisschen ausgetauscht; er meinte auch: „Es muss für Sie doch eine wirklich gute Sache sein, dass, da Sie seit Jahren und Jahrzehnten für die Künstliche Intelligenz und ihre Entwicklung sprechen, diese jetzt so einen Quantensprung – ‚so kann man es bezeichnen‘ – gemacht hat.“ Aber wie das so mit Quantensprüngen ist: Sie finden ja nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo statt. Ich glaube aber, dass wir – im Zusammenhang mit dem Bruttoinlandsprodukt – mit unserem sehr hohen Industrieanteil an der Wertschöpfung eine sehr gute Ausgangsbasis haben. Das zeigt sich ja auch hier auf der Hannover Messe.

Aber wir wissen, dass wir in anderen Bereichen wie zum Beispiel der Plattformwirtschaft längst nicht so gut sind wie andere Länder. Man muss sich vor Augen halten, dass sowohl in den Vereinigten Staaten von Amerika als auch in China mit großem Nachdruck daran gearbeitet wird. China hat das Ziel ausgegeben, 2030 der führende globale Anbieter für Künstliche Intelligenz zu sein. Darauf kann China hinarbeiten. Wir sind faire Partner. Aber ich sage: Auch wir wollen im Wettbewerb bestehen und vorn mit dabei sein.

Deshalb wird die Bundesregierung hinsichtlich der Künstlichen Intelligenz eine Bündelung aller Kapazitäten vornehmen – an den Universitäten, bei Herrn Wahlster im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, in der Fraunhofer-Gesellschaft – und die Vernetzung mit der Wirtschaft durch Exzellenz-Cluster und durch geeignete Fördermethoden noch besser strukturieren. Wir haben eine gute Ausgangsposition, aber die sechs Monate Regierungsbildung dürfen nicht der Maßstab für die Geschwindigkeit sein, in der wir weiterarbeiten. Früher, in meinem Physikstudium, hätte ich gesagt, es muss umgekehrt proportional verlaufen, also genau andersherum und schneller.

Angesichts unserer demografischen Herausforderung ist für uns die Fachkräftestrategie besonders wichtig. Jedes Talent zählt. Deshalb wird das Thema auch hier auf der Hannover Messe eine Rolle spielen. Der „Engineer Powerwoman Award“ wird verliehen. – Toll. Da bin ich ja mit dem Girls‘ Day nächste Woche sprachlich noch relativ einfach, aber auch schon englisch dran. Nun ja, auf jeden Fall wollen wir, dass sich auch Mädchen und Frauen noch mehr engagieren und technische Berufe, mathematisch-ingenieurwissenschaftliche Berufe ergreifen.

Wir müssen natürlich auch günstige Rahmenbedingungen schaffen. Alle Statistiken zeigen, dass Deutschland hierbei nicht überall an führender Stelle ist. Breitbandausbau und digitale Infrastruktur sind natürlich von allergrößter Bedeutung. Wir müssen sowohl das Glasfasernetz ausbauen als auch das 5G-Netz aufbauen. Hierbei werden wir systematisch und gemeinsam mit den Ländern vorgehen. Wir brauchen auch die Beispielwirkung der öffentlichen Verwaltung. Hier ist unser großes Projekt für die nächsten vier Jahre das Thema Bürgerportal und E-Government. Auch hier drängt die Zeit.

Meine Damen und Herren, die Hannover Messe wird uns zeigen, dass die Industrie vieles schon durchgesetzt hat, woran wir im staatlichen Bereich noch arbeiten. Deshalb freue ich mich auf morgen – erstens auf den Rundgang, um mexikanische Unternehmen und deutsche Unternehmen zu treffen, die in Mexiko Partner sind, und zweitens auf die Unterzeichnung von Abkommen. Und ich freue mich natürlich auf den Rundgang insgesamt.

Ich bin mir sicher, dass die Besucher wieder auf ihre Kosten kommen, dass gute Kontakte geknüpft werden, dass sich der Ausflug in die Industrie 4.0 in neuen Erkenntnissen zeigt. Damit das alles auch passieren kann, darf ich jetzt sagen: Die Hannover Messe 2018 ist eröffnet.

Herzlichen Dank.